ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

5. Voz.

Voß hat mit Klopstock die Energie des Charakters, die männliche Selbständigkeit und feste Abgeschlossenheit gemein. In Armut geboren, hatte er eine mühselige Jugend durchlaufen müssen, war er von früh an genötigt gewesen, durch Kampf hindurch sein ärmliches Fahrzeug zu steuern. Als Schüler wie als Student mußte er sich selbst die Mittel zu seinen Studien durch Arbeit und Fleiß zu verschaffen suchen. Dies gab ihm schon früh jene Festigkeit des Geistes, die den Mut nie verliert und den Wert des Lebens in etwas Anderes sezt, als in Glanz und äußere Dinge. Auch sein späteres Leben war ein Kampf gegen beengenden Druck; dennoch bewahrte er sich den heiteren Grund, auf welchem das Leben eines Dichters ruhen soll. Die Begeisterung für die Poesie konnte ihm durch nichts zerstört werden. Seine ausharrende Anhänglichkeit an die Dichtkunst bei aller Mühe und Arbeit ist wahrhaft rührend. Sie hob sein Herz über das Alltägliche weit empor. 3ch fühle,“ sagt er, „daß Himmelsfreuden ohne leibliche Glückseligkeit sein fönnen.“

"

Der Sinn für Rhythmus und für das Reale war ihm gleichsam angeboren. Schon als Schüler lieferte er poetische Arbeiten, darunter Idyllen in Hexametern; auch ward er schon damals der Stifter einer Gesellschaft, die neben Latein und Griechisch sich auch um die Kenntnis der deutschen Litteratur bemühete. Den Horaz übertrug er ins Deutsche; aus der Bibel lernte er die alte Kraft unserer Sprache, die sie in der Berbildung verloren hatte, aus Homer die Liebe zu dem Einfachen und Natürlichen, aus Theokrit die Anregung zu Idyllendichtungen. Durch Klopstock zur Übersetzung des Homer veranlaßt, hat er mit dieser Ar= beit der Litteratur einen großen Dienst erwiesen. Er brachte," sagt Gervinus, „durch diese Übersetzung zu der modernen Fülle die Simplicität des Altertums, zu der Ausbreitung, die uns Neuern eigen ist, die Konzentration, und zu der Schrankenlosigkeit, nach der wir ausstreben, die Ordnung und Mäßigung der Alten. Wie mit einem Schlage wurde durch den Homer die so ratlos umgeirrte Dichtung sicherer ge= leitet. Und wie sich das ganze Leben der höheren Klassen plöglich um gestaltete, seitdem der klassische Unterricht menschlicher ward; wie unter der Einwirkung der heitern Kunst und Lehre der Alten der Sinn sich aufschloß, der Geist sich regelte, Geschmack und Schönheitsgefühl fich

"

verbreitete: das lehrt ein Blick, der die Generation an der Scheide des Jahrhunderts mit der vorhergehenden vergleicht.“

Eine so hohe dichterische Begabung wie Klopstock hat Voß nicht, und wenn beide Männer in ihrem Charakter auch vieles mit einander gemein haben, so unterscheiden sich doch beide in ihren poetischen Erzeugnissen wesentlich von einander. Klopstock verliert in seiner Sehnsucht nach dem Unendlichen die Gegenstände seiner Muße gewöhnlich aus dem Auge; die Empfindung gewinnt bei ihm stets die Oberhand, so daß sie, rantendem Epheu gleich, sich um die Objekte seiner Dichtung schlingt und diese zu ersticken droht; Voß dagegen haftet mit liebendem Blid an den realen Gegenständen bis ins fleinste Detail; seine Sphäre ist das bescheidene Glück einfacher Menschenkreise und volkstümlicher Charaktere. Er ist daher auch der Eröffner der mundartlichen Lyrik ge= worden, die später durch Hebel und in neuerer Zeit durch Klaus Groth und Friz Reuter weiter gepflegt wurde. Schon in Göttingen dichtete er, angeregt durch Herders Schriften, ebenso wie Hölty neben Oden volkstümliche Lieder. Am meisten fühlte er sich jedoch zur Idylle hingezogen. Hier liegt auch seine Bedeutung; hier ist er ganz Dichter! Von Kindheit auf hatte er, wie Hölty, mit liebevollem Blick auf den Reizen der stillen, ländlichen Natur, dieser ewigen Jdylle, verweilt, hatte als Mann, fern vom Geräusch der Welt, Jahre lang in dem kleinen Otterndorf ein idyllisches Stillleben in glücklichster Genügsamkeit geführt, nach geistiger Anstrengung am liebsten seine Erholung in der Bearbeitung feines Gartens, in der Frische und den Freuden der Natur und im Umgange einfacher, kerngesunder Menschen gesucht, so daß wir uns nicht wundern dürfen, wenn die idyllische Dichtung sein ganzes Leben hindurch seine Lieblingsbeschäftigung ward und unter allen seinen Dichtungen ihm den Preis erwarb.

Seine Jdyllen haben einen bei weitem tieferen Gehalt, als die seiner Zeit so beliebten Schäferidyllen, deren Verfasser sich wie die Bardenfänger in Luftgebilde von Urzuständen hineinträumten, die nie existiert haben. Diese phantastischen, auf einer inneren Unwahrheit ruhenden Gebilde, welche weder in dem Gesamt noch in dem Privatleben des Volkes wurzelten, konnten daher auch die Neigung des Volkes auf die Dauer nicht erhalten. Sie trugen den Keim des Todes in sich. Boß' Idyllen wurzeln in Anschauungen des wirklichen Lebens unserer eigenen Nation und sind teine wesenlosen Schattengebilde. Voß war ferner auch der erste, der es wagte, die Versart der homerischen Odyssee auf Familienscenen des deutschen Stilllebens, auf die gemütlichen Zustände seiner Umgebung anzuwenden. Ein Größerer als er, Goethe, brachte dann das idyllische Epos „Hermann und Dorothea" in dem= selben Versmaße, in welchem Voß seine Luise geschrieben hatte. Diesem gebührt aber das Verdienst, dazu angeregt zu haben, wie denn überhaupt die Luise auf die Entwickelung der Poesie die nachhaltigste Wirkung ausgeübt hat. „Es war das erstemal," sagt Julian Schmidt in seiner

Litteraturgeschichte, „daß ein größeres, poetisches Werk das kleine Stillleben des Bolts zum Gegenstand nahm. Bei den krampfhaften Zuckungen des Lebens in den Städten war es natürlich, daß man sich zunächst auf das Dorf begab, um das echte Volk aufzusuchen. Hier bringt es die Natur der Berhältnisse mit sich, daß die Zustände einfacher und demnach auch der Antike verwandter bleiben, und wenn man nicht ganz der herrschenden Bildung entgehen will, so ist das idyllische Dasein eines Landpastors der würdigste Gegenstand für Genremalerei. In neuerer Zeit sind wir durch größere Virtuosität in der Detailmalerei gegen diese anspruchslosen Skizzen blastert; damals aber war es ein sehr reales Berdienst, das Idyll aus der ätherischen Schäferwelt ins bürgerliche Leben abzulenken. Die Luise gehört zu den Schriften, die dem deutschen Bolk zuerst Gefallen an sich selbst eingeflößt haben. Wenn man das nur in der Erinnerung behält, so mag man gern zugeben, daß die Weitschweifigkeit der Erzählung, das höchst prosaische Behagen an Essen und Trinken, so wie die nüchterne, rationalistische Weisheit zuweilen recht unerquicklich ist."

Wenden wir uns nun zur Betrachtung des sije benzigsten Geburtstages, der schönsten Idylle unseres Dichters, in welche eine solche Fülle altehrwürdiger, deutscher Gemütlichkeit und Frömmigkeit ausgegossen ist, daß wir unwillkürlich ausrufen: In diesem Kreise froher und glücklicher Menschen möchtest du mit froh sein! Wie heimelt schon die Stube an mit ihrem pruntlosen Hausrate, mit ihrem grünen Klavier, ihrem schnurrenden Spinnrade und ihrem Käßchen, das sich pußt, als wollte es auch den Geburtstag mit feiern helfen. Welch' ein warmer Hauch deutscher Gemütlichkeit liegt ferner darin, daß der treue Wächter des Hauses heute Geburtstagsbrocken bekommt, damit er die Freude der Familie teile, und daß die Fliegen, welche in der Stube sich vorfinden, verschont wurden zur Wintergesellschaft. Welch' wohlthuendes Gottvertrauen, welch' innige Eltern- und Kindesliebe, welch' patriarchalisches Zusammenleben mit dem Gesinde tritt außerdem in dem köstlichen Gemälde uns entgegen. Diese Elemente bilden den eigentlichen Kernpunkt der Idylle und geben ihr die höhere Weihe, ohne daß dabei der natürliche, volkstümliche Grund und Boden verlassen und ein überschwengliches, selbstersonnenes Nebelbild hingestellt würde. Es werden zu der bevorstehenden Geburtstagsfeier keine großen Opfer gebracht, und doch ist dieselbe reicher an herzerquickenden Freuden, als so manche prunkvolle Festlichkeit, die einer gepußten, frostigen Menge zum Schauspiel geboten wird. Beredter und eindringlicher hat niemand das Glück des häuslichen Herdes geschildert, als Voß im siebenzigsten Geburtstage", und dieses Glück, das kein äußerer Glanz erfeßen kann, läßt er aus der Einfalt des Herzens, aus der Treuherzigkeit und Reinheit des deutschen Gemüts entquillen, das auch dem Winter Reize abzugewinnen

[ocr errors]

und in dieser Jahreszeit selbst das Grün der Blätter und den Duft der Blüten in die Stube zu zaubern weiß. Mit glücklichem Griff hat der Dichter eine Scene aus dem Leben eines alten Dorflehrers, der zugleich Küster ist, gewählt, wie er in der „Luise“ mit ebenso glücklichem Griff das Leben eines Landpfarrers zu einer Idylle in größerem Maßstabe gestaltete. Beide Männer stehen in der Mitte zwischen dem ungebildeten Natur- und dem überfeinerten Kulturmenschen; beide fühlen sich in dem engen, ihnen angewiesenen Kreise, über den sie nicht hinausstreben, den sie aber voll und ganz ausfüllen, glücklich und zufrieden, was eine Hauptbedingung für ein idyllisches Stillleben ist, das weder in weichen, sentimentalen Empfindungen schwelgt, noch in erträumter Unschuld sich bewegt, sondern auf treuer Pflichterfüllung beruhet, die allein eine dauernde Befriedigung gewährt, eine Befriedigung, die weder der ungebildete Naturmensch, noch der anspruchsvolle und überfeinerte Kulturmensch kennt, dem schließlich alles „nichts“ ist. Durch die „Luise“ und durch den siebenzigsten Geburtstag" hat Voß die Idyllendichtung nicht nur in die richtige Bahn gelenkt, er hat auch in denselben die Grundbedingungen zu einem wahren und glücklichen Familienleben eindringlich und warm dargelegt. Sein siebenzigster Geburtstag", der mehr noch als die Luise" aus einem Guß ist, wird in jeder Hinsicht für alle Zeit eine köstliche Perle in unserer Litteratur sein und bleiben.

"

"

Der siebenzigste Geburtstag.

Auf die Postille *) gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens, Saß der redliche Tamm in dem Lehnstuhl, welcher mit Schnigwerk Und braunnarbigem Jucht voll schwellender Haare geziert war: Tamm, seit vierzig Jahren in Stolp, dem gesegneten Freidorf, **) Organist, Schulmeister zugleich und ehrsamer Küster,

Der fast allen im Dorf, bis auf wenige Greise der Vorzeit,
Einst Taufwasser gereicht und Sitte gelehrt und Erkenntnis,
Dann zur Trauung gespielt und hinweg schon manchen gesungen.
Oft nun faltend die Händ', und oft mit lauterem Murmeln
Las er die tröstenden Sprüch' und Ermahnungen. Aber allmählich
Starrte sein Blick, und er fant in erquickenden Mittagsschlummer.
Festlich prangte der Greis in gestreifter kalmankener ***) Jacke;
Und bei entglittener Brill' und filberfarbenem Haupthaar
Lag auf dem Buche die Müße von violettenem Sammet,
Mit Fuchspelz verbrämt und geschmückt mit goldener Troddel.

*) Postille, ein Predigtbuch über die Sonn- und Festtagsevangelien. Der Name fommt von den lat. Worten post illa b. i. nach jenen (verba) Worten des Textes, welche früher in Büchern dieser Art standen.

[ocr errors]

**) Freidorf Dorf von nicht leibeigenen Bauern bewohnt.
***) Kalmanten wollenes, wie Damast gewobenes Zeug.

Denn er feierte heute den fiebzigsten, frohen Geburtstag,
Froh des erlebten Heils. Sein einziger Sohn Zacharias,
Belcher als Kind auf dem Schemel gepredigt und, von dem Pfarrer
Ausersehn für die Kirche, mit Not vollendet die Laufbahn
Durch die lateinische Schul' und die teuere Akademie durch,
Der war jest einhellig erwähleter Pfarrer in Merlig

Und seit kurzem vermählt mit der wirtlichen Tochter des Vorfahrs.
Fernher hatte der Sohn zur Verherrlichung seines Geburtstags
Edlen Tobal mit der Fracht und stärkende Weine gesendet,
Auch in dem Briefe gelobt, er selbst und die freundliche Gattin,
Hemmeten nicht Hohlweg' und verschneiete Gründe die Durchfahrt,
Sicherlich kämen sie beide, das Fest mit dem Vater zu feiern
Und zu empfahn den Segen von ihm und der würdigen Mutter.
Eine versiegelte Flasche mit Rheinwein hatte der Vater

Froh sich gespendet zum Mahl und mit Mütterchen auf die Gesundheit
Ihres Sohne Zacharias geklingt und der freundlichen Gattin,
Die sie so gern noch sähen und Töchterchen nennten und bald auch
Mütterchen, ach! an der Wiege der Entelin oder des Entels!
Viel noch sprachen sie fort von Tagen des Grams und der Tröstung,
Und wie sich alles nunmehr auflös' in behagliches Alter:

"

Gutes gewollt, mit Vertraun und Beharrlichkeit, führet zum
Ausgang!
Solches erfuhren wir selbst, du Trauteste; solches der Sohn auch!
Hab' ich doch immer gesagt, wenn du weinetest: Frau, nur geduldig!
Bet' und vertrau'! Je größer die Not, je näher die Rettung!
Schwer ist aller Beginn; wer getrost fortgehet, der kommt an!"

Feuriger rief es der Greis und las die erbauliche Predigt
Nach, wie den Sperling ernähr' und die Lilie kleide der Vater.
Doch der balsamische Trank, der altende, löste dem Alten
Sanft den behaglichen Sinn und duftete füße Betäubung.

Mütterchen hatte mit Sorg' ihr freundliches Stübchen gezieret,
Wo von der Schule Geschäft sie ruheten und mit Bewirtung
Rechtliche Gäst' aufnahmen, den Prediger und den Verwalter;
Hatte gefegt und geuhlt*) und mit feinerem Sande gestreuet,
Reine Gardinen gehängt um Fenster und luftigen Alkov,
Mit rotblumigem Teppich gedeckt den eichenen Klapptisch
Und das bestäubte Gewächs am sonnigen Fenster gereinigt,
Knospende Ros' und Levkoj' und spanischen Pfeffer und Goldlack,
Samt dem grünenden Korb Maililien hinter dem Ofen.
Ringsum blinkten gescheuert die zinnernen Teller und Schüsseln
Auf dem Gesims'; auch hingen ein Paar stettinische Krüge,
Blaugeblümt, an den Pflöcken, die Feuerkieke **) von Messing,

*) uhlen heißt: mit der Uhle, dem borstigen Wandbesen, Staub und Spinngewebe abfegen.

**) D. i. ein Feuerbehälter zum Erwärmen der Füße.

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »