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aus, die feine Schuld hätte haben können. Das zarte blasse Bild suchte ihn wiederholt heim als Marie Beaumarchais, als Faust's Gretchen bis es endlich die entzückend rührende Gestalt gewann, die wir aus „Wahrheit und Dichtung“ kennen.

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Lenz, dessen Phantasie von allem, was Goethe that, auf das lebhafteste angeregt wurde, ging ihm auch nach Sefsenheim nach. Er beschreibt Friederike: „ein Kind, zwar still und bleich, von Kummer krank, den Engeln gleich; sie hielt im halberlosch'nen Blick noch Flammen ohne Maß zurück, all jezt in Andacht eingehüllt, schön wie ein marmorn Heil'genbild. War nicht umsonst so still und schwach, verlassne Liebe trug sie nach... Immer, immer doch schwebt ihr das Bild an Wänden noch von einem Menschen, welcher kam und ihr als Kind das Herze nahm. Fast ausgelöscht ist sein Gesicht, doch seiner Worte Kraft noch nicht, und jener Stunden Seligkeit, und jener Träume Wirklichkeit, die angeboren Jedermann, kein Mensch sich wirklich machen kann . . . In ihrer kleinen Kammer hoch sie stets an der Erinnerung sog; an ihrem Brodschrank an der Wand er immer, immer vor ihr stand, und wenn ein Schlaf fie übernahm, im Traum er immer wieder kam."

Im väterlichen Hause zu Frankfurt gab sich Goethe auf den Wunsch seines Vaters der juristischen Praxis hin, ließ sie aber meist durch diesen besorgen. Seine Herzensbedürfnisse suchte er bei seiner Mutter, Fräulein v. Klettenberg, seiner Schwester Cornelie und dem Kreis junger Damen, den dieselbe um sich gebildet, zu befriedigen. Bald ging ihm der Stoff für eine größere Dichtung auf, ein historisches Bild aus dem 16. Jahrhundert, dessen eckige Art ihn schon in Straßburg im Volksbuch vom Faust entgegengetreten war. Dies Jahrhundert schien ihn in Shakespeare's Welt einzuführen, und er glaubte es auch mit der Freiheit der Shakespeare'schen Form behandeln zu dürfen.

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Mein ganzer Genius“, schreibt Goethe Nov. 1771 an die Straßburger, liegt auf einem Unternehmen, worüber Homer und Shakespeare und Alles vergessen werden; es ist eine ganz unerwartete Leidenschaft! Ich dramatisire die Geschichte eines der edelsten Deutschen, rette das Andenken eines braven Mannes." Die Selbstbiographie des Götz von Berlichingen war ihm in die Hände gefallen; er entnahm ganze Scenen daraus, für das Uebrige suchte er einen verwandten Ton. An die Reihenfolge der Begebenheiten kehrte er sich gar nicht, er erfand mit völliger Freiheit. Um die Composition wenig bekümmert, war er mit der Arbeit in einigen Wochen fertig. Er läßt seine Reiter ungefähr so reden, wie er selbst mit seinen Gesellen sich unterhielt. Seine eigne

Julian Schmidt, Litteratur. II.

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Lage, wie er sie reuig empfand, bildet er im Zerrspiegel des Weißlingen nach: die gute Friederike, schrieb er halb im Scherz halb im Ernst, an die Straßburger, als er ihnen den Entwurf zuschickte, werde doch eine leise Genugthuung haben, daß es dem treulosen Liebhaber so schlecht gehe. Bald darauf wurde das Stück an Herder geschickt: „eine Skizze, zwar mit dem Pinsel auf Leinwand geworfen, an einigen Orten sogar ausgemalt... Das darf ich sagen, daß ich recht mit Zuversicht arbeitete, die beste Kraft meiner Seele darauf wendete. Ihr Urtheil wird mir die Augen öffnen. Auch unternehm' ich keine Veränderung, bis ich Ihre Stimme höre; ich weiß doch, daß alsdann eine radicale Wiedergeburt geschehn muß, wenn es zum Leben eingehn soll."

Gegen seine Braut in Darmstadt sprach sich Herder sehr beifällig aus; „es ist ungemein viel deutsche Stärke, Tiefe und Wahrheit darin, obgleich es hin und wieder auch nur gedacht ist." Indeß behielt er das Stück ein halbes Jahr zurück, und sein Urtheil lautete dann nicht sehr ermuthigend. Es ist in Herder's Gefühl eine eigne Mischung: aufrichtige Neigung, und daneben der geheime Neid des weltscheuen Denkers gegen den Liebling des Lebens, dem gegen alle Welt Zunge und Herz gelöst ist. Von dem Druck eines solchen Gefühls befreit nur unbedingte Liebe.

„Ich sette den Göz", erwidert ihm Goethe, „schon weiter herunter als Ihr. Er muß umgeschmolzen, von Schlacken gereinigt, mit einem edlen Stoff versezt und umgegossen werden. Dann soll's wieder vor Euch erscheinen. Es ist alles nur gedacht, das ärgert mich genug... Wenn mir im Grund der Seele nicht noch so vieles ahndete, manchmal nur aufschwebte, daß ich hoffen könnte, wenn Schönheit und Größe sich mehr in dein Gefühl webt, wirst du Gutes und Schönes thun, reden und schreiben, ohne daß du weißt, warum? . . . Ich möchte beten wie Moses: Herr, mache mir Raum in meiner engen Brust!"

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Er läßt nicht ab von dem stolzen Mann. Es vergeht kein Tag, daß ich mich nicht mit Euch unterhalte, und oft denke: wenn sich)'s nur mit ihm leben ließe! Es wird, es wird!" Er liest Herder's „Frag= mente" mit Begeisterung: einiges daraus ist wie eine Göttererscheinung über mich herabgestiegen, hat Herz und Sinn mit warmer heiliger Gegenwart durch und durch belebt! . . . Laßt uns versuchen, ob wir nicht öfter zu einander treten können! Ihr fühlt, wie Ihr den umfassen würdet, der Euch das sein könnte, was Ihr mir seid. Laßt uns da= durch, daß wir manchmal an einander gerathen müssen, nicht wie Weichlinge abgeschreckt werden!"

„Herder! Herder! Bleiben Sie, was Sie mir find! Bin ich be= stimmt, Ihr Planet zu sein, so will ich's sein, es gern, es treu sein; ein freundlicher Mond der Erde... Ich laffe Sie nicht los! ich lasse Sie nicht! Jacob rang mit dem Engel des Herrn. Und sollt' ich lahm darüber werden. Jezt eine Stunde mit Ihnen zu sein, wollt ich mit bezahlen!"

Nur einmal noch hat der übermüthige Jüngling mit solcher Inbrunst einem Mann sich an die Brust geworfen: in Faust's Beschwörung des Erdgeistes. „Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben! Du mußt, du mußt! und kostet's mich mein Leben." Der Erdgeist wandte sich ab, und verwies Faust auf einen Andern, den er besser verstehn würde. Einen solchen fand Faust im Mephistopheles, Goethe in einem Mann, der ihn näher an sich kommen ließ als Herder.

Ende 1771 meldete sich Herder's Darmstädter Freund Merck bei Goethe an: er wurde für die nächsten Jahre sein vertrautester Rathgeber; zugleich aber eine interessante Studie für eine dramatische Figur, die ihm im Sinn lag.

Er war lang und hager von Gestalt, eine hervordringende spiße Nase zeichnete ihn aus, hellgraue Augen gaben seinem Blick, der aufmerksam hin- und herging, etwas Tigerartiges." Die Schnelligkeit, mit welcher er die Blößen und Selbsttäuschungen der Leute durchschaute, durch jeden Nebel drang, veranlaßten Goethe ihn Mephistopheles zu nennen, den „Geist, der stets verneint!" Die Figur war ihm aus dem Puppenspiel Faust geläufig. Bei weiterer Bekanntschaft gingen ihm noch andre Aehnlichkeiten auf. „In seinem Charakter lag ein wunderbares Mißverhältniß. Von Natur ein braver, edler, zuverlässiger Mann, hatte er sich gegen die Welt verbittert, und ließ diesen grillenhaften Zug dergestalt in sich walten, daß er eine unüberwindliche Neigung fühlte, vorfäßlich ein Schalk, ja ein Schelm zu sein. Verständig, ruhig, gut in einem Augenblick, konnte es ihm in dem andern einfallen, irgend etwas zu thun, was einen Andern kränkte, verlegte, ja was ihm schädlich war. Doch wie man gern mit etwas Gefährlichem umgeht, wenn man selbst davor sicher zu sein glaubt, so hatte ich eine desto größere Neigung, mit ihm zu leben und seine guten Eigenschaften zu genießen, da ein zuversichtliches Gefühl mich ahnen ließ, daß er seine schlimmen Seiten nicht gegen mich kehren werde." Diese Bemerkungen entsprangen erst der nähern Bekanntschaft, vorläufig war das Verhältniß ein sehr intimes.

Merck gab sich eine ganz andre Stellung zu Goethe als Herder. Obgleich acht Jahre älter als Goethe, an Weltkunde und Wissen ihm

damals bei weitem überlegen, und in seinem Urtheil sonst durchaus nicht schonend, nahm er doch einen lebhaftern Antheil an der Eigenart des hoffnungsvollen Jünglings, als der ablehnende Herder, und seine Rathschläge waren praktisch greifbarer. Herder als Seher und Prophet theilte Orakel aus, die errathen sein wollten; Merck war der verständige Rathgeber, nicht blos in der Kritik poetischer Arbeiten, sondern in allen Geschäften des Lebens, in denen er willig die Hand reichte.

Er veranlaßte Goethe zunächst, selbst Kritiker zu werden. Herder's Freunde in Darmstadt und Gießen hatten sich in Frankfurt zu einer Gelehrten-Zeitung vereinigt, die sich vorseßte, durch stärkere Anspannung der Kritik das Mittelmäßige wegzuschaffen, dem Großen Raum zu geben, und dem Publicum weite Gesichtspunkte zu eröffnen. Die Leitung übernahm erst Merck, dann bald darauf Georg Schlosser.

Schlosser, gleichaltrig mit Merck, Advocat, war von früher Zeit her mit Goethe befreundet, und hatte zu dessen Schwester Cornelie eine stille Neigung. Ein gewissenhafter Geschäftsmann, nebenbei aber ein weicher leicht bestimmbarer Gefühlsmensch, ging er lebhaft in die durch Rousseau angeregten pädagogischen Ideen ein, und correspondirte darüber mit Lavater und Basedow; eben hatte er einen Katechismus für's Landvolk veröffentlicht, der diesem von der deutschen Litteratur bisher so sehr vernachlässigten Stand zu seinem Recht verhelfen sollte.

Die neue Zeitung erregte Aufsehn; hauptsächlich durch Herders. höhnische Kritiken, dessen Stil man leicht herauserkannte, obgleich er hartnäckig leugnete. Den besten und gewandtesten Stil schrieb der junge Goethe, und die Mitarbeiter schickten ihn gern voraus, wenn sie den Gegenstand mit ihm besprochen hatten. Seine Kritik verräth immer die dichterische Anlage, und er läßt nur den für einen echten Kritiker gelten, der die Erfahrungen seines eignen Schaffens dem angehenden Künstler zur Erweckung und Erbauung mittheilt.

Für ihn selbst war die kurze Zeit, da er sich mit dem kritischen Geschäft abgab, von Wichtigkeit: es war eine treffliche Schule, seine eingeborne Gluth zu mäßigen. Die künstlerische Besonnenheit bildete sich bei ihm gleichzeitig mit dem schöpferischen Drang aus, das eine brauchte das andre nicht erst zu suchen. Er hat sich nicht in der Einsamkeit, sondern im Verkehr mit einem gewählten Kreis entwickelt. Der kühle Urtheiler der Zeitung und der feurige Jüngling, der in den Oden sein Gefühl ausströmt: es ist derselbe Geist, dieselbe Bildung.

Noch in einer andern Weise sollte Goethe in Herder's Gehege

kommen: er wurde durch Merck den schönen Seelen in Darmstadt zugeführt.

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In diesem Kreis ging es wunderlich genug zu. Jeder war in Jede verliebt, Jeder auf Jeden eifersüchtig, Leuchsenring hatte durch seinen Klatsch den ärgsten Unfug angerichtet. „Es ist zwischen uns“, schreibt Herder, empört über Leuchsenring und die ganze Schule der Lorenzodosen, namentlich die Jacobis, „ein so sonderbar gezogener und verwickelter Faden von Liebe, Freundschaft, Eifersucht, Haß und Rache gegen einander, als je in einem so evenementsleeren Cirkel gedacht werden fann!" Ihr steht alle meiner Natur noch zu nahe! ihr tastet noch und seht nicht. Da wird der weichen, warmen, fühlenden Hand alles größer, runder, kolossaler - aber auch dunkler, und ihr habt noch kein Ganzes von Anblick." Von diesem wechselnden Anbeten und Verkennen giebt Herders Briefwechsel mit Caroline Flachsland ein wunderliches Bild. Er nennt sie mein Traumesmädchen! meine erhabene Richterin! meine zweite Schöpferin! meine Griechin!" welche Prädicate sie dann mit noch überschwenglichern erwidert. Er wirft sich thränend vor ihr nieder und betet sie an, sie thut dasselbe. Bei aller Zärtlichkeit ist der Briefwechsel ein beständiger Orkan; alle Augenblicke sind sie bereit, wegen irgend eines Mißverständnisses zu brechen. „Ich weiß nicht“, schreibt sie einmal, „welcher Dämon mir eingab, hohe Tugend zu üben! meine ganze Seele ist so zerrüttet und verwundet!" Merkwürdig, daß er immer von Unschuld spricht, sie immer von Sinnlichkeit.

In diesen Kreis trat nun Goethe ein; der größte Dichter der Empfindung sollte auch noch die Schule der Empfindsamkeit durchmachen, um die Sache aus dem Grunde kennen zu lernen. April 1772 wanderte er zuerst nach Darmstadt; ungefähr gleichzeitig fanden sich aus Homburg Lila und Urania ein. In Darmstadt wechselten immer Fußfälle und Küsse; alles wurde geküßt, Mund, Busen, Knie. Hier kam nun gegen den schönen Jüngling keiner auf, er streifte mit den Mädchen durch die Wälder, und las ihnen Lieder vor, eigne und Shakespeare'sche; er sang fie alle an. Lila voraus: „wäre Göthe von Adel", schreibt Caroline 2. Mai an Herder, so müßte er Lila heirathen, diesen Engel an Empfindung!" Aber auch Urania erhielt ihr Theil, Madame Merck und Caroline oder, wie sie nach Leuchsenring immer genannt wurde, Psyche. In allen Briefen Carolinens an Herder ist Goethe die Hauptperson; man merkt Herder das Unbehagen an, wenn nur der Name genannt wird. Gott weiß, was alles vorging! Zuleßt, 10. Mai, Abschied mit Kuß und vielen Thränen.

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