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mal in Herrnhut an. Die Zöglinge des Hallischen Waisenhauses® kamen bald gegen die neue Gemeinde zu kurz.

Im Hallischen Pietismus lag ein Element der Unruhe, das auf die Dauer beängstigen mußte; die Herrnhuter suchten und fanden Frieden, indem sie ihr äußeres Leben einfach und zweckvoll gestalteten, in ihrem innern Leben sich in die Liebe Gottes vertieften und darin schwelgten. Zinzendorf und seine eigentlichen Schüler suchten den Gott, dessen Liebe die Seele ausfüllen sollte, in dem blutenden Heiland; aber das Gefühl der Liebe an sich wurde so zur Virtuosität ausgebildet, daß der Gegenstand selbst gleichgültiger wurde. Die Stillen im Lande, die dieser Richtung folgten, trauten dem Vater im Himmel zu, daß er ihnen aus allen Verlegenheiten helfen werde; ein adliges Fräulein, eine schöne Seele, berichtet in ihren Bekenntnissen von ihrem Umgang mit Gott, der ganz gesittet ist und von Blut und Wunden nichts weiß; ein feuriger Jüngling, in der Gemeinde aufgewachsen, adressirt seine Huldigungen nicht mehr an den Heiland, sondern, wie es dem Jüngling natürlicher ist, an die heilige Jungfrau. Von dem harten protestantischen Gegensatz gegen die katholische Kirche, der bei den ältern Pietisten sich ausspricht, weiß Herrnhut nichts mehr; es ist bei aller Enge der Zustände weltbürgerlich gestimmt. Endlich ist es nicht mehr die Madonna, nicht mehr der Heiland, auch nicht mehr Gott Vater, in dessen idealem Licht das fromme Gemüth sich bespiegelt, sondern das heilige Universum; und so findet in ihrer weitern Vergeistigung auch diese Spielart des Pietismus schließlich die Fühlung mit Spinoza.

In dieser an Widersprüchen so reichen Zeit, da sich die entlegensten Motive des Denkens und Empfindens mannigfach durchkreuzten, seßte sich die Krankheit des Pietismus selbst in den Köpfen heller und kühner Denker fest. Spuren davon zeigen sich z. B. bei dem berühmten Astronomen Euler; sie erklären sich aus der Abneigung gegen den immer mehr um sich greifenden Naturalismus. Am auffallendsten ist die Umstimmung bei dem großen Physiologen Haller.

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Bald nach Haller's Ueberfiedlung nach Göttingen, 31. Oct. 1736, veranlaßte ein unglücklicher Fall den Tod seiner geliebten Gattin. Soll ich von deinem Tode singen? O Marianne! welch ein Lied, wenn Seufzer mit den Worten ringen, und ein Begriff den andern flieht!"

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„Durch den Tod meiner geliebten Marianne", so beginnt Haller 2. Dec. 1736 ein Tagebuch, das mehr als ein andres Document sich eignet, uns in die pietistischen Stimmungen jener Tage einzuführen, „wurde ich in eine große Traurigkeit versetzt, und es wachte insonderheit

Julian Schmidt, Litteratur. I.

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mein Gewissen auf, als ich bedachte, wie man im Todeskampf so sehnlich seufzt über die Sünden, die man ohne Bedenken täglich begeht. Ich erschrak über die fürchterlichen Folgen eines unheiligen Lebens. Immer hat sich etwas in mir nach Besserung gesehnt, aber ohne Haß der Sünde, ja ohne Reue und Traurigkeit."

„Schon lange nichts Göttliches mehr! Eitelkeit, Neid, Haß, Zorn! Ich habe nicht mehr Kraft zu seufzen. Elendes Gebet ohne Kraft und Glauben! Elende Entschließungen ohne Erfolg! Indeß verläuft die Zeit der Gnade, wer weiß, wie lange sie währt! Mein Herz hängt an der Welt, so wenig es auch Ursache an der Welt findet, daran zu hängen! Es denkt an Gott mit Undank, ja mit heimlichem Haß, wie ein Verurtheilter an seinen Richter. Es steigen mir gar große Gedanken von meiner vermeinten Gerechtigkeit auf. Die Welt wird mir alle Tage angenehmer und meine Lüste nehmen zu, Tod und Ewigkeit verliert sich aus meinen Augen. Ich bin auch nicht einmal ein rechter Heuchler mehr. Herr erbarme dich!"

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Mit eisernem Fleiß geht er seinen Studien nach: Geologie, Botanik, Physiologie; er fühlt sich eigentlich nur wohl im Laboratorium und im botanischen Garten. Auch was in den übrigen Fächern erscheint, liest er und zeigt es in der Göttinger Gelehrtenzeitung an; seine Receptionskraft ist ganz unglaublich! — „Tout ce travail m'enlève les jours et les heures; il sert à étouffer les semences de mécontentement qui germent si aisément dans un coeur oisif." Aber das hilft ihm nichts! „Insensible pour Dieu, pour un sauveur qui a bien voulu renoncer aux privilèges de la divinité et qui s'est fait adopter parmi nous uniquement pour qu'il lui fût possible de souffrir, je me retrouve le même, également incapable de faire mon devoir envers Dieu, envers les hommes et envers moi-même. Un état pareil devrait faire dresser les cheveux à tout homme qui ne s'aveugle point!“

22. Aug. 1739 führte er eine zweite junge Gemahlin heim. Gleich in der ersten Zeit heißt es im Tagebuch: „souvent je me trouve parfaitement incapable d'espérance, de désir même, et je ne vois riens autour de mon âme, pas même ce cher Moi que l'amour-propre distingue presque toujours, qui puisse me donner quelque consolation."

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Schon im ersten Jahr seiner Ehe verliert er auch die zweite Gattin. Vater, du bist gerecht! Du hast meine Untreue bestraft!“ Pour guérir un coeur infatué de mollesse, d'ambition et de volupté, rempli de propos chimériques", dazu reicht die Vernunft nicht aus. „Tous

ces bonheurs chimériques que colore une philosophie corrompue, cet amour modéré des créatures, ne font que nous aveugler et nous empêcher de voir le tombeau ouvert sous nos pieds!"

,,Raum

ist das erste tödtliche Grausen vorüber, so dringen neue üppige Gedanken auf mich ein!"

Noch vor Ablauf eines Jahrs verlobt er sich zum drittenmal; diesmal war die Ehe dauerhaft. In der Stimmung des Tagebuchs ändert sich nicht viel. - „Gott! zerstöre die falschen Quellen meines Trostes, das Tändelwerf meiner Studien! Ich lese in der Bibel die Geschichte des leidenden Heilands, und denke zugleich an meine Pflanzen und andre Poffen!" ... "Vielleicht wäre es besser, wenn ich hier nichts mehr aufzeichnete! Was ist das alles als lauer Geschmack! - Ist nicht selbst diese Schrift eine Heuchelei?!"

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Dies Tagebuch hat Haller bis an seinen Tod, also volle 42 Jahre fortgesett! Fast keinen Abend versäumt er, troß seiner sonstigen Beschäftigung, die ins Ungeheure ging und all seine Kräfte anzuspannen schien, diese Selbstbeobachtung aufzuzeichnen und Gott dem Herrn seine Erbärmlichkeit zu bekennen; die leßten Blätter flingen grade so hoffnungsLos wie die ersten.

„Ich fühle das Leere alles dessen, was die Menschen zu ihrer Beruhigung aufbringen. Wie in einen Abgrund, der ohne Aufhören in eine unendliche Tiefe sich versenkt, fällt die Seele ohne Rettung. Das Gehirn und das ganze Rüsthaus der Seele ist dabei wirksam und frei; es find nicht hypochondrische Dünste!“

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„Unendlich falsch ist mein Herz, unendlich an das Frdische gebunden, kalt gegen das Ewige. Blos wenn die Stüße des Körpers zu sinken droht, erinnere ich mich, daß ein andres Leben ist. Und all diese Ueberzeugung wirkt mit der matten Kraft einer theoretischen Wahrheit, da die Sinne wie eine verzehrende Flamme uns zur Erfüllung der Begierden hinreißen. Diese Blindheit ist bei einem Sterbenden unbegreiflich."

Was ist das nun? Von Heuchelei kann nicht die Rede sein: er schrieb die Blätter nur für sich selbst, erst lange nach seinem Tode wurden sie veröffentlicht. Bei andern Pietisten sieht man doch einen Zweck, sie wollen die Seligkeit gleichsam ertroßen; bei Haller kann man sich garnicht vorstellen, was selbst nach seiner eignen Idee dabei herauskommen sollte.

Was hatte er sich eigentlich vorzuwerfen? Wenn auch leicht gereizt, hat er nie einem Menschen etwas Böses zugefügt. Er hat seine

Pflicht im reichsten Maaß erfüllt, nicht blos in der Wissenschaft sondern auch im praktischen Leben; er hat für die Verbesserung der Zustände, mit denen er in Berührung kam, Großes gethan. Mit einer colossalen Arbeitskraft verband er ein sehr rasches Verständniß, oft gelang ihm im Spiel, wonach Andre in langer Anstrengung vergebens rangen. Er war für die Jahre 1732-1755 unstreitig der erste Kopf Deutschlands, und blieb einer der ersten bis ans Ende seines Lebens. Von allen Seiten wurde das ehrenvoll anerkannt; er hatte eine angesehene, einflußreiche, man kann sagen, glänzende Stellung. Woher also, bei einem so hellen Kopf, diese Selbstquälerei? Nichts scheint diesen Grübeleien so zu widersprechen als die Naturwissenschaft, deren treuer Pfleger er war; auch ist durch fie die Schärfe seines wissenschaftlichen Blicks nie beeinträchtigt.

Eine Art Erklärung findet man vielleicht in der Richtung der phyfiologischen Studien auf den Empirismus, welche sie mit den Pietisten theilt. Neben dem praktischen Interesse, sich die ewige Seligkeit zu erwerben, hatte der Pietismus noch ein andres: er erperimentirte mit einer gewissen Neugier über das, was in der Seele vorgeht, wie die Physiologie aus einzelnen Erfahrungen hinter das Gesetz der Vorgänge zu kommen sucht, die man das Leben nennt; er beobachtete aufmerksam alle Erweckungen und Erleuchtungen, die im Kreis seiner Anhänger sich ereig= neten, und machte nach dieser Anleitung Erperimente, fest überzeugt, daß der einmal richtig beobachtete und constatirte Fall sich in allen Fällen wiederholen würde.

Dies Interesse an "Erfahrungen“ kann vielleicht dazu beitragen, den Pietismus eines Mannes wie Haller zu erklären. Daß er sich in seinen Gedichten hart über die Priesterschaft aussprach, schied ihn keineswegs von den Pietisten; hatte es doch der fromme Arnold nicht anders gemacht. Von Bigotterie ist auch in seinem spätern Alter nicht die Rede; in seinem politischen Roman „Usong“ werden die Geistlichen streng im Zaum gehalten; alle Religionsformen, die jüdische, muhamedanische, die chinesische, die persische, nicht blos geduldet sondern geachtet; christlicher Fanatismus wird mit Achselzucken beseitigt, das Christenthum selbst mit Vernunftgründen geprüft und in seinen Hauptpunkten als correct befunden. Die christliche Lehre erregt erst Staunen, die nachbildende Empfindung muß der Vernunft zu Hülfe kommen.

„Der erste Anblick des Geheimnisses der Erlösung ist von einer Höhe, worüber unsre Weisheit schwindelt: der Ewige, dies unbegreifliche Wesen, vereinigt sich auf's Innigste mit einem Sterblichen, er leitet die Gedanken, die Thaten, die Lehren desselben durch alle Stufen des Lebens

bis in einen elenden und schmachvollen Tod. Niemand aber wird sich ernstlich Gott ergeben haben, der die Wirkung der Gnade nicht ebenso entscheidend empfunden, wie er die Triebe der Sünde gefühlt hat."

Weniger auffallend als bei den Naturforschern erscheint die Einwirkung des Pietismus auf die Juristen. Seit Jahren nahm unter den deutschen Rechtsgelehrten Joh. Jak. Moser, geb. zu Stuttgart 18. Jan. 1701, eine namhafte Stellung ein. Von leidenschaftlicher Art, hatte er mit Eifer in die wirklichen Geschäfte einzugreifen versucht, erst im Regierungscollegium in Stuttgart, dann bei dem Kaiser in Wien, endlich wieder in Stuttgart, unter dem Herzog Karl Alexander, einem Convertiten, der mit seinem Land abenteuerliche Pläne vorhatte. Ueberall hatte sich Moser's Stellung daran zerschlagen, daß er an die Menschen mit zu guten Erwartungen ging. Als seines Bleibens auch in Würtemberg nicht mehr war, nahm er eine Professur an der Preußischen Universität Frankfurt an; bald darauf, 12. März 1737, starb Karl Alexander; sein vertrauter Minister, der Jude Süß, wurde von dem unzufriedenen Adel verhaftet und später hingerichtet.

Abgefehn von zahlreichen Sammelschriften veröffentlichte Moser 1731 den „Grundriß der heutigen Staatsverfassung von Deutschland“. „Wien und meine Rathsstelle hatten mich gelehrt, was brauchbar und was unbrauchbar sei; ich schrieb in deutscher Sprache ein Lehrbuch, darin ich die Alterthümer, das allgemeine Staatsrecht, das Römische Recht u. s. w. ganz wegließ, und die deutsche Staatsverfassung blos vorstellte, wie sie heutigen Tags beschaffen ist." Auf die philosophische Begründung des Rechts, wie sie Wolff versuchte, gab er so wenig als auf die historische: es lag ihm nur daran, genau das Vorhandene festzustellen und Winke zur Besserung zu geben. Das ungeheure Material, das seine Vorgänger aufgestapelt, wußte er mit einem beinahe übermenschlichen Fleiß (er hat 393 Werke hinterlassen, von denen einige aus 50 Folianten bestehn!) zurechtzulegen und in einer einfachen für den Geschäftsmann leicht handlichen Ordnung abzuhandeln.

Die Empirie, mit der er als Jurist alle Thatsachen zusammenstellte, leitete ihn seit seinem 27. Jahr zum Pietismus: er hielt es für unrecht, aus Gründen der reinen Vernunft über religiöse Glaubenssäße abzuurtheilen, ehe man probirt, ob man sie nicht an sich selbst erfahren könne; die wahre Religion müsse erfahren werden. In seiner Selbstbiographie versäumt er nie, eine Thatsache anzuführen, in der sich Gottes Vorsehung an ihm bewährte. Die merkwürdigste machte er in seinem 36. Jahr.

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