ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

Ein Lyriker à la mode.

Die Nerven unserer Zeitgenossen sind ein wenig abgespannt und schlaff geworden, Predigten, Mahnungen, Drohungen erschüttern sie nur noch, wenn sie dröhnen wie die Posaune des Weltgerichts. Eindrucksvoller aber ist ein anderer Klang, der schrille Klang der Zahlen. Deshalb will ich Zahlen für mich sprechen lassen, wenn ich behaupte, daß der Fluthschwall lhrischer Dichtung, der sich Jahr für Jahr über uns ergießt, größere Gefahren mit sich wälzt für die Kulturentwicklung unsres Volkes, als sich die Weisheit kritischer Philister träumen läßt. Also! Im Literaturjahre 1881 erschienen über achtzig neue Sammlungen von Gedichten, sodann weit über dreißig Gedichtbücher in neuer Ausgabe oder Auflage, gegen zwanzig Uebersetzungswerke und außerdem etwa zehn Anthologien, das heißt, im Ganzen fast 150 Bücher, mit Tausenden von nichts als Liedern angefüllt. Aber es hat den Anschein, als ob selbst diese Tausende nicht den Hunger des Publikums nach Empfindungsreizen zu sättigen vermöchten, denn es existirt ferner ein halbes Dußend poetischer Zeitschriften, das uns alle Monate mit einer Segensfülle von fünf Dekaden Sonetten, Romanzen und anderen Wasserschößlingen überschüttet und einige vierzig Familienblätter rechnen es sich ebenfalls zur Ehre, ihren Spalten dann und wann den Charakter von Cisternen zu verleihen. Was Wunder, daß um die Preise, welche bei Gelegenheit des Calderon-Jubiläums für die besten Gedichte zu Ehren des großen Spaniers ausgeschrieben waren, sich 160 Deutsche beworben haben, während Spanien selbst nur neununddreißig Dichter stellte und Frankreich, wenn ich nicht irre, einunddreißig.

"

Diese Massenproduktion müßte Bedenken erregen auch dann, wenn wir es mit lauter Meisterschöpfungen zu thun hätten, weil selbst des Guten zu viel geschehen kann, in Wirklichkeit jedoch stehen wir einer Sündfluth todter Mittelmäßigkeit gegenüber. Das hat ein anderes Preisausschreiben an den Tag gebracht. Eine Aufforderung nämlich der Deutschen Zeitung" in Wien, ein Lied zu schreiben, das den für die Wahrung ihres Deutschthums kämpfenden Desterreichern zur Volkshymne werden könnte, eine Aufforderung also, die mancherlei Unkenntniß verräth, von poetischem Schaffen sowohl, wie von der Natur des Volksgeistes, hat gleichwohl nicht mehr und nicht weniger als 1500 Gedichte ins Leben gerufen. Und von diesen 1500 wurden drei für preiswürdig erkannt, welche, sobald sie veröffentlicht erschienen, von der gesammten Kritik fast einstimmig als Erzeugnissse dilettantischer Mache verurtheilt sind. Nun mag es zugegeben werden, daß unter den nichtgekrönten Liedern dieses oder jenes die gekrönten weit überragte, aber die Mehrzahl muß ohne Zweifel, die geachteten Namen der Preisrichter lassen wohl das Zugeständniß eines Fehlers, aber nicht einer völligen Verkehrtheit zu, - noch unter das Niveau der auserwählten eingeordnet werden. Ein maßloses Ueberwuchern von Mittelmäßigkeit und Dilettantismus läßt sich demnach schwerlich läugnen, ebensowenig die Gefahr, welche jede einseitige Ueberwuchcrung zur Folge hat, es fragt sich nur, was die Gefahr in diesem Falle bedeutet. Unmittelbar ist es zunächst die Literatur, die Poesie, welche zu leiden hat. Allerdings kann der Unterschied zwischen wahrer und dilettantischer Poesie nicht durch eine Gleichung bestimmt, nicht wie an einem Skelett demonstrirt werden, denn das, was metrische Zeilen zu einem Gedicht macht, dieses innerste Sein der Poesie, steht über dem Erkennen, wohl aber giebt es einzelne Eigenschaften, welche jedem Kunstwerk unerläßlich sind. Das sind Wahrheit der Empfindung, innige Verschmelzung von Form und Inhalt und eigenartige Persönlichkeit; Mangel an einer dieser Eigenschaften charakte= risirt den Dilettanten. Dilettantisch ist also der Mangel an Farbe und Plastik, der Mangel an reinem, in Form aufgelösten Gefühl und der Mangel an bestimmten eigenen Zügen, dilettantisch ist die blos auf äußerliche Glätte gerichtete Sorgfalt, die Phrase, die versifizirte Prosa, dilettantisch endlich ist es, wenn die Phantasie den

Dichter beherrscht und dieser nicht die Phantasie, wenn es scheint, als ob das Räderwerk der Einbildungskraft verlegt sei und nun herumschnurre ohne Weisung und Ziel. Verschwommenheit und Unsinn ist die Folge. Trotz alledem, nicht jeder Dilettantismus ist verwerflich; wenn er anspruchslos sich darauf beschränkt, seinen Gefühlen eine dichterische Form zu geben, um desto tiefer in das Wesen unserer Meister eindringen zu können, wenn er sich einfach kundgiebt als Begeisterung für die Kunst, ohne Sucht nach Oeffentlichkeit, wenn er sich des Abstandes bewußt bleibt, der zwischen dem Dichtenkönnen und dem Dichtenmüssen waltet, so mag er nicht nur geduldet, sondern auch gepflegt werden, als eine Schule guten Geschmacks und ästhetischer Bildung. Ganz anders jedoch, sobald der Dilettantismus sich in die Literatur eindrängt und dort als literarische Mittelmäßigkeit pilzartig Fäulniß bringt und Verschwammung. Dann wird das Publikum mit leerem Geflingel betäubt, seine Empfindungen für das Echte und Große schwächen sich, jedes edlere, männliche, strebende Gemüth wendet sich erschreckt ab von einer Lyrik, die allen Schwunges, aller Tiefe, aller Gedanken zu entbehren scheint und die Dichter selbst, welche die Menge dem Banne der Nichtse verfallen sehen, welche nirgend ein reines Verständniß finden, überall aber Kälte und Selbstzufriedenheit, erlahmen im Innersten ihrer Seele. Und wie in die Lyrik schleicht sich auch in die übrigen Gebiete der Poesie die Mittelmäßigkeit zerstörend ein und so bildet sich dann eine Literatur, wie die der Gegenwart, zahlloses Unkraut, wenig Weizen. Aber die Literatur trägt nicht allein den Schaden davon; ganz eng mit ihren Geschicken ist das Schicksal unsrer geistigen Kultur überhaupt verknüpft. Jedermann sieht und empfindet es, in welchem Umfang die große Strömung der Poesie am Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts unsre Sprache und mit ihr das nationale Denken selbst und endlich auch das nationale Leben umgestaltet hat, zum Besseren; niemand darf es sich daher verhehlen, daß diese Poesie und Literatur, selbst auseinanderfallend oder sich verknöchernd, auch den allmählichen Niedergang aller anderen Errungenschaften der Nation zur Folge haben würde. Unsre Presse hat freilich in ihrer Allgemeinheit wenig Sinn und Feingefühl für die Thatsachen des geistigen Lebens, auf jedes Unglück, mag es

noch so gleichgültig für die Erweiterung unseres Erkennens sein, verschwendet sie Spalte um Spalte, während die wichtigsten Kulturerscheinungen sich mit einem Winkelchen begnügen müssen und für ihre tieferen Unterströmungen gar kein Raum vorhanden ist, - aber gleichwohl wage ich das Paradoxon, daß eine Ueberwucherung des literarischen Dilettantismus unser inneres und damit allgemach auch unser äußeres nationales Leben mehr vergiften wird und tiefer zerstören, als irgend eine politische oder sociale Parteirichtung. Lettere mögen noch so übel wirken, sie erzeugen doch stets eine Gegenströmung, weil sie unverkennbar wirken, der mehr verborgen fließende Strom der Mittelmäßigkeit aber erzeugt aus sich jenen kindisch anmaßenden und todten formalistischen Geist, von dem Taine in seinem „Entstehen und Werden (Origines) des zeitgenössischen Frankreichs" behauptet, daß er als Folge der literarischen Verknöcherung den Niedergang des französischen Geistes verschuldet habe.

*

*

[ocr errors]

Wie sehr jener Dilettantismus bereits heute den Geschmack unterhöhlt hat, das beweist ein Umstand, welcher mich geradezu erschreckt hat: die Gedichte von Albert Träger haben in diesem Jahre die fünfzehnte Auflage erlebt, - Gedichte, Lyrik die fünfzehnte Auflage! In grünem Einband liegt das Buch vor mir, leuchtend von einem zarten Goldüberzuge, aber, schade um die Ausstattung niemals habe ich es so sehr empfunden, welchen geisteslähmenden Einfluß die literarische Mittelmäßigkeit ausüben muß, welche Gefahren sie in sich birgt, welche Wüstenluft ihre Produktionen athmen, niemals so, wie bei der Lektüre dieser Gedichte. Wehe dem Menschen, der in diesem Phrasenschwulst, in diesen hohlen Affektationen sich heimisch fühlt, den bei diesem Reimgeklingel, bei diesem ewigen Einerlei nicht eine wilde Lust erfaßt nach frischer Ursprünglichkeit und innerlichem Feuer. Und doch giebt es Literarhistoriker, welche Träger als einen sinnigen, gemüth- und gluthvollen Lyriker anempfehlen. Aber ich will es beweisen, daß Träger nichts mehr und nichts weniger ist, als der Typus jener kläglichen Afterdichter, von denen ich oben gesprochen habe, jener Afterdichter, welche in den Anfängen einer Literatur geduldet werden mögen, die aber

schädlich, widerlich erscheinen in einer Zeit, welche eine große Literaturentwicklung bereits hinter sich hat. Der Dilettantismus als Mode, das ist ein Rückfall in die Kindlichkeit, welchen wenigstens die Kritik nicht mitmachen, dem sie mit allen Pulvern der Mahnung, mit allen Effenzen der Aesthetik und mit der Sonde der Satire entgegenwirken soll. Als Mode sage ich, sowohl um der fünfzehn Auflagen willen wie um der großen Schaar, die mit Träger eines Weges wandelt; die Schaar ist zu groß, um namentlich vorgeführt zu werden, aber man wird ihre Glieder erkennen, wenn ich einen der Führer schildere.... Das erste, was mir auffiel, als ich Herrn Träger näher kennen lernte, das war der unabänderliche, immer gleichklapprige, jämmerlich jammernde Jambentrab seiner poetischen Rosinante. Tripp trapp, tripp, trapp, tripp, trapp „Mein Kind, nicht unter faltem Stein", „Durch jedes arme Menschenleben", "Die Sage geht, daß tief im Walde", „Aus brudermörderischem Kampfe“ u. s. w. u. f. w. Meine Empfindung erwies sich als sehr begründet, als ich den Formenreichthum Trägers näher untersuchte. Das Buch umfaßt nämlich 208 Gedichte und von diesen 208 er= freuen sich nicht mehr als fünfzehn des trochäischen Rhythmus, sieben= zehn galoppiren daktylisch oder anapästisch - und die 176 übrigen huldigen dem Jambus, einem so glatten, regelmäßigen Jambus, daß Rokokogärten gegen ihn als wirre Wildniß erscheinen würden. Gewiß, der Jambus ist das biegsamste und deshalb das bevorzugte Versmaß unsrer Poesie, aber es macht mich doch bedenklich, wenn die Empfindungen eines Lyrikers so selten aus dem alltäglichen Takt herausspringen, daß er sie unter sieben Fällen sechsmal an derselben Schnur herunterleiern kann. Goethe, ich führe denselben hier nur als Typus eines wahren Lyrikers rem eines unwahren gegen= über an, hat unter den ersten 208 seiner Gedichte (die Elegien abgerechnet) nicht fünfzehn trochäische Formen, sondern siebenundsechzig, nicht siebzehn anapästische oder daktylische, sondern einundsiebzig und statt 176 jambische deren nur siebzig. Das ist ein Unterschied und offenbar kein zufälliger. Hinzufügen will ich noch, daß unter der ganzen großen Zahl Träger'scher Poeme sich kein einziges in freierer, reimloser Form befindet, wohl aber zähle ich achtzehn Sonette. Auch das ist charakteristisch, denn es weist auf einen Mangel an kräftigen

[ocr errors]
« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »