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gießen Thränen der Reue, und alles ist wieder gut. Weder Haß noch Liebe wohnt in diesen Mollusken, denen physisch wie moralisch das Rückgrat fehlte. Gellert war ein herzensguter Mensch, aber Weichheit und Larität in den Grundsägen rächt sich in der Kunst noch schlimmer als im Leben. Aber diese Larität war den damaligen humanen Modegeistlichen grade recht. Gellert's Trostgründe gegen ein fieches Leben“ 1747, an deren Spize er, erst 32 J. alt, erklärt, er kenne die Sache aus dem Grunde, er sei ein armer Hypochonder, wurden in Leipzig wie in Berlin als Erbauungsbuch betrachtet.

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Blieben die Moralisten in Leipzig in ihrer Tugendlehre darum hinter ihrem Vorhaben zurück, weil ihnen die Kraft fehlte, weil sie die Tapferkeit nicht in den Begriff der Tugend aufnahmen, so scheiterten die Anakreonten in Halle ziemlich aus demselben Grunde mit ihrem Cultv3 der Lebenslust. Auch diese blüht nur in kräftigen Gemüthern auf. Statt das Leben energisch zu ergreifen, spielten sie nur mit dem Leben und verloren sich in Empfindsamkeit. Die Art, wie Gleim, Lange, Göz, Uz u. A. Wein und Liebe befangen, war granz Rococo; noch mehr die gegenseitige Verhätschelung in ihren Briefen, die uns heute vorkommen, als wären sie im Irrenhaus geschrieben; es sieht so aus, als hätten diese jungen Herrn nichts Besseres zu thun als einander zu küffen. Auch Leute, die später ernsthaft genug wurden, Spalding, Sulzer, v. Kleist, ließen sich zu diesen Tändeleien einfangen. Pastor Lange in Laublingen, mit seiner Gattin der Mittelpunkt dieses Freundeskreises, ließ später den ganzen Briefwechsel abdrucken; die Intimität kleiner persönlicher Beziehungen sollte der Oeffentlichkeit nicht vorenthalten, der tändelnde Cult der Freundschaft sollte Angelegenheit des ganzen Publicums werden. Der Pietismus hatte das Herz gegen Jesus aufgeschloffen, nun regte es sich leichtfertig nach allen Seiten und fand kein Ende mit seinen Bekenntnissen. Uebrigens waren diese Dichter im Grund ordnungsliebende Leute, fie fanden ein Amt und lebten meist in zufriedener Ehe; ihr Rausch war nur in der Einbildung, fie firirten den Culturstand des Studenten, der ihnen die ideale Zeit ihres Lebens vertrat.

Was diese Freunde gegen die immer mehr um sich greifenden Anglicismen einwendeten, ließ sich hören. So schreibt einmal Uz: „der Deutsche will ein Britte sein, und kauft ein englisch Kleid auf einem Trödel ein. Der Aufwand ist gering; ein schwulstiges Geschwätze, daß der Vernunft vergißt wie aller Sprachgeseße, manch Schulwort, manch verwegner Schwung und schwärmende Begeisterung macht schon ein ziemlich Kleid nach Londons neustem Schnitte; dem Kleide fehlt nur eins, der

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Britte". Aber ihre eignen Gallicismen übersehen sie. Es ist ein Abklatsch aus dem Französischen, wenn Uz die Vorhänge von den Ehebetten zurückschlägt und die Lilienhügel der Mädchen beschreibt. „Alzujung taugt nur zum Spielen! Fleischig sei sie anzufühlen und gewölbt die weiße Brust." - Göß träumt, hundert Jahre lang unter reizenden nackten Mädchen auf einer Insel zuzubringen; dann sollen sie sein wohlriechendes Skelett auf den Altar der Venus aufstellen, und aus ihren Thränen sollen lauter Amouretten entspringen. Wenn ich schlafe", schreibt Gleim, „träume ich von nichts als Mädchen; wäre ich ein Bildhauer, Maler, Tapetenweber, ich wollte nichts als Mädchen meißeln, malen, wirken. Als Astronom sähe ich im Mond wieder nichts als Mädchen." Er möchte einmal Schöpfer sein, dann würde er nichts als Mädchen schaffen, und wie Schneeflocken sollten sie in der Luft wimmeln.

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„Seht, wie reizend liegt das Mädchen! Um den weißen regen Busen hängen schwarze reife Trauben. . . Von den küssenswerthen Lippen träufelten die Küsse sichtbar, und ein Trupp verliebter Geister war geschäftig sie zu sammeln.“ So dichtete Gleim von seinen imaginären Liebschaften runde dreißig Jahre, und wurde immer hißiger.

Gedankenleere Prosa in ungereimten Zeilen, von Mädchen und von Weine, von Weine und von Mädchen, von Trinken und von Küffen, von Küssen und von Trinken . . das heißen unsre Zeiten anakreontisch dichten." - So Kästner in Leipzig.

„Unser Jahrhundert“, schreibt einmal Haller, „ist gesellschaftlicher als alle vorhergehenden; die beiden Geschlechter sehn einander mit der größten Freiheit, überall strebt man nach dem Reizenden und Angenehmen, und entzieht sich den Forderungen der Pflicht. Kann ernste Arbeit erwartet werden von Menschen, deren Seele, von den flatternden Bildern süßer Empfindung ganz eingenommen, ewig nach dem Genuß lechzen?" - Haller erkannte ganz richtig den Krebsschaden: nicht etwa arge Sitten wurden durch diesen matten Epikureismus eingeführt, sondern die Kraft des Gemüths erlahmte in diesem ewigen Spiel. Diese Schule konnte man ohne Bedenken als eine Spielart des Rococo bezeichnen.

Was man indeß gegen die neue Poesie einwenden konnte, fie zeigte doch eine lebhafte, aufstrebende Bewegung. Die Musen", schreibt Gleim an Bodmer, „gedeihn in Berlin troß der Bellona.“ Bodmer suchte mit jeder neu auftauchenden Kraft Fühlung, um sie gegen Gottsched zu benutzen. „Herr Gellert z. B. hat gezeigt, daß ein Gottschedianer bekehrt werden kann; wir müssen die Leipziger, die ihm gleichen, gelten lassen; es sind darunter einige geschickte Männer,

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die man aus Nationaleifer nicht verkleinern darf." Gellert hatte seine eignen, noch unter Gottsched's Einfluß geschriebenen Fabeln einer eingehenden sehr scharfen Kritik unterworfen. Ebenso hatten sich die Dichter der Hallischen Schule entschieden von Gottsched abgewandt; Pyra, Lange's zärtlicher Freund, war einer der ersten gewesen, der sich gegen den Dictator erhob.

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„Wir müssen suchen“, schreibt Bodmer April 1747 an einen jungen Züricher, Dr. Hirzel, der in Potsdam die Lazarethe besuchte und sich mit Gleim befreundete, immer einen Repräsentanten in Sachsen und Brandenburg zu haben"; und in derselben Zeit veranlaßte er einen jungen Freund und Anhänger, Sulzer, der als Informator in Magdeburg Spalding's und Sack's Gunst erworben hatte, in Leipzig mit Gellert anzuknüpfen. — Von der frühsten Jugend an war Gleim die Vorsehung seiner Freunde; diese waren blöde und schüchtern, während er, wo es galt, Jemand zu fördern, resolut nicht blos an den Minister, sondern höher hinauf ging. Aug. 1747 verschaffte er Sulzer eine Profeffur am Joachimsthal in Berlin, seinem jüngern Freund Ramler eine Stelle am Cadettencorps. Er selbst wurde Oct. 1747 Domsecretär in Halberstadt; die Stelle gab ihm ein gutes Auskommen; er reiste alljährlich nach Berlin, wo er sich einige Monate im Umgang mit den alten Freunden erfrischte. Für sich selbst hatte er wenig Bedürfnisse, der begeisterte Sänger des Weins trank nur Wasser; seine Freigebigkeit kannte keine Grenzen. Die Anakreontische Form war lar genug, sie entsprach aber einer allgemeinen Richtung, der Abneigung gegen den Reim, die schon ein gefeierter Dichter, der Archivar Drollinger in Durlach, ausgesprochen hatte: „der Reim macht oft Vernunft und Einfalt zu Schanden! . . Oh möchte doch ein deutsches Ohr sich von dem Schellenklang entwöhnen!" Man hatte namentlich den Alexandriner bekämpft; „das sich immer gleich bleibende Versmaß", meint Bodmer, muß in einem langen Werk in eine widrige Monotonie ausarten." Ebenso bekämpfte 1747 der Aesthetiker Meier in Halle, der Lehrer von Gleim, Göß und Uz, den Reim: bei Griechen und Römern nicht gebräuchlich, sei er durch einen falschen Geschmack hervorgebracht; er hindre die schönsten Gedanken, und verführe das Ohr, Verstöße gegen Sinn und Ausdruck zu überhören; in Gedichten höherer Art, die einen kühneren Schwung und eine angenehme Verwirrung der Gedanken erheischen, sei er nicht zu dulden.

Man versuchte es mit den Horazischen Versmaßen, namentlich • Ramler, Schüler des Waisenhauses, Informator bei Gleim's Schwester, der durch diesen in den Hallischen Freundeskreis eingeführt war.

Julian Schmidt, Litteratur. I.

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Einen originellen Einfall hatte Uz, den Herameter mit einer Vorschlagsylbe, ein Versmaß, das, weichlicher als das echte der Griechen, in seiner gleitenden Bewegung der deutschen Mundlage bequemer war: „ich will, vom Weine berauscht, die Lust der Erde besingen, ihr Schönen! eure gefährliche Luft! den Frühling, welcher anizt, durch Florens Hände bekränzet, fiegprangend eure Gefilde beherrscht!" Die Ode, in welcher Uz dies Versmaß versuchte, gab Veranlassung zu dem ersten größern Anlauf der neuen deutschen Poesie.

Ewald v. Kleist, ein preußischer Offizier, auf dem Gymnasium zu Danzig und der Universität Königsberg vorgebildet, hatte in Berlin eine enge Freundschaft mit Gleim geschlossen, der auch im Dienst des Prinzen Wilhelm einen Feldzug im schlesischen Kriege mitgemacht. Beide konnten sehr lustig sein, obgleich Kleist wegen einer unglücklichen Liebe gern ein melancholisches Gedicht machte; übrigens lebte er flott und hatte viele Duelle. Angeregt von Uz' „Frühlingsode" entwarf er nun den Plan zu einem größern Gedicht, „die Landlust“, später in „Frühling" umgetauft. Es beschreibt den Spaziergang eines Städters, der aus der dumpfen Stube flieht, den Athem des Frühlings in vollen Zügen einschlürft und das Leben in Wald und Flur beobachtet, Thiere und Blumen. Die Schilderungen, weniger realistisch als in Thomson's „Jahreszeiten", sind kräftiger als die Haller's, „der sich die Pfeiler des Himmels, die Alpen, die er besungen, zu Ehrensäulen gemacht!“

Die descriptive Poesie ist später ebenso in Verruf gekommen wie die didaktische; damals aber hat die Aufmerksamkeit auf das Kleinleben der Natur die Phantasie ungemein befruchtet. Kleist's Naturschilderungen find ansprechend und sinnig.

Gefleckte Kühe durchwaten, geführt vom ernsten Stier, des Meierhofs buschige Sümpfe. Ein Gang von Espen und Weiden führt zu ihm, und hinter ihm hebt sich ein Rebengebirg' empor. . . Ein Theil ist mit Schimmer umwebt, in Flor der andre gehüllet. Jezt flieht die Wolke, der Schimmer eilt staffelweis' über den andern.

Gereizt vom Frühling zur Liebe, durchstreifen muthige Rosse den Wald mit flatternden Mähnen; der Boden zittert und tönt; es stroßen die Zweige der Adern; ihr Schweif empört sich verwildert. . . Jeßt eilen Stiere vorüber, aus ihren Nasen raucht Brunst, sie spalten mit Hörnern das Erdreich und toben im Nebel von Staub. . . Aus ausgehöhltem Gebirge fällt dort mit wildem Getümmel ein Fluß in's buschige Thal, reißt mit sich Stücke vom Felsen, durchrauscht entblößte Wurzeln der untergrabenen Bäume, die über fließende Hügel von Schaum sich bücken

und wanken; die grünen Grotten des Waldes ertönen und klagen darüber. Es seufzt ob solchem Getöse das Wild. .

Die Beschreibung eines Bauerhofs giebt Kleist Veranlassung, die Landleute in Horazischer Art zu idealisiren. „O dreimal seliges Volk, das keine Sorge beschwert, kein Neid versuchet, kein Stolz! Laß Andre dem Pöbel im Siegeswagen zur Schau sein. . . Nur der ist Liebling des Himmels, der fern vom Gesumme der Thoren am Bach entschlumMit Freude sieht er einem pflügenden Bauern zu. O streute der fleißige Sämann für sich den Samen doch aus! wenn ihn sein Weinstock doch tränkte! Allein der gefräßige Krieg, von zähneblökendem Hunger und rasenden Horden begleitet, verheert oft Arbeit und Hoffnung. Wo bin ich? Es blißen die fernen Gebirge von Waffen, es wälzen sich Wolken von Feuer aus offnen ehernen Rachen, und donnern und werfen mit Keilen umher; zerrissene Menschen erfüllen den schrecklichen Sand..."

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„Ihr, denen unsflavische Völker das Heft und die Schäße der Erde vertrauten, doch tödtet ihr sie mit ihren eignen Waffen? . . Hört mich, ihr Fürsten, daß Gott euch höre! Gebt seine Sichel dem Schnitter, dem Pflüger die Roffe zurück! spannt eure Segel dem Ost auf und erntet den Reichthum der Inseln!.. Belohnt mit Ansehn und Ehre die, deren nächtliche Lampe den ganzen Erdball erleuchtet!" Es ist kein Zweifel, daß Kleist mit dieser Warnung an die Fürsten in erster Linie seinen eignen König im Auge hatte. Kleist war Soldat, aber er empfand zugleich warm bürgerlich; der Gegensatz zwischen den beiden Ständen fing an, sich zu mildern, seitdem man in den Schlesischen Kriegen den Soldaten achten gelernt.

Die nationalen Erinnerungen rufen aus dem Zeitalter Friedrich des Großen fast nur Soldatenbilder ins Gedächtniß; Gellert, Rabener, Zachariä, Kästner, Gleim, Ramler, Sulzer zeigen dagegen, wie es in dieser Zopfzeit im bürgerlichen Leben aussah. Viel deutlicher aber noch als in der Litteratur tritt uns dasselbe in den Holzschnitten des Danzigers Chodowiecky entgegen, dessen Reise aus Berlin nach Danzig Juni 1773 photographisch getreu Landschaften, Costüme, Haushalt, kurz die ganze Lebensweise des deutschen Bürgerthums genau wiedergiebt, im rechten Gegensatz gegen die lüstern weichlichen Manieren des Polnischen Adels, der dem Maler in Danzig begegnet. Eckig und steif sieht alles im deutschen Bürgerthum aus; die Damen freilich haben in Tracht, Haltung und Geberden etwas Coquettes, sie haben viel vom französischen Rococo angenommen; die Männer gehn sehr schlicht, einfach, fast soldatisch. Der Hausrath ist nach der Schnur geregelt; die Stühle steif neben

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