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Dritter Hauptteil.

Naturverehrung.

Der Götterglaube.

Allgemeine Bemerkungen.

Die germanischen Götter sind fast ausschließlich die vergöttlichten Abbilder von Naturmächten, geistige Reflexe sinnlicher Naturerscheinungen. Die Götter, die nicht die Phantasie aus der lebendig gemachten Natur erzeugt hat, sind jung und kein Gemeingut des Volkes. Stimmt ein Mythus nicht mit der Natur des Landes überein, dem er entsprungen ist, so kann er nicht wurzelfest sein.

Aber der Zeit, der die Götter Menschen von mächtiger Grösse und Herrlichkeit waren, menschlich denkend, fühlend und wollend, geht eine andere rohere voraus, wo die Germanen die Naturgewalten noch nicht in menschliche Bildung zu bändigen vermochten, sondern sie sich als ungeheure Tiere vorstellten. Der Sturm erschien ihnen ein riesiger flügelschlagender Adler, das Meer eine Schlange, die sich um die Erde ringelt; die Sonne als Roß, Widder, Hirsch, Eber; Wolken und Wogen als Roß und Rinder; das wütende Schwein ist ein Tierbild für die Wetterwolke, die Eberzähne sind Blitze. Die Phantasie übertrug die Gestalt des irdischen Baumes auf baumartige Wolkengebilde, in denen sich die gewaltigen Naturerscheinungen von Wind und Wetter voll

zogen, und die Macht der großen Götter sich sehr fühlbar offenbarte. Uralter Mythensprache gehört die Vergleichung der funkelnden Sonnenstrahlen und Blitze mit Schwert und Speer an. Auch der Gott ist vielfach Tier oder wird zum Tier, er schwankt zwischen menschengleichem und tierischem Wesen: das Verschwimmen der Grenze zwischen beiden gehört zu den für die Weltanschauung der Naturvölker charakteristischen Zügen. Ihre Phantasie verglich das große Geheimnis der Naturerscheinungen dem geheimnisvollen Tierleben, wie es ihnen in der Erde, im dunklen Walde, in Wasser und Luft entgegentrat, und faßte die Vorgänge in der Natur, vor allem in dem Luftreiche, in tierische Bilder: so entstanden die tiergestaltigen Naturdämonen und die Tierbildung der alten Götter. Odins Beiname ,,Adlerhäuptig" z. B. ist eine Spur, daß der Gott in sehr alter Zeit mit einem Adlerkopfe vorgestellt sein mag. Diese doppelte Auffassung der vergöttlichten Naturmächte als Tiere und Menschen hat ihre Entsprechung in den aus den Seelen hervorgegangenen übermenschlichen Wesen: da der Mensch zwischen sich und den Tieren eine geheime Verwandtschaft entdeckte, entstand - nach dem Vorbilde der sich häutenden Puppe oder Schlange der Glaube, daß die Seele des Verstorbenen wie des Schlafenden Tiergestalt annehmen könnte.

Die Naturmythen sind also erste Versuche, über die Welt zu orientieren, Unverständliches und Geheimnisvolles zu erklären; sie sind Anfänge der Physik, eine Art Volksphilosophie und ein poetisches Schaffen, insofern die äußeren Vorgänge der Natur in Geschichten verwandelt werden. Beim Dichter, wie beim Mythenbildner walten dieselben geistigen Kräfte, nur dort mehr bewusst, hier unbewusst: beide haben die Aufgabe, dem Leblosen Atem und Leben zu verleihen. Aber der Vergleich mit den Vorgängen des täglichen Lebens, die novellistische Bearbeitung und Ausschmückung der Handlung zieht den Gott und sein mythisches Erlebnis aus der himmlischen Heimat auf die Erde herab. Der naturmythische Kern wird vergessen, die frei schaffende Phantasie des Dichters,,Jovis bewegliche, immer neue, seltsame

Tochter" tritt in ihr Recht, und das Bild des Gottes, das in seinen Grundzügen auf einer Naturanschauung beruht, wird selbständig ausgemalt. Es ist also nicht richtig, bei jedem Attribut, das der Mythendichter seinem Gott beilegt, bei jeder Geschichte, die er von seinem Gott erzählt, an einen Naturvorgang zu denken und z. B. zu fragen: was,,bedeutet“ Thors Wagen, seine Handschuhe, sein Stärkegürtel? Denn dadurch verwandelt man den Gott in eine Art Allegorie. Nun trägt ja allerdings die Mythenbildung an und für sich schon den Keim zur Allegorie in sich. Aber die bis in Einzelheiten gehende mythische Symbolik der späteren Zeit kann nur die Schöpfung einzelner künstlerisch gereifter Dichter sein. Gerade die Mythen, die uns heute wegen ihrer tiefsinnigen Symbolik besonders anziehen, sind unfraglich kunstvolle dichterische Schöpfungen mit bewußter Allegorie, und der Forscher muß versuchen, ihre Umkleidung abzustreifen. Die alten nordischen Mythen sind keineswegs Runen, Geheimreden, Geheimnisse, die nach Rätselart gelöst sein wollen.

Die Mythenbildung läßt sich mit den phantasievollen Naturdeutungen unerfahrener Kinder vergleichen; die Naturanschauung kristallisiert sich zu einer kleinen Erzählung. Da die poetischen Motive nicht immer zu dem Naturvorgange passen, ist die Deutung der Mythen so überaus schwer. Der eine Forscher sieht lauter Sonne und Monde, der andere hört nur die Winde rauschen, ein dritter umnebelt uns mit Wolkengebilden, auf einen vierten macht nur das Gewitter Eindruck. Zunächst ist zuzugeben, daß, wenn der Kern eines Sagengebildes, als Naturmythus aufgefaßt, einen einleuchtenden, leicht verständlichen Sinn gibt, man diese Erklärung für richtig halten muß. Die Deutung kann aber nicht richtig sein, wenn die jetzt lebenden Menschen den Vorgang nicht sehen und unter gewissen Voraussetzungen ebenso ausdrücken können.

Man hat allzulange die rein novellistische dichterische Behandlung des mythischen Stoffes übersehen und selbst den literarischen Zusammenhang der einzelnen Mythen außer acht gelassen. Die Erzählung z. B. von Thor und Thrym,

Thor und Hymi, vom Raub Iduns und Odröris sind nur Variationen desselben Themas: Götter und Riesen streiten sich um ein Kleinod, aber der Riese wird von dem geistig überlegenen Gotte besiegt und übervorteilt. Der acht Rasten tief unter der Erde versteckte Hammer ist nicht der während der Wintermonate geraubte Blitz, sondern eben wirklich die Waffe des Gottes; Idun ist nicht die segenspendende Wolke, sondern eine geraubte Frau; der Kessel Hymis ist nicht das offene Meer, sondern ein ganz gewöhnlicher Kessel, wie ihn durstige Nordleute zum Bierbrauen nötig hatten. Wie Prometheus dem Zeus das Feuer stiehlt, so kommt der Dichtermet durch Raub und List in Odins Besitz. Fast zahllos sind die Märchen, in denen der Held einem Riesen ein Kleinod mit List oder Gewalt raubt.

Menschengeschichten der einfachsten Art, späteren Anekdoten vergleichbar, Keime der Novellen und Märchen müssen älter sein als die Göttergeschichten; aus ihnen entnahmen die Dichter den Stoff zur Ausgestaltung. Gerade im Märchen, das alle Naturvölker besitzen, und das der Göttersage vorangeht, stecken Reste uralter Novellenpoesie. Aus ein und derselben Vorstellung, aus ein und derselben Antwort auf Fragen, die dem Menschen das Leben aufdrängt, kann ein Märchen oder ein Mythus werden. Auf die Frage z. B.,,Wo war das Wasser? Wie kam es zu den Menschen?" gibt das Märchen vom Wasser des Lebens und der Mythus vom Göttertranke Bescheid. Aber das Motiv und die Antwort des Märchens ist einfach, vielfältig verschlungen und künstlerisch vertieft sind sie im Mythus. Die Zeit ist freilich noch nicht gekommen, die Geschichte des Märchens zu schreiben. Aber für den Mythologen ergibt sich die Aufgabe, wie auf die klimatischen Verhältnisse und die kulturgeschichtlichen, so auch auf die literarischen Probleme zu achten, wenn auch die Wissenschaft über Entstehen, Alter und Wanderungen der Märchen noch nicht zu bestimmten Ergebnissen gekommen ist. Zwar als verblaßte Göttermythen sieht man kaum noch die bunte Märchenblüte an. Aber auch die Annahme wird bestritten, daß diese Erzählungen wesentlich durch literarische

Vermittlungen im Mittelalter nach Europa gelangt seien. Neuerdings scheint die kulturgeschichtliche Auffassung zur Herrschaft zu gelangen, die die prähistorische Urzeit als Mutterboden des Märchens, besonders der Zaubermotive, annimmt: die Märchen waren der jungen Menschheit in ihrem Kindheitszustande, wo alle Naturgegenstände als beseelte und belebte Wesen aufgefaßt wurden, die erste Form der Erzählung. Aber auch dann ist nicht ausgeschlossen, daß bestimmte Motive oder ganze Märchen zu bestimmter Zeit, die sich noch festlegen läßt, durch mündliche Überlieferung oder literarische Vermittlung eingewandert und von der mythischen Dichtung aufgenommen sind. Das ist z. B. für Iduns Äpfel und Saxos Erzählung von Othar und Syritha erwiesen. Daß alle Märchen der. Edda zwischen dem 9. und 12. Jhd., in der Zeit der häufigen Verbindung Skandinaviens mit Osteuropa, dahin gekommen seien, ist unwahrscheinlich: die für Europas Erzählungsliteratur bedeutsame Übersetzung der indischen Märchen wurde erst 1263-1278 abgefaßt. Die Verschiedenheit der Märchen bei dem Dänen Saxo und bei den isl. Erzählern der Göttersagen (z. B. Utgardaloki, Geirröd) rührt nicht daher, daß die neu eingewanderten Märchen noch nicht zu der festen Form gelangt waren, die sich aus längerer Tradition ergibt, sondern entweder haben die alten Märchen durch die mündliche Überlieferung in Dänemark eine andere Gestalt bekommen, wie auf Island, oder Saxo hat von seinen isl. Gewährsmännern eine Variante des Edda-Märchens gehört, oder sein - auch ihr Gedächtnis ist nicht ganz zuverlässig gewesen. Die Forscher, die die eddischen Mythen als geniale Neuschöpfungen der nordischen Seeräuber hinstellen, werden damit vor eine böse Frage gestellt: warum konnte die schöpferische Gestaltungskunst der Wikingerzeit wohl durch staubige Manuskripte und tote Mönchsgelehrsamkeit geweckt werden, erwies sich aber gegenüber den lebendigen volkstümlichen Märchen so unfruchtbar, daß sie diese fast unverändert übernahm? Im 14. Jhd. brachte ein gelehrter Bischof eine große Menge Märchen, Schwänke und Legenden nach Island mit, im 19. Jhd. wurde ,,1001 Nacht" ins Isl. übersetzt nicht eines dieser fremden

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