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poetischer Stücke eine Mißhandlung derselben ist und den Schüler für die Poesie nicht erwärmen kann, braucht nicht erst gesagt zu werden. Dasselbe geschieht, wenn die poetischen Stücke in der trockenen Weise besprochen werden, wie man Pflanzen zu besprechen pflegt, sie wie diese schablonenartig zergliedert, ihren poetischen Duft verwischt, statt ihren Eindruck zu einem intensiveren und nachhaltigeren zu machen. In die Tiefe des Gemüts dringen solche, ohne poetische Empfindung und ohne poetische Phantasie ausgeführte Besprechungen nicht. Und doch ist gerade die Pflege des Gemüts von der höchsten Bedeutung und von der größten Wichtigkeit. Das Gemüt ist die Stätte des Gewissens, und je mehr es beim Unterricht leer ausgeht, desto weniger wird die sittlich-religiöse Natur des Kindes gefördert. Wie nahe ver= wandt die Poesie, ja die Kunst überhaupt der Religion ist, geht schon daraus hervor, daß keine Religion die Kunst entbehren kann, und daß alle Künste aus der Religion ihren Ursprung genommen haben. Der krasse Materialismus unserer Tage enthält zumal eine ernste Mahnung, für alles zu erwärmen, was geeignet ist, unserem Volke die ideale Richtung des Gemüts nicht verloren gehen zu lassen. Die Litteraturstunden können dazu wesentlich beitragen, wenn sie das, was aus der Begeisterung für das Hohe, Edle und Schöne entsprungen ist, auch dem entsprechend behandeln.

Noch sei bemerkt, daß ich von der Mitteilung der aufgefundenen Quellen, welche diesem und jenem Gedichte zu Grunde liegen, absichtlich nur einen mäßigen Gebrauch gemacht habe. Es hat die Mitteilung solcher Quellenforschungen nur dann Wert für den Unterricht, wenn dabei zugleich nachgewiesen wird, weshalb der Dichter diesen und jenen Zug, den er vorfand, veränderte oder ganz wegließ; weshalb er Züge, welche die Quelle nicht enthält, Hinzufügte c., und warum dadurch erst ein poetisches Kunstwerk zu stande kam. Sicherlich ist das eine fruchtbare Übung; bei der für die Litteratur knapp zugemessenen Zeit aber nur sparsam anzuwenden. Unterbleiben die angedeuteten Vergleiche und Nachweise, so ist die bloße Mitteilung der Quelle nur Ballast, der ohnedies schon reich genug in den Schulen vertreten ist. Litteraturgeschichtliche Bemerkungen habe ich ebenfalls nur wenige eingeflochten. Ganz übergehen kann man die Zeit, in der die Dichtungen entstanden, bei der Besprechung derselben nicht, will man dem Dichter gerecht werden. Die Hauptsache ist und bleibt indes immer das Lesen und Erläutern der Stücke selbst. Es ist in mehr als einer Hinsicht verwerflich, wenn man den Schüler über Dichter und litteraturgeschichtliche Perioden Urteile fällen läßt, ohne daß er die Produkte derselben, wenn auch nur annähernd, kennt.

Einleitung.

Die schweren Kämpfe, welche das deutsche Volk nach innen wie nach außen hat durchmachen müssen, um seine lang gehegte Sehnsucht nach staatlicher Einheit in Erfüllung gehen zu sehen, haben das Nationalgefühl desselben so gekräftigt, daß dadurch alle Gebiete des staatlichen Lebens mehr oder weniger in einen Umwandlungsprozeß hineingezogen sind. Auch die Schulen sind davon nicht unberührt geblieben. Entschiedener als früher tritt heutzutage die Forderung an sie heran, der Vaterlandsliebe mit ihren schweren Pflichten und Diensten die ihr innewohnende sittlich-religiöse Weihe zu geben, der deutschen Geschichte, der deutschen Sprache und Litteratur einen Platz in erster Linie anzuweisen und das Fremde in keiner Disziplin so in den Vordergrund zu stellen, daß dadurch das Einheimische beeinträchtigt oder vernachlässigt wird. Auch die Schulen sollen das Wort Schillers zur Geltung bringen: „Ans Vaterland, ans teure, schließ' dich an, das halte fest mit deinem ganzen Herzen! Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft!“ Ist doch gerade unser Volk am meisten geneigt gewesen, dem Ausländischen ein größeres Interesse zu widmen, als dem Einheimischen, und noch heute fügen fich diejenigen, denen selbständiges Denken und Stärke des Charakters abgeht, mit überraschender Leichtigkeit jedem Umschwunge in den Sitten, Moden und Meinungen, wenn sie von außen kommen. Es hat dieses seine Licht- und seine Schattenseite: seine Lichtseite, indem wir dadurch bewahrt geblieben sind, uns in unsere Nationalität, so zu sagen, zu bornieren, seine Schattenseite, indem wir oft nachahmten und aufnahmen, was nicht verdiente aufgenommen zu werden. Das Gute und Schöne, welches wir bei andern Völkern finden, wollen wir nicht ignorieren, wollen uns aber auch vom Grunde des Herzens dessen erfreuen, was wir Gutes und Besseres haben. Dahin gehört vor allem unsere Litteratur, die zur Weltlitteratur geworden ist, und die nicht nötig hat, vor der englischen, noch weniger vor der französischen die Segel zu streichen. Lange genug ist dieselbe in den Schulen vernachlässigt worden, weil uns das lebendige Nationalgefühl fehlte. Einigen gilt sie noch heute als Luxusartikel. Solchen

gegenüber thut es not, daran zu erinnern, daß ein Volk, wenn es seine Litteratur verachtet, worin seine edelsten Gedanken und Empfindungen niedergelegt sind, gar nicht tiefer sinken kann, und daß ein Volk, welches gar keine Litteratur hat, auf der niedrigsten Stufe der Kultur steht.

Es ist aber nicht allein der nationale Gesichtspunkt, welcher der Besprechung von klassischen Stücken unserer Litteratur eine hohe Bedeutung verleihet, nicht minder hoch anzuschlagen ist die ethische Seite, welche diesen Besprechungen bei einer richtigen Auswahl und bei einer richtigen Behandlung der Stoffe innewohnt. Dieselben tragen wesentlich dazu bei, das Herz der Schüler mit inhaltsvollen Gedanken und hohen, edlen Empfindungen zu bereichern, den sittlichen Glauben und das sittliche Handeln zu stärken, Mannesmut und Mannesehre zu pflegen, das Walten einer ewigen Gerechtigkeit und unverleglichen Heiligkeit zu offenbaren, das Urteil zu schärfen, das Gemüt zu erwärmen, die Phantasie zu veredeln und dem Geiste das Verständnis für eine ideale Richtung des Lebens zu eröffnen. Was dem deutschen Volke von jeher die Ehre und die Treue gegolten, worin es das Glück des häuslichen. Lebens gesucht 2c., wo könnte dieses dem Schüler eindringlicher zu Gemüte geführt werden, als in derartigen, aus dem eigensten Wesen des deutschen Volkes entsprungenen, poetischen Stoffen?! Und welch' eine reiche Zahl von Hochbildern deutschen Wesens wird ihm da geboten! Für alle Altersstufen, für alle Schulen, von der Volksschule bis zu den Gymnasien liefert unsere Litteratur das ausgiebigste Material. Wird der Geist in seinen Bildungsjahren von solchen Stoffen fern gehalten, so bleibt eine erschreckende Lücke und Leere in der Herzens- und Willensbildung, die weder die Arithmetik und Mathematik, noch die Naturgeschichte und Geographie ausfüllen können, würden dieselben auch noch mehr gepflegt, als es geschieht.

Die ersteren können wohl an eine gewisse Präcision des Denkens gewöhnen und zur Aufmerksamkeit zwingen, aber ihnen liegt alles fern, was außerhalb der nüchternen Welt der reinen Anschauung von Zahlen und Figuren sich bewegt, also das Leben mit seinen unberechenbaren und mannigfaltigen Konflikten, die nur das sittliche Denken und Handeln, aber nicht das formulierte Verfahren der Arithmetik und Mathematik lösen kann. Goethe sagt

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