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zu sein. Während sie Kartoffeln und Mohr rüben kaufte und dabei ein paar muntere Scherzreden mit der Händlerin tauschte, wurde Karl Masch von Zuneigung für sie ergriffen. Wie viel Lebensmut sie hatte und wie lockend sie aussah! Ihm kam die Erinnerung an einen Sommerabend daheim mit der Deutlichkeit einer Vision. Diese selbe Marie spazierte, ein paar Tage nach ihrer Konfirmation, in blaubedrucktem Kattun kleid zwischen zwei Gurkenbeeten. Was war sie nicht alles, die Marie vom Tischler Fritsch! Mein Himmel, damals war es Karl, der sie über den Zaun hin belauschte, komisch vorgekommen, daß sich ein junger Mensch, ein Altersgenosse aus dem Dorf mit solcher Durchdrungenheit von sich selber, mit solcher Zuversicht bewegen konnte. Heute fand er die Spuren dieser Selbstzufriedenheit in Marie, und sie berauschten ihn.

An einem Schnittblumenstand kaufte er ein gehöriges Bund Reseda für sie. Das ist etwas, wobei man an zu Hause denken kann“, bemerkte er, denn sozusagen haben wir doch alle Heimweh."

Marie nickte und ließ die Augen schweifen, eine Gewohnheit, die Karl Masch sich gern aufs strengste verbeten hätte. Sie sollte ihn ansehen. Und nun sagte sie auch noch: "Ich möcht' nicht zurück. Man hat hier jeden Tag soviel Gelegenheit . . ."

„Ei, zu was?" fragte der Schuster. Marie blinzelte lebenslustig und errötete ein wenig.

Du scheinst mir viel Pläne zu haben. Ich werde von jcht ab deinen Eltern berichten, was du hier treibst." "Ja, das kannst du", entgegnete Marie ihrem Jugendfreund gemütsruhig, während sie mit einem Soldaten einen Blick tauschte.

"Ich habe nur einen Plan", bemerkte der Schuster mit viel Bedeutsamkeit.

Wohl den, daß du nun endlich zu 'ner eignen Werkstatt kommst? Das ist auch wirklich Zeit. Deine Eltern verzagen schon bald," meinte Marie.

Karl hielt diesen unzarten Ansporn aus, ohne verletzt zu sein. Er wunderte sich selbst, aber er hatte wieder eine Zukunft, seit Maries Bi ihm in die Augen schien. Er gab sich

ein männlich resolutes Aussehen und eine leichte Haltung. Du wirst's ja erleben. Oder willst du, daß wir uns nur einmal und nicht wieder gesehen haben?"

Sie traten aus der Markthalle. Ein Windstoß wehte ihnen Tropfen entgegen. Es war die doppelt unruhige Welt einer Großstadtstraße bei Regenwetter. Maries krause Haare hoben sich wie zwei Hörnchen über ihrer Stirn, als sie mitten in einem Windstoßz stehen blieb. Aus ihren hellen klaren Augen blickte sie stetig und heiter. Wie ist es?" fragte der Schuster. Komm' nur! Ich wohne nicht allein, fomm' nur!" Und sie lächelte rasch, reichte ihm rasch eine warme kräftige Hand und ging ihres Wegs.

An diesem Tage trat Karl Masch seiner Meisterin, ohne ihren Auftrag ausgerichtet zu haben, unter die Augen und hielt ihrem Toben stand. Durch eine Gegenrechnung schürte er noch ihren Zorn. Der Meister, der hinter einer Gardine arbeitete, hörte dann und wann zu klopfen auf, um dem Streit zuzuhören. Wenn ihm seines Weibes Stimme zu scharf und fatal wurde, hämmerte er heftig drauf los. Sie stürmte zu ihm in die Werkstatt, eine bleiche, üppige Megäre, mit unordentlichen Haaren und trotz der schlampigen Kleidung verführerisch, von ebenmäßigem und vollem Gliederbau. Sie verlangte von ihrem Mann, daß er Karl Masch sofort aus dem Hause jagte. Hause jagte. Der Mann beschränkte sich darauf, zu seufzen und sich in die Haare zu fahren. Laß doch, laß doch, Mama,“ sagte er eintönig, während er die Augen verdrehte.

„Laß doch, laß doch," verhöhnte ihn sein Weib. Du machst mich noch toll mit deinem: laß doch. Ich werd' alles stehn und liegen lassen, das werde ich! Mit so einem Waschlappen, wie du bist, halt' es der Teufel aus." Sie fuhr aus der Werkstatt in die Küche hinein. Da hörte man bald darauf einen Fall und das Klirren von Porzellanscherben. Karl Masch jezte sich steif und bleich vor Erregung auf seinen Schusterschemel.

„Ziehen Sie den guten Rock aus," flüsterte der Meister. Karl Masch stierte vor sich hin. Beide Männer standen unter dem Bann der Erwartung. Das gefährliche Temperament der Hausfrau würde sich noch weiter entladen.

Und richtig, da entstand ein Gepolter in der Küche, ein Wutschrei folgte und dann das Wehgeheul eines Kindes. Der Meister stand auf, rieb die Hände an seiner grünen Schürze und ging in die Küche. Da fing nun erst das Wortgefecht an.

Karl Masch nahm einen Stiefel vor. Bringen Sie doch den Jungen her," rief er einmal nach der Küche hinüber. Endlich kam der Meister, kirschrot im Gesicht, mit Schweißperlen auf der Stirne. Wenn es nicht um diesen Mann gewesen wäre, der so viel Sinn für ein umgängliches Wesen, so❘ eine unparteiische Laune hatte, dann wäre Karl Masch schon längst gegangen. Wenigstens bildete er sich ein, daß er dann so viel Energie gehabt hätte. In all' den Stürmen und all' der Misere, die die heftige Frau ihnen bereitete, kamen doch Stunden, wo sie beide ein Gespräch führen konnten, das ihnen wohl tat. Herr Anding politisierte gerne, da nahm er den Mund voll und äußerte viel Scharf sinn und Standhaftigkeit, Eigenschaften, die er im Umgang mit seiner Frau, an der er mit einer weichlichen Neigung hing, vermissen ließ. Karl Masch verlegte seine Anschauung der Dinge, seinem Naturell nach, in das philosophische Gebiet. Er dachte an nichts öfter als daran, wie weit ein Mensch Klarheit über seine Lage in dieser wunderbaren Welt bekommen und dann, wie weit er sich durch Geisteskraft darüber erheben könnte. Besonders diese lette Frage quälte seinen ungeschulten Kopf oft so stark, daß er meinte, er müsse wahnsinnig werden. Dann waren da noch die Kinder, die ihn festhielten. Dieser älteste Knabe, der seinem Vater so sehr ähnelte, der das Unglück hatte, seiner Mutter zu miß fallen. Auch das verhätschelte kleine Mädchen war Karl Masch rührend. Wie entsetzlich, von solcher Mutter verhätschelt zu werden!

Frau Anding hatte ihren Beruf verfehlt, das war klar. Sie war viel zu verführerisch reizend, zu begehrlich, zu prachtliebend für ihren bescheidenen Stand. In ihr steckte die Lust und Beweglichkeit der Favoritin eines reichen Mannes. Der Druck des armen Alltags erbitterte fie, in der kleinbürgerlichen Enge wuchsen ihre Neigungen zügellos, ihre besseren Seiten überwuchernd.

|

Es

Karl Masch war es gewohnt, ein paar Mal in der Nacht mit wildem Herzklopfen aufzufahren und eine Flucht seiner Gedanken und eine Beängstigung seiner Sinne zu verspüren. In dieser Nacht hörte er nicht einmal Friedrich Raschke, den Tischler, kommen, der nebenan in dem als gute Stube eingerichteten Teil des Raumes schlief. war Maries Einfluß, der ihm diese Nacht eine wirkliche Ruhe und einen freundlichen Traum verschaffte. In einem Kiefernstangenwald befand er sich, wie solch einer in der Nähe des heimatlichen Dorfes lag. Da, in der Mittagssonne auf einer Lichtung, wartete er auf Marie und seine Mutter, die Pilze suchten und unsichtbar waren. Ein katzenartiges Wesen rollte sich, alle Biere von sich streckend, auf dem Rücken, so daß sein weißer Bauch wohlig und warm beschienen wurde. Ihn erfüllte der Anblick des sorglosen Tieres mit Lebenslust. Als er des Morgens aufwachte, überfiel ihn nicht wie sonst ein Ekel vor seiner Erbärmlichkeit und seinem Schicksal, sondern er vergoß ein paar Tränen, die ihn seltsam erhoben und trösteten.

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Darauf hatte er nicht gerechnet; Marie besaß noch die vollständig eingerichtete Werkstatt ihres Mannes. Der Anblick der Drehbank, der Säge und der anderen Utensilien fiel wie ein Schatten auf ihn. Erstens erinnerte ihn dies alles an den Mann, mit dem Marie verheiratet gewesen war, den er noch nachträglich beneidete, und zweitens sah es gerade so aus, als wolle seine Witwe bei dem Gewerk bleiben, falls sie sich zu einer zweiten Ehe entschlösse. Maries Wohnstube hatte glatte weiße Mullgardinen. Mehrere Blumentöpfe von einer Blumenart, die für das Heimatdorf charakteristisch war, das fleißige Lieschen genannt, blühten auf dem Fensterkopf. Karl sah die lilaroten flachen. Blüten mit Rührung.

Mit einer gewissen Umständlichkeit führte Marie den Gast in ihr Reich. Es war ganz diese ländliche Art, die Zeit hat und die die Freude über einen Besuch gehörig auskostet. Und dann, dieser Duft der Sauberkeit! Karl Masch hatte ganz vergessen, daß es so etwas gab wie das Weilen in einem reinen Raum,

willkommen geheißen von einem heiteren, guten Menschen. Zuerst war es ihm schmerzhaft; gar zu viel Erinnerungen an die Höllen und Wüsten der eben verflossenen Tage griffen ihn an. Durch seine Glieder ging ein Zucken, das er nicht beherrschen konnte. So saß er da und ließ Marie allein sprechen, um sich zu gewöhnen, an einem windstillen Ort zu atmen. Hätte er jetzt den Mund aufgemacht, dann wären unendliche Klagen aus ihm herausgebrochen, die ihm sein ganzes Ansehen in ihren Augen verdorben hätten.

"Es wohnen hier ein paar arbeitsame, ordentliche Weibsleute", bemerkte Marie, als der Schuster seine Blicke immer wieder mit einer gewissen Andacht schweifen ließ. „Bei uns fommt nicht Zank und Streit vor und bis jetzt auch, Gott sei Dank! keine Not ums Auskommen. Wir sticheln aber auch redlich. Hulda Schulz ist nun geradezu wütig auf die Arbeit und hält auf Worthalten bei der Kundschaft. Sie versteht sich auch rasch auf die neuen Moden, ich stümpre ihr nur nach. Sie ist flug, aber auf die Männer schlecht zu sprechen."

Karl nickte und lächelte flüchtig. Dann stellte Marie einen Imbiß zurecht, ein Glas Bier und Eierbrödchen. Nun hatte er vollends keine Veranlassung zu sprechen, jetzt sah er ihr mit Bewunderung zu. Was sie tat, hatte das Gepräge des Vollständigen, Frischen. Vollständigen, Frischen. Etwas vom Auskosten des Augenblicks auf eine richtige Art lag in ihren sicheren Bewegungen, in der Miene ihres hübschen beweglichen Gesichts. Sie fing wieder von Hulda Schulz an, doch Karl Masch hatte sich erholt und mochte nichts mehr von ihr hören. Marie sollte sich ihm zuwenden, sein Schicksal an ihr Herz nehmen und ausheilen. Ja, ausheilen an ihrem Herzen, das wollte er.

Du bist noch wenig von der Großstadt zunicht gemacht," fing er umständlich an. „Bist du gestern vom Dorf gekommen? Lebt die alte Rucksche noch und steht noch der Schuppen am Waldrand? Hast' auch Stichlinge im Taschentuch mitgebracht? " Das war eine Anspielung auf die Erlebnisse eines Fiichzuges, den sie gemeinsam gemacht. Beide lachten. Marie setzte sich ihrem Gast gegenüber an den Tisch und versorgte ihn. „Wo

werde ich dir Stichlinge mitbringen. Ich | mein's doch gut mit dir. mein's doch gut mit dir. Wenn ich könnte, setzte ich dir Braten vor, damit du dich recht pflegst."

Dieser Ton war Karl Masch nun etwas zu schwesterlich und klein. „Ums Essen ist es mir nicht, wenn ich bei dir bin, Marie!" Er blickte von ihr fort auf die Dielen und ergriff ihre Hand. „Du könntest dich schon um mich kümmern, Marie, mir tut das not."

Sie war flüchtig errötet, dann drückte sie ihm herzhaft die Hand, die war heiß, bebend und fein. Sie hatte viel Mitgefühl mit ihm, denn mit einem Mal wurde es ihr klar, daß es ihm in seinem Beruf nicht nur, sondern auch in andern Dingen, mit seiner Gesundheit vielleicht, schlecht ging. "Möcht'st dich mal aussprechen?" fragte sie, ihm die Hand entziehend, aber an die Schmalseite des Tisches zu ihm hinrückend.

„Nein," antwortete er kurz. Sag' mal, laufen dir nicht die Männer auf der Straße nach, weil sie denken, du bist geschminkt? Diese roten Backen, diese Backen!"

"Ach, geh! Ich mein's gut mit dir, und du kommst mir albern!" Sie bog den Kopf, weil Karl die Hand erhoben hatte, um ihr in das Gesicht zu fassen.

Du bist wirklich so schön, Marie", entschuldigte sich der Schuster beschämt. Ich finde keine Worte." Er blickte schwer atmend zur Seite. Du sagtest in der Markthalle von vieler Gelegenheit. Was meinst du hast du eine bestimmte Absicht? Doch nicht etwa . . . ."

„Ach, Karl, du bist das erste Mal hier und fängst mit Mißtrauen an! Sei doch gemütlich! Du weißt doch ganz gut, wie ich von Mutter erzogen bin mit dem Kantschu Na also! So bin ich noch immer, wie im Dorf. Wir nähen Tag ein, Tag aus, Hulda Schulz und ich, und wenn wir mal ausgehen, dann ist es in eine Familie."

Marie sprach mit sinkender Stimme, aus der herausklang, daß ihr Leben ehrbar wohl, aber auch eintönig sei.

„Man muß froh sein, wenn die Tage ohne große Schmerzen und Aufregungen aller Art vorbeigehen," meinte der Schuster.

"Allerdings liegt ja am Vorbeigeh'n auch | nichts. Jeder Tag soll seinen Sinn haben. Was nügen verlorene Tage, die so dahin gehen, als hätte man geschlafen und man weiß nicht, wozu sie einem gegeben wurden? Und wenn man liest, der und der hat mit dem Leben abgeschlossen, dann fühlt man sich so übel, als hätte man schuld daran, daß sie so jämmerlich, wahrscheinlich so jämmerlich starben, und dasselbe kann einem passieren."

Karl Masch hielt inne und lenkte von seiner melancholischen Fährte ab, die ihn bald zu der Enthüllung seines trüben Zustandes bringen mußte. Der Mensch braucht so viel Glück, daß er vor lauter Fröhlichkeit dazu kommt endlich zu sagen: mir ist alles gleich auf dieser Erde. Ich will nur gut sein."

Du bist noch immer so absonderlich, Karl,“ sagte Marie belustigt.

"War ich denn das schon als Kind?"

Und ob! Weißt du nicht noch auf den Nachhausewegen von der Konfirmandenstunde, was du da für Reden hieltest? Einmal war's um den heilgen Geist. Du weintest schließlich, weil die andern fanden, er käme nicht schlecht weg. Du sagtest nämlich, es sei so wenig von ihm die Rede. Abgebildet sei er höchst selten, die beiden andern würden bevorzugt. Ob er denn nur als Taube sichtbar wurde? Er könnte doch als ein Engel erscheinen. Wir sollten, so verlangtest du, ihn besonders ehren und darüber nachdenken, was er uns zu sagen hätte. Weißt' noch? Michel Kurt schwazte dir immer dazwischen, lauter Unsinn. Es kam so, daß die Jungens dich verhauen wollten, wir Mädchen aber nahmen dich in Schuß."

"Ich weiß," sagte Karl Masch, obgleich er sich kaum entsann, daß es so gewesen war, denn sein Gedächtnis war wie ein Sieb: ganze Strecken seines Lebens lagen wie ertrunken in dichtem Nebel. „Das ist noch immer meine Meinung, daß zu wenig von dem heiligen Geist die Rede ist unter den Menschen. Sie tun grade so als sei das gar nichts, daß die Zeit vergeht und sie älter werden und tausend Gedanken durch sie hindurchgehen, die alle nichts taugen, und daß es so etwas gegeben hat wie Märtyrer und große Männer, die ganz anders innerlich aussahen als sie."

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An der Türe zur Küche kraßte es. Marie stand auf und ließ einen Affenpintscher in die Wohnstube. Das Tier hatte sich bei ihr eingefunden. „Du solltest in so eine christliche Gemeinschaft eintreten, in den heiligen Michael oder so was", schlug sie dem Jugendfreund gemütsruhig vor.

„Ja, das schlägst du mir vor und du?" Marie senkte den Blick, streichelte dem häßlichen Pintscher das Ohr und lächelte ein wenig einfältig, aber herzig. „Ich habe danach kein Verlangen," gestand sie. „Ofter wie alle drei Wochen gehe ich nicht in die Kirche. Mir wird da manchmal so weh und weinerlich zu Mut, daß ich mir gar nicht helfen kann. Wenn das meine Mutter hörte !! Marie legte sich die Hand auf den Mund. „Sie würde sagen, daß ich durch Arndt gottlos geworden bin. Das ist aber nicht der Fall. Ich hab' es nie leiden können, wenn er so dumm und dreist über Gottes Gebote redete. Es liegt wohl am Pastor. Gottlos bin ich nicht. Mir wird so recht wohl, wenn ich bete, und ich muß öfters beten wie ganz von selbst. Ich bete manchmal darum, daß ich ein andres Leben führen dürfte, so eins wo ich mich viel dabei bewegen kann und für recht viele Menschen sorgen darf, einen ganzen großen Haushalt. Und alle würden sagen: die Marie sorgt gut für uns, sie vergißt nichts!"

Karl Masch fühlte, wie ihm das Herz zitterte und das Blut in den Adern schwoll, das war die Bewunderung, die er für Marie hatte. Er meinte nicht anders, als daß sie so viel Mut und Liebe in sich hätte, um getrost mit dem Leben und seinen Anfechtungen fertig zu werden. Weshalb solltest du in eine Gemeinschaft eintreten, wenn du gerne und gut lebst und niemand zu nahe trittst," sagte er langsam und mit sanfter Stimme.

Marie erholte sich von der Verlegenheit, in die sie dies religiöse Gespräch gebracht hatte. „Erzähle mir, wie du hier lebst. Wie ist dein Meister? Hoffentlich nicht jünger als du?"

„Davon ist nichts zu erzählen," wehrte der Schuster ab.

"Ich werde dich besuchen, Karl. Sag mir, wo du wohnst."

"Komm' nicht. Wozu? Meine Meisterin würde dir nicht gefallen."

Doch, ich komme. Was geht mich deine Meisterin an, wenn du nur mit ihr fertig wirst. Weißt', Karl, ich denk mir das nett, wenn du mir ein Paar Schuh' versohlst." Karl Masch sah überdrüssig aus. Ich bin mit meinem Beruf nicht zufrieden," sagte er. Er ist unappetitlich."

Marie schüttelte mit dem Kopf. Tischler ist freilich besser. Ich mag den Umgang mit dem Holz, von Vater her."

„Ganz gleich, auch Tischler ist unappetitlich. Auf'm Dorf hat's noch Sinn, aber hier sind wir schäbige Narren. Die Fabriken -" Karl erhob sich und fing an, sich die Gegen stände in der Stube zu besehen. Ist diese Personna, diese Person, die das Glück hat, mit dir zu wohnen, auch dankbar?" fragte er, ein Muschelkästchen, das er zu kennen meinte, auf und zu klappend. Es war ihm bekannt; es hatte ein lila Sammtkißchen innen im Deckel. Wie meinst du das?" fragte Marie. „O, du weist schon, du eitle Schlange." Und dann wurde er ernst, als er Marie mit selbstzufriedenem, glücklichen Gesichtsausdruck am Sofaplatz stehen sah und bedachte, ob es eine Möglichkeit gäbe, ihre gesundmachende Nähe alle Tage, alle Nächte um sich zu haben. "Hulda Schulz liebt mich ziemlich stark," sagte Marie lächelnd.

Laß jezt Hulda Schulz aus dem Spiel! Ihr geht es zu gut, und einem armen Mann, der mir sehr nah steht, geht es zu schlecht."

„Der arme Mann wird wohl selber schuld sein, daß es ihm schlecht geht. Er scheint mir eine zu verliebte Natur zu haben."

Karl Masch wollte etwas sagen, Marie verschwand aber mit Gläsern und Tellern in der Küche. Da hörte er sie jemand begrüßen, ein vertrauliches Getuschel und Gelächter.

Die Schneiderin trat auf, eine magere, etwas schiefe, städtische Erscheinung. Für eine Habsburgerin hätte sich das lange, großnasige Gesicht mit der stark ausgebildeten Unterlippe des Mundes geeignet. Energie und Nüchternheit sprachen sich in ihrem Wesen aus. Ihre Sprache war scharf und klanglos, aber pointiert, wie sie klugen Leuten von Temperament oft eigen ist.

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Hulda Schulz nahm sofort Karl Masch aufs Korn, um ihn aufzuziehen und klein zu machen. Seine sanfte, abgebrochene, ursprüngliche Art zu reden fiel ihr zuerst auf, dann seine findlichen Geberden und absonderlichen Anschauungen. Ein Mann, der weich war, ein Mann, der vom Leben erschreckt war das war etwas für die Hulda Schulz, das alternde, darbende und schwer kämpfende Mädchen, um ihren Hohn daran zu weten! Sie benahm sich unausstehlich, indem sie eine fortwährende Unruhe markierte oder mit spißen Fragen die Unterhaltung der beiden störte. Karl diente ihr mit ziemlicher Gelassenheit und ohne grob zu werden. Zum erstenmal sah sich Marie ihn darauf hin an, daß er ein junger und nicht häßlicher Mann war. Etwas klein geraten, die Glieder zu zierlich. Das blasse Gesicht aber mit dem feinen vorspringenden Kinn und der geraden Nase sah besonders im Profil herrenhaft aus. Seine schmale Backe war frisch rasiert, um den Mund lag so viel Ernst und Gutmütigkeit. Marie begriff nicht, wie man über solch einen Menschen herfallen, ihm die Worte im Munde verdrehen konnte. Er war doch ohne Falsch und kränklich dazu.

„Sie ist eifersüchtig auf dich,“ sagte Marie, als sie den Jugendfreund später durch die | Werkstatt führte, mit dem Wunsche, ihm Genugtuung zu geben.

"Sie ist nicht grad' gewachsen und will daher grade Dinge krumm machen, damit sie nicht von ihr abstechen," sagte Karl Masch ohne Groll. "Weshalb aber erklärst du mir das?"

„Nun so. Du sollst nicht denken, daß sie immer so krötig ist, die Hulda."

"Sie meint wohl, ich werde öfters kommen. Wir beide, meint sie, du und ich.“ Marie nickte und legte ihm dabei die Hand auf die schmale Schulter.

Weshalb sollte sie Unrecht haben? Wenn du nicht einen andern im Sinn hast." Der Schuster legte so viel beschwörende Liebes| macht in seine, wie er wußte, sprechenden Augen, als er irgend fähig war nach außen hin kund zu tun.

„Starl, so mußt du nicht reden," sagte Marie erregt. „Wir sind alte Schulfreunde,

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