ABRISS DER PSYCHOLOGIE von Hermann Ebbinghaus weiland Professor der Philosophie an der Universität Halle Mit achtzehn Figuren Vierte Auflage durchgesehen von Professor Dr. Ernst Dürr in Bern Verlag von Veit & Comp. in Leipzig Vorwort. Dieses kleine Buch verdankt seine Entstehung einem sehr großen: der von P. Hinneberg herausgegebenen schönen und umfassenden Gesamtdarstellung aller Zweige unseres heutigen Wissens, der Kultur der Gegenwart. Als ich es übernahm, für diese eine kurze Skizze der Psychologie zu liefern, glaubte ich, im Rahmen der eigentlichen Aufgabe, einer Vorführung der wesentlichsten Züge der gegenwärtigen Psychologie, wie sie sich mir darstellen, noch in einigen anderen Hinsichten nützliche Arbeit leisten zu können. So namentlich durch den Nachweis, daß auch die höchsten Erscheinungen des seelischen Lebens, die das dilettantische Denken aus einem metaphysischen Bedürfnis, einem religiösen Gefühl, einem angeborenen Rechtstrieb u. dgl. als aus letzten und nicht weiter erklärbaren Ursachen abzuleiten pflegt, durchaus und allein denselben Grundkräften der Seele gesetzmäßig entstammen, die schon in ihren elementarsten Äußerungen sich als wirksam erweisen. Allein, als die im Hinblick hierauf durchgeführte Arbeit vollendet war, erwies sie sich für die Ökonomie des Ganzen als viel zu lang; sie mußte auf etwa die Hälfte ihres Umfanges heruntergebracht werden und ist so in der Kultur der Gegenwart erschienen. Zugleich aber gaben mir deren Verleger und Herausgeber unaufgefordert und in höchst dankenswertem Entgegenkommen das Recht, auch das ursprüngliche Manuskript für eine Sonderveröffentlichung zu verwerten. Von dieser Ermächtigung mache ich hier Gebrauch. Allerdings so, daß ich, durch beengende Rücksichten auf den Raum nun nicht mehr gebunden, meine Darstellung noch etwas erweitert und vervollständigt habe, so daß sie, ohne ihren anfänglichen Charakter einer knappen Zusammenfassung des Wichtigsten zu verlieren, wohl als ein Abriß der ganzen Psychologie zu gelten vermag. Daß die im einzelnen getroffene Auswahl nicht jedermanns Billigung finden wird, und daß der eine dies, der andere jenes lieber durch anderes und ihm wichtiger Scheinendes ersetzt sähe, bedarf keiner Worte. In Zweifelsfällen habe 1* ich mehr danach gestrebt, die Dinge, die ich einmal erwähnte, nun auch so weit auszuführen und zu erläutern, daß sie allgemein verständlich würden, als durch Häufung von kurzen und bloß andeutenden Erwähnungen größere Vollständigkeit zu erreichen. Ein Kritiker meiner Darstellung in der Kultur der Gegenwart findet, daß sie ganz auf materialistischem Standpunkt stehe, und verknüpft damit bewegliche Phrasen über die Unzulänglichkeit dieser Verirrung und entstellende Behauptungen über meine Absichten, wie man ihnen bei philosophisch interessierten Laien wohl begegnet. Was für eine Etikette man meiner Sache anheftet, ist selbstverständlich gleichgültig. Aber da das Wort Materialismus keineswegs nur für eine einzige und begrifflich scharf definierte, sondern wegen seines tadelnden Beigeschmacks für sehr erheblich verschiedene Anschauungen gebraucht wird, sofern man sie nicht mag, so läßt Klarheit des Denkens es nicht hinausgehen, ohne kurz anzudeuten, in welchem Sinne es gemeint ist. Und so sei der Leser also benachrichtigt, daß es der Materialismus Spinozas, Goethes, Fechners ist, den er bei mir findet. Februar 1908. H. E. Vorwort zur zweiten Auflage. Diese zweite Auflage ist im wesentlichen ein unveränderter Abdruck der ersten. Nur habe ich einigen mir mitgeteilten Wünschen durch Einfügung mehrerer kleiner und eines größeren Zusatzes (über die Raumwahrnehmung) zu entsprechen gesucht, auch die literarischen Erscheinungen der Zwischenzeit nachgetragen, soweit es innerhalb der gesteckten Grenzen möglich war. Dezember 1908. H. E. Vorwort zur dritten Auflage. Ebbinghaus ist tot. Aber seine Werke leben. Nachdem er die letzte im vorigen Jahr erschienene Ausgabe dieses Abrisses der Psychologie noch selbst besorgt hat, ist nun schon wieder eine neue Auflage nötig geworden. Von der Verlagsbuchhandlung und von der Familie des zu früh Verstorbenen ist an mich die ehrenvolle Aufforderung ergangen, die Neuherausgabe und die Fortführung der Ebbinghausschen Werke zu übernehmen. Ich verehre in dem Autor dieser Werke nicht nur den Gelehrten An dem redlichsten Bemühen in dieser Hinsicht will ich es nicht So ernsthaft die Psychologie auch bemüht ist, sich zu einer ganz Eines aber ist sicher. Soll ein wissenschaftliches Werk von einem Aber aus eben diesem Grunde würde ich den Auftrag, die Werke Von diesem allgemeinen Grundsatz habe ich jedoch in der Be- |