ÀҾ˹éÒ˹ѧÊ×Í
PDF
ePub

hin, die verhängnisvoll für unsere Landeskirche und für den gesamten Protestantismus werden können. Wir sehen darin noch die geringste Gefahr, daß Austritte aus der Landeskirche und ernste Spaltungen keineswegs ausgeschlossen erscheinen. Viel größer ist die Gefahr, daß die Gleichgültigkeit und die Feindschaft gegen die Kirche neue Nahrung gewinnen werden, namentlich auch deshalb, weil man deren Organen nicht ohne Berechtigung den Vorwurf machen dürfte, sie hätten die wertvollste Errungenschaft der Reformation, das Recht des allein an Gott gebundenen freien Gewissens preisgegeben. Dazu kommt der gewaltige Gegensah, in den sich die Landeskirche der alten preußischen Provinzen zu anderen evangelischen Landeskirchen stellen würde, zumal durch Aufnahme der Bestimmungen, durch welche einzelne Provinzialsynoden die Vorschläge des Entwurfs bezüglich der Anwendung des Apostolikums noch geschärft wissen wollen. Die Verhandlungen der Brovinzialsynoden haben uns die Frage aufgedrängt, ob denn in der That eine nene Agende ein so dringliches Bedürfnis sei, daß man ihre gesetzliche Festlegung selbst dann erstreben müßte, wenn dieses Ziel sich nur erreichen läßt unter heftigen Kämpfen um die heiligsten Güter des Brotestantismus und unter schweren Erschütterungen, welche unserer evangelischen Kirche in der Gegenwart doch mehr als je erspart werden sollten. Wir würden es nach Lage der Sache nicht beklagen, wenn der Abschluß des Agendenwerkes vertagt und zu einer erneuten Inangriffnahme desselben erst geschritten würde, sobald in unserer Kirche mehr als jezt das Bestreben sich wieder geltend macht, die Mannigfaltigkeit der Glaubensanschauungen zu achten und die Resultate der theologischen Wissenschaft (!?) für die Bedürfnisse der Gegenwart zu verwerten."

"

Es fehlt in den zugehörigen Zeitungsberichten nicht der in diesen Kreisen übliche Zusaß, daß die Vorstellung sofort von vielen, nämlich 80 Teilnehmern in hervorragenden Lebensstellungen" unterzeichnet sei, im ganzen aber von 1400 Personen, Geistlichen, Synodalen, Ältesten, Professoren, Schulmännern, Beamten, Richtern, Rechtsanwälten, Bürgermeistern, Ärzten, Architekten, Kaufleuten, Industriellen u. s. w. (!) „Wenn das nicht zieht, zieht gar nichts mehr." Nun weiß der Ev. Oberkirchenrat doch, was er zu thun hat!

Zeichen der Zeit. Die Generalversammlung des „Männerbundes zur Bekämpfung der Unsittlichkeit" tagte am 14. Februar in Berlin. Der Generalsekretär, Pastor Paßschke, erstattete den Jahresbericht: Die Freunde und Träger der Sittlichkeitsbewegung seien um eine Hoffnung ärmer geworden, seitdem durch die Auflösung des Reichstages im vorigen Jahr die mit so guten Aussichten eingebrachte Sittlichkeitsnovelle begraben worden sei. Daß sie auch dem neuen Reichstage vorgelegt werde, erscheine mehr als zweifelhaft. Im übrigen hat die Sittlichkeitsbewegung manchen Fortschritt zu verzeichnen. Der „Keuschheitsbund zum weißen Kreuz" zählt bereits 5565 Mitglieder. Neue Frauenvereine haben sich in Freiburg i. B. und in Berlin gebildet. Der Generalsekretär hat auf seiner über ganz Deutschland sich erstreckenden Reise in 94 Versammlungen Vorträge gehalten. Für den März ist eine Reise nach Bayern, für den Mai eine solche nach der Schweiz vorgesehen. Der Vorstand des Männerbundes" besteht aus 37 Herren, darunter viele in den höchsten Staats- und Kirchenämtern. Die Mitgliederzahl ist allerdings von 408 auf 332 zurückgegangen. Der Männerbund" hat eine Eingabe an den Minister des Innern gerichtet um Aufhebung der fittenpolizeilichen Kontrolle, die weder ge

"

sundheitlich noch moralisch nüße. In der Diskussion beklagt Hauptmann Liman, daß die sittlichen Verhältnisse der Hauptstadt troß des „Männerbundes" sich im leßten Jahrzehnt verschlimmert haben; man solle energischer und nachdrücklicher vorgehen. Hierauf folgte der Kassenbericht. Derselbe weist eine Einnahme von 5793 Mk. auf und eine Ausgabe von 5420 Mk.; eine ältere Schuld von 3000 Mk. ist noch ungedeckt. Endlich berichtet noch der vom Männerbund angestellte Geistliche, Pastor Onasch, dem vom Polizeipräsidium zum ersten mal aufgegriffene Dirnen zu seelsorgerischer Einwirkung überwiesen werden: 718 Gefallene wurden ihm in acht Monaten vorgeführt, 90 davon wurden in Anstalten untergebracht, 129 den Eltern, 19 einem Dienst, 4 ihren Männern zurückgegeben. Der Rest sank in's Lasterleben zurück! --Welch ein ungeheures Maß des Jammers und der Verworfenheit, der in den leßten paar Worten allein steckt! Welch eine Aufgabe hat allein dieser Pastor Onasch: Täglich mit durchschnittlich 3 dieser elendesten aller Geschöpfe sich zu besprechen, um dann 80 pCt. von ihnen sofort rettungslos in den Sumpf zurücksinken zu sehen! Welch ein Mut überhaupt, der zur gesamten Arbeit des Männer bundes" gehört, verworfenen Weibern und was schwerer ist keuschen und doch pharisäerhaften Männern nachzugehen. Innerlich gehören wir diesem Bund“ alle an; wollen wir auch äußerlich ihn stügen und fördern, soviel wir vermögen, vor allem aber in seine Arbeit eintreten, furchtlos und treu, ein jeder in seinem Kreise. Not thut es.

"

"

[ocr errors]

un

Der Bund der Landwirte" mit 179000 Mitgliedern beschloß in seiner am 17. d. M. in Berlin unter enormem Zudrange ab= gehaltenen Generalversammlung, daß ihre Mitglieder einer der beiden christlichen Konfessionen angehören müssen. Ist diese Bestimmung auch gewiß zunächst nur antisemitischer Tendenz entsprungen, so klingt sie doch mindestens erfreulich und könnte als ein gegebener Ausgangspunkt und Anstoß zu Weiterem dem lieben Bauern- und Großgrundbesißerstande immerhin zum Segen werden.

In der Protestantischen Kirchenzeitung liest man folgendes Inserat: „Ich empfehle einen Predigtamtskandidaten von modern spekulativ-theologischer Auffassung und kirchlich-freisinniger Richtung, der sehr gut vor- und durchgebildet ist, zur Wahl für eine womöglich städtische Pfarrstelle. Auskunft durch mich. Stettin. Dr. Scipio, Prediger an St. Jakobi." Es mag wohl eine schwere Zeit für die Kirche sein, wo sie sich dergleichen bieten lassen muß und noch dazu von einem ihrer Prediger so bemerkt dazu mit Recht die Allg. Ev.-Luth. R.-3tg.

-

-

Die Summe, welche in Deutschland jährlich für die Unzucht geopfert wird, beläuft sich nach sehr geringer Schäßung angeblich auf 200 Millionen Mark. Das klingt schrecklich und doch halten wir die Zahl für viel zu niedrig. Schäßt doch ein sehr Kundiger den Aufwand nur Berlins für Prostitution in einer einzigen

Nacht auf 500000 Mark bei 50000 Prostituierten. Es giebt in Deutschland etwa 200000 Prostituierte, von denen z. B. eine einzige unlängst in das Hamburger Magdalenenstift eingetretene in wenigen Jahren 41000 Mark zurückgelegt hatte! Ganz Deutschland könnte man mit Kirchen, Pfarren und Schulen reichlich versehen, ja wohl seine ganze so kostspielige Armee unterhalten von dem, was ihm das Gelüsten seiner unkeuschen Männer koftet!

Wie haben in der katholischen Kirche es doch die Reichen so gut! Eben so wohl heute wie in den Tagen Tegels können sie in der Kirche zur Leibes- und Seelenheilung Mittel erkaufen, die dem gemeinen Manne freilich versagt bleiben! So liest man im Briefkasten eines ultramontanen Blattes:

Pf. M. Aber warum denn? Die heilige Jungfrau von Altötting kann ebenso große Wunder thun, wenn man sich an sie wendet, und der Weg zu ihr ist auch für Arme nicht zu weit. Die Reichen mögen immerhin nach Lourdes gehen, wir gehen lieber zu unserer lieben Frau nach Altötting.

Es muß alles katholisch werden. Der Centrumsabgeordnete Lingens hat neulich die Errichtung besonderer katholischer Unteroffiziersschulen verlangt, ist aber von dem Kriegsminister mit Recht zurückgewiesen worden. Nächstens wird man wohl die Errichtung eines oder mehrerer katholischen Armeekorps verlangen.

Die Jesuiten kehren nach Paraguay zurück. Bisher war ihnen das Betreten dieses Landes streng untersagt und alle Versuche, ihre Zulassung zu erwirken, vergeblich. Erst der jezige Präsident, J. Gonzalez, hat sich, vermutlich auf das Zureden seiner den Jesuiten sehr gewogenen Gattin, entschlossen, den Jesuiten die Rückkehr zu gestatten. Bereits im Juli 1893 sind zwei Jesuiten in Affuncion eingetroffen, wo sie auf einem herrlich gelegenen großen Bauplaß eine Schule errichten wollen. Hoffentlich läßt sich der Präsident die Lehre der Geschichte zur Warnung dienen, damit nicht hinter seinem Rücken die Jesuiten sich wieder ihren eigenen Staat gründen und das „Idyll von Paraguay" erneuern. (Ev. R.)

Der König von Württemberg wohnte kürzlich der Einweihung der evangelischen Diasporakirche zu Wangen im Allgäu bei und übernahm bei einem bald darauf geborenen Kinde des dortigen Pfarrers aus freien Stücken die Patenschaft. Ein Allgäuer ultramontanes Blatt macht nun dem Könige wegen dieser Huldbezeugungen gegen die „protestantische Kirche" und "protestantische Pfarrer" Vorwürfe, dieselben seien in katholischen Kreisen" unangenehm bemerkt worden! Das ist stark. Der König des weitaus zum größten Teil evangelischen Landes darf der Kirche, deren Glied und regimentliches Oberhaupt er ist, keine Huld mehr bezeugen, ohne bei den Römlingen um Erlaubnis zu bitten? Man scheint das Land bereits als römische Kirchenprovinz anzusehen.

Die,,Bibel in der Westentasche", jenes berüchtigte Machwerk modernen Religionshasses, wurde bisher als eine Frucht der Sozial

demokratie allgemein angesehen und von Vertretern jener Partei nicht bloß verteidigt, sondern auch im Volke vertrieben. Es nimmt sich deshalb ziemlich seltsam aus, wenn jegt, nachdem die Schrift von Sozialdemokraten tüchtig verbreitet worden ist, diese auf einmal nichts mit ihr zu thun haben wollen. Der ,,Vorwärts" schreibt:,,Sie ist im Verlage eines Mannes herausgegeben, der, als das Schriftchen erschien, Anarchist und zur Zeit der leßten Reichstagswahlen Bodenreformer war. Welche politische Gesinnung" er jegt hat, wissen wir nicht, da wir seine Geschäftsverbindung nicht kontrollieren. Jedenfalls hat seine ,,Bibel in der Westentasche" mit der Sozialdemokratie nicht das Mindeste zu schaffen."

"

Oberpfarrer Dr. Martius in Dommißsch a. Elbe versendet portofrei: 1. Für 1 Mark (auch in Briefmarken) die wichtigsten Schriften des,,Blauen Kreuzes" über die Rettung der Trinker. Von den 21 kleinen Volksschriften „Unter dem blauen Kreuze“, welche wahrheitsgetreue Geschichten geretteter Trinker enthalten und zur Verteilung sehr geeignet sind, kosten 50 Stück 2 Mark. Vom „Jlustrierten Arbeiterfreund" kosten gut gebunden Band I 2 Mark, Band II, III und IV je 1,60 Mark. Sie sind für Jünglingsvereine und Volksbibliotheken sehr passend. 2. Für 1 Mark (auch in Briefmarken) die Sagungen und wichtigsten Schriften des Deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke.“

"

Treuenbrießen, den 28. Februar 1894. Hobohm.

Litteratur.

Frhr. v. Liliencron. Liturgisch-musikalische Geschichte der evangelischen Gottesdienste 1523-1700. Schleswig. Jul. Bergas. 1893.

Die liturgisch-musikalische Geschichte der ev. Gottesdienste wies bisher eine sehr erhebliche Lücke auf, die nahezu zwei Jahrhunderte umfaßt. Diese Lücke will der Verfasser der obigen Schrift durch seine eingehenden Untersuchungen ausfüllen. Er thut dies nach der liturgischen, hymnologischen, musikalischen und litteraturgeschichtlichen Seite hin; er beginnt mit dem Jahre (1523), in welchem die ersten der für den ev. Gottesdienst grundlegenden kleinen Schriften Luthers erschienen sind und endet mit dem Jahre 1700, dem Geburtsjahre der Kirchenkantate, wie wir sie durch Bach kennen und wie sie innerhalb der ev. Kirche als Kirchenmusik geblieben ist.

Otto Brennekam.

Christliche Novellen. Fünf Erzählungen. Bayreuth. Niehrenheim & Bayerlein. 1894. Preis Mif. 1.50, geb. Mk. 2.00

Der beliebte Volksschriftsteller bietet hier eine Anzahl christlicher Novellen, und zwar zwei Weihnachtserzählungen unter dem Titel „überwunden“ und „Wie seine Weihnachtspredigt enistand", und sodann drei andere Erzählungen Verlorene Ehre rettende Gnade“, „Hinab – Hinauf“ oder „Ernites und Heiteres aus dem Pastorenleben“ und „Alles zum Besten". Wir empfehlen diese Novellen gern.

Brauchen wir ein neues Dogma ? *)

Von

9. Aurbach, Pfarrer in Freienbessingen.

Die Bekenntnisfrage kommt nicht zur Ruhe. Kaum ist der Fall Schrempf, der Fall Harnack etwas in den Hintergrund getreten, so lebt fie wieder auf in dem Streite des Marburger Professors Herrmann mit den hessischen Generalsuperintendenten. Und die Verhandlungen der lezten Provinzialsynoden über die Agende haben den Streit in allen Provinzen angefacht. Der Streitpunkt liegt eben nicht bloß in den Personen, sondern in der Entwickelung der Dinge. Und die Spannung wird immer größer. Die Jünger der neuen Theologie" kommen je länger je mehr ins Pfarramt und machen ihre Anschauungen geltend. Und es ist, als ob Alte und Junge sich nicht mehr verstehen, und sich auch nicht verständigen können. Die Jungen gebrauchen dieselben Ausdrücke, wie die Alten, verstehen aber etwas ganz anders darunter. Sie reden von Entwickelung, drehen dieselbe aber gerade um. Was den Alten Folge war, ist ihnen Vorausseßung und umgekehrt. Und was dem Streite alsbald das Gepräge der Bitterkeit und persönlicher Gereiztheit giebt, ist das, wenn auch nicht ausgesprochene, aber doch unmißverständlich zu erkennen gegebene Siegesgefühl der Jungen: Ihr Alten steht auf einem nicht mehr haltbaren, schon überwundenen Standpunkte." Es ist das ein sicheres Zeichen, daß unsere Kirche vor schweren Kämpfen steht, und daß nicht bloß in der Gemeindeordnung, in der Kirchenverfassung, sondern auch in der Lehre, auf dem ganzen Gebiete des kirchlichen Lebens sich ein Neues durchringt und anbahnt. Die evangelische Kirche steht an einem Wendepunkte ihres Geschickes.

[ocr errors]

In einer solchen Zeit ist es das Recht und die Pflicht eines Jeden, nicht bloß eine bestimmte, feste Anschauung für sich zu gewinnen, sondern sie auch zu vertreten und zur Geltung zu bringen. Allem ge= schichtlichen Werden gehen die individuellen Versuche und Bestrebungen Sie sind die Vorausseßungen, daß in einer gegebenen Situa

"

Anmerkung der Redaktion: Wir bieten den geehrten Lesern der Kirchlichen Monatsschrift den nachfolgenden Artikel darum, daß er Anlaß werde zu weiterer gründlicher Erörterung der hier behandelten wichtigen Frage.

Kirch Monatsschrift. Jahrg. XIII. Heft VII.

29

« ¡è͹˹éÒ´Óà¹Ô¹¡ÒõèÍ
 »