17. Schiller. Die Kraniche des Jbykus. 1. Zum Kampf der Wagen und Gefänge, Der auf Korinthus Landesenge Der Griechen Stämme froh vereint, Zog 3bykus, der Götterfreund. Ihm schenkte des Gesanges Gabe, Der Lieder süßen Mund, Apoll; So wandert er am leichten Stabe Aus Rhegium, des Gottes voll. 2. Schon winkt auf hohem Bergesrücken Akrokorinth des Wandrers Blicken, Und in Poseidons Fichtenhain Tritt er mit frommem Schauder ein. Bon Kranichen begleiten ihn, Die fernhin nach des Südens Wärme In graulichtem Geschwader zieh'n. 3. Seid mir gegrüßt, befreund'te Scharen! " Die mir zur See Begleiter waren, Zum guten Zeichen nehm' ich euch; 4. Und munter fördert er die Schritte Zum Kampfe muß er sich bereiten, 5. Er ruft die Menschen an, die Götter, Sein Flehen dringt zu keinem Retter; Wie weit er auch die Stimme schickt, Nichts Lebendes wird hier erblickt. So muß ich hier verlassen sterben, Auf fremdem Boden, unbeweint, Durch böser Buben Hand verderben, Wo auch kein Rächer mir erscheint!" 6. Und schwer getroffen sinkt er nieder; Da rauscht der Kraniche Gefieder. Er hört, schon fann er nicht mehr seh'n, Die nahen Stimmen furchtbar fräh'n. Von euch, ihr Kraniche, dort oben, 7. Der nackte Leichnam wird gefunden, 8. Und jammernd hören's alle Gäste, Und stürmend drängt sich zum Prytanen. 9. Doch wo die Spur, die aus der Menge, Der Völker flutendem Gedränge, Gelocket von der Spiele Pracht, Den schwarzen Thäter kenntlich macht? 10. Er geht vielleicht mit frechem Schritte Jezt eben durch der Griechen Mitte, Und während ihn die Rache sucht, 11. Denn Bank an Bank gedränget sitzen, 12. Wer zählt die Völker, nennt die Namen, Die gastlich hier zusammen kamen? Von Theseus' Stadt, von Aulis' Strand, Von Phocis, vom Spartanerland, Von Asiens entleg'ner Küste, Von allen Inseln kamen sie Und horchen von dem Schaugerüste Des Chores grauser Velodie, 13. Der, streng und ernst, nach alter Sitte, Mit langsam abgemess'nem Schritte Hervortritt aus dem Hintergrund, Umwandelnd des Theaters Rund. So schreiten keine ird'schen Weiber; Die zeugete fein sterblich Haus! Es steigt das Riefenmaß der Leiber Hoch über Menschliches hinaus. 14. Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden, Sie schwingen in entfleischten Händen Der Fackel düsterrote Glut; In ihren Wangen fließt kein Blut. 15. Und schauerlich, gedreht im Kreise, Besinnungraubend, herzbethörend Er schallt, des Hörers Mark verzehrend, 16. „Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle Bewahrt die kindlich reine Seele! Ihm dürfen wir nicht rächend nah'n, 17. Und glaubt er fliehend zu entspringen, 18. So singend tanzen fie den Reigen, 19. Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet Doch fliehet vor dem Sonnenlicht. 20. Da hört man auf den höchsten Stufen Auf einmal eine Stimme rufen! „Sieh' da! Sieh' da! Timotheus, Die Kraniche des Jbykus!" Und finster plöglich wird der Himmel, Sieht man in schwärzlichem Gewimmel Ein Kranichheer vorüberziehn. " 22. Und immer lauter wird die Frage, 23. Doch dem war kaum das Wort entfahren, Möcht' er's im Busen gern bewahren; Umsonst der schreckenbleiche Mund Macht schnell die Schuldbewußten kund. Und es gestehn die Bösewichter, Getroffen von der Rache Strahl. Die Sage von dem Jbykus, sowie die von Arion und ähnliche dem griechischen Volke entnommene Sagenstoffe, find alle aus ein und derselben ethischen Quelle entsprungen, sollen alle ein und demselben Gefühle Ausdruck geben: daß nämlich der Sänger in heiliger Hut, in besonderer Gunst der Götter steht, und daß ein Frevel gegen seine ge Heiligte Person unausbleiblich die Rache des Himmels nach sich zieht. Den Griechen, diesem Mustervolke der Kunst und Poesie, war der Sänger ein auserwählter Gesandter des Himmels, der gleich dem Priester im Dienst der Götter stand, deren Feste er durch seine theatralischen Aufführungen, die in Griechenland auch einen religiösen Charakter hatten, verherrlichen und verschönern half. Theater und Tempel waren heilige Orte. In aller Frühe begann man vor den Aufführungen mit reichen Opfern und feierlichen Umzügen und Gebeten das Theater zu weihen und aufs festlichste zu schmücken. Mit andächtigem Sinn, in Feiergewändern und mit bekränztem Haupte lauschten die Zuhörer beim füßen Duft des Opferdampfes den ernsten Worten der Dichter: wie der stolze Übermut gestürzt und das Verbrechen aus grausiger Nacht durch unbegreifliche Verschlingungen an das Licht des Tages gezogen wird, wie die Schuld neue Schuld gebiert, die Sünde der Väter an |