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seine Schandthaten aufzählte. Zum Schluß empfahl er als heilsames Gegengist ein so eben erschienenes Buch „von den vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion"; er nannte die Absicht des Verfaffers „rühmlich und verehrungswürdig"; er billigte auch seine Methode. „Da die metaphysischen Demonstrationen den meisten Menschen zu trocken sind, so hat er sich derselben wohlbedächtig enthalten; er hat von seiner großen Kenntniß der Natur einen vortrefflichen Gebrauch gemacht: er weiß sie so anzuwenden, daß der Leser im Glauben an Gott und seine Herrlichkeit befestigt wird." Wenig ahnte der rechtgläubige Geistliche, daß der ihm persönlich bekannte Verfasser ein ebenso schlimmer Keßer war als Edelmann.

Es war Reimarus, Professor des Hebräischen an der Gelehrtenschule zu Hamburg. Wolffianer und Freund und Schüler von Brockes, verfocht er in den Betrachtungen über die Triebe der Thiere" das teleologische Princip; Anhänger der natürlichen Religion, des Deismus, verachtete er jede Offenbarung. Aber diese Gesinnung verhehlte er sorgfältig selbst vor den Freunden: er wollte sich seine Lehrerstelle, in der er segensreich wirkte, nicht nehmen lassen. „Die Herrn Prediger mögen glauben, daß ein ehrlicher Mann seinem Gemüth keine geringe Qual anthut, wenn er sich sein ganzes Leben verstellen muß!" Er legte seine Ueberzeugungen in einem Manuscript nieder, an dem er schon 1747 arbeitete und das er bis an sein Lebensende ausfeilte: „Apologie für die vernünftigen Verehrer Gottes", der schärfste Angriff gegen die offenbarte Religion überhaupt und gegen das Christenthum insbesondre, der je in Deutschland gewagt ist. Er zeigte in den Lieblingen Gottes aus dem Alten Testament Physiognomien von abschreckender Häßlichkeit; er suchte in den Evangelien nicht blos Irrthum und Zurechtmacherei, sondern absichtlichen Lug und Trug nachzuweisen. Dies Manuscript, das er sorgfältig in sein Pult verschloß, sollte einmal für Lessing's Schicksal verhängnißvoll werden.

Reimarus' Ansichten stimmten in der Hauptsache mit denen Voltaire's überein; sie wären von König Friedrich gebilligt worden, wenn der sie gelesen hätte. Aber er beschränkte auch auf diesem Feld seine Lectüre auf die Franzosen. Selbst während der furchtbarsten Stürme des Kriegs war er unablässig beschäftigt, französische Verse zu machen und französische Bücher wieder und wieder zu lesen. Er knüpfte die Correspondenz mit Voltaire von Neuem an, und jeder Brief deffelben war ihm ein wichtiges Ereigniß.

Mit geheimer Schadenfreude verfolgte Voltaire die Laufbahn

seines ehemaligen Gönners: es schwellte seinen Stolz an, wenn ihm Friedrich sein Elend klagte, und er ihn trösten konnte: „hätte ich doch oft Gelegenheit dazu!" höhnte er. Friedrich durchschaute ihn völlig, war aber zu lüstern nach seinem Beifall, um ihm nicht bedenkliche Epigramme mitzutheilen, von denen er doch einen üblen Gebrauch voraussehn konnte, der denn auch nicht ausblieb. Noch hatte Voltaire die Schmähschrift gegen Friedrich in seinem Pult verschlossen, er dachte nicht daran, sie zu vernichten. In der Correspondenz wechselt beständig Zorn und Liebkosung: die beiden konnten nicht mit einander leben, sie konnten von einander nicht lassen.

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Voltaire war nun wirklich eine Großmacht geworden. In seinem Schloß zu Ferney lebte er als vornehmer Mann, und die ganze Schaar der Philosophen" gehorchte ihm unbedingt. „Ecrasez l'Infâme!" rief er ihnen in jedem Brief zu! d. h. untergrabt mit allen Kräften den Aberglauben und seine Hauptstüße, die christliche Kirche! Ich habe mit meiner Mäßigung nichts gewonnen; es ist eine Narrheit: wir wollen Krieg machen, bis aufs Messer!" Bis aufs Messer, ohne Schonung, jedes Mittel galt ihm recht, Lüge und Verleumdung gegen die „Infamen“ nahm er ausdrücklich in Schuß, und wandte sie mit Virtuosität an. Und „infam“ war jeder, der sich der festgeschlossenen Philosophen-Partei nicht anschloß, der wohl gegen sie, und Ihn, den Führer der Heerschaar, fich feindselig erwies. Er verachtete die Menschen, die er durch Verkündigung der Wahrheit glücklich machen wollte. Als ritterlicher Lehnsherr verschiedener Schlösser, der die gute Gesellschaft der Umgegend bei fich empfing und sich von seinen Unterthanen huldigen ließ, dachte er mit seiner Aufklärung nur an die Honnêtes Gens, seine Standesgenossen; daß die Explosionsstoffe, die er ausstreute, auch in die dunkle Masse, Volk genannt, eindringen, und sie, die ohnehin unter schwerem Joch seufzte, zur Wuth aufstacheln könne: von dieser finstern Zukunft fiel kein Schatten in seine Phantasie. Wenn er den Aberglauben verhöhnte, wollte er ihn doch dem gemeinen Volk, das ihn bedurfte, nicht rauben, und wenn er im Candide" sich über den Optimismus luftig machte, so tröstete er sich damit, daß für die Honnêtes gens das Leben zwar nicht gut, aber „passabel" sei.

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Nach Voltaire wächst der Mensch aus seinem ursprünglich niedrigen und schlechten Zustand durch die steigende Civilisation allmälig in die Höhe; die Civilisation ist das höchste Gut, und je civilisirter ein Volk, desto höher steht es. Darin, und also überhaupt, fand Voltaire die Gegenwart allen vorangegangenen Zeitaltern überlegen.

Gleichwohl führte er in seinen kleinen Schriften, um die Verkehrtheiten seiner Zeit zu geißeln, Naturmenschen ein, Huronen u. s. w., die mit ihrem natürlichen Verstand das Verkehrte der Ueberlieferung durchschauen. Man mußte endlich im praktischen Streben der Zeit einen innern Widerspruch entdecken. Der Mensch ist zum Glück bestimmt; zum höchsten Glück gehört Vielseitigkeit des Genusses und der Bildung, und diese kommt nur Einzelnen zu gute, sie nimmt der Menge Luft und Licht. Das 18. Jahrhundert galt als ein hochcivilisirtes Zeitalter, Paris als eine hochcivilisirte Stadt; sah man aber hinter die Coulissen, so wurde man Elend und Schlechtigkeit gewahr, wovon wieder civilisirte Völker keinen Begriff gehabt. Eben kamen Weltumfegler aus der Südsee zurück, die nicht Worte genug fanden, das stille Glück der unwissenden Indianer zu preisen. Rousseau fand das schlagende Wort: der Fortgang der Civilisation vermehrt nicht, sondern vermindert das Glück und die Tugend der Menschen; die abschleifende Bildung schwächt die besten Kräfte, und da Reinheit der Sitten werthvoller ist als Fülle des Wissens, so ist dem Menschen nur anzurathen, zur Natur zurückzukehren. Von Natur ist alles gut, alles entartet unter den Händen der Bildung. Diese Paradorie sprach er schon 1751 aus, umfangreicher und durchdachter 1755 im „Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes". Voltaire betrachtete das als eine Emeute gegen seine Schule, und sagte Rousseau nach, er empfehle den Menschen, wieder auf allen Vieren zu gehen. Der Widerwille wurde noch lebhafter, als Rousseau 1758 ihm in seinen theatralischen Unternehmungen in die Quere kam, und das Theater gleich den Pietisten kurzweg als unmoralisch und sittenverderblich verurtheilte.

Lessing rühmte schon 10. Juli 1755 „den kühnen Weltweisen, welcher keine Vorurtheile, wenn sie auch noch so allgemein gebilligt wären, ansieht, sondern gradewegs auf die Wahrheit zugeht. Sein Herz hat an all seinen speculativen Betrachtungen Antheil." Mendelssohn dagegen vergleicht ihn mit einem Erwachsenen, dem die Pflegemutter die Geschichte seiner Kindheit erzählt: er hört die Beschäftigungen seines spielenden Alters, er hört sogar die losen Streiche, die er den Bedienten gespielt, mit Vergnügen, und ist nicht abgeneigt, diesen Stand der Unschuld seinen männlichen Jahren vorzuziehn.

Seine wahre Bedeutung fand Rousseau erst 1762 durch den „Contract social", den „Emile“ und dessen Anhang, das Glaubensbekenntniß des Savoyischen Vicars. Seiner ersten Entdeckung, die Civilisation habe die Natur auf den Kopf gestellt, ließ er die zweite folgen:

man müsse die Civilisation auf den Kopf stellen, um zur Natur zurückzukehren. Das war mit einem Feuer, mit einer Begeisterung vorgetragen, daß auch der Gleichgültigste davon berührt wurde. Durch Locke angeregt, kehrte er in seinen leidenschaftlichen Schlußfolgerungen die Grundsätze seines Lehrers um, und forderte die Menschen auf, der verderbten Cultur zu entsagen.

Der Gesellschaftsvertrag, wie ihn seit Grotius die Rechtsphilosophen gelehrt, fand nun einen neuen Sinn: die Staaten sollten auf diesen Vertrag gegründet sein, sie sind es aber nicht, und bestehn daher nicht zu Recht. Der wahre Vertrag ferner muß die Souveränität des Volks nicht blos theoretisch, sondern praktisch aussprechen; die Souveränität läßt sich nicht übertragen, das Volk muß sie unmittelbar ausüben, und das ist nur in kleinen Republiken möglich.

Der Emile" verlangte eine radicale Umgestaltung des Unterrichts. In „Robinson“, einem Lieblingsbuch Rousseau's, stellte sich heraus, wie wenig die herkömmliche formale Erziehung einem Menschen fruchte, der auf eine wüste Insel geräth: Emile sollte so erzogen werden, daß er in eine solche Situation sich leicht finden könne.

Das geistige Leben jener Zeit hatte eine hervorragende Leidenschaft, den Durst nach Realität. Man war der Formeln müde, mit denen die Schule den ganzen Inbegriff der Bildung einzuspannen suchte; man wollte nicht mehr blos schließen, sondern anschauen und erfahren. Darauf sollte die ganze Erziehung gerichtet sein. Kein neues Wort sollte in das Gedächtniß aufgenommen werden ohne das entsprechende Bild; die Realien sollten den Vorzug haben vor dem formalen sprachlichen Unterricht, die lebenden Sprachen vor den todten.

Der „Savoyische Vicar" spricht in seinem Glaubensbekenntniß, gleich Voltaire, den reinen Deismus aus und läßt den Bibelglauben völlig fallen; die Geistlichen aller Confessionen empörten sich dagegen.

In größere Kreise der Gesellschaft war Rousseau schon 1761 durch die Neue Heloise" gedrungen, durch die rücksichtslose Apologie der Leidenschaft, die durch moralische Vorträge und Declamationen über Tugend schon darum wenig eingedämmt war, weil diese den langweiligsten Theil des Romans ausmachten.

Es ist ein seltsamer Widerspruch in diesem Rousseau: ein Herz, in dem jeder Pulsschlag der Natur aufs lebhafteste nachschwingt, das mit einer gewissen Angst sich der herrschenden Unnatur zu erwehren sucht, bald trozig, bald verzagt, aber selbst angekränkelt von den verderblichen Einflüssen einer aus ihrer Richtung getriebenen Civilisation, deren giftige

Genüsse er anklagt, ohne sie doch entbehren zu können. Er selbst kleidet sich in einen armenischen Schlafrock, aber in seiner Umgebung bedarf er des Parfüms, eleganter Toiletten und ausgesuchter Empfindung; er grollt beständig mit jenen ätherischen Wesen, deren Denken und Empfinden in Grübelei und Empfindelei untergegangen ist, und er kann nicht leben ohne sie, er kann nicht leben, nicht empfinden als mit ihnen. Er verschmäht das gegebene Gesetz als Menschenwerk, aus dem Herzen soll die Quelle des guten Handelns fließen; und doch ist sein Herz so verdorben und mit der Natur verfeindet, daß er eins seiner Kinder nach dem andern ins Findelhaus schickt, und sich noch cynisch damit brüstet, er habe sie dadurch dem Fluch der Civilisation entzogen!

Von seinem ersten Auftreten an erregte Rousseau in Deutschland eine Theilnahme, wie kein andrer Franzose. Man hatte hier nicht blos einen Schriftsteller, sondern eine Persönlichkeit von ausgesprochener Physiognomie vor sich, welche auch in ihrer Krankhaftigkeit die Einbildungskraft aufs lebhafteste beschäftigte. Die andern Philosophen verschmolzen den Fernerstehenden in die gestaltlose Masse der Encyclopädie; gegen Voltaire hatte man den Groll im Herzen, daß er den großen König dem deutschen Denken und Empfinden entfremdete. Man studirte ihn im Stillen, man lernte aus ihm den treffenden, prägnanten Ausdruck; aber man sprach nicht gern anders von ihm als mit Mißhehagen über seine Frivolität in Sachen der Religion, seine unphilosophische Verbindung mit Königen und Marquisen. Als anerkannten Führer der Philosophenpartei machte man ihn für all' die cynisch materialistischen Schriften verantwortlich, die aus jenem Kreise hervorgingen. Die Wolffianer tadelten seine Ungründlichkeit, sein desultorisches Wesen, die Historiker vom alten Schlage seine respectwidrigen Ausdrücke über alle anerkannten Größen; man fühlte in ihm eine Macht, die man fürchten müsse. Rousseau war der Leidende, der Verfolgte; der sympathische Zug für seine Ueberzeugungen und Träume wurde verstärkt durch das Mitgefühl für sein Schicksal. Kaum war der „Emile" erschienen, so begann in Deutschland eine fluthende Bewegung, die Menschheit dadurch zu verjüngen, daß man die Kinder dem Einfluß der faulen Civilisation entriß, und sie auf dem angeblichen Boden der Natur durch freie Entwickelung ihrer Instincte erzog. Das „Glaubensbekenntniß des Savoyischen Vikar's", das in den „Emile" eingeschoben war, machte den reinen Deismus, der „Gesellschaftsvertrag" die kleine Republik, in der jeder Bürger mitstimmte, zum Idol des jüngern Geschlechts. Eine ganze Schule hatte Rousseau in der Schweiz: Wieland in Bern suchte sich in seinen Vorlesungen

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