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Artikel VII.

Paris, 12 Mai 1832.

Die geschichtlichen Rückblicke, die der vorige Artikel angekündigt, müssen vertagt werden. Die Gegenwart hat sich unterdessen so herbe geltend gemacht, dass man sich wenig mit der Vergangenheit beschäftigen konnte. Das grosse allgemeine Uebel, die Cholera, entweicht zwar allmählich, aber es hinterlässt viel Betrübung und Bekümmerniss. Die Sonne scheint zwar lustig genug, die Menschen gehen wieder lustig spaziren und kosen und lächeln; aber die vielen schwarzen Trauerkleider, die man überall sieht, lassen keine rechte Heiterkeit in unserem Gemüthe aufkommen. Eine krankhafte Wehmuth scheint jetzt im ganzen Volke zu herrschen, wie bei Leuten, die ein schweres Siechthum überstanden. Nicht blos auf der Regierung, sondern auch auf der Opposition liegt eine fast senti

mentale Mattigkeit. Die Begeisterung des Hasses erlischt, die Herzen versumpfen, im Gehirne verblassen die Gedanken, man betrachtet einander gutmüthig gähnend, man ist nicht mehr böse auf einander, man wird sanftlebig, liebsam, vertröstet, christlich; deutsche Pietisten könnten jetzt hier gute Geschäfte machen.

Man hatte früher Wunder geglaubt, wie schnell sich die Dinge ändern würden, wenn Casimir Perier sie nicht mehr leite. Aber es scheint, als sey unterdessen das Uebel inkurabel geworden; nicht einmal durch den Tod Periers kann der Staat genesen.

Dass Perier durch die Cholera fällt, durch ein Weltunglück, dem weder Kraft noch Klugheit widerstehen kann, muss auch seine abgesagtesten Gegner missstimmen, Der allgemeine Feind hat sich in ihre Bundesgenossenschaft gedrängt, und von solcher Seite kann ihnen auch die wirksamste Hülfleistung nicht sehr behagen. Perier hingegen gewinnt dadurch die Sympathie der Menge, die plötzlich einsieht, dass er ein grosser Mann war. Jetzt wo er durch Andere ersetzt werden soll, musste diese Grösse bemerkbar werden. Vermochte er auch nicht mit Leichtigkeit den Bogen des Odysseus zu spannen, so hätte er doch vielleicht, wo es Noth that, mit Anstrengung aller seiner Spannkraft, das Werk vollbracht. Wenigstens können jetzt seine Freunde prahlen, er hätte, intervenirte nicht die Cholera, alle seine Vorsätze durchgeführt. Was wird aber aus Frankreich werden? Nun ja, Frankreich ist jene harrende Penelope, die täglich webt und täglich ihr Gewebe wieder zerstört, um nur Zeit zu gewinnen bis zur Ankunft des rechten Mannes. HEINE, Französische Zustände.

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Wer ist dieser rechte Mann? Ich weiss es nicht. Aber ich weiss, er wird den grossen Bogen spannen können, er wird den frechen Freiern den Schmaus verleiden, er wird sie mit tödtlichen Bolzen bewirthen, er wird die doktrinairen Mägde, die mit ihnen Allen gebuhlt haben, aufhängen, er wird das Haus säubern von der grossen Unordnung, und mit Hülfe der weisen Göttin eine bessere Wirthschaft einführen. Wie unser jetziger Zustand, wo die Schwäche regiert, ganz der Zeit des Direktoriums ähnelt, so werden wir auch unseren achtzehnten Brümair erleben, und der rechte Mann wird plötzlich unter die erblassenden Machthaber treten und ihnen die Endschaft ihrer Regierung ankündigen. Man wird alsdann über Verletzung der Konstitution schreien, wie einst im Rathe der Alten, als ebenfalls der rechte Mann kam, welcher das Haus säuberte. Aber wie dieser entrüstet ausrief: „Konstitution! Ihr wagt es noch, Euch auf die Konstitution zu berufen, Ihr, die Ihr sie verletzt habt am 18. Fructidor, verletzt am 22. Floreal, verletzt am 30. Prairial!" so wird der rechte Mann, auch jetz Tag und Datum anzugeben wissen, wo die Justemilieu-Ministerien die Konstitution verletzt haben.

Wie wenig die Konstitution nicht blos in die Gesinnung der Regierung, sondern auch des Volks eingedrungen, ergibt sich hier jedesmal, wenn die wichtigsten konstitutionellen Fragen zur Sprache kommen. Beide, Volk und Regierung, wollen die Konstitution nach ihren Privatgefühlen auslegen und ausbeuten. Das Volk wird hierzu missleitet durch seine Schreiber und Sprecher, die, entweder aus Unwissenheit

oder Parteisucht, die Begriffe zu verkehren suchen; die Regierung wird dazu missleitet, durch jene Fraktion der Aristokratie, die aus Eigennutz ihr zugethan den jetzigen Hof bildet und noch immer, wie unter der Restauration, das Repräsentativsystem als einen modernen Aberglauben betrachtet, woran das Volk nun einmal hänge, den man ihm auch nicht mit Gewalt rauben dürfe, den man jedoch unschädlich mache, wenn man den neuen Namen und Formen, ohne dass die Menge es merke, die alten Menschen und Wünsche unterschiebt. Nach den Begriffen solcher Leute ist derjenige der grösste Minister, der mit den neuen konstitutionellen Formeln eben so viel auszurichten vermag, wie man sonst mit den alten Formeln des alten Regimes durchzusetzen wusste. Ein solcher Minister war Villele, an den man jedoch jetzt, als nämlich Perier erkrankte, nicht zu denken gewagt. Indessen man hatte Muth genug, an Decazes zu denken. Er wäre auch Minister geworden, wenn der neue Hof nicht gefürchtet hätte, dass er alsdann durch die Glieder des alten Hofes bald verdrängt würde. Man fürchtete, er möchte die ganze Restauration mit sich ins Ministerium bringen. Nächst Decazes hatte man Herrn Guizot besonders im Auge. Auch diesem wird viel zugetraut, wo es gilt, unter konstitutionellen Namen und Formen die absolute-ten Gelüste zu verbergen. Denn dieser Quasi-Vater der neuern Doktrinaire, dieser Verfasser einer englischen Geschichte und einer französischen Synonymik versteht aufs meisterhafteste, durch parlamentarische Beispiele aus England, die illegalsten Dinge mit einem ordre legal zu bekleiden,

und durch das plump gelehrte Wort den Hochfliegenden Geist der Franzosen zu unterdrücken. Aber man sagt, während er mit dem Könige, welcher ihm ein Portefeuille antrug, etwas feurig sprach, habe er plötzlich die ignobelsten Wirkungen der Cholera verspürt, und schnell in der Rede abbrechend, sey er geschieden mit der Aeusserung, er könne dem Drange der Zeit nicht widerstehen. Guizots Durchfall bei der Wahl eines neuen Ministers wird von Andern noch komischer erzählt. Mit Dupin, den man immer als Periers Nachfolger betrachtet hatte und dem man viel Kraft und Muth zutraut, begannen jetzt die Unterhandlungen. Aber diese scheiterten ebenfalls, indem Dupin sich manche Beschränkungen nicht gefallen lassen wollte, die zunächst die Präsidentur des Konseils betrafen. Mit der erwähnten Präsidentur des Konseils hat es eine eigene Bewandtniss. Der König hat nämlich sich selber sehr oft diese Präsidentur zugetheilt, namentlich im Beginne seiner Regierung; dieses war für die Minister immer ein fataler Umstand, und die damaligen Misshelligkeiten sind meistens daraus hervorgegangen. Perier allein hat sich solchen Eingriffen zu widersetzen gewusst; er entzog dadurch die Geschäfte dem allzu grossen Einflusse des Hofes, der unter allen Regierungen die Könige lenke; und man sagt, dass die Nachricht von Periers Krankheit nicht allen Freunden der Tuillerien unangenehm gewesen sey. Der König schien jetzt gerechtfertigt, wenn er selbst die Präsidentur des Konseils übernahm. Als solches offenkundig ward, entstand in Salons und Journalen die leidenschaftlichste Polemik über die Frage: ob

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