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VI. Die übrigen Personen.

Wir sahen, wie unangenehm es Jacobi war, dass man in seinem Roman deutlich wirkliche Verhältnisse durchsah. Ein berühmter Maler um in dem Gleichnisse Jacobi's zu bleiben wird sehr ungern zugleich mit seinem idealen Gemälde die Photographieen der Modelle bekannt machen, aber es schadet weder ihm noch der Kunst, wenn später, nach seinem Tode und dem Tode derjenigen Menschen, die ihm als Modell gesessen haben, die Porträtbilder dieser Modelle bekannt gemacht, und wir somit unmittelbar in die Werkstatt des Künstlers eingeführt werden. Es scheint mir daher zur Freiheit der Forschung zu gehören, dass wir nicht blos kurz die Hauptzüge der Personen des Romans zu zeichnen suchen, sondern uns auch in dem Kreise Jacobi's selbst nach den Modellen umsehen. Es braucht nicht wiederholt zu werden, dass damit weder Jacobi's Kunst der Darstellung, noch dem Tiefblick des Geistes zu nahe getreten wird.

Die Sache bleibt immer dieselbe. Wer mit heutigen Schriftstellern und dem Kreise ihrer Erlebnisse und Beobachtungen bekannt ist, wird wissen, dass die Paar guten Romane, die sich vornehm aus dem Meere des Unbedeutenden hervorheben, eben gerade dadurch gut sind, dass der Schriftsteller in sich und anderen wirklichen Menschen, mit denen ihn sein Schicksal zusammenbrachte, die ächten Modelle fand, während die Romanscribenten aus Papiermenschen wieder Papiermenschen drehen.

1. Clerdon.

Clerdon ist der idealische Jacobi selbst; dass aber bei einer so trefflichen und bedeutenden Persönlichkeit, wie Jacobi war, viele Züge dem Ideale ungemein nahe kamen und daher ohne weitere Aenderung als solche der idealen Zeichnung eingefügt werden konnten, leuchtet ein. Nimmt man die Urtheile über Jacobi zusammen, die die Freunde seines langen Lebens über ihn abgegeben haben, so kommt die Clerdonfigur heraus: Jacobi schilderte sich, wie er gern hätte sein mögen; da er aber bei seinem ununterbrochenen Streben, sich zu bessern, wirklich oft so war, wie er zu sein wünschte, so konnte er dem Vorwurf nicht entgehen, er schildere sich selbst. Dadurch wurde er bestimmt, später an einer Reihe von Stellen, auf die wir hinweisen, der Clerdongestalt etwas von ihrer idealen Trefflichkeit zu nehmen.

Clerdon ist seiner äusseren Stellung, seinen häuslichen Verhältnissen, seinen Grundansichten und Grundstimmungen nach Jacobi selbst; Clerdon's Verhältniss zu Allwill, zu Sylli, Amalia und den Cousinen ist im Grossen und Ganzen das Verhältniss Jacobi's zu Goethe, Johanna Fahlmer, zu seiner Frau und zu seinen Halbschwestern Helene und Charlotte.

Clerdon ist Regierungsrath, Jacobi Hofkammerrath. Beide treten in ihrer amtlichen Thätigkeit für liberale Reformen ein und verfechten dieselben der Regierung gegenüber mit Freimuth und Unbestechlichkeit. Man lese den Brief, Lenore von Wallberg an Sylli (T. M. 76, 2, 58–65). Eine vornehme „Rotte" wollte Unehre und Dürftigkeit auf wackere Bürger verhängen. Der einzige Clerdon" hielt bei den Unglücklichen Stand und verfocht die Sache derselben nicht ohne Gefahr und Verlust aus allen Kräften. Er siegt bei Hofe. Ebenso hat er „die Eingesessenen eines Amtes von einem fast unausstehlichen Druck, worunter sie seit siebzig Jahren sich gekrümmt, kürzlich losgekämpft und losgebettelt." Deputationen der Bürger bringen

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ihm ihren Dank, den er in seiner schwermüthigen Stimmung abzuwehren sucht. „O des unbegreiflichen Zweiflers!" ruft Lenore über ihn aus.

So heisst es von Jacobi (J. a. B. I, V., S. XIII): „Seine bedeutendste Aufgabe wurde das Zollwesen; und es gelang ihm, jedoch erst nach langem Streit, den bergischen Reinzoll auf einen für die Staatskasse ergiebigeren und gleichwol für die Schifffahrt minder lästigen Fuss zu setzen." Vergl. Jacobi an Sophie la Roche, 14. Dez. 74 (J. a. B. I, 197). Zeitlich nicht hieher gehörend, aber diesen gemeinsamen Clerdon-Jacobi'schen Zug bezeichnend, ist Jacobi's freimüthiges Auftreten zu München im Jahre 1779, in Folge dessen er eine beträchtliche Einbusse an seinem Gehalt erlitt. Doch drang er in einem Punkte durch (J. a. B. I, V. XVII): „Die Verordnung über die Maierschaftsfristen, durch welche die Hintersassen der Kammer in Baiern die Befugniss erlangten, eine der drückendsten und in der That widersinnigsten Abgaben, das Handlohn, in eine beständige, jährliche Leistung umzuwandeln, ist eigentlich sein Werk." Der obige Brief, in welchem Clerdon's Verdienste um das gemeine Wohl in ein so helles Licht gestellt werden, steht nur im deutschen Merkur. Als man allgemein in Clerdon Jacobi selbst gezeichnet fand, liess Jacobi diesen Brief nicht mehr abdrucken, um sich nicht dem Verdachte der Eitelkeit auszusetzen. Vergl. J. a. B. I, 238, Anmerkg.

In Clerdon's Briefen finden sich Stellen aus Briefen Jacobi's an seine Freunde. Die Stelle,,Clerdon an Sylli" (J. W. I, 26): ,,Mit dem ersten Blick der Sonne - grosse, offene Erde" steht fast wörtlich im Briefe Jacobi's an Goethe, 26. Aug. 74 (J. u. G., S. 32): „Am verwichenen Sonntag, sitzend am Fenster meines Wallzimmers, schauend bey hellem Sonnenglanz rund um mich her in die vor mir verbreitete herrliche Gegend, schoss mir auf einmal, wie ein Blitz, in die Seele der Gedanke, welch ein sündlich Wesen es doch sey, diese herrliche Pracht Gottes so, über Wäll und Gräben hin, nur zu beschielen; nur etwa am

Abend ein wenig daran vorbeyzuschleichen, da doch nichts wehre, sich hineinzulagern in diese Herrlichkeit ganze Tage lang; sich anzukleiden über und über in dieser Pracht Gottes; zu geniessen das Seinige, den weiten, offenen Himmel und die grosse, offene Erde:"

Ebenso die folgende Stelle: „Ich raffte mich zusammen Lust und Macht zu leben" steht in demselben Briefe Jacobi's an Goethe: „Am Dienstag, bei Anbruch des Tages, zogen wir aus und nahmen Besitz von den grünen Wiesen und von den rieselnden Bächen, und von den schattichten Höhen; und es hüpfte in unserem Blut, und trotzte in unserem Gebein, und pochte auf unseren Busen, und schauerte in unseren Haaren, und jauchzte, sang und klang in jeder unserer Nerven Liebe, Lust und Macht zu leben."

Die Stelle,,Clerdon an Sylli" (J. W. I, 25): „Früh mit dem Morgen ewiges Bleiben in Liebe" ist zum Theile wörtlich zu finden im Briefe Jacobi's an Goethe, 21. Okt. 74 (J. u. G., S. 53):,,Gleich beim Erwachen heute früh fuhr mir über's Angesicht der Schauer, von dem Du weisst, wie er hinabzittert, eindringt, zum auflösenden Leben wird im Busen, und den ganzen Erdensohn tödtet. Tod, schöner himmlischer Jüngling!" Damit vergl. auch Jacobi an Wieland, 13. Nov. 74 (J. a. B. I, 93).

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In Clerdon's Briefen herrscht eine resignirte Grundstimmung, er ist wirklich der „Papa Allwill," der gemässigte, gereinigte, aber schwermüthige Allwill. Da, wie wir sehen werden, die Briefe Sylli's ganz in derselben Stimmung gehalten sind, so vervollständigen sie die Schilderung Clerdon-Jacobi's. Aus Clerdon's Briefen hebe ich besonders hervor J. W. I, 14-15:,,Dass diese Welt so weit ist - was ihn niederwerfen sollte, richtet ihn in die Höhe, unterstützt ihn, giebt ihm Halt," und J. W. I, 53-54:,,Dornen malmen, sie zu Flaumenfedern wühlen, lernte ich lang mit einer verrenkten Hüfte schleppen."

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In den philosophischen Gesprächen, die hauptsächlich

zwischen Clerdon und Cläre geführt werden (J. W. I, 113–149), erkennen wir wieder die tiefsinnige Art geistiger Unterhaltung in Jacobi's Hause. Diese Gespräche behandeln die wichtigte erkenntniss-theoretische Frage, die Frage nach der Realität der Dinge. Weder Zweck noch Begrenzung dieser literar-historischen Untersuchung gestatten, näher auf den philosophischen Theil des Romans einzugehen, in welchem schon die Grundansichten des Philosophen Jacobi in erkenntniss - theoretischer Beziehung im Keime vorhanden sind.

Näher werden wir mit Clerdon bekannt, wenn wir ihn in Beziehung auf seine Umgebung betrachten und damit zugleich die Personen derselben in's Auge fassen.

2. Sylli.

Zuerst sein Verhältniss zu Sylli. Sylli ist Johanna Fahlmer. Wir haben jetzt ein authentisches Zeugniss dafür. In dem Jacobi'schen Nachlasse 1), aus welchem Zoeppritz zwei Bände edirte (Leipzig, 1869), findet sich ein ungedruckter Brief Jacobi's an Jean Paul, München, 20. Aug. 1806: „Die Schlosserin (sie sass mir zur Sylli) ist seit sechs Wochen bey mir mit ihrer Tochter." Diese Aeusserung scheint im Gegensatz zu stehen mit dem, was Jacobi 18. März 76 (J. a. B. I, 237) an Sophie la Roche über Sylli schreibt: ,,So hat mir z. B. kein sterbliches Wesen zu meiner Sylli gesessen. Als ich die Briefe, welche ihren Namen tragen, schrieb, befand ich mich in einer Situation, wo mir alles, was ich sie sagen liess, geradeswegs aus eigenem Herzen kam." Wie sich im Romane Clerdon in vollständiger, geistiger Harmonie mit Sylli befindet, so Jacobi mit Johanna Fahlmer. So schreibt Jacobi, 11. Okt. 96 (J. a. B. II, 238), über seinen Allwill: Il y a à présent 21 ans, que j'ai commencé à publier ce recueil de lettres. Mon âme alors était

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1) Derselbe ist mir von der Familie Zoeppritz zur Benutzung gütigst überlassen worden.

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