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Das

as reiche Material der Ausgrabungen ist für die Erforschung der babylonischen Religion ganz besonders ergiebig. Für den alten Orient gilt die Anschauung, daß Wissenschaft und Religion identisch sind. Die religiösen Vorstellungen werden also nicht nach dem jeweiligen Stande der Wissenschaft modifiziert, sondern alle Wissenschaft hat im Gegenteil nur den Zweck, das Wesen der im Weltall wirkenden geheimnisvollen göttlichen Kräfte näher zu beleuchten und zu erforschen. Die noch in der Scholastik herrschende Auffassung, daß die Wissenschaft die Magd der Theologie sei, ist also auch für Babylonien maßgebend. Ja, selbst die Schrift ist eine göttliche Gabe, die nur dem Gottesgelahrten zugänglich ist. So erklärt es sich, daß alle uns überlieferten Schriftdenkmäler, selbst die historischen Texte und Bauinschriften, enge Beziehungen zur Religion aufweisen. Ja, sogar die Rechts- und Geschäftsurkunden bieten allerlei Material für das Studium der babylonischen Religion.

Man könnte der Meinung sein, daß eine Religion, die wir durch etwa vier Jahrtausende hindurch verfolgen können, allerlei wesentliche „Reformationen" erlebt hat. Hiervon ist aber in den Denkmälern fast nichts zu erkennen. Auf eine gewisse Reformation hatten wir bereits hingewiesen1: diese trat ein, als das Reich von Bâbili die Herrschaft an sich gerissen hatte (um 2100 v. Chr.) und die politische Hauptstadt auch zum religiösen Mittelpunkt des Landes ward, und zwar dadurch, daß der vorher wenig bedeutende Gott Marduk von Bâbili zum Hauptgott erklärt wurde. Aber diese,,Reformation" wurde so geschickt an das ältere System angeknüpft, daß selbst das Pantheon keine Abänderung erfuhr. Marduk blieb der Sohn Eas wie bisher: die älteren Hauptgottheiten rückten auf diese Weise einzig und allein in noch unerreichbarere Fernen als bisher. Sie sanken aber keineswegs zu Gottheiten zweiten Grades herab: denn Marduk hatte sie nicht ihres Thrones beraubt, vielmehr hatten sie freiwillig dem jüngeren Gotte ihre Herrschergewalt übertragen, etwa so wie ein alter König, der der Regierungssorgen müde

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ist, die Bürden seines schweren Berufes seinem Sohne überträgt, um forthin ein wohlverdientes otium cum dignitate zu genießen.

Hierzu kam noch ein Umstand, der die Durchführung der Reformation wesentlich erleichterte. Wie der Mensch sich in seinen irdischen Sorgen und Wünschen nicht immer unmittelbar an den König oder an den ersten Vorgesetzten wendet, sondern sich zunächst der Gunst eines weniger hochgestellten Beamten versichert, dessen Fürsprache ihm oft nützlicher sein wird als ein direktes Bittgesuch, so wendete man sich auch in seinen reli giösen Bedürfnissen nicht sogleich an den Hauptgott, sondern lieber an seinen Sohn oder seine Gemahlin, die somit zu Für sprechern des Bittenden wurden. So war Marduk bereits im Kult seines Vaters Ea, des Gottes von Eridu, der freundliche Fürsprecher und Mittler für den notleidenden Menschen. Als Marduk zum Hauptgott des Staates wurde, fiel diese Mittlerrolle Marduks Sohne, Nabû (Nebo) zu, der fortan sich beim Volke größerer Beliebtheit erfreute als der unnahbare Götterherrscher selbst. Wie weit die christliche Vorstellung von der Mittlerrolle des Sohnes, ohne den niemand zum Vater kommt, auf altorientalische Gedanken zurückgeht, wollen wir hier nicht weiter untersuchen.

Dem Gesagten zufolge bietet die babylonische Religion trotz ihrer vierjahrtausendlangen Blütezeit ein in den wesentlichen Punkten einheitliches Bild. Es haben in der Zeit, die wir auf Grund der Denkmäler verfolgen können, niemals irgendwelche primitiven Religionsformen wie Fetischismus, Totemismus, Ahnenkult o. a. das religiöse Fühlen und Denken der Babylonier beherrscht, wenn sich auch nicht in Abrede stellen läßt, daß neben den höheren Formen polytheistischer Gottesvorstellung allerlei niedere einherliefen, die sich gerade unter dem gemeinen Volk gewiß besonderer Gunst erfreut haben.

Die babylonische Religion ist durch und durch Naturverehrung, das heißt, sie sieht in allen Vorgängen der Natur, die ohne das Wirken des Menschen vor sich gehen, das Walten übernatürlicher Mächte. Die Idee eines göttlichen Wesens stellt

sich überall dort ein, wo der Mensch Geschehnisse beobachtet, deren Ursachen ihm dunkel sind, wie ja überhaupt die falsche oder doch schiefe Beurteilung kausaler Zusammenhänge leicht zur Annahme geheimnisvoll wirkender unsichtbarer Wesen führen kann. Der primitive Mensch, der nicht wissenschafts lich zu denken gewohnt ist, ist nur zu leicht geneigt, Vorgänge in der Natur nach Analogie menschlicher Handlungen zu deuten. Wie der durch einen Steinwurf getötete Feind der Kraft dessen unterlegen ist, der den Stein geworfen hat, so muß auch der vom Blitz Erschlagene einer unsichtbaren Kraftquelle erlegen sein: ein Gott muß den flammenden Strahl gegen ihn geschleudert haben. So werden die überall wirkenden Naturkräfte zu Gottheiten, vor allem die Sonne mit ihrer teils wohltuenden teils zerstörenden Wärme, der Mond, der dem wan dernden Nomaden den Weg weist, das Gewitter, das erquikkendes Naß bringt, aber auch furchtbare Verheerungen anrichten kann, und die chthonischen Mächte, die im Innern der Erde hausen und ihrem Schoße herrliche Gaben für Mensch und Tier entsprießen lassen.

Die weitumfassende Tätigkeit solcher Gottheiten, wie der eben erwähnten, machte sie zu besonders mächtigen und ver= ehrungswürdigen Wesen. Aber neben ihnen gab es noch viele andre unsichtbare Geister, von denen sich der einzelne Mensch abhängig fühlte und die ihm weniger Gutes als Böses zufügten. Vor allem gilt das von jenen geheimnisvollen Wesen, die im menschlichen Körper ihren Wohnsitz aufschlagen und den Unglücklichen mit Krankheit des Leibes und der Seele quälen. Daß ein Mensch, der gestern noch gesund war, heute von Schmerzen gepeinigt sich ruhelos auf seinem Lager hin und her wälzt, konnte man sich nicht anders erklären, als daß böse Geister von ihm Besitz genommen hätten. Ja man bemerkte bald, daß diese Unholde, die in der modernen Wissenschaft den Namen Bakterien führen, von einem Menschen zum andern übergehen konnten, und sann deshalb auf Mittel, sie durch allerlei Reini gungszeremonien, aber auch durch heilkräftige Kräuter und Ges

tränke zu verscheuchen und auf diese Weise den Kranken zu heilen. In diesen Riten spielt das Wasser, dessen Heilkraft man früh erkannte, eine besonders hervorragende Rolle; Eridu, die Kultstätte des Wassergottes Ea, war deshalb der Hauptsitz der Beschwörungspriester und Ärzte.

Wenn man auch niemals in Babylonien ernstlich daran gedacht hat, alle in der Natur sich offenbarenden Kräfte einem einzigen göttlichen Wesen zuzuschreiben, so hat man doch schon frühzeitig durch Zusammenfassung einzelner Erscheinungen gewisse Abstraktionen geschaffen, die man als besonders hohe Gottheiten verehrte. Dazu gehören in erster Linie der Himmelsgott Anu, der Erdgott Enlil und die Vegetations= göttin Ninmach oder Ninhursag, die unter ihren zahlreichen Beinamen auch den der „Götterherrin“ führt. Als dann die babylonischen Theologen im Laufe des dritten Jahrtausends die Lehre von der Dreiteiligkeit der Welt1 aufbrachten, wurde die Göttin Ninmach mehr und mehr durch Enki oder Ea, den Wassergott von Eridu, in den Hintergrund gedrängt. Da man die drei Weltelemente Himmel, Erde und Wasser und ihre göttlichen Vertreter als gleichberechtigt betrachtet wissen wollte, stellte man Anu, Enlil und Ea an die Spitze des Pantheons und erklärte sie für Nachkommen von Anschar und Kischar, gelehrten Abstraktionen der oberen und der unteren Welthälfte. Im Schöpfungsgedicht sind diese sekundären Spekulationen noch weiter fortgesponnen worden, indem man Apsû und seine Gemahlin Tiâmat, d. h. Süß- und Salzwasser, als den Ursprung aller Dinge an die Spitze der Theogonie setzte und noch eine weitere Generation Lachmu und Lachamu3 vor Anschar und Kischar einfügte, so daß sich folgendes Schema ergibt, das noch bei Damascius (um 460 n. Chr.) überliefert ist:

1

1. Apsû und Tiâmat, seine Gattin;

3

Himmel, Erde und Wasserreich, auf dem man sich die Erde ruhend dachte. S. 25 ff.; vgl. dort die Einleitung. Was für abstrakte Begriffe durch Lachmu und seine Gattin Lachamu dargestellt werden sollen, entzieht sich unserer Kenntnis.

2. Lachmu und Lachamu, seine Gattin;
3. Anschar und Kischar, seine Gattin;
4. Anu, Enlil und Ea.

Daß diese Systematisierung nicht übermäßig alt ist, wird auch durch die Tatsache sehr wahrscheinlich gemacht, daß man keineswegs in allen babylonischen Ortschaften Anu, Enlil und Ea als die drei Hauptgottheiten verehrte. Die Verehrung Anus als höchsten Gottes war vielmehr hauptsächlich auf die Stadt Uruk beschränkt, die Enlils auf Nippur1, die Eas auf Eridu3. An andern Orten standen andere Manifestationen der Naturkräfte an der Spitze des Pantheons. So galt in Ur der Mondgott Nannar oder Sin als Herrscher der Götter, in Larsa und Sippar der Sonnengott Utu oder Schamasch, in Ennigi der Wettergott Adad, in Kutha der chthonische Gott Irra oder Nergal, in Kisch der Kriegsgott Zababa, der wohl ursprüng lich auch eine Sonnengottheit ist, in Dilbat der Getreidegott Urasch usw.

Zahlreich sind die Orte, die die immer wieder neu schaffende und hervorbringende Kraft der Natur als Muttergöttin verehr ten, bald unter diesem, bald unter jenem Namen. So war die Hauptgottheit von Kesch die Göttin Ninhursag oder Mama; in Adab wurde das gleiche weibliche Prinzip als Göttin Ninmach verehrt, in Hallab als Ischtar, in Akkad als Anunit, in Kisch als Innanna1, in Isin als Ninkarranâ, in Uruk als Nanâ usw.; an letzterem Orte drängte der Kult der Göttin den des Himmelsgottes Anu, als dessen Tochter sie galt, bald ganz in den Hintergrund. Als die einzelnen babylonischen Orte sich zu festeren politischen Gebilden zusammenschlossen, war es natürlich, daß man nunmehr auch die Fülle der Götter in ein System zu bringen versuchte. Wo Götter, die ihrem Wesen nach völlig gleich waren, in Betracht kamen, war die Aufgabe eine leichte: so konnte man den semitischen Sonnengott Schamasch ohne weiteres mit dem sumerischen Sonnengott Utugleich 1 S. 4. 2 S. 12. 8 Vgl. besonders das Lied S. 165 ff. 4 Doch wurde sie hier schon frühzeitig als kriegerische Göttin gedacht.

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