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Schon in Straßburg hatte sich Goethe eifrig mit dem Puppenspiel beschäftigt und den Gedanken in sich getragen, es poetisch zu bearbeiten. Er hatte in Weßlar gegen Gotter davon gesprochen, der ihm 1773 schreibt: „schick mir auch den Doctor Faust, sobald dein Kopf ihn ausgebraust!" d. h. sobald deine Ideen Gestalt gewonnen haben. Seitdem aber kein Wort davon; weder gegen Schönborn Oct. 1773 noch in dem Bericht an denselben, Juni 1774, wo alles bis ins Kleinste aufgezählt wird, womit der Dichter sich beschäftigt. Daß er ein Stück wie den Faust vergessen haben sollte, ist undenkbar. Auf der Geniereise, von der er 13. Aug. zurückkam, viel von Werther geredet, kein Wort von Faust. Der Schluß liegt nahe, daß der Faust, abgesehn von den nachträglich eingeschobenen Stellen, im August und September 1774 geschrieben wurde. Es lag in Goethe's Art: längere Zeit trug er Holz zusammen und erwartete den zündenden Funken; dann aber flammte plößlich und in gewaltiger Gluth der Scheiterhaufen auf. So hatte er es auch mit dem Werther" gemacht.

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In dem Deutschen Volksbuch von 1587, das Marlowe's Drama zu Grunde liegt, wie dieses dem deutschen Puppenspiel, schließt Faust einen Contract mit dem Teufel, der sich verpflichtet, für eine bestimmte Zeit alle seine Wünsche zu erfüllen, wofür ihm Jener seine ewige Seligkeit verschreibt. In Folge dessen wiederholt hervortretende fruchtlose Reue, bis er endlich wirklich vom Teufel geholt wird. Also ein Motiv aus den Herenprocessen, nur daß hier als Unterhaltungsstoff verwerthet wird, was im Leben schaudervolle Wirklichkeit war; wenn Faust den vornehmen Herrn seine Kunststücke producirt, fällt ihnen garnicht der Scheiterhaufen ein, sie schäßen ihn als geschickten Tausendkünstler. Das scheint auch das letzte Ziel seines Ehrgeizes; er hat zuweilen, wie z. B. bei Marlowe, weitere Einfälle, er möchte Kaiser von Europa werden, aber das dauert nicht lange. Seine Wunder haben meist etwas Burlestes und Schadenfrohes, er will die Leute, wo nicht schädigen, doch wenigstens necken. Er will so viel als möglich genießen, Wein, Weiber u. s. w. Aber er hat noch ein andres Motiv: getrieben von einer unbezwinglichen Wißbegier, der das wissenschaftliche Studium lange nicht Genüge leistet, wünscht er, alle Merkwürdigkeiten auf Erden, im Himmel und in der Hölle zu sehn, auf einem Zaubermantel, auf einem Drachen oder wie sonst, jedenfalls auf abgekürztem Wege, und der Teufel soll ihm über alle Geheimnisse der Schöpfung gründlich Auskunft geben. Die letzten Stündlein, die so rasch vergehn, sind vom deutschen Puppenspiel mit echt dramatischer Kraft dargestellt; diese

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glücklichen dramatischen Motive waren wohl das Erste, was Goethe anzog.

Das Thema war durch Lessing wieder in Aufnahme gekommen; sein Stück war nicht ausgeschrieben, aber man hatte viel darüber gesprochen, und die eine Scene, die Beschwörung der Teufel, war veröffentlicht. Der einzige Teufel, dessen Schnelligkeit Faust genügt, ist derjenige, der so schnell ist wie der Uebergang vom Guten zum Bösen; das spricht zugleich eine schmerzliche Erfahrung Faust's aus. Der Teufel will Faust bei seinem Wissensdurst fassen und ihn dadurch verführen: grade das edelste Streben der Menschheit bietet ihm Handhaben. Solche Empfindungen treten in Zeiten der Unruhe und Unsicherheit des Glaubens am lebhaftesten hervor. Das Verlangen, die freie Individualität, allenfalls im Widerspruch gegen Sitte und Weltgesetz, sich voll ausleben zu lassen, trifft recht den Kern der modernen Existenz; voll ausleben, allenfalls auf die Gefahr der völligen Vernichtung, der ewigen Verdammniß!

In diesem Kampf des Individualismus gegen die Ueberlieferung hat das Zeitalter des historischen Faust einige Verwandtschaft mit dem des Goethischen. Hier wie dort regte das alte Heidenthum sich wieder, vergeffene Götterbilder drängten sich zur Oberwelt. Die Renaissance kämpfte gegen die Scholastik, welche die Welt, um sie zu begreifen, in farblose Begriffe auflöste, gegen die Kirche, die mit ihren Geboten das Leben einengte. Als fahrende Scholasten disputirten die Neuerer gegen alle vier Facultäten. Aber im Faustbuch war der große Sinn mit wüstem Aberglauben und abgeschmackten Späßen verquickt, die selbst Marlowe in seinem Veredlungsversuch nicht völlig beseitigt hatte. In allen Sagen grinste das greuliche Gesicht der Herenprocesse. Von diesem Wust konnte Goethe nichts brauchen als einiges Costüm. „Ich bin“, schreibt er später an Lavater, „geneigter als Jemand, noch eine Welt außer der sichtbaren zu glauben, und ich habe Dichtungs- und Lebenskraft genug, sogar mein eignes beschränktes Selbst zu einem Swedenborgischen Geisteruniversum erweitert zu fühlen; alsdann mag ich aber gern, daß das Alberne und Ekelhafte menschlicher Excremente durch eine feine Gährung abgesondert, und der reinlichste Zustand, in den wir verseht werden können, empfunden werde": d. h. der historische Aberglaube sollte in's allgemein Dichterische transponirt werden.

Was wir von dem ersten Entwurf des Faust übrig haben, zeigt augenscheinlich, daß es dem Dichter nicht einfiel, ein in den Motiven wie in den Uebergängen zusammenhängendes, für die Bühne berechnetes Drama zu schreiben, etwa wie den „Clavigo“: er wollte, wie im „Pro

metheus", eine Reihe von Empfindungen und Gedanken aussprechen, zu welchen die dialogische Form nur der Behelf sein sollte; auch die Figuren waren nicht immer ihrer selbst willen da, sondern nur als Träger jener Gedanken und Empfindungen, und wenn es sich grade schickte, wechselten sie wohl die Rollen: auf die einzelnen kühnen Gedankenblize kommt es dem Dichter an, nicht auf die Consistenz der Personen, nicht einmal auf die Consistenz der Handlung oder der geschilderten Zustände.

Ohne Zweifel begann Goethe seine Arbeit mit dem ersten Monolog, der ihm im Puppenspiel wie bei Marlowe, auch in einem Stich von Rembrandt vorlag; er dichtete ihn im Ton des Hans Sachs, der ihm seit 1773 geläufig war, ging aber bei jeder erhöhten Stimmung in ein gewählteres lyrisches Maaß über. In diesem Monolog deutet sich die Tendenz des Ganzen an, wie es Goethe damals vorschwebte.

Den Faust wie den Göz im Licht des 16. Jahrhunderts historisch zu behandeln, lag dem Dichter fern; er suchte ihn aus seinem eignen Innern heraus zu verstehn; er schnitt den Pelz des alten Schwarzkünstlers nach seiner eignen Statur zu.

Faust will alles Wissenswürdige im Himmel und auf Erden schauen. Er will alles Schöne der Welt genießen. So etwas schwebte auch Goethe vor. Aber nicht minder war ihm die Ahnung verständlich, daß er nie Befriedigung finden werde, da alles Lebendige vergänglich, alles Wirkliche nur Erscheinung ist; das Gefühl ist grade für tiefere Menschen der Wermuthstropfen im Freudenkelch des Lebens.

Neben diesem Unmuth aber quoll in der Seele des feurigen Jünglings ein Born unerschöpflicher Lustigkeit; auf Stunden schmerzlichster Entbehrung folgte übermüthiger Jubel. Die Darstellung dieser Doppelnatur, die Goethe mit einer gewissen Scheu in sich fühlte, die im „Prometheus“ und „Satyros" noch getrennt erscheint, ist das eigentlich Charakteristische in der ersten Version des Faust.

Auch in den Einzelheiten wiesen die Worte des Monologs vielfach auf des Dichters eigne Erlebnisse hin. Auch Goethe hatte Jura, Medicin (in Straßburg), Philosophie, und leider auch etwas Theologie studirt; er hieß nun Doctor, wenn auch nicht ganz mit Fug, und meinte doch nichts Rechtes zu wissen. Gegen den Facultätsgelehrten Wagner spricht er gründliche Verachtung aus; seine Anmaßung, von der Aufklärung des 18. Jahrhunderts aus den Geist der Geschichte zu verstehn, geißelt er ebenso schonungslos wie vor ihm Herder; Mephistopheles wiederholt gegen den Schüler dasselbe, nur in einer andern Tonlage. Das bloße Lernen fördert den Genius nicht; was er nicht selbst erlebt,

neu erfunden, erfahren, in den Kreis seiner Empfindungen aufgenommen, ist ihm leer. Die Facultätswissenschaft zeigt ihm nur auseinander ge= nommene Knochen und Fasern, nie pulsirendes Leben. Er will die Wahrheit nicht blos betasten, es lüftet ihn, sie anzuschauen. Das Wesen soll ihm als Erscheinung, das Göttliche als Bild vor die Seele treten. So hatte er sich, halb im Scherz, in Straßburg als zweiter Faust der Magie ergeben: „ob mir durch Geistes Kraft und Mund nicht manch Geheimniß werde kund!" Er hatte das vor Herder sorgfältig verheimlicht.

Nun war Herder selbst unter die Magier gegangen; die „Aelteste Urkunde" machte auf Goethe einen gewaltigen Eindruck. „Es ist", schreibt er Juni 1774 an Schönborn, „ein mystisch weitstrahlsinniges Ganze, eine in der Fülle verschlungener Geäste lebende und rollende Welt! eine Riesengestalt. Herder ist in die Tiefe seiner Empfindung herabgestiegen, hat darin all die hohe heilige Kraft der simpeln Natur aufgewühlt, und führt sie nun in dämmerndem, wetterleuchtendem, hier und da morgenfreundlich lächelndem Orphischen Gesang vom Aufgang herauf über die weite Welt, nachdem er vorher die Lästerbrut der neuen Geister mit Feuer und Schwefel und Flutsturm ausgetilgt." Herder verhieß dem Adepten den „Unterricht in der Morgenröthe“, und Faust ruft froh: „jezt erst versteh' ich, was der Weise spricht! Die Geisterwelt ist nicht verschlossen! Dein Sinn“ (d. h. des aufgeklärten Zeitalters Sinn) ist zu, dein Herz ist todt! Auf, bade, Schüler! unverdrossen die irdische Brust im Morgenroth!"

Jetzt erst versteht Goethe, was er in Straßburg in dem Nostradamus und andern Zauberbüchern gefunden; er vernimmt die Stimme eines Hierophanten, der durch die Macht seines Geistes vorausnimmt, was die nüchternen Wagner sich mühsam ertasten.

Mit dem neu gewonnenen Schlüssel in der Hand klopft Faust verwegen an die Pforten des Geisterreichs, aus den alten Zauberbüchern weht eine reiche Ideenwelt ihn an. Er ruft die Geister, die ihn umschweben. Es sind keine dramatisch wirksame Wesen, die in den Zusammenhang der Handlung eingreifen sollen; Faust verlangt von ihnen keine Dienste, es handelt sich nicht um die Kunst, wunderbare Wirkungen durch übernatürliche Mittel hervorzubringen, sondern um die Kunst, Geheimnisse der Geisterwelt zu enthüllen, die der gemeinen Bildung verschlossen bleiben: der Magier will das Wesen der Dinge als Erscheinung sehen, er will den Schleier heben, der ihm das Wahre verdeckt. Er will tiefer, als durch die Schul-Philosophie, das bleibende Gesetz des Lebens der Natur und der Geschichte, durchblicken.

Zunächst schlägt Faust das Zeichen des Makrokosmos auf, des eigentlichen Kosmos, wie ihn Spinoza gesehn. Da äußert sich das Leben Gottes im Universum nach ewigen Gesezen, wo alles sich zum Ganzen webt, eins in dem andern wirkt und lebt!" Er sieht mit geheimnißvollem Trieb die Kräfte der Natur sich enthüllen. „Welch Schauspiel! Aber ach, ein Schauspiel nur! Wo faff' ich dich, unendliche Natur?" Ihre Brüste quellen und der Mensch schmachtet vergebens: in Spinoza's Welt ist für freie Seelen so wenig Plaß als für Dämonen, Magier und Titanen. Noch ist der feurige Jüngling nicht so resignirt, auf die Gegenliebe des Universums zu verzichten, er sieht die Natur noch mit den Augen Werther's an, als das ewig verschlingende Ungeheuer, gegen dessen Uebermacht das Individuum sich vergebens wehrt.

Er wendet sich zu dem Zeichen des Erdgeistes, in welchem das Göttliche sich in hohen geschichtlichen Symbolen offenbart, wie sie Herder in seinen mystischen Schriften ahnungsvoll verkündet. Da spricht Gott im menschlichen Geist, er äußert sich in „Lebensfluten, im Thatensturm“, d. h. in der Geschichte. Der Erdgeist „schafft am sausenden Webstuhl der Zeit, und wirkt der Gottheit lebendiges Kleid", d. h. die Verkleidungen, die Metamorphosen der Gottheit, die wechselnden Götterbilder, die über die Erde wandeln. Mit Begeisterung ruft Faust ihn herbei: „schon fühl ich Muth, mich durch die Welt zu wagen, der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen!" Aber wie der Geist wirklich erscheint, bricht Faust vor dem schrecklichen Gesicht entseßt zusammen. In der That, wenn einem dichterischen phantasievollen Gemüth die Geschichte als Ganzes im Bild erscheint: überall Mord, Blut und Vernichtung; das Herrliche in Trümmern, die Götterbilder zerschlagen, das Gemeine wuchernd über dem vergessenen Grab der Edeln, so ist das Grauen wohl natürlich: „der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an!"

Faust hat durch Magie die Weltmacht geschaut, in der Natur, in der Geschichte; aber in beiden verhüllt sich ihm das Göttliche.

Durch einzelne Stellen der spätern Version ist man zu einer falschen Auffassung des Erdgeistes verführt worden: er scheint später wiedergekommen zu sein, Faust zur rechten Erkenntniß der Natur angeleitet, und ihm den Mephistopheles geschickt zu haben. Solche Fäden zeigen sich wirklich an, aber der Dichter hat sie fallen lassen, und sie stimmen auch nicht zu der ersten Erscheinung des Geistes. Die Spinozistische Befriedigung an der in ihrem Zusammenhang erkannten Natur lag dem Magier, der im Bild des Makrokosmus sein Ich mit seinem ganzen Herzensantheil vermißte, noch fern; und der erscheinende Erdgeist ist eine intellectuelle

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