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Evang. - Luth.
Luth. Schulblatt.

13. Jahrgang.

April 1878.

No. 4.

Jean Jacques Rousseau.

Am 2. Juli d. J. wird vielfach in pädagogischen Kreisen ein hundertjähriges Erinnerungsfest gefeiert werden. An jenem Tage ist nämlich im Jahre 1778 der vielgenannte, hochgepriesene und sehr einflußreiche Jean Jacques Rousseau, der auch heute noch von vielen, von sehr vielen Lehrern und Erziehern der Jugend als ein weiser Meister gepriesen wird, zu Ermenonville bei Paris gestorben. Vieler Orten werden Vorbereitungen getroffen, um jenen Tag festlich zu begehen, um den Mann würdig zu preisen, um sein Wirken, namentlich sein pädagogisches Wirken hoch zu rühmen. Und von diesem Manne läßt sich wirklich Etwas erzählen, darüber man erstaunen muß! Weil in dieser Zeit alle Zeitschriften, namentlich auch die deutschen, über ihn und sein Wirken Berichte bringen werden, so halten auch wir es für unsere Pflicht, uns der allgemeinen Bewegung anzuschließen, und an unserm Theile nach Vermögen mitzuwirken, daß dem Manne die Ehre werde, die ihm gebührt. Auch wir Lutheraner können und dürfen, ja wir sollen, weil die Umstände es fordern, des hundertjährigen Todestages Rousseau's gedenken; doch werden wir es wohl auf lutherische Weise thun müssen.

Wir wollen uns zunächst den Lebensgang dieses Mannes vergegenwärtigen, und dann auch sehen, um welcher Werke willen er in der pädagogischen Welt so hoch gepriesen wird.

Vorweg sei bemerkt, daß Rousseau, als er 58 Jahre alt war, ein Werk vollendete und herausgab, welches er,,Confessionen“ (Bekenntnisse) betitelte und in dem er selbst sein Leben erzählt, seine Gesinnung offenbart und die innersten Gedanken seines Herzens (so weit er sie zu erkennen vermochte) der ganzen Welt vorlegt. Wenn wir ihn aus diesem Buche so viel wie möglich selbst reden lassen, so werden wir gewiß ein wahres Bild von ihm bekommen.

R. wurde am 28. Juni 1712 zu Genf geboren, wo sein Vater, der aus einer angesehenen Bürgerfamilie stammte, Uhrmacher war. In Folge seiner

Geburt starb die Mutter, die Enkelin eines reformirten Predigers, die eine fromme Frau gewesen sein soll. Der Vater war ein leichtsinniger Mann, der es im geringsten nicht verstand, dem Knaben die Mutter durch liebevolle Pflege oder durch eine wenigstens vernünftige Erziehung zu erseßen. Er ließ ihn aufwachsen, ohne dem Fleische zu wehren, ohne guten Samen in sein Herz zu streuen; ja er säete die giftigste Saat in überreichem Maße in dasselbe hinein. Die Mutter hatte eine nicht unbedeutende Anzahl von französischen Romanen, von Ueberseßungen der alten Classiker und von Predigtbüchern, einst vom Großvater geerbt, hinterlassen. Diese las der alte R. mit seinem Sohne! Zuerst kamen die Romane an die Reihe, mit denen sie, weil sie Tag und Nacht lasen, im Sommer 1719 fertig wurden. Der Junge hatte davon „nichts verstanden, aber alles gefühlt"! So wurde bei ihm die Grundlage der Bildung gelegt, — so wurde seinem Geiste die Richtung gegeben! Daß er auch die Erbauungsbücher nicht verstand, ist selbstverständlich; am meisten nüßten ihm noch Ovid und Plutarch.

Was aus dem Knaben wurde, und wie er als Greis über seine Jugend urtheilte, mag er uns selbst sagen: „Ich war geschwäßig, gefräßig, zuweilen log ich. Ich würde Obst, Bonbons, Eßwaaren gestohlen haben; aber nie fand ich Vergnügen daran Böses zu thun, Etwas zu verderben, Jemanden zu schlagen.",,Einst verunreinigte ich den Topf einer Nachbarin, worüber ich noch heute lachen muß.",,Das ist die kurze, wahrhaftige Erzählung meiner kindischen Missethaten. Wie hätte ich auch böse werden sollen, da ich nur Beispiele von Sanftmuth vor Augen hatte und die besten Menschen mich umgaben?",,So begann sich mein Herz zu bilden und zu äußern, das zugleich stolz und zärtlich, und mein Charakter, der weibisch und dennoch unbezähmbar war, der, stets zwischen Schwachheit und Muth, Weichlichkeit und männlicher Tugend schwankend, mich bis ans Ende mit mir selbst in Widerspruch gesezt hat."

Eines Streites wegen mußte der alte Rousseau Genf verlassen. Den Sohn, den er nicht bei sich behalten konnte, übergab er einem reformirten Pfarrer auf dem Lande zur Erziehung; aber es wollte auch da nicht gehen. Er bekennt:,,Troß der besten Erziehung hatte ich eine große Neigung zum Ausarten; das hat sich bei mir rasch und ohne alle Mühe entwickelt."

Der Knabe mochte etwa 14 Jahre alt sein, als ihn der Vater zu einem Kupferstecher in die Leyre gab. Hier „stahl“ er „dem Nachbar Spargel, dem Meister Aepfel" und erhielt die wohlverdienten Schläge dafür. Noch im Alter mußte er über einen übel abgelaufenen Apfeldiebstahl zugleich zittern und lachen“. Er bereitete seinem Lehrherrn viel Verdruß und hatte oft dessen schwere Hand zu fühlen. Eines Abends war er wieder, durch seine Leichtfertigkeit verführt, über die gestattete Zeit außer dem Hause geblieben; um sich nicht abermaliger Bestrafung auszusetzen, beschloß er, davon zu laufen. Den Kopf voll romanhafter Gedanken lief er auf gut Glück in die Welt hinein.

Auf seiner Jrrfahrt kam Rousseau in das Haus eines katholischen Pfarrers. Dieser war vertraut mit der leichtfertigen und unzüchtigen Frau von Warens, die zu Bern Ehebruchs halber von ihrem Manne geschieden war und sich damals zu Annecy in Sardinien (südlich von Genf gelegen) angesiedelt hatte. Sie war zur katholischen Kirche übergetreten und bemühete sich, auch andere leichtfertige Leute, die mit ihr umgingen, zu demselben Schrite zu veranlassen. Dieser Frau empfahl jener Priester den nun etwa fünfzehn. jährigen Rousseau. Sie nahm ihn auf, sandte ihn aber fofort nach Turin in das römische „Hospiz der Katechumenen“, um dort auf den verabredeten Uebertritt zum Pabstthum vorbereitet zu werden. Er sah hier von Lehrern und Schülern entseßliche Dinge“, blieb aber troß dem, und trat dann 1728 förmlich von der reformirten zur katholischen Kirche über. Sein eigenes Gewissen verurtheilte diesen Schritt. Er sagt von demselben: „Wir fallen endlich in den Abgrund, indem wir zu Gott sprechen: warum hast du mich so schwach gemacht? Aber wider unsern Willen antwortet er uns durch unser Gewissen: ich habe dich zu schwach gemacht, um aus dem Abgrund heraus zu kommen, weil ich dir hinlängliche Stärke verlieb, um nicht hinein. zu fallen."

Sobald Rousseau übergetreten war, entließ man ihn mit wenigem Gelde. Er trieb sich in Turin und anderen Orten umher und suchte sein Brod zu verdienen, so gut es gehen wollte. Meistens war er Diener in vornehmen. Häusern. Den Dienst einer alten Dame mußte er verlassen, weil ein seidenes Band gestohlen worden war, und wenigstens der Verdacht und Schein, als sei er der Thäter gewesen, gegen ihn zeugte. Dann kam er zu dem Grafen von Gouvon; aber auch diesen Dienst mußte er bald wieder verlassen.

Innerlich und äußerlich verkommen kehrt er jeßt zur Frau v. Warens zurück, die indessen nach Chambéry übergesiedelt war. Sie nahm sich seiner abermals an, sandte ihn in ein Priester-Seminar, und als er dieses bald wieder verließ, verschaffte sie ihm Arbeit in einem topographischen Büreau und Verdienst durch Musikunterricht; und in ihrem eigenen Hause ließ sie ihn in der Geschichte, Mathematik und Philosophie, wie auch im Zeichnen unterrichten. Auch Latein lernte er; aber nur mit großer Mühe brachte er es dahin, daß er ein lateinisch geschriebenes Werk lesen konnte. Nur zur Musik hatte er eigentliche Neigung.

Nachdem Rousseau sich dann eine Zeit lang in Lyon umber getrieben hatte, lebte er von 1731–33 als Musiklehrer in Lausanne und Neuenburg; dann abenteuerte er mit einem griechischen Mönche durchs Land, bis er als Führer des jungen Herrn von Godard mit diesem nach Paris ging. Aber gar bald gab er auch diese Stellung wieder auf und versuchte sich dann seit 1736 abermals als Schreiber und Musiklehrer. Aufs neue in Noth gerathen ging er wieder zur Warens, die ihn nun auf ihrem Landgute aur Charmettes unter die Zahl ihrer Geliebten aufnahm. Er war nun Sohn, Liebhaber und Diener in einer Person! Nebenbei beschäftigte er sich mit Schriftstellerei und Opern-Compositionen.

In jener Zeit wurde Rousseau ernstlich krank und sein Gewissen strafte ihn über sein schändliches Leben; aber die,,Mama" tröstete ihn damit, daß die Bibel zu buchstäblich ausgelegt werde, daß es mit der Hölle nichts sei, - daß das Fegefeuer alle Sünden hinweg nehme! Er selbst sagt: „Bei der Warens habe ich die Grundsäße gefunden, um meine Seele gegen die Schrecken des Todes und der Ewigkeit zu schüßen; an dieser Quelle habe ich mit Sicherheit Vertrauen geschöpft." Zwar wollte das Gewissen nochmals aufwachen; aber zwei liebe Jesuiten" beruhigten ihn, so daß er fortan ohne große Gewissensbisse über die Vergangenheit" lebte, und mitten in einem so unschuldigen Leben, wie man es überhaupt nur führen kann“ ,,nie der Wahrheit so nahe war, als in jener glücklichen Zeit". - In jener Zeit war es auch, daß Rousseau einen Versuch machte, über seine Seligkeit Gewißheit zu erlangen. Er nahm einen Stein in die Hand und sagte zu sich selbst: treffe ich jenen Baum, so werde ich selig; treffe ich nicht, so bin ich verloren. Er warf und traf den dicken Baumstamm!

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Um seine gänzlich zerrüttete Gesundheit wieder herzustellen, ging Rousseau 1737 nach Montpellier. Als er genesen war, wollte er zur Warens zurückkehren; aber seine Stelle war bereits erseßt; er war ihr entbehrlich geworden und mußte nun sehen, wie er sein Brod verdienen könnte. Er wurde praktischer Erzieher und Hofmeister bei einem Herrn Mably in Lyon. Wie es ihm dabei erging, soll er uns selber erzählen.

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„Ich hatte ungefähr die für einen Lehrer nöthigen Kenntnisse, und glaubte auch das dazu nöthige Talent zu besizen. Ein Jahr beim Herrn von Mably reichte hin, um mir meinen Jrrthum zu benehmen. Mein sanftes Naturell würde mich für diesen Beruf geschickt gemacht haben, hätte nicht mein Aufbrausen drunter gedonnert. So lange alles gut ging und ich sah, daß meine Sorge und Mühe, woran ichs nicht fehlen ließ, Frucht brachte, so lange war ich ein Engel. Aber ich war ein Teufel, wenn es schlecht ging. Verstanden mich meine Zöglinge nicht, so war ich außer mir; zeigten sie Bosheit, so hätte ich sie gern umgebracht; das war freilich nicht der rechte Weg, sie gelehrt und weise zu machen. Durch Geduld und kaltes Blut hätte ich vielleicht Erfolg gehabt; weil mir aber beides mangelte, so taugte mein Thun nichts und meine Zöglinge geriethen schlecht. Es fehlte mir nicht an Mühsamkeit, wohl aber an einem gleichmäßigen Benehmen und ganz besonders an Klugheit. Ich wandte nur drei Erziehungsmittel an, welche immer unnüß und oft gefährlich für die Kinder sind, nämlich das Rühren, das Ueberreden durch Vernunftgründe und den Zorn. Bald rührte ich mich selbst bis zum Weinen, und wollte dadurch den einen Knaben rühren, als wäre der einer wahren Herzlichkeit fähig; bald erschöpfte ich mich gegen ihn mit Darlegung von vernünftigen Gründen, als wenn er im Stande gewesen wäre, mich zu verstehen; und da er mir zuweilen sehr feine Dinge entgegnete, so hielt ich ihn in allem Ernst für vernünftig, da er doch nur ein Schwäßer Der andere Knabe war noch unbequemer; denn da er nichts verstand,

war.

nichts antwortete, durch nichts gerührt wurde, dazu eine unüberwindliche Hartnäckigkeit hatte, so triumphirte er nie besser über mich, als wenn er mich in Wuth versezte; dann war er der Weise, ich aber war das Kind. Ich sahe alle meine Fehler und fühlte sie; ich studirte meine Zöglinge, durchschaute sie sehr gut und glaube nie, daß sie mich durch ihre List hinters Licht geführt haben; aber was half mirs, das Böse zu sehen, ohne mich aufs Heilen desselben zu verstehen? Während ich alles durchschaute, verhinderte ich nichts und that von Allem, was ich hätte thun sollen, das Gegentheil.“

Freiwillig gab Rousseau seine Hofmeisterstelle wieder auf, kehrte auf kurze Zeit zur „Mama“ zurück und reis'te dann, von ihr abermals reich ausgestattet, wiederum nach Paris, um dort sein Glüď zu versuchen. Er ernährte sich durch Schriftstellerei und durch Compositionen. Durch Réaumur wurde er in die berühmte Pariser Akademie eingeführt, und hier las er 1742 seine Abhandlung über,,die moderne Musik" vor, in welcher er unter anderem die Noten durch Ziffern ersezt haben wollte. Réaumur selbst aber widersprach ihm und behauptete: das Lesen der Ziffern sei eine Verstandes-Operation, die mit der Erecution nicht gleichen Schritt halte. Nachdem Rousseau auch noch eine Oper (,,die schönen Musen") componirt hatte, trat er als Privat-Secretär in die Dienste des Grafen Montaigu, der als französischer Gesandter nach Venedig ging, wo auch er nun 18 Monate lang ein scandalöses Leben führte, das er in seinen ,,Bekenntnissen" in gemeinster Weise beschreibt.

Nach Paris zurückgekehrt nährte er sich wieder durch Operncomponiren, Notenabschreiben und Lustspieldichten, fand dabei aber nur kümmerlich seinen Unterhalt. In einer der Pariser Kneipen, in denen er sich umhertrieb, lernte er damals (1745) eine lüderliche Dirne, ein Schenkmädchen, Therese Le Basseur aus Orleans, kennen, mit der er nun eine sogenannte „wilde Ehe" einging. Dieser Person, die eben so gemein war, wie er selbst, erklärte er:,,sie nie zu verlassen, aber auch nie zu heirathen." Selbst ein Gönner Rousseau's (St. M. v. Girardin, der zugleich ein gelehrter Kenner und Kritiker seiner Schriften war) sagt deshalb von ihm:,,Wir machen aus ihm einen beredten Abenteurer, einen Proletarier von Genie, einen gelehrten Spartacus. Von dem Allen ist er nichts. Er ist ein herunter gekommener Bürger durch seine Verbindung mit einer Herbergsmagd. Es liegt das nicht an seinem Ursprung, sondern an den Irrthümern seines Lebenswandels."— Rousseau selbst bekennt, daß er Therese,,nie geliebt habe", daß ihre Mutter ein eben so robes als verschlagenes Weib" war, und daß er beide überall mit sich herumschleppen" mußte.

Als ihm Therese das erste Kind gebar, schickte er dasselbe gegen den Willen der Mutter ins Findelhaus. Um dieses herzlose, unmenschliche Verfahren zu rechtfertigen, erzählt er:,,Um jene Zeit, da mein erstes Kind geboren ward, habe ich gewöhnlich mit erzlüderlichen Menschen zusammen gegessen, da man denn bei Tisch nur scandalöse Geschichten von betrogenen

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