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alle ziehen die Ilias der Aeneis vor, die Nibelungen dem Messias, aber nicht deshalb, weil uns die Sagenstoffe, aus denen sich jene Epen auferbauen, tiefer im Blute stecken, unsrer Seele vertrauter sind, als die Erfindungen Vergils und Klopstocks, sondern weil die Stoffe packender behandelt, frischer und lebendiger erzählt, blühender ausgestaltet sind, mit einem Worte, weil Homer ein gewaltigerer Dichter war, als Vergil. Die Befreundung mit den Sagen ist uns Lesern der Gegenwart erst allmählich aus den Epen selbst erwachsen und wenn es einst umgekehrt war, wenn einst die Sänger hinzogen durch das Land und den Hörern Bekanntes in neuer Form vortrugen, so war das ein Vorzug, aber ein Nachtheil zugleich. Den Vorzug bildet die Frische, das Leben, die Unmittelbarkeit, welche erreicht wird, den Nachtheil der Mangel an geistiger Größe, an Vertiefung, an Idealität im reinsten Sinne dieses Worts. Das Volksepos wie das Volkslied athmet jene bestrickende Sinnlichkeit, jenes naive Behagen, jene sorglose Freiheit, welche den Culturmenschen anmuthet wie Erinnerungen der eigenen Kindheit, aber so gewiß der Geist höher steht als das Fleisch, so gewiß Goethe's Mignon-Lieder fast alle Volkslieder der Welt überragen, weil sie das tiefste Geistessehnen mit der schönsten Leiblichkeit verbinden, so gewiß ist auch ein Epos möglich über Izdubar, Ilias, Nibelungen hinaus, und zwar ein gewaltigeres Epos. Poesie ist Geisteskunst und ebensowenig der Geist der Menschheit sich zur höchsten Blüthe entfaltet hat im Anfange der Zeiten, ebensowenig sein eingebornes Kind die Poesie, nicht hinter uns, vor uns liegt das Ziel. So weit die Geschichte der Dichtkunst reicht, hat diese stets der Geistesentwicklung sich angeschmiegt und sich dem Einfluß der anderen Künste hingegeben: in Indien, in Egypten, bei den Ebräern und Asshrern war sie monumental, architektonisch, riesengroß (macht nicht selbst die Lyrik eines Kalidasa den Eindruck ornamentalen Zierraths?), bei den Hellenen plastisch, in der Renaissance (Ariost, Tasso) malerisch, bei Goethe und bei der Romantik musikalisch. In all diesen Perioden hat immer eine Kunst die Herrschaft ausgeübt, die übrigen folgten und daraus ist zu schließen, daß auch die Poesie die Tage ihrer Hegemonie sehen, ihr eigenes Wesen rein entfalten und das Ideal der Kunst erfüllen wird. Wie es ihrem geistigen Charakter, ihrer

Ausdrucksform, die zugleich die Form alles menschlichen Denkens und Verkehrens ist, der Sprache gemäß erscheint, muß die Poesie in ihrer edelsten Gestaltung jene Idee des Schönen verwirklichen, welche der Idee des Menschenthums analog ist: Verklärte Leiblichfeit, Geist der Wahrheit, vollendete Ethik als Seele. Unendlich fern liegt dieses Ziel, aber unsre Sache ist es, in der Richtung darauf vorwärts zu gehen und keine Vergangenheit zu fürchten. Gleichwie das Drama weitere Gipfelpunkte ahnen läßt, so auch das Epos, Homer ist eine Seite und Dante ist eine andere Seite, aber zwischen und neben ihnen liegen noch viele andre Flächen, welche zu begrenzen sind. Angenommen jedoch, es ist so, wie du schreibst, so wäre nichts als die Ständigkeit der epischen Kunst bezeugt, viel wichtiger ist die Frage, ob nicht die alte Form der Epik zu verwerfen ist, seitdem der Roman an ihre Stelle getreten. In den einfachen Culturverhältnissen, in denen die Ilias entstand, war es möglich ein großes nationales Epos zu schaffen, das alle Kämpfe, Strebungen und Beziehungen eines Volkes umspannte, heutzutage vermag nur der Roman, befähigt durch seine breithinfließende prosaische Form, dem wirren, nüchternen, stürmischen Treiben der Gegenwart gerecht zu werden. Dieser trivial gewordene Saz stüßt sich auf zwei nicht minder triviale Falschheiten. Die Einrichtungen und Sitten der Homerischen Epoche waren ohne Zweifel durchsichtiger als die unsren, aber sie waren immerhin verschlungen genug, um es dem Epiker unmöglich zu machen, ein irgendwie vollständiges Bild von ihnen zu geben. Jede Ausgrabung im alten Hellas oder in Kleinasien erweitert unsre Kenntnisse von der allgemeinen Cultur jener Zeiten in ganz anderem Grade, als die eifrigste Durchforschung der Ilias, und ich frage, wer hätte denn, bloß den Homer vor Augen, in Ilion solch ein Nest vermuthet, wie es Schliemann aufgedeckt. Das ist es eben! Der Epiker hat zu keiner Zeit die Absicht gehabt und konnte sie nicht haben, etwa für den künftigen Culturhistoriker zu dichten, er hat die Welt niemals in ihrem Alltagskleide gesehen, sondern im Sonntagsgewand und nur die Stimmung, das Ideal seiner Epoche loht uns aus seiner Dichtung entgegen. Hier liegt der tiefere Sinn jener Sage, nach welcher Homer blind war, und wehe dem Epiker, welcher sieht, ihn werden die EinzelHart, Krit. Waffengänge. Heft V.

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heiten verwirren, die Tendenz wird ihn in Fesseln schlagen und aus dem Homer wird ein Vergil. Damit rühre ich an die zweite Trivialität, welche den Roman für wesenseins mit dem Epos, abweichend nur in der Form, erklärt. Die geschichtliche Entstehung des Romans verführt zu dieser Trivialität, da der Roman, wenig= stens bei uns, aus den in Prosa aufgelösten Epen des Mittelalters erwachsen ist. Aber den Unterschied zwischen Fluß und Meer, zwischen süßem und bittrem Wasser kann man nicht dort bestimmen, wo beides ineinander übergeht, sondern dort, wo jedes in seiner ganzen Eigenart besteht. Ein in Prosa aufgelöstes Epos ist kein Roman, ebensowenig wie ein Roman in Versen ein Epos bildet. Die Form ist deshalb nicht Nebensache, aber sie ist nicht das Entscheidende, aus der Ilias macht eine Uebersetzung in Prosa keinen Roman, aus dem Don Quijote der fünffüßige Jambus kein Epos. Der tiefere Unterschied liegt im Gehalt, im Ziel. Das Epos (die sogenannte poetische Erzählung, welche der Novelle, nicht dem Roman entspricht, lasse ich außer Acht) gibt, um es kurz zu sagen, das Ideal einer Epoche, den Geist, die Essenz, es ist ein Gemälde der Welt, aber kein Spiegel, der Roman dagegen gibt die Realität, das Portrait der Menschen und ihrer Werke, das Epos bestrahlt die Dinge, der Roman beleuchtet sie. Und deshalb macht der Roman das Epos nicht überflüssig, er fordert es zu seiner Ergänzung ähnlich wie das moderne Sittendrama die Tragödie, denn es gibt Höhen der Idee, des Kampfes und des Zieles, welche dem Roman und dem Sittendrama verschlossen bleiben, weil sie den Dingen, die sie schildern, zu nahe stehen, und es gibt Abgründe, es gibt Wirrungen des Lebens, zu welchen Epos und Tragödie nicht hinabsteigen können, ohne ihr Bestes zu verlieren. Von manchen Geistern wurde und wird diese Scheide zwischen Epos und Roman des öfteren muthwillig mißachtet, aber nicht zum Heile der Literatur. Auf einer solchen Mißachtung beruht, um nur ein Beispiel anzuführen, die Ueberwucherung der Literatur mit historischen Romanen. Gerade die Geschichte Nibelungen und Ilias bezeugen das, denn beide sind Dichtungen, welche „alte Mären“ behandeln bildet den reichsten Born für das Epos, weil es die nothwendige Idealität von selbst in sich trägt, welche, oder vielmehr

deren Schein der Romandichter (ich erinnere an Freytag und seine „Ahnen“) auf heiklen Umwegen, etwa durch geschrobene, unnatürliche Sprache erreichen muß. Und nun genug der Widerlegung, das trefflichste Zeugniß für die Lebenskraft des Epos bilden die Schöpfungen der heutigen Epiker selbst und der mächtigste unter ihnen heißt Schack. Neben ihm ragt nur Hamerling empor, er ist sinnlicher, glühender, als Schack, aber dieser übertrifft ihn weit an epischer Klarheit, an Größe des Vorwurfs und an Reichthum der Phantasie. Hamerlings schwüle Sinnlichkeit schlägt immer wieder in ihr Extrem, in gedankentrübe Abstraktion, um, und so ist es bezeichnend, daß seine jüngste Dichtung Amor und Psyche" heißt, während Schack zu gleicher Zeit die „Plejaden“ gedichtet, ein Werk, Lebenzeugend und Lebenentsproffen.

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An der Schwelle der Schack'schen Epik steht eine Dichtung, deren Grundzug ein lyrischer ist, da sie das Suchen, Zweifeln und Frren eines Ichs darstellt, während die epischen Bilder nur als Intermezzi erscheinen. Dieser Grundzug erinnert an die Divina comedia, aber er tritt noch um Vieles schärfer auf und ist breiter ausgeführt, als in der Schöpfung Dantes. Aber die „Nächte des Orients “, von diesen rede ich, gemahnen noch in manchen anderen Punkten an das erhabene Werk des Italieners; führt dieses durch die Reiche des Jenseits, so zeigen die Nächte das Diesseits, enthüllt Dante das fünftige Schicksal des Menschen, so entrollt Schack die Vergangenheit der Menschheit, athmen wir bei Jenem die Luft und den Weihrauch der katholischen Gläubigkeit, so bei diesem den scharfen Hauch der modernen Weltanschauung, des modernen Titanenthums. So ist es denn eine comedia humana, welche Schack geschaffen, ein Ziel lag ihm vor Augen, wie es kein höheres für den Epiker gibt, denn wo ist ein Stoff, der weiter und tiefer greift, als die Entwicklung des Menschen, als die Geschichte des Menschengeschlechtes in ihrer Entfaltung von Anbeginn bis heut!

Mit einem Prolog, gemischt aus Satire und aus heißer Sehnsucht, hebt die Dichtung an; der Poet ist müde der Civilisation

und ihrer geisttödtenden Maschinerie, er ist müde dieses unaufhörlichen Kampfes um Brod und Leben, dieses Widerspiels zwischen Elend und Prasserei, er ist müde der Dummheit, der Selbstsucht und der Eitelkeit, müde des Parteienhaders und der Arroganz der Schriftgelehrten und müde vor allem des Zweifelns und des Suchens ohne Hoffnung, ohne Ziel. Da steigt vor seinem Geiste auf der sonnige Orient, ein brennendes Sehnen überfällt ihn nach jenen Paradiesen, wo der Mensch kein Bedürfniß, keine Sorge, keine Unruhe kennt und in schnellem Entschlusse rafft er sich auf, aus den Nebeln des Nordens zu flüchten dem Morgenlande zu. Aber selbst in Arabien fühlt er sich noch im Banne der europäischen Cultur und weiter und weiter treibt es ihn gen Osten.

„Sofort mein Roß will ich zum Ritte rüßten.
Wenn hinter mir der Städte Lärm versank,
Wird die Natur an ihren großen Brüsten

Mich heilen von den Schmerzen, dran ich krank;
Und wenn ich erst an Saba's Weihrauchküsten
Den Balsamduft der Morgenfrühe trank,
Im Wüstensand, am Rande der Cisternen
Von neuem werd' ich athmen, leben lernen.

Erwuchsen dort in heil'gen Einsamkeiten,
Auf Sinai's, auf Meru's Bergeshaupt,
Die Götterlehren nicht in alten Zeiten,
An die noch heute Der und Jener glaubt?
Und wo des Hedschas Oeden sich verbreiten,
Durch die der heiße Wüstenglutwind schnaubt,
Empfing nicht da, versunken im Gebet,
Aus Allahs Hand den Koran der Prophet?

Dort oder ferner, wo zuerst auf Erden
Die Opferglut ins dunkle Himmelsblau
Emporstieg von der Priester Flammenheerden,
Auf Albur's hehrem Gipfel, urweltgrau,
Wird unsrer Zeit die Offenbarung werden,
Nach der sie lechzt, so wie die Flür nach Thau;

Im Sterben sind die alten Religionen,

Nach Licht und Weisheit dürften die Nationen“.

So schließt der Prolog. Im Beginn der eigentlichen Dichtung reitet der Erzähler landeinwärts den Zeltstädten der Beduinen ent

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