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stirbt, auch Ugolino sinkt gebrochen hin und aus diesem Doppeltode erwächst Pisa der innere Frieden.

Das Drama vermag ohne Zweifel von der Bühne herab in erschütternder Weise zu wirken, nur müßten die Verwandlungen nach Möglichkeit beseitigt werden, was im vierten Akte sehr leicht wäre. Die Sprache könnte dann und wann noch concentrirter sein, besonders gegen Schluß des fünften Aktes, im Uebrigen jedoch ist die Tragödie ein Werk innigster Verbindung von Leidenschaft und Kunstverständniß. Der Conflikt ist ein großer und machtvoll zugespizter, die Charaktere sind in tiefen, breiten Linien gezeichnet, der Aufbau ist tadellos, jeder Akt enthält eine Fülle ergreifender Momente und die Sprache ist mit Gluth gesättigt. Verse, wie sie der Monolog, den Ruggieri an der Bahre seines der Bahre seines Sohnes liegend spricht, enthält, mögen ein Zeugniß für viele sein. Der Schluß dieses Monologes lautet:

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Erhöre mich! In deinem Feuer schmiede
Mir diesen welken Leib zum ehrnen Schwert,
Zum doppelschneid'gen Werkzeug meiner Seele;
Daß fie, mit ihm bewehrt, all ihren Grimm
In Strömen Blutes lösche; und nicht eher
Nimm von der Erde dieses Schwert hinweg,
Bis unter ihm die Schlachtbank ächzt
Und seine Klinge, morsch vom Morden, bricht!
Ja, Herr, ich fühl es, du erhörft mein Flehn;

Schon raff' ich mich empor, und Jugendstärke

Schwellt mir die Glieder; jeder Puls klopft Thatkraft;

Ans Werk, ans Werk!

Ganz anders liegt die Sache bei einem Drama wie Atlantis. Das Thema der Dichtung wäre vielleicht für eine epische Behandlung geeigneter gewesen, immerhin aber hat der Dichter den dramatischen Kern des Stoffes vollauf zur Geltung gebracht. Der Vorwurf des ebenso eigenthümlichen wie gewaltigen Werkes ist in kurzen Worten folgender. Ein deutscher Fürst, europamüde, hat jenseits des Oceans im westlichen Amerika Ländereien angekauft und führt dorthin im leßten Dezennium des vorigen Jahrhunderts eine Colonie, welche sich aus den verschiedensten Elementen, dem Volke wie dem

Stande nach, zusammensetzt. Ein Staat soll begründet werden, ganz auf Vernunft und gegenseitige Harmonie errichtet. Aber die edle Absicht scheitert bald an den Sünden jedes Einzelnen der Betheiligten. Der Fürst verliert sein besseres Selbst in einer Leidenschaft für die Frau seines hervorragendsten Genossen, bei den übrigen Theilnehmern des Unternehmens treten Neid, Hochmuth, Zwietracht, Trägheit und Feigheit immer offener hervor und Kriege mit den Indianern, ein Conflikt mit fanatischen Spaniern verhindern auch das äußere Gedeihen des jungen Staates. Ohne Zweifel, der Dichtung mangelt es nicht an Conflikten tiefster Art, aber für die heutige Bühne ist die Composition zu verwirrend vielseitig, die Gegenfäße prallen nicht immer heftig genug aufeinander, der Dialog entbehrt der schlagenden Kürze, das Poetische überwiegt das Dramatische. Daher halte ich Atlantis für eine dramatische Dichtung bedeutsamster Art, lege jedoch den Nachdruck auf Dichtung, ein Bühnendrama aber bildet das Werk in der jeßigen Gestaltung nicht. Und dennoch glaube ich, daß Schack mit diesem Werke eine Bahn betreten hat, welche das deutsche Drama weiter zu verfolgen hat. Der Conflikt soll nicht mehr, wie es bisher im Allgemeinen der Fall war, auf den Leidenschaften beruhen, sondern auf dem Zusammenstoß der höchsten sittlichen und geistigen Ideen. Leider sind die jüngsten Dramen Schacks noch nicht in meinen Händen, ich kann daher ein Urtheil über seine dramatische Thätigkeit wie über ein Ganzes, Abgeschlossenes nicht fällen. Die Komödien Cankan und der Kaiserbote, von denen die lettere bereits 1850 entstanden ist, die erstere nach dem deutsch-französischen Kriege, sind reich an dichterischen Schönheiten wie an satirischen Ausblicken, ihre Aufführung aber würde nur vor einem Parket des gewähltesten und historisch gebildetsten Publikums Erfolg versprechen. Die aristophaneische Komödie gilt mir nicht für ein Vorbild, dem unser politisches Lustspiel nacheifern dürfte, wenn es lebendige Wirkung erzielen will. Wie die moderne Tragödie durch individuelle Charakteristik und Reichthum der Handlung über die griechische hinausgewachsen ist, so muß auch das Lustspiel der Gegenwart eine spannende Handlung zum Mittelpunkte haben und das Typische nur ahnen lassen in individuell gezeichneten Charakteren. Unsere

Posse mit ihrer lebendigen Anschauung und Wiedergabe des Wirklichen zur Komödie zu erheben, die Tollheit zum Humor, das Spiel des Zufalls zur Idee, das scheint mir das Erstrebenswerthe zu sein.

Ich könnte nun schließen, denn ich meine dargelegt zu haben, daß eine solche Eigenart, ein solcher Reichthum dichterischer Schöpfungen, wie sie mit dem Namen Schack gestempelt sind, eine ganz andere Aufmerksamkeit verdient, als sie Schack bisher vergönnt ward. Aber ich halte es für dienlich, nachdem ich den Dichter hauptsächlich als Individuum betrachtet, ihn nun auch als Glied der Kette, welche deutsche Literatur heißt, zu erfassen. Gelingt es mir, ihm eine Stellung in der Literatur anzuweisen, welche für die Entwicklung der letteren nicht gleichgültig erscheint, so wäre das eine Probe auf mein Exempel, es würde die Bedeutung rechtfertigen, welche ich dem Dichter beilege. Es liegt nahe und es ist deshalb auch geschehen, Schack dem Münchener Poetenkreise beizuzählen, weil er mit Heyse, Geibel, Grosse, Verwandtschaft zeigt, so weit die äußere Form seiner Dichtungen in Betracht kommt. Und doch, keine Zusammenstellung trifft die Wahrheit weniger, als diese. Sie entspringt demselben Streben nach Classifikation, welches unsre Literaturgeschichte überhaupt wie einen Gemüsegarten behandelt, in dem jedes Beet sein bestimmtes Gewächs trägt, und nur dieses. Aber unsre Literatur ist wie jede andre eine Schöpfung der Natur, nicht der Kunst, ein Wald, nicht ein Park. Und wenn ich oben gesagt habe, wir wollen eine neue Literatur, so wird kein Verständiger darin ein Verlangen nach künstlicher Züchtung eines Neuen, Eigenartigen erblicken, sondern er wird das Wort nehmen, wie es genommen werden will, als Ausdruck eines vielfach gährenden Gefühls, eines neuen Schöpfungsdranges. Jene Sucht nach Classifizierung aber hat zu allerlei Irrungen und Wirrungen geführt, welche manchen Dichter muthlos gestimmt und beim Publikum Zweifel und Zurückhaltung erzeugt haben. Eine jener Irrungen heißt Blüthezeit. Ich am wenigsten verkenne, daß gewissen Epochen der Kunst- und Weltgeschichte der Name einer klassischen oder einer Blüthezeit gebührt,

aber so richtig, so schön dieser Ausdruck ist, so verderblich kann seine Anwendung werden. Die deutsche Literatur hat bekanntlich nach der Ansicht unsrer Historiker bislang zweimal in Blüthe ge= standen, einmal zur Zeit des 12. und 13. Jahrhunderts, das andere Mal zur Zeit des 18. und zu Anfang des 19. Säkulums. Zwischen beiden Blüthenperioden liegen also sechs Jahrhunderte. Ah! sagt sich der Historiker, das ist offenbar der Zwischenraum, welchen die deutsche Dichtung braucht, um zwischen zwei Höhepunkten zu verfallen. Und wirklich, diesem Schema zu Liebe, das nicht mehr und nicht weniger als einmalige Erfahrung für sich hat, be= hauptet einer der geistreichsten unsrer Gelehrten, Wilhelm Scherer, es müsse auch das 6. Jahrhundert eine literarische Lichtzeit ge= bildet haben. Da uns aber leider nichts von Dichtern und Dichtungen dieser Aera bekannt ist, so werden die ersten Keimbildungen unsrer epischen Lieder dahin verlegt. Diesem RückwärtsProphezeihen sollte dann aber auch das Vorwärtsdeuteln entsprechen. Jenes Schema gibt Jedem das Recht, dem 24. Säkulum gleichfalls ein Blüthealter zu weissagen, vorausgesetzt, daß Gott nichts dazwischenlegt. Für die Leser des 24. Jahrhunderts übrigens, welche den Waffengängen ihre Aufmerksamkeit vergönnen sollten, bemerke ich, daß ich ihrer herrlichen Epoche ebenso wie einen Schienenweg zum Sirius so auch einen Verein großer Dichter von Herzen wünsche, in der Hoffnung jedoch, daß ihnen auch einige Poeten vom Ende des 19. lieb und werth geblieben sind. Aber selbst in dem Falle, daß jenes Schema Recht hat, ist es doch ganz unhistorisch, dasselbe auf die Gegenwart und die jüngste Vergangenheit anzuwenden. Eine Epoche, in welcher Genien wie Goethe, Schiller, Lessing, Herder, Klopstock fast zu gleicher Zeit wirkten und schafften, als Blüthezeit zu bezeichnen, ist das gute Recht des Geschichtsschreibers, aber ebenso unrecht ist es, eine Periode, welcher der Historiker selbst angehört, für eine Zeit des zunehmenden Verfalles zu erklären. Es ist sein gutes Recht, den vergangenen Dezennien gegenüber nachzuweisen, daß sie von Epigonen beherrscht gewesen, obwol er dabei der mangelnden Perspektive wegen mehr als Kritiker, denn als Historiker vorgeht, aber er thut unrecht, wenn er die Gegenwart in seine Rechnung mit hineinzieht, da er hier einzig

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die Oberfläche, das Gewordene, aber nicht in die Tiefe, in das Werdende sieht. Die Gegenwart in ihrer Gesammtheit beurtheilen, heißt in die Zukunft schauen, das Zukünftige ahnen, und das vermag wohl der Reformator, aber nicht der Geschichtsschreiber. Wer darf sagen, daß die mit den 50er Jahren des vorigen Säkulums begonnene Literatur-Aera bereits ihr Ende erreicht hat? Niemand! Dann aber darf auch Niemand einen immer wachsenden Verfall weissagen, die verflossenen Jahrzehnte können ein Intervall der Blüthezeit, eine Senkung gebildet haben und eine neue Hebung, ein neues Aufblühen wäre nicht unmöglich. Die goldne Zeit des Mittelalters, die klassischen Perioden der Griechen, Spanier, Italiener zeigen durchaus nicht die einfache Folge von Anstieg, Höhe, Abstieg, sondern ziehen sich als eine Reihe von Bergen und Thälern hin und die persische Blüthezeit dauert sogar durch vier Jahrhunderte von Firdusi bis Dschami, immer wieder unterbrochen durch Tage geistiger Verflachung. Ich halte es nicht für müssig, statt mich des 24. Jahrhunderts zu getrösten, schon auf die nächste Zukunft Hoffnungen zu setzen und ich meine, diese Hoffnungen seien mehr als Träumereien. Lebt denn wirklich in uns das Gefühl, daß bereits alles erfüllt sei, was die Aera Lessing-Goethe uns verheißen? Haben wir ein Theater, eine dramatische Literatur, die unsrem Verlangen voll Genüge leistet, haben uns unsre großen Dichter ein Epos be= schert, das wir den Epen andrer Völker entgegenstellen können, besigen wir einen Roman, der in jeder Hinsicht den großen Romanen der Engländer und Spanier ebenbürtig ist? Nein und abermals nein! Der Bau, den unsre Heroen aufgeführt, ist noch nicht vollendet, unsre Sache ist es, ihn auszubauen. Zwischen uns und ihnen liegt eine Epoche des politischen Gährens, Sehnens und Ringens, welche alle Geister, welche das Volk derart in Anspruch genommen hat, daß die Dichtung in den Hintergrund trat oder dienstbar wurde. Diese Epoche hat ihren Markstein gefunden, schon befriedigt das Politische die Gemüther nicht mehr und darum eben bildet das Jahr 1870 für uns einen Wendepunkt, um seiner Folgen, nicht um seiner Erfolge willen. Zwischen uns und Goethe liegt aber auch eine Zeit der Entdeckungen und Erfindungen, grundlegender Neubildungen auf ethischem und socialem Gebiete, welt

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