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erlangen, man mochte sich anstellen wie man wollte. Da seine Gespräche jederzeit bedeutend waren, er mochte fragen, antworten oder sich sonst mittheilen, so förderte er mich täglich, ja stündlich zu neuen Ansichten; ich wurde auf einmal mit allem neuen Streben bekannt. So war kein Tag, der nicht auf das Fruchtbarste lehrreich für mich gewesen wäre. Er machte mich mit Hamann's Schriften bekannt, auf die er einen großen Werth legte; statt mich aber über denselben zu belehren und mir den Gang dieses außerordentlichen Geistes begreiflich zu machen, diente es ihm gewöhnlich nur zur Belustigung, wenn ich mich, um zum Verständniß solcher sibyllinischen Blätter zu gelangen, wunderlich genug gebärdete."

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Vielleicht war diese Methode, mehr Räthsel aufzugeben als gründlich zu lehren, grade für Goethe die richtige. Man denke sich einen so anhaltenden intimen Verkehr zwischen zwei Jünglingen, von denen der eine am meisten unter allen Deutschen geeignet war, mitzutheilen, der andre am meisten begierig und fähig, zu empfangen! Von Herder konnte Goethe viel bestimmter erfahren als von irgend einem andern Schriftsteller, um was es sich im geistigen Leben handle.

Und er erfuhr es. Er kam nach Straßburg als begeisterter Anhänger Wieland's und der Franzosen, beide find fortan abgethan. Er findet gleich Herder im „Système de la nature“, in Helvetius und Raynal, die leblose Abstraction. Die Uebungen im Französischen hören auf, Goethe spricht und schreibt nur deutsch; er wirft den Franzosen nicht blos Grobheiten, sondern keßerische Wortfügungen und Inversionen an den Kopf. So in der Abhandlung über den Straßburger Münster: Deser's classischer Geschmack ist völlig abgeschüttelt; Goethe hält die Gothische Baukunft für die vollendetste für unser Klima, und zugleich, irrthümlich, für einen Protest der deutschen Natur gegen die wälsche, da doch diese Architectur hauptsächlich in Frankreich geblüht hatte. Die Kunst ist die einzig wahre, die aus eigner Empfindung wirkt, unbekümmert ja unwissend alles Fremden."

Herder verleidete dem jungen Freund nicht blos alles Mittelmäßige, er wies ihn auf das Große hin; und das Größte, was er ihm zeigte, waren Homer und Shakespeare.

„Den Homer", erzählt Herder, „fing er in Straßburg zu lesen an, und alle Helden wurden bei ihm so schön, groß und frei watende Störche; er steht mir allemal vor, wenn ich an eine so recht ehrliche Stelle komme, wo der Altvater in seinen ansehnlichen Bart lächelt. Es ist eine unendliche Menge von Humor in ihm, diesen nämlich nicht wie

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brittische Wolke, sondern griechisch asiatischen Sonnenglanz gedacht.' Goethe hätte auf der Welt keinen zweiten finden können, so geeignet, ihn in das Studium des Homer einzuführen; von Herder lernte er, in der Odyssee das Schlichte, Einfältige, Natürliche bewundern. Alles jugendlich Muthige kam ihm seitdem homerisch vor. Homer war von allen Dichtern der Welt Goethe am meisten sympathisch, und hat auf seine Anschauung der Welt und sein Schaffen am nachhaltigsten gewirkt.

Gewaltiger war freilich der erste Eindruck Shakespeare's, den Goethe auch im spätesten Alter als den „Stern der höchsten Höhe“ bezeichnet, von dem er meint, die Zeit, das ewig verschlingende Ungeheuer, werde ihn als den köstlichsten Bissen bis zuletzt aufsparen.

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Den überwältigenden plößlichen Eindruck Shakespeare's hat Goethe zweimal geschildert: im Wilhelm Meister" und in einer Rede, die er ein halbes Jahr nach der Trennung von Herder an diesen schickte. Die erste Seite, die ich las, machte mich auf Zeitlebens ihm eigen, und wie ich mit dem ersten Stück fertig war, stand ich wie ein Blindgeborner, dem eine Wunderhand das Gesicht in einem Augenblick schenkt. Ich fühlte meine Existenz um eine Unendlichkeit erweitert. Alles war mir neu, unbekannt, und das ungewohnte Licht machte mir Augenschmerzen. Nach und nach lernte ich sehn; ich sprang in die Luft, und fühlte erst, daß ich Hände und Füße hätte." Von Herder, der ihn in Straßburg wiederholt „unter Shakespeare's heiligem Bild umarmte“, empfing er das Auge für den brittischen Dichter. Shakespeare sollte eine Fanfare sein, „alle edlen Seelen aus dem Elysium des sogenannten guten Geschmacks herauszurufen, wo sie schlaftrunken in langweiliger Dämmerung halb sind, halb nicht sind, keine Leidenschaften im Herzen und kein Mark in den Knochen haben, und weil sie nicht müde genug sind zu ruhn und doch zu faul, um thätig zu sein, ihr Schattenleben zwischen Myrthenund Lorbeergebüschen verschlendern und vergähnen.“

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Das Studium Shakespeare's führte Goethe in Straßburg zur Bekanntschaft mit einem jungen Liefländer, Lenz, der sich bald nach Herder's Abreise, April 1771, innig an ihn anschloß. Er hatte in Königsberg studirt, und begleitete zwei junge Barone als Gesellschafter Hofmeister hörte er sich nicht gern nennen — nach Straßburg. „Klein aber nett von Gestalt, ein allerliebstes Köpfchen, dessen zierlicher Form niedliche, etwas abgestumpfte Züge vollkommen entsprachen; blaue Augen, blonde Haare; einen sanften, gleichsam vorsichtigen Schritt, eine angenehme, nicht ganz fließende Sprache, und ein Betragen, das zwischen Zurückhaltung und Schüchternheit sich bewegte." Eben überseßte er

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Shakespeare's Love's labour's lost, und beide Freunde mühten sich ab, zu untersuchen, ob die Uebersetzung auch dem echten und unverfälschten Geist der Narrheit entsprungen und so dem Original ebenbürtig sei; ja sie strebten das Possenhafte noch zu überbieten.

Lenz, poetisch sehr begabt, auch ein nicht schlechter Beobachter, hatte eine merkwürdige Unsicherheit, sein ziemlich energisches Traumleben vom wirklichen zu unterscheiden. Mit unbedeutenden Mitteln stellte er phantastische Ansprüche ans Leben, und machte sich leicht lächerlich. Seine Liebe zu Goethe war mit einer gewissen Eifersucht gepaart: an Fülle und Stärke der Intentionen fühlte er sich ihm ebenbürtig, aber seine Persönlichkeit war zu schwach, sie auszuführen. Er gehörte, wie Leuchsenring, zu einer Classe von Menschen, die damals zahlreich, auch heute noch nicht ausgestorben ist: sie haben den starken Drang, etwas ungemeines zu erleben; da ihr Eignes aber nicht ausgiebig genug ist, mischen sie sich zudringlich in das Leben Andrer; sie sind neugierig auf jeden fremden Brief, namentlich zwischen Freunden oder Geliebten; sie wissen sich in das Vertrauen erst des einen dann des andern Correspondenten einzuschleichen, finden geheime Beziehungen heraus, die dem Absender wie dem Empfänger verborgen bleiben, und gründen nun auf diese Beziehungen einen halben Roman: es liegt ihnen daran, sich als die tiefer Blickenden, die Verständnißvolleren aufzuspielen; sie suchen dem Verständniß der Andern nachzuhelfen, und wenn sie sich bei der Gelegenheit nicht selbst verlieben, so wollen sie wenigstens im Bunde der Dritte sein. Bei der Gelegenheit geht regelmäßig die Einbildung mit ihnen durch, sie seien nicht blos fähig, eine starke Liebe zu empfinden, sondern auch zu erregen; allmälig merken sie dann, daß man sie zum Besten gehabt. Von Lenz hat sich ein Tagebuch erhalten, das die Geschichte seiner Straßburger Leiden sehr ausführlich beschreibt, in einem wahren Galgenhumor. Er findet die Tragik seines Lebens in dem bittern Gefühl, mit seinen zartesten Empfindungen ausgelacht zu werden. „Das Schicksal des Genie's ist unter allen Erdensöhnen das bängste, das traurigste!"

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Er flagt sein Herz an, daß es ihn so oft quäle. Deine Schläge, wie so selten mischt sich Lust in sie hinein, und wie Augenblicks vergelten sie ihm jede Lust mit Pein . . . Lieben, hassen, fürchten, zittern, hoffen, zagen bis ins Mark kann das Leben wohl verbittern - aber ohne sie wär's Quark!"

Für das Studium von Liebesangelegenheiten fand er nun in Goethe eine ergiebige Ausbeute. Goethe war seit seinem vierzehnten

Jahr bereits vielfach, in Leipzig, Frankfurt und Straßburg, in flüchtige Liebesabenteuer verwickelt; nun, unmittelbar nach Herder's Abreise, April 1771, erneuerte er ein Verhältniß, das ihn früher schon beschäftigt, aber jetzt erst ernsthaft wurde, das Verhältniß zu Friederike Brion, der Tochter des Landpfarrers von Sessenheim. Die Leipziger Liebschaften waren allmälig in Vergessenheit gerathen; die Beziehung zur Tanzmeisterstochter Lucinde in Straßburg hatte halb tragisch geendet, mit einer Verwünschung der Lippe, die zunächst nach ihr den Mund des Geliebten küssen würde.

„Es schlug mein Herz; geschwind zu Pferde, und fort, wild, wie ein Held zur Schlacht: der Abend wiegte schon die Erde und an den Bergen hing die Nacht; schon stund im Nebelkleid die Eiche wie ein gethürmter Riese da, wo Finsterniß aus dem Gesträuche mit hundert schwarzen Augen sah. Der Mond von seinem Wolkenhügel schien schläfrig aus dem Duft hervor; die Winde schwangen leise Flügel, um= fausten schauerlich mein Ohr; die Nacht schuf tausend Ungeheuer doch tausendfacher war mein Muth! Mein Geist war ein verzehrend Feuer, mein ganzes Herz zerfloß in Gluth." - „Der Abschied, wie bedrängt, wie trübe! aus deinen Blicken sprach dein Herz. In deinen Küssen, welche Liebe, o welche Wonne, welcher Schmerz! Du gingst; ich stund und sah zur Erden, und sah dir nach mit nassem Blick. Und doch, welch Glück, geliebt zu werden und lieben, Götter welch ein Glück!“ Das klingt anders als das Leipziger Liederbuch: Feuer der Empfindung, ein schöner kräftiger Tonfall, eine kühne und doch reiche Bildlichkeit, die überall den treffendsten Ausdruck findet.

Es kam zu einer Erklärung der gegenseitigen Liebe, aber zu keiner förmlichen Verlobung. Mit einer Mystification der guten Leute in Sessenheim hatte die Idylle angefangen, mit den Augen Goldsmith's hatte Goethe sie angeschaut. Friederike war ihm Friederike nur im Mieder, in ländlichen Umgebungen, in Sessenheim, in Wakefield; schon in Straßburg kam das Landkind ihm fremd vor, und nach Sessenheim gehörte er nicht hin, das wußte er. In beständigem Wechsel wogte die Leidenschaft, bis zum Entschluß dauerte es Monate. Es ist die nämliche Stimmung, die vor zwanzig Jahren Mellefont in Lessing's „Sara Sampson" vertrat.

Aus einem längeren Aufenthalt in Sessenheim, Pfingsten 1771, schreibt er: „der Zustand meines Herzens ist sonderbar, und meine Gesundheit schwankt wie gewöhnlich durch die Welt, die so schön ist, als ich fie lange nicht gesehn habe. Die angenehmste Gegend, Leute, die

mich lieben Sind nicht die Träume meiner Kindheit alle erfüllt? frage ich mich manchmal, wenn sich mein Aug' in diesem Horizont von Glückseligkeiten herumweidet; sind das nicht die Feengärten, nach denen du dich sehntest? — Sie find's, sie sind's. Ich fühl' es, daß man um kein Haar glücklicher ist, wenn man erlangt, was man wünschte. Die Zugabe! die Zugabe! die uns das Schickfal zu jeder Glückseligkeit drein wiegt! Es gehört viel Muth dazu, in der Welt nicht mißmuthig zu werden!... Der Kopf steht mir wie eine Wetterfahne, wenn ein Gewitter heraufzieht und die Windstöße veränderlich sind." — Bald darauf, 27. Juni, von einem Ausflug nach Saarbrück: „Welch Glück ist's, ein leichtes, ein freies Herz zu haben! Man sagt, die Liebe mache muthig: nimmermehr! sobald unser Herz weich ist, ist es schwach. Wenn es so ganz warm an seine Brust schlägt, und die Kehle wie zugeschnürt ist, und man Thränen aus den Augen zu drücken sucht, und in einer unbegreiflichen Wonne dasißt, wenn sie fließen: o da sind wir so schwach, daß uns Blumenketten fesseln; nicht weil sie durch irgend eine Zauberkraft stark sind, sondern weil wir zittern, sie zu zerreißen. Wir sind, wie Kinder auf dem Schaukelpferde, immer in Bewegung, immer in Arbeit, und nimmer vom Fleck. Das ist das wahrste Bild eines Liebhabers. Wie traurig wird die Liebe, wenn man so genirt wird; und doch können Verliebte nicht leben, ohne sich zu geniren."

6. Aug. 1771 disputirte Goethe als Licentiat der Rechte; zum Thema seiner Habilitationsschrift hatte er genommen, daß der Gesetzgeber nicht allein berechtigt, sondern verpflichtet sei, einen gewissen Cultus festzustellen, von dem weder Geistliche noch Laien abweichen dürften. Die Schrift blieb ungedruckt; eigentlicher Doctor ist Goethe nicht geworden, obgleich er fortan immer so genannt wird. „Heiße Magister, heiße Doctor gar.“ Seine Dissertation hätte bei keiner guten Polizei zum Druck zugelassen werden können! meint einer seiner Mitstudenten; ein andrer: Goethe est un homme de génie à ce qu'on dit, mais d'une suffisance insupportable." Solchen Eindruck machte Goethe auf so manche, mit denen er in Berührung kam.

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Gleich nach seiner Disputation kehrte er nach Frankfurt zurück. Von da aus schrieb er Friederike den Scheidebrief; sie verfiel in eine lebensgefährliche Krankheit. Goethe handelte in dem Gefühl, nicht anders handeln zu können; was er damit für Unheil angerichtet, erkannte er voll, und nahm die Schuld voll auf sich. Fast sämmtliche größern Dichtungen der nächsten Jahre sind von diesem Gefühl der Schuld eingegeben, und mit finstern Zügen malt der Dichter die Folgen

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