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daß alle unsere sittlichen Begriffe und Lebensordnungen aus ursprünglicher religiöser Bindung des menschlichen Eigenwillens hervorgewachsen sind. Keine menschliche Gemeinde, keine Genossenschaft, ihr Zweck sei so weltlich wie er wolle, ist je vereinigt worden ohne ein religiöses Band Und wie sich auch auf dem Gebiete der Religion eine Ausbildung immer reinerer Anschauungen und Begriffe von egoistischindividualistischen Quellen aus verfolgen läßt, davon werden wir noch oft und schon bald ausführlicher zu sprechen haben. Das Erwachen zum Selbstbewußtsein der Freiheit ist uns das Charakteristikum menschlicher Kultur.

Wann haben die Menschen vom Baume der Erkenntnis gegessen? Wann dämmerte in ihrer Seele die Einsicht in die wahre Bestimmung ihres Daseins? Nicht zu einer bestimmten Zeit; nicht vor zehntausend Jahren und nicht heute; die Entwicklung der Kultur ist eben die fortgehende Vertiefung der Erkenntnis und Ausgestaltung menschlicher Freiheit; und was sich das sinnlich-mythenbildende Bewußtsein alter Geschlechter unter dem Bilde eines zeitlichen, einmaligen Vorganges ausmalte, ist in Wahrheit der Inhalt der unbegrenzten Kulturgeschichte der Menschheit. Wissenschaft, Kunst und Sittlichkeit (Religion) tragen an ihrem Teile dazu bei, die Freiheit des Menschengeschlechtes zu vollziehen; und nur insofern sie dies tun, sind sie wahre Kulturgüter.

Je mehr aber die Menschheit in ihrer Entwicklung die Bedeutung derselben erkannte, je mehr sie lernte, darin ihr eigenstes, tiefstes Wesen wiederzuerkennen: desto mehr mußte sich auch das Bedürfnis regen, dieselben aus ihren Voraussetzungen zu begreifen. Es mußte die Frage wach werden nach der Möglichkeit des Wissens und der Wissenschaft, nach den Bedingungen und Grundlagen der Sittlichkeit und Kunst. Und diese Frage mußte immer deutlicher, immer dringender hervortreten, je weiter die Wissenschaft in ihrem Bemühen, das Seiende denkend zu begreifen, fortschritt, je tiefer sich die Gesetze des sittlichen Lebens im menschlichen Gemüte gründeten, und je freier und überraschender sich die schöpfe

rische Tätigkeit des Künstlers entfaltete.

So tauchte im menschlichen Geiste das Problem der Philosophie auf, welches die Menschheit nun schon seit Jahrtausenden beschäftigt, jenes Problem, das in Wahrheit nichts geringeres bedeutet, als die Selbstrechtfertigung und Beglaubigung der Vernunft.

Natürlich: Wissenschaft, Sittlichkeit und Kunst mußten schon einen hohen Grad der Vollendung erreicht haben, ehe es bevorzugten Geistern gelang, die Aufgabe der Philosophie in begrifflicher Schärfe von den Bemühungen der übrigen Wissenschaften abzugrenzen. Wie ja fast überall die richtige Formulierung und Fassung eines Problems den halben Weg zu seiner Lösung in sich schließt. Man hat daher nicht mit Unrecht gesagt, daß am Beginne der Entwicklung des philosophischen Denkens der Begriff der Philosophie sich mit demjenigen der Wissenschaft annähernd gedeckt habe. Wenigstens verbarg sich die eigentlich philosophische Frage im Anbeginn in der allgemeineren Frage nach der Natur des Seienden, dem Wesen der Welt usw.

Wenn wir daher die Geburt und das Wachstum des philosophischen Eros beobachten und verfolgen wollen, werden wir von solchen Bestrebungen und Erscheinungen ausgehen müssen, die wir noch nicht im strengen Sinne des Wortes als philosophische bezeichnen dürfen. Nun ist es uns freilich nicht vergönnt, wie wir es wünschten, die Entstehung menschlicher Kultur in den Einzelheiten zu überblicken und mit dem Lichte der Erkenntnis zu durchdringen. Wir sind vielmehr, wo es sich um die ersten Anfänge der Religion, Sittlichkeit, Wissenschaft und Kunst handelt, zum größten Teil auf Ahnungen und Vermutungen recht unsicherer Art angewiesen. Dennoch dürfen wir den Versuch nicht scheuen, auch aus dem Wenigen, was uns aus jener Urzeit überliefert ist, für unser Unternehmen Nutzen zu ziehen. Es kann dabei natürlich nicht entfernt unsere Absicht sein, die Entstehung der Kultur schrittweise zu verfolgen; sondern alles dies hat nur insofern Interesse für uns, als sich schon in den ersten Regungen des menschlichen Geistes wenigstens ein Keim des rein philosophischen Triebes

finden läßt. Dieser aber ist schon im vorwissenschaftlichen, mythenbildenden Bewußtsein erkenntlich.

Eine weitere Beschränkung unserer Untersuchung entspringt aus dem Umstande, daß wir hier nur die europäische Philosophie und ihre Geschichte berücksichtigen wollen. Damit entfällt allerdings z. B. das ganze, nicht unbedeutende Gebiet des indischen Denkens. Aber unser Vorhaben ist es ja auch in keiner Weise, eine erschöpfende Darstellung der Geschichte der Philosophie zu geben. Diese soll uns vielmehr nur den Weg bahnen zum Verständnis des wissenschaftlichen Systems der Philosophie. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint selbst innerhalb der europäischen Philosophie nicht die Notwendigkeit eines Eingehens auf Einzelheiten und untergeordnete Erscheinungen gegeben. Der Sinn unseres Bestrebens kann vielmehr nur darin gefunden werden: die typischen Erscheinungen des philosophischen Denkens kräftig herauszuarbeiten, soweit sie auch in systematischem Interesse fruchtbringend und nutzbar sind. Durch alle diese Überlegungen werden wir zunächst auf Griechenland hingewiesen. Denn die Griechen sind, wie in allen Künsten und Wissenschaften, so auch besonders in der Philosophie die Lehrer Europas gewesen; und die Geschichte der griechischen Philosophie zeigt in überraschender Weise die allseitigste Ausbildung philosophischer Denkmöglichkeiten und Charaktere. Hier werden wir also auch zu beginnen haben.

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Das wissenschaftliche und das primitive Bewußtsein.

Wir haben oben die Kultur durch das Bewußtsein der Freiheit charakterisiert; wir wollen sie jetzt durch das Bewußtsein des Gesetzes begreifen. Man muß erkennen, daß sich diese beiden Erklärungen nicht widersprechen. Nur dem oberflächlichen Blick erscheinen Freiheit und Gesetz entgegengesetzt: nur wer die Freiheit nicht anders zu denken vermag, denn als Freiheit vom Gesetze, wird hier einen Widerspruch sehen; er wird aber auch niemals den rechten Sinn der Kultur

erfassen können, der vielmehr in der Freiheit durch das Gesetz beruht.

Die Aufgabe des Menschen ist es, die Natur und sich selbst dem eigenen Gesetze zu unterwerfen: denn freilich ist das die Vorbedingung und in gewissem Sinne sogar der Inhalt der Freiheit, daß es das eigene Gesetz ist, dem die Menschheit nachstrebt, für welches sie im Verlauf der Jahrtausende kämpft. Alle Gebiete der Kulturbetätigung zeigen diesen Kampf des Menschen zur Beseitigung des Chaos, zur Verwirklichung des selbstgegebenen Gesetzes: Wissenschaft, Sittlichkeit und Kunst. Man kann auch sagen: das Streben der Menschheit geht überall dahin, ihr eigenes Selbstbewußtsein immer reiner und ungetrübter zu entfalten und in die Erscheinung treten zu lassen.— Zunächst die Wissenschaft sucht die Welt zu erkennen, d. h. zu begreifen. Der Begriff ist das Werkzeug, das Mittel, die Grundlage und das Ziel der Wissenschaft. Etwas erkennen heißt: es denkend begreifen, in Begriffe des Geistes fassen. Das begriffliche Denken aber ist eine Richtung oder Betätigungsweise der menschlichen Vernunft, des vernünftigen Bewußtseins. Begreifen heißt daher auch: die Welt vernünftig machen, oder: eine vernünftige Welt gestalten. Wenn der Begriff nun der adäquate Ausdruck des Erkennens und der Vernunft ist, wenn denken, erkennen oder begreifen heißt wo soll der Begriff entspringen, wenn nicht in der menschlichen Vernunft? Nichts anderes aber kann auch die Natur uns sein und zu allen Zeiten gewesen sein, als der Inbegriff" von Gesetzen, welche alle Erscheinungen und somit auch uns selbst, sofern wir ja auch selbst ein Stück Natur sind, umfassen. Die Kultur zeigt uns in dem Fortschritt der Wissenschaft eben dieses: die Gesetze der Natur sind Begriffe, Gebilde des menschlich-wissenschaftlichen Geistes; und in dieser Erkenntnis besteht unsere Freiheit auf theoretischem Gebiete. Wir dürfen sagen: die Kultur lehrt uns, uns selbst, die Vernunft, in der Natur wiederzuerkennen. Dem primitiven Menschen steht die Natur und stehen ihre Gesetze als etwas Fremdes, ihn Beengendes und Bezwingendes, Feindliches gegenüber: der Kulturmensch

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lernt das Schreckgespenst mehr und mehr zu durchschauen; es verwandelt sich ihm das Chaos in den Kosmos, den er bewundern mag, nicht fürchtet. Er erkennt (um das Wort des größten Weisen aller Zeiten anzuwenden), „daß der Verstand selbst der Gesetzgeber der Natur ist" (KANT).

Nicht anders im Reiche der Sittlichkeit. Sittliche Freiheit ist Anerkennung und Befolgung des selbstgegebenen Sittengesetzes. Durch dieses Gesetz, durch diese Selbstgesetzgebung vollziehen und gewinnen wir unser sittliches Selbst. Und auch hier besteht der Fortschritt der Kultur in dem Übergang von der Gebundenheit durch Instinkt, Trieb und äußere Mächte zur Selbstbestimmung durch das Vernunftgesetz. So macht sich die Kultur auf ethischem Gebiete in zwei Richtungen geltend: einerseits befreit sie den Menschen in seinem Innern von sich selbst, von seiner sinnlichen Natur, indem sie ihm diese, welche anfangs die Herrscherin war, zum Problem macht; andererseits weist sie ihn gerade auf sich selbst zurück, aber auf seine geistig-vernünftige Natur, und erlöst ihn vom Zwange äußerer Gesetze. Immer klarer tritt zugleich der Unterschied zwischen dem Daseienden und dem Seinsollenden, zwischen den bedingten und relativen Gesetzen der wirklichen Natur und dem letzten, unbedingten Ziele, welches aber nicht außerhalb des Menschen liegt, sondern mit seiner vernünftigen Natur zusammenfällt, hervor. So lernt also der Mensch auch hier im Reich des Seinsollenden sich selbst zu finden, zwar nicht sein vergängliches, engbeschränktes Individuum, wohl aber sein reines, vernünftiges Wesen: er lernt begreifen, daß die Idee des Guten die Idee der Menschheit ist.

Und dieselbe Richtung von der Heteronomie zur Autonomie, d. h. von der Abhängigkeit von äußeren zur Anerkennung der geistigen Gesetze, kennzeichnet auch die Entwicklung der Kunst. Denn das Verhältnis, welches der Mensch zur Natur, zur Sittlichkeit einnimmt, spiegelt sich in seiner Kunst wieder: ist doch der Künstler der Gesetzgeber des Gefühls. Die Vorgänge der Natur und die Erscheinungen des sittlichen Lebens klingen im Gefühle des Menschen nach.

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