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Leipzig, Walter Wigand's Buchdruckerei.

Hugo Bürger.

Wie es in unserer zeitgenössischen Literatur zu einer stereotypen Phrase geworden ist, daß ein Lustspiel, ein Schwank vollkommen seinen Zweck erreicht hat, sobald er das Publikum zu einigen schwächeren oder stärkeren Lachausbrüchen reizte, so glaubt man, den Werth eines ernsten Dramas vor allem nach der Zahl seiner Effektszenen, wirksamen Aktschlüsse und nach der von ihm hervorgerufenen Nervenanspannung beurtheilen zu dürfen. Für alles hat unsere Theaterkritik ein weiches Herz: für das Publikum, dessen Beifall bei ihm den Ausschlag gibt, und dessen Geschmacksverirrungen in ästhetische Formeln gebracht werden, für den Direktor, dem man aus allgemeiner Menschenliebe alles nachsieht, wenn er mit einem wehmüthigen Blick auf seine Casse durch die thörichtsten Fabrikate der sinnlichen Menge figelt, für den Autor, der so bescheiden auf alle schriftstellerischen Lorbeeren verzichtet und Euch nur über einen langen Abend hinwegtäuschen will, all die tausend Interessen der Eitelkeit und Geldspekulation finden bei unsrer Kritik einen beredten Anwalt, und nur Eins geht bei dieser Weichmüthigkeit ungeehrt davon, — die arme Literatur. Warum sollen wir nicht auch von Rosen'schen Farcen eine Art von Charakterzeichnung, etwas originellere Erfindung, etwas mehr Wahrheit verlangen? „Pah, eine thörichte Possenfigur, solch ein Kritiker," flüstert leise der Schwankdichter Blumenthal dem Theaterkritiker Blumenthal ins Ohr, und die bekannten 70,000 Leser flüstern es ihm nach, die Teufelsfelsen" sind gerettet, und die, welche sich über ihren Unsinn beklagen, „thörichte Possenfiguren". Cicero pro domo!

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Jener Einseitigkeit, welche in einzelnen Effektszenen und nervenaufregender Handlung die glänzendsten Vorzüge eines Dramas sieht,

verdanken wir die Ueberschätzung der französischen Theaterschriftsteller, vor allem Sardou's und des jüngern Dumas wir verdanken ihr die Nachahmer derselben, Lindau und Hugo Bürger. Ich bin nicht blind gegen den Werth der Franzosen, aber wohin die kurzsichtige Nachahmung geräth, wenn sie nicht ein gleich bedeutendes Talent leitet, das beweisen „Maria und Magdalena“, „Der Erfolg“, „Gräfin Lea", "Gabriele", "Frau ohne Geist": Zur Auflösung alles wahrhaft Dramatischen. Lindau sucht das Interesse zu fesseln durch leichte, in Dialogform gebrachte Feuilletons und den Effekt erzielt er durch das Citiren Goethe'scher und Eichendorff'scher Gedichte, Bürger hat davon gehört, daß Drama Handlung bedeutet und bringt nun in naiver Weise möglichst viel Geschehnisse auf die Bühne, die nicht im geringsten Zusammenhange zu einander stehen. Packende Aftschlüsse, zündende Szenen, - gewiß, sie werden stets einen besonderen Schmuck des Dramas bilden, aber es ist ein großer Unterschied, ob sie nur begleitend auftreten, oder ob sie den Endzweck der ganzen Schöpfung bilden, wie so oft bei den Franzosen. Ziele, worauf der Dramatiker sein Hauptaugenmerk zu richten hat, sind eine bedeutsame große Handlung, tiefe packende Conflikte, mächtige und scharf ausgeprägte Charaktere; ergreifende Szenen von einschneidender Bühnenwirkung wachsen aus diesen Vorbedingungen ganz von selbst, mit natürlicher Nothwendigkeit heraus. Sobald der Schriftsteller jedoch derartige effektvolle Auftritte als seinen eigentlichen Zweck ins Auge faßt, wird er sich leicht verführen lassen, dieselben herauszuarbeiten auf Kosten der Wahrheit und Wahrscheinlichkeit, die Charaktere in einer ganz unmöglichen Weise zusammen zu bringen und Leidenschaften vor dem Zuschauer darzustellen, welche der Motivirung ermangeln! Rosen, an einen dürren Stock gebunden, bilden noch immer keinen Rosenstrauch.

Zu denen aber, die dies meinen, gehört auch Hugo Bürger, und es soll meine Aufgabe sein, auf den folgenden Blättern darzulegen, wie ein solches Haschen nach augenblicklicher Bühnenwirkung zulezt jeden wirklichen Werth vernichtet, wie es möglich ist, leere Theatereffekte auch mit den trivialsten Mitteln zu erzielen. Ich werde nachzuweisen suchen, daß diese Theaterliteratur himmelweit entfernt ist von allem wahrhaft dramatischen Wesen und

Sein, daß das Drama mit diesen lose zusammengeklebten Stücken auch nicht das Mindeste gemein hat. Allerdings beherrscht gegenwärtig diese seichte Un dramatik die Bühne, doch nur deshalb, weil seit dem Anfang unseres Jahrhunderts dramatische Literatur und Theater ganz getrennte Wege gegangen sind, weil die Dichter (die Keime dieses Uebels säeten die Romantiker) zum großen Theil nur Buchdramen schufen, und Kritik, Direktoren und Publikum dem bloßen Amüsementsbestreben verfielen. Im vorigen Jahrhundert war das anders, und das schönste Ziel einer Literaturentwickelung besteht daher in der Versöhnung von Theater und Literatur (echter dramatischer Poesie), in der Wiedereroberung der Dichter für jenes, und der Kritiker, des Publikums, der Direktoren für diese. Eine principielle Frage glaube ich also auf den folgenden Blättern anzuregen, deren Beantwortung tief einschneidet in das literarische Leben der Gegenwart. Möge unseren jüngeren aufstrebenden Dichtern klar werden, wie nothwendig das wahre Drama mit der Bühne Hand in Hand gehen muß, denn alsdann erst können wir hoffen, daß die jezt so kleine Palany der Anzengruber, Wilbrandt, Wildenbruch und weniger anderer wieder mächtig anschwillt und das Todesurtheil spricht über die leidige Schwankwirthschaft und über die Scheindramatik der Bürger und Lindau. Beide, besonders der lettere, interessiren freilich in mancher Hinsicht, aber durch alles andere, als durch dramatische Mittel.

Es handelt sich um die Literatur, und deshalb werde ich mich nicht scheuen, die literarische Krankheit „Hugo Bürger" in derbster Weise zu kennzeichnen; - eine Krankheit, welche auch weiterhin das Theater inficirend, den Marasmus desselben zur Folge haben würde, kann nur mit dem Brenneisen behandelt werden.

Als Hugo Bürger sein vieraktiges Drama „Gabriele“ schrieb und sein Geist sich mit allerhand qualvollen Intriguen und peinigenden Situationen beschäftigte, waren es offenbar die goldenen Lorbeern der Franzosen, welche ihm die Ruhe seiner Nächte raubten. Der Samen Lindau'scher und so vieler anderen Kritiken hatten in dem lockeren Erdreich seiner Phantasie einen wohlbereiteten Boden

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gefunden und in seinem Ohre gellten all die verführerischen Worte wieder: Das wahre Drama der Gegenwart ist das, welches die Pariser entzückt; da habt ihr plumpen Deutschen alles, was man von einem Bühnenwerke verlangen kann, Szenen, ah Szenen, in denen euch der Athem stockt, das Herz vor banger Erregung nicht zu schlagen wagt, aufs Höchste gesteigerte Tragik, Rührungen und Erschütterungen, Thränen und Beifall. Macht es ihnen nach, ihr deutschen Dramatiker, lernt auch die Kunst, die Empfindung so gewaltig anzuspannen, die Nerven so aufzuregen, und ihr werdet wieder ein Theater haben, ein nationales, welches nicht von dem Abhub einer fremden Tafel zu leben braucht." Und Hugo Bürger ging hin, und Hugo Bürger kaufte sich den Sardou.

Nun, da haben wir ja in seiner „Gabriele“ die vielbegehrte Nachahmung der Franzosen, da haben wir eine Frucht, an der Sonne Frankreichs gereift, da haben wir das Intriguendrama!

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Ich stehe nicht an mit der Behauptung, daß diese Art Drama einen sehr niedrigen Rang unter den dramatischen Spezialitäten einnimmt. Jedes allgemein gültigen Inhalts ermangelnd, ohne jeden Horizont, ohne jede Perspektive bewegt es sich im engsten Kreise des Zufalls und des Mißverständnisses, - und vergebens forscht man nach einer höheren Idee, welche das Spiel durchgeistigt und in höhere Regionen emporhebt. Die Charaktere, die es vorführt, entbehren der Wahrheit, da sie ja geradezu umgestaltet und auf den Kopf gestellt werden; das tieffühlende, innigliebende, zarte Mädchen wird unter der Last des Mißverständnisses zur leichtsinnigen Frau, der Weise zum Thoren. Nicht stoßen Charaktere und Charaktere, Leidenschaften mit Leidenschaften, Ideen mit Ideen zusammen, nicht kämpfen Cäsar und Brutus gegeneinander, sondern ein paar ernstgemeinte Don Quixote's, die das Schwert gegen eingebildete Gefahren zücken, agiren vor unseren Augen seltsam umher. Eine kreißende Maus gebiert einen Berg, ein lächerlich kleiner Zufall ein tragisches Verhängniß. Das mag alles wahr sein, aber es ist nicht wahrscheinlich, und zuweilen kann man das beklemmende Gefühl nicht los werden, als würde ein Trauerspiel auf einem Possen-Fundamente aufgeführt. Die Leidenschaften, die erregt werden, berühren nicht das innerste Seelenleben, sie machen nur den Eindruck des

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