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Wir stimmen diesen Sätzen durchaus bei und finden sie unzweideutig durch den Dichterfürsten selbst bestätigt. „Das allgemein Menschliche entwickelt sich aus jedem edlen Gemüt, das mit Ruhe auf sich wirken lässt und aus sich selbst heraus wirkt (an Schultz, 9. August 1823). Die letzte Quelle des allgemein Menschlichen aber, in dem alle Sittlichkeit wurzelt, ist Gott. (Vgl. Abschnitt I dieser Schrift.) Und dieser ist es auch, der auf das anerschaffene Element der Sittlichkeit weiter wirkt: ihn sollen wir bitten um ein reines Herz (18,131), ihn anflehen beim Handeln und Dichten, uns die Richte zu geben" (4,8 u. 9). Hierin liegt die moralische Weltordnung (29,186), wovon weiter unten.

„In unsers Busens Reine wogt ein Streben,
Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträtselnd sich den ewig Ungenannten;
Wir heissen's: fromm sein" (1,87).

Der Mensch, wie sehr ihn auch die Erde anzieht mit ihren tausend und abertausend Erscheinungen, hebt doch den Blick sehnend zum Himmel auf, der sich in unermessenen Räumen über ihn wölbt, weil er tief und klar in sich fühlt, dass er ein Bürger jenes geistigen Reiches sei, wovon wir den Glauben nicht abzulehnen noch aufzugeben vermögen" (M., 29. April 1818). „Der Verstand reicht nicht zur Natur hinauf; der Mensch muss fähig sein (der Zulängliche, Wahre und Reine), sich zur höchsten Vernunft erheben zu können, um an die Gottheit zu rühren, die sich in Urphänomenen, physischen wie sittlichen, offenbart, hinter denen sie sich hält, und die von ihr ausgehen" (E., 2,47).1)

1) Urphänomene nennt Goethe gewisse Erscheinungen, weil nichts in der Erscheinung über ihnen liegt, sie dagegen völlig geeignet sind, dass man stufenweise von ihnen herab bis zu dem gemeinsten Falle der täglichen Erfahrungen niedersteigen kann. Der Naturforscher lasse die Urphänomene in ihrer ewigen Ruhe und Herrlichkeit dastehen; der Philosoph nehme sie in seine Region auf, und er wird finden, dass ihm nicht in einzelnen Fällen, allgemeinen Rubriken, Meinungen und Hypothesen, sondern im Grund- und Urphänomen ein würdiger Stoff zur weiteren Behandlung und Bearbeitung überliefert werde" (35,135).

Wenn G. aber einerseits das allgemein Menschliche stark betont, so legt er doch anderseits auf die Einzelpersönlichkeit nicht minder grosses Gewicht. Sie ist ihm höchstes Glück der Erdenkinder; sie erhebt ihn, wie er in Kants Sinn sich äussert, über sich selbst als einen Teil der Sinnenwelt und knüpft ihn an eine Ordnung der Dinge, die nur der Verstand denken kann; er bestimmt sie als die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus der ganzen Natur, doch zugleich als Vermögen eines Wesens betrachtet. In der eigenen Persönlichkeit findet der Dichter die klare Regel des sittlichen Verhaltens.

,,Sofort nun wende Dich nach innen;
Das Centrum findest Du da drinnen,
Woran kein Edler zweifeln mag.
Wirst keine Regel da vermissen;

Denn das selbständige Gewissen
Ist Deiner Sonne Sittentag" (3,192).1)

„Das Gemüt, der eigentliche Sitz des Gewissens, richtet über das Zulässige und Überflüssige weit sicherer als der Verstand" (Empfehlung für Carlyle, 14. März 1828). „Der Wille muss, um vollkommen zu werden, sich im Sittlichen dem Gewissen, das nicht irrt, fügen. Das Gewissen bedarf keines Ahnherrn; mit ihm ist alles gegeben; es hat nur mit der inneren eigenen Welt zu thun“ (19,169). Der Wille vermag allerdings, sich ihm direct zu widersetzen; er kann es zu belügen suchen; aber je moralischer, je vernünftiger der Mensch ist, desto lügenhafter wird er, sobald er irrt; desto ungeheurer muss der Irrtum werden, sobald er darin beharrt.

Der Grundsatz, welcher dabei immer als Ziel dem Menschen vorschweben muss, ist der in den Wanderjahren ausgesprochene: „Handle stets besonnen!" An einer schon erwähnten Stelle des Briefwechsels mit Rochlitz weist G.

1) Auf dem Gebiete der Sittlichkeit, der Religion, des Staates, der Kunst und Wissenschaft verhält sich der Mensch gesetzgebend, hinsichtlich der Sittlichkeit durch Anerkennung der Pflicht, in Handlung und That, die nur von Bedeutung sind, wenn der Mensch sie sich selbst und andern vorschreibt (34,163 f.).

auf diesen Satz als die praktische Seite des „Erkenne dich selbst!" hin und erklärt darüber: „Beides darf weder als Gesetz noch als Forderung betrachtet werden; es ist aufgestellt, wie das Schwarze der Scheibe, das man immer auf dem Korn haben muss, wenn man es auch nicht immer trifft. Die Menschen würden verständiger und glücklicher sein, wenn sie zwischen dem unendlichen Ziel und dem bedingten Zweck den Unterschied zu finden wüssten und sich nach und nach ablauerten, wie weit ihre Mittel denn eigentlich reichen." III. Die moralische Weltordnung, die Pflicht und der kategorische Imperativ.

G. erkennt eine moralische Weltordnung an, welche Mittel und Wege kennt, einen im Grunde guten, fähigen, rührigen, ja unruhigen Menschen auf diesen Erdenräumen zu beschützen, zu prüfen, zu ernähren, zu erhalten, ihn zuletzt durch Ausbildung zu beschwichtigen und mit einer geringen Ruhestelle für sein Leiden zu entschädigen" (29,186). „Ein höherer Einfluss begünstigt die Standhaften, die Thätigen, die Beständigen, die Geregelten und Regelnden, die Menschlichen, die Frommen. Und hier erscheint die moralische Weltordnung in ihrer schönsten Offenbarung, wo sie dem Guten, dem wacker Leidenden unmittelbar zu Hilfe kommt“ (29,206). Denn Gott hat sich nach den imaginierten 6 Schöpfungstagen keineswegs zur Ruhe begeben; vielmehr ist er noch fortwährend wirksam wie am ersten. Diese plumpe Welt aus einfachen Elementen zusammenzusetzen und sie jahraus jahrein in den Strahlen der Sonne rollen zu lassen, hätte ihm sicher wenig Spass gemacht, wenn er nicht den Plan gehabt hätte, sich auf dieser materiellen Unterlage eine Pflanzschule für eine Welt von Geistern zu gründen. So ist er fortwährend in höheren Naturen wirksam, um die geringeren heranzuziehen" (E., 11. März 1832). In seinem eigenen Leben erkennt der Dichter die „geneigte Manifestation der moralischen Weltordnung, die er nicht genug verehren kann“ (an Boisserée, 20. März 1831). Selbst die Zahl der Jahre hat ihm „der Allwaltende nicht umsonst geleistet" (an Gruner,

1. Sept. 1823); er weiss nichts Besseres zu thun, als seine dankbare Anerkennung dafür durch jugendliche Thätigkeit auszudrücken" (an Boisserée, 22. Okt. 1826); es scheint ihm, dass,,aus einem schweren leiblichen Kampf ihn der Allwaltende mit genugsamen Geistes- und Gemütskräften wieder hervorgehen lassen und es demgemäss seine Pflicht ist, an sorgfältige Verwendung derselben fortwährend zu denken“ (27,357). Bei diesem Zusammenhange unserer pflichtmässigen Thätigkeit mit Gottes Absichten kann „von drückenden Pflichten") uns nur die gewissenhafte Ausübung befreien, und was gar nicht aufzulösen ist, überlassen wir zuletzt Gott als dem allbedingenden und allbefreienden Wesen" (18,99).

Was ist überhaupt Pflicht? G. antwortet: „Die Forderung des Tages" (19,20 und 3,207). „Das Tagewerk, das mir aufgetragen ist, das mir täglich leichter und schwerer wird, erfordert wachend und träumend meine Gegenwart. Diese Pflicht wird mir täglich teurer, und darin wünsche ich's den grössten Menschen gleichzuthun und in nichts Grösserem. Diese Begierde, die Pyramide meines Daseins, deren Basis mir angegeben und gegründet ist, so hoch als möglich in die Luft zu spitzen, überwiegt alles andere und lässt kaum augenblickliches Vergessen zu. Wenigstens soll man sagen: Es war kühn entworfen, und wenn ich lebe, sollen, will's Gott, die Kräfte bis hinaufreichen“ (an Lavater, August 1780). Am Ende seines Lebens bekennt der Dichter: Viele Leidende sind vor mir hingegangen; mir aber ward die Pflicht auferlegt, auszudauern und eine Folge von Freude und Schmerz zu ertragen, wovon das Einzelne wohl schon hätte tödlich sein können" (an Rauch, 21. Okt. 1827). „Das

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1) Was unter „drückenden“ Pflichten gemeint ist, sagt uns ein Brief G.s an Schreibers vom Jan. 1826: ,,Indem man die grossen Prüfungen überschaut, wodurch eine endliche Thätigkeit gar oft gehemmt worden, so fühlt man die Forderungen, die ein bedeutendes Leben an uns machte, so streng und gewissermassen drückend, dass alle selbstischen Gefühle dadurch ertötet werden und dasjenige als eine Last auf uns liegt, was uns früher vielleicht zu Eitelkeit und Übermut verführt haben möchte."

eigentlich Wunderliche und Bedeutende dieser Prüfung ist, dass ich alle Lasten, die ich abzustreifen und einem Jüngerlebigen zu übertragen glaubte, nunmehr selbst fortzuschleppen und sogar schwieriger weiter zu tragen haben werde. Hier kann allein der grosse Begriff der Pflicht uns aufrecht erhalten“ (an Zelter, 21. Nov. 1830). Die Pflicht also umfasst, was jeder in seinem besonderen täglichen Beruf zu thun hat, und sie wird da ausgeübt, wo man liebt, was man sich selbst befiehlt" (19,136). Mit diesem Sichselbstbefehlen steht man nicht am Ende, sondern erst am Anfang des sittlichen Lebens (19,198), weil in dem Menschen entschiedene Triebe vorhanden sind, der Thätigkeit eine der sittlich gebotenen entgegengesetzte Richtung zu geben.

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Für die sittlichen Forderungen wendet G. mitunter den Kantschen Ausdruck kategorischer Imperativ" an (19,198 und mehrfach bei E.). Dieser Imperativ muss nach ihm bei der begonnenen Arbeit „eintreten, um sowohl Gleichgültigkeit als Widerwillen zu überwinden" (an Boisserée 27. Sept. 1831). Er ist jedoch bei unserem Dichter etwas anders beschaffen als bei Kant; bei G. geht er aus der innersten Neigung der Persönlichkeit selbst hervor und ist kein zwingendes Gesetz; man liebt, was man sich selbst befiehlt.

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Eine andere Auffassung hat Steiner im 2. Bd. der naturwissenschaftl. Schriften G.s XLVII f. „Der Mensch handelt," sagt er, wenn er die Antriebe zu seinem Handeln in Geboten sucht, nach Gesetzen, deren Begründung nicht von ihm abhängt; er denkt sich eine Norm, die von aussen seinem Handeln vorgeschrieben ist. Er handelt aus Pflicht. Von Pflicht zu reden hat nur bei dieser Auffassung Sinn. Wir müssen den Antrieb von aussen empfinden und die Notwendigkeit anerkennen, ihm zu folgen; dann handeln wir aus Pflicht. Unsere Erkenntnistheorie kann ein solches Handeln da, wo der Mensch in seiner sittlichen Vollendung auftritt, nicht gelten lassen." Nach unserer aus G. begründeten Ansicht folgen wir schon bei der Ausübung der Pflicht dem Gesetze der Liebe, der selbstlosen Hingabe.

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