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Deutschen ein Nationaltheater zu verschaffen, da wir Deutsche noch keine Nation sind!" Nun aber waren wir's über Nacht geworden, eine einzige gefürchtete Nation, und am 18. Januar 1871 fonnte man daher mit Fug und Recht den Beginn einer dritten Blüthenperiode vom 19. Januar 1871 an befehlen?! Der gute Leffing! Läse man nur einen Saß weiter, so würde man vielleicht finden, daß er an eine solche Märchengewalt kriegerischer Großthaten doch nicht glaubte. Ich rede", fährt er fort, „nicht von der politischen Verfassung, sondern blos von dem sittlichen Charakter. Fast sollte man sagen, dieser sei: keinen eigenen haben zu wollen. Wir sind noch immer die geschwornen Nachahmer alles Ausländischen, besonders noch immer die unterthänigen Bewunderer der nie genug bewunderten Franzosen, alles was uns von jenseit dem Rhein kommt, ist schön, reizend, allerliebst, göttlich“ u. s. w. u. s. w. Man weiß ja, wie Demosthenes - Lessing den Herren drüben den Pelz gewaschen hat. Nun, die politische Verfassung haben wir, aber hat der 2. September auch unsern sittlichen Charakter" so ganz und gar umgestaltet? Ein Blick in Lindau's Dramaturgische Blätter", ein zweiter Blick auf die Repertoires unserer Theater beweist es doch hinlänglich: „noch immer die unterthänigen Bewunderer der nie genug bewunderten Franzosen“. Eine politische Verfassung kann man über Nacht gewinnen, eine nationale Wiedergeburt an Geist und Seele hingegen, darüber gehen Jahre dahin. So wurde die Zeit der überspannten unberechtigten Hoffnungsfreudigkeit zu einer Zeit der herben Enttäuschungen. Man wollte ja nicht einsehen, daß die Saat auch der Keim- und Wachszeit bedurfte, man forderte, daß die Dramatiker, die vor einem Lustrum noch unmögliche Hohenstaufentragödien mit obligatem Chauvinismus und turnväterlicher Deutschthümelei ins Leben gerufen, urplößlich das „neue“ Drama gelassen aus dem Aermel schütteln sollten.

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Alles, was das verflossene Jahrzehnt hervorbringen konnte, hat es hervorgebracht: Worte und Wünsche! Angeschwemmt wurden diese in jener Hochfluth von Theaterreformschriften, Broschüren, Büchern und unzähligen Zeitungsartikeln, welche zuletzt nur noch ein ironisches Kopfschütteln hervorriefen. Die tiefsinnigsten und wiederum die thörichtsten Ansichten gelangten da über die Neu

gestaltung der Bühne zum Ausdruck. Gewiß waren manche in den modrigen Dunst der Studierstube eingehüllt und ließen das Verständniß für die lebendige Bühne vermissen. Manches professorale Hirngespinnst mochte das Lächeln der Bühnenpraktiker erregen, die Ungeduld, mit der man einen völligen Umschwung erwartete und welche natürlich durchaus nicht befriedigt werden konnte, spannte die Nerven des Bildungsphilisters ab, ... und als man ein paar Jahr auf die Reform vergebens gewartet, als vielmehr alles den früheren Schlendrian gemächlich fortsette, da ließ man muthlos den Kopf sinken und ging über alle sogenannten idealistischen Vorschläge achselzuckend zur Tagesordnung über. Die „Reformschriften“ haben sich dem Fluche der Lächerlichkeit nicht ganz entziehen können die Gründe dafür sind angedeutet - und doch ging von ihnen manche werthvolle Anregung aus, und doch wurde die große Bedeutung der Bühne auch für weitere Kreise wirksam hervorgehoben, und was nicht zu unterschäßen, sie weckten ernste Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen Zuständen, ernste Sehnsucht nach besseren!

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Das Wort Immermann's gilt auch heutzutage: „Die Wiedergeburt der deutschen Bühne, wenn sie noch einmal erfolgen soll, ist keineswegs von einer neu zu entdeckenden Weisheit, sondern von Entschließungen moralischer Art ab= hängig. Die Mittel sind ganz einfach und Intendanten und Schauspieler führen sie beständig im Munde. Aber die Ausführung ist schwer, denn sie widerspricht dem Leichtsinn, der Eitelkeit, dem Egoismus, der natürlichen Trägheit der Menschen, und darum unterbleibt sie."

Einen solchen moralischen Boden zu schaffen oder vielmehr zu festigen, müßte die schönste Aufgabe der Kritik sein. Jene mürrische, greisenhafte Ansicht gilt es zu bekämpfen, als seien wir rettungslos dem literarischen Epigonenthum verfallen, als sei nach dem Tode Schillers ein wirklich originelles und neues Leben für unsere Dramatik unmöglich. Gerade die armseligen Talentchen, die an der Heerstraße die Steine klopfen, erheben sich am schnellsten zu diesem demüthigen Credo, um desto zorniger dem Andersgläubigen Größenwahn, Einbildung und Selbstüberschätzung vorzuwerfen! Wie bequem, wie überzeu= gend man die eigene Kleinheit mit der „Kleinheit der Zeit“ entschuldigt,

wie angenehm, sich als ein Opfer der Ungunst der Zeit präsentiren zu dürfen. Kommen dazu die verknöcherten Systematiker, die Alexandriner unserer klassischen Literatur, die Herren vom conservativen Schlage, so ist die chinesische Mauer im Nu aufgebaut: es giebt nur ein Reich der Mitte, nur einen Gott, nur eine Poesie und wehe dem Nachgeborenen, der da keherisch glaubt, daß es in unseres Vaters Hause noch viele Wohnungen giebt, und dazu noch recht geräumige Wohnungen.

Man kann mehr! Den Geschmack des Publikums klären und bessern, ihm immer von neuem die Ziele weisen, wohin das Theater zu streben hat, ihm jene Zeichen erklären, welche dessen wahre Bedeutung ausmachen. Der Nation beweisen, daß die Bühne ihrer politischen Größe nicht entspricht, daß die Trivialitäten, welche da über die Bretter gehen, von den geistigen Kämpfen der Gegenwart nicht einmal gestreift sind. Aber man wirft ein: Vermag die Kritik einen Dichter zu schaffen, welcher das Fühlen und Denken seines Volkes, sein Thun und Treiben in glänzenden Farben malt, welcher es beim Heerde und in der Studierstube, im Salon und in den Fabriken, beim Pfluge und beim Tanze belauscht, welcher durch große dichterische Schilderung dieses ganzen buntbewegten Lebens die Bühnendichtung reformirt? Gewiß nicht! Aber sie kann das Idealbild dieses Dichters entwerfen, die Poeten selbst entzünden und be= geistern, sie kann auf die hinweisen, welche wenigstens zum Theil diesem Bilde entsprechen, und die Bahnen ebnen, wenn ein solcher Dichter uns bescheert werden sollte . . .

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Politisch groß stehen wir da, suchen wir nun auch die innere Größe zu erlangen! Oder die Siegesjahre waren ein unnüßes Blutbad, ein wüstes Schlachten und die Todten von 1870/71 für Nichts dahingemordet! Ohne die innere Größe bleiben wir immer die Sklaven fremder Nationen oder abgeschmackte Chauvinisten, nur mit ihr werden wir ein freies, großes und fruchtbares Volk . . .

Möge vor allem das Theater diese Freiheit und Größe wiederspiegeln und die sittliche Kraft unseres Geschlechtes befruchten und pflegen!

Wir stehen am Eingange eines neuen Decenniums! Das ver

gangene brachte Worte, wird das beginnende Thaten erzeugen ? Stehen wir am Ende einer Periode, welche die flachste und nüchternste Trivialität auf der Bühne großzog, die geschwäßige, breite und seichte Feuilletontheatralik Lindau's und das unlogische, zufammenhangslose und wirre Marionettendrama Hugo Bürger's so schmackhaft fand, stehen wir am Anfange eines Zeitraumes, wo Kraft und Tiefe, Leidenschaft und Größe auf der Bühne wieder zur Geltung kommen? Werden wir auch in Zukunft die kleinen Gefühle kleiner Seelen hören, oder die Sprache einer Nation, welche auf den Schlachtfeldern so furchtbar zu reden wußte?

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Mancherlei Zeichen deuten auf eine Besserung der Dinge! Wiederholt sich nicht auch in der Literatur das Gesetz von Revolution und Reaktion? Dem hellen scharfen Sonnenlichte unseres Classicismus folgte der trübe Mondglanz der Romantik, dem klaren Tag mit seinem festen zielbewußten Können und Wollen die flötendurchklungene Zaubernacht und das ganz unbestimmte, verdämmernde Gefühl der Sehnsucht und gegenstandslosen Schwärmerei ; vom Wachen müd geworden, versank man in wollüstigen traumhaften Halbschlummer! Und wer löste die Romantik ab! Das junge Deutschland! Hart, eckig, nüchtern stand es da, mit einem so trotzigen Zuge um den Mund, grauen klaren Augen und straffem Haar; an Stelle der Novalis und Tieck traten Guzkow und der sporenklirrende Laube trozig in die Schranken. Leben nun auch wir im Beginn einer solchen Revolution? Wir hätten dann nur eine Feindin zu bekämpfen, die nüchterne Trivialität, aber eine mächtige Feindin, die viele Bundesgenossen hat und einen starken Rückhalt an der geistigen Trägheit eines großen Publikums. Wir müßten den unheilvollen Wahn zerstreuen, als sei die Bühne nichts weiter denn eine Vergnügungsanstalt und ihre Kunst gerade gut genug, wie eine römische Sklavin ihrem weintrunkenen Gebieter, so dem satten Publikum zur besseren Verdauung einige Clownstücke und lächerliche Gaukeleien vorzuführen. Wir müßten das Drama wieder zu einem Spiegelbilde der Zeit machen, und all ihre Kämpfe und Freuden, ihre Leidenschaft und Sehnsucht, ihre Thränen und ihren Jubel wiederklingen lassen in der Sprache einer echten Poesie, wir müßten die Besseren im Volke aufrütteln, daß sie im Theater

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wiederum suchen, was dieses bieten kann und soll: Wahrheit und Schönheit!

Und sollten wirklich jene Kriegsjahre, die den alten Traum verwirklicht und die politische Einheit gebracht, spurlos an unserem „sittlichen Charakter" vorübergegangen sein? Wären wirklich in dem bakchantischen Taumel des Genusses, der kurz nach dem Frieden das Volk ergriff, wären in den tollen Wirbeln des Gründungsschwindels die geistigen Schäße unserer Nation schmachvoll umgekommen?

Nein! Der nothwendige Rückschlag mußte erfolgen! Und wer aufmerksamen Auges die Zeichen der Zeit verfolgt, wer unter all den Ausschreitungen, Irrthümern und Fehlern noch die innerlich wirkende geheime Kraft wahrzunehmen vermag, der erkennt auch, daß unser Volk nun nach Jahren endlich die Errungenschaften von 1870/71 mit Herz und Seele zu erfassen sucht. Die Nation strafft sich zusammen und das, was man „Nationalgeist" nennt, soll kein leeres Wort mehr sein! Wir fühlen uns als Deutsche, als Ver= treter des Germanenthums gegenüber dem oberherrlichen Romanismus, dem andrängenden Slavismus. Energischer fließt das Blut in unseren Adern und nach den matten Verdauungsstunden des verflossenen Decenniums, nach dem bloßen Rausch des Genusses, den man wie in allen Lebensverhältnissen, so auch in der Kunst suchte, fühlen wir wieder das Bedürfniß nach großen Idealen, welche uns erheben und über das gewöhnliche Treiben emporführen können ...

Jahre lang war das ernste Drama das Stiefkind unserer Theaterdirektionen und achselzuckend schob man ein Manuscript ungelesen bei Seite, sobald nur auf dem Titelblatt das ominöse „Trauerspiel in fünf Aften" zu lesen; ja noch mehr, man machte es zum billigen Gespötte des Publikums, und die Kritik, welche den Hanswurstiaden eines Julius Rosen mit liebenswürdigster Nachsicht entgegenkam, konnte ein Trauerspiel" nicht boshaft genug seciren. Eine jener ästhetischen Weisheiten, durch welche sich diese Periode besonders auszeichnete *), lautete in ihrer ganzen grotesken Ungeheuer

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*) Vgl. den Artikel „Paul Lindau als Kritiker“. Kritische Waffengänge.

Seft II.

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