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hatte noch einen andern Grund. Allwill ist sein kennbares Portrait: Alter, Aussehn, die Details seiner Gewohnheiten, Briefstellen von ihm und über ihn. Als Jacobi den Roman begann, 26. Aug. 1774, schrieb er ausdrücklich an Goethe: ich habe in deinem Namen den Plan zu einem Roman in Briefen entworfen. Der „Werther" diente als Modell, der Ton erinnert so stark daran, daß von vielen Lesern das Buch Goethe zugeschrieben wurde. In der Reflerion über Empfindungen war Jacobi Virtuos, für das Thatsächliche wählte er Portraits aus seinen nächsten Umgebungen; zu dem einen idealen Charakter mußte ihm seine Frau sißen. Wichtiger ist ein weiblicher Werther, die junge Wittwe Sylli: sie ist durch ihren zerseßenden Verstand mit der Welt zerfallen, hat aber eine große Sehnsucht nach Liebe. Als ich Sylli's Brief schrieb“, erklärt er später der Freundin Sophie, „befand ich mich in einer Situation, wo mir alles was sie sagte gradewegs aus dem Herzen kam:"_ eigen genug, daß er seine Empfindungen einer Frau in den Mund legt!

Goethe konnte bei den Anfängen des „Allwill" noch nicht wissen, wo Jacobi hinaus wollte; aber ihm, mußte Schlimmes ahnen; sein Portrait war zu kenntlich, und aus diesem Portrait grinsten ihn die Masken von Crugantino, Fernando, Clavigo, Faust sehr deutlich an.

Jacobi wollte im „Allwill“ ursprünglich den wahrhaft freien Menschen schildern, der ohne Rücksicht auf Herkommen und Gesetz nach souveränen Eingebungen seiner Natur groß und edel handelt. Daß er selbst ein solcher nicht sei, wenigstens noch nicht, fühlte er lebhaft; er zog sich bescheiden hinter Goethe zurück, in dem ihm das Ideal seines eignen Lebens verkörpert erschien, von dessen Einfluß er sich für seinen noch schwankenden Charakter Festigung versprach. Allwills Glaubensbekenntniß sollte zuerst Goethe's und seine eigne gemeinsame Ueberzeugung ausdrücken. Diese Auffassung wurde durch den Eindruck der „Stella“ wesentlich verändert.

Schon in einem Jugendbrief bekennt Allwill, daß in seiner brausenden, unaufhörlich gährenden Natur tief ein unbezwinglicher Leichtsinn liege, und die Person, welche Jacobi's Gattin vertritt, bemerkt warnend: „Allwill ist ein recht wackerer Junge, und ich traue ihm von manchen Seiten sehr, aber es liegt etwas von Ruchlosigkeit in ihm.' Bald enthüllt er sich weiter. „Wenn mein Geist umnebelt ist, dann bin ich so verständig wie ein Schulmeister. Beim Nebel fließen die Dinge so hübsch in einander; keine Farbenverwirrung, alles grau, alles flach. Die Moral ist nichts als eine Art Nebel, der alles leichtfertige Außenwesen, als da

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find Glanz, Farbe und Licht an den Gegenständen verhüllt und nur das solide Unveränderliche an ihnen beäugen läßt. Ein feuriger geist= voller Jüngling, der ein Epiktet sein will, muß zum Schelm werden. Wie kann er alles Schöne mit Entzücken lieben und nie irre gehn? wie kann er euch euern Ueberdruß nachfühlen, eure Mattigkeit, ihr lieben Graubärte? Genießen und Leiden ist die Bestimmung des Menschen. Der Feige nur läßt sich durch Drohungen abhalten, seine Wünsche zu verfolgen; der Herzhafte spottet deß, und weiß sein Schicksal zu tragen.

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Nimm alle Sittlichkeit zusammen und versuche streng nach ihren Vorschriften zu wandeln; wenn du wahres Gefühl der Schönheit hast; auf wieviel Ausnahmen wirst du nicht stoßen! Willst du nun aus Furcht, zu irren, keine solche Ausnahme gelten lassen; wie muß da nicht endlich dein Herz und Verstand sich verstocken, dein Geist zu jedem freien Bestreben unfähig werden! . . . Hochweise Herrn! meine gefunden Sinne gingen bei eurer Krankendiät zu Schanden. Deswegen überlaßt mich meiner guten Natur, welche verlangt, daß ich jede Fähigkeit in mir erwachen, jede Kraft der Menschheit in mir rege werden lasse. Freilich drängt sich's da wohl einmal, aber die freie Bewegung hilft durch, paßt, sondert und vereinigt. . . Es weht durch alle Empfindungen der lebendige Athem der Natur. Laß ihn wehn! Fallen werde ich noch oft, aber ebenso oft wieder aufstehn und glücklicher fortwandeln. Es ist ein Lumpenfram um alle auswendig gelernte Moral! Was für Grundsäße werden nicht in unsrer Kindheit in unsre Köpfe geschraubt, was für Gesinnungen hineingedämmert! Daher das ewige Mißtrauen zwischen Geist und Herz. O schlage du nur fort, mein Herz, muthig und frei! dich wird die Göttin der Liebe, es werden die Huldinnen alle dich beschirmen! denn du ließest alle Freuden der Natur in dir lebendig werden, schenktest ihrem zartesten Lächeln jedesmal von Neuem dich ganz, strömtest hin in verdachtlosem Entzücken; lerntest, empfingst von ihr, zu geben und zu nehmen wie sie selbst!"

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„Das nennen Sie Eines Sinnes sein mit der Natur?!" antwortet ihm eine verlassene Geliebte. „Sie, der, alle Hände voll, noch immer weiter greift, und darum weder fassen noch halten kann! der immerwährend die echtesten Bande der Natur auflöst, wahre reine Verhältnisse zerstört, um erträumte chimärische an die Stelle zu sehen; dann sich abarbeitet, alle Schwarzkünfteleien zu Hülfe nimmt, um den wankenden Schatten zu befestigen, und da doch die Sonne ihn verrückt, dem Segenswandel der Sonne flucht! Wenn ich nur etwas wüßte, was der Natur mehr entgegen wäre als jene Unmäßigkeit, die alle Bedürfnisse

vervielfältigt und unendlichen Mangel schafft, mit seinen Nöthen, Angst, Schmerz, Gewaltthätigkeit, Arglist und Tücke! jenes blinde Ringen, zu widernatürlichen Bedürfnissen widernatürliche Mittel zu finden! — Armes Mädchen! du glaubst, daß er dich liebt: er liebt dich wirklich, mehr vielleicht als dich ein Andrer lieben könnte. Allwill liebt nie anders; er ist immer seinem Gegenstand ganz: morgen vielleicht dem Ehrgeiz, einer Kunst, vielleicht einer neuen Geliebten. Sieh, er muß unstät und flüchtig sein, er ist gezeichnet!"

Noch feiner analysirt ihn eine welterfahrene Dame. „Es giebt keine Liebenswürdigkeit, die sich in ihm nicht abspiegelte wie die Sonne im Meer; und das ganz aus nackender Eigenschaft seiner Natur! Grade das macht ihn gefährlich; das giebt ihm die offne unschuldige Miene, wogegen kein Rath ist, worauf man ihm die Hand von Ferne reicht, sich ihm anschlingt. Erst hintennach wird man gewahr, was er für unfichere Straßen wandelt. Jedes Uebermaß von Kräften reizt zur Gewaltthätigkeit; dazu kommt bei den Allwillen, daß ihren vorzüglichen Gaben eine besonders zarte und lebhafte Sinnlichkeit, eine große Gewalt des Affects und eine ungemeine Energie der Einbildungskraft zu Grunde liegt. Wo unter ihnen der hellere Kopf ist, da stellt sich auch ein schwererer Grad der Ruchlosigkeit ein. Bei der Helle des Kopfs wird der Uebergang von der Empfindung zur Reflexion, zur Beschauung und Wiederbeschauung mit Hülfe des Gedächtnisses immer schneller, mannigfaltiger, gegenseitiger, durchgreifender, umfassender: bis endlich Anschauung, Betrachtung und Empfindung jeder Art von der zur größten Fertigkeit gediehenen Selbstbesinnung, Geistesgegenwärtigkeit und innern Sammlung, welche die Allwille selbst in der ärgsten Beklemmung der Leidenschaft nie ganz verläßt, unaufhörlich nur verschlungen werden, und für sich keine Gewalt und natürlichen Rechte mehr haben. Der ganze Mensch, seinem sittlichen Theil nach, ist Poesie geworden; und es kann dahin mit ihm kommen, daß keine ehrliche Faser an ihm bleibt. - Das macht die Allwille so gefährlich, daß fie in manchen Fällen Größe und Edelmuth beweisen, daß sie oft die schönsten Regungen der Seele blicken laffen: aber ihre Eigensucht ist hart und grausam, einer eigentlichen Verläugnung sind sie nicht fähig, und die Federkraft der Sittlichkeit in ihnen ist so gut wie todt."

Was mußte wohl Goethe bei diesem Zerrbild empfinden, das durch viele Züge kenntlich war, und mit dem er einige Verwandtschaft nicht ableugnen konnte! Er hatte sich selber oft genug carikirt, aber von einem alten Freund so abgezeichnet zu werden, war doch etwas andres.

Es lag nicht in seiner Art, sich darüber auszusprechen; aber der Groll blieb, und brach in einem Augenblick aus, wo Niemand den Grund errieth.

Jacobi hatte von Frankfurt aus Klopstock in Karlsruhe besucht. und ihn ohne Weiteres für ein Jdeal männlicher Größe erklärt. „Jacobi gehört zu uns!" schrieb Klopstock sehr befriedigt an den Bund. Er hatte während seines halbjährigen Aufenthalts in Karlsruhe seinen Anhang in Süddeutschland beträchtlich erweitert; auch die junge Princeß Louise von Darmstadt, die am dortigen Hofe erzogen wurde, schloß sich ihm warm an; noch enthusiastischer der große Tondichter Gluck, der auf einer Reise nach Paris Karlsruhe besuchte. Obgleich man dem Dichter am Hof alle denkbare Freiheit verstattete, fühlte er sich doch genirt und kehrte nach Hamburg zurück; unterwegs in Frankfurt 29. März 1775 verkehrte er wieder mit Goethe, aber nur flüchtig. In Göttingen fand er es ziemlich leer. Hahn, die beiden Miller waren fort; Hölty kränkelte dem Tod entgegen. 29. April siedelte Voß nach Wandsbeck über, zu Claudius. Der „Hain“ war doch immer nur ein Studentenkränzchen, und wer ausstudirt, mußte an eine Versorgung denken. Der Zuwachs war nicht beträchtlich, eigentlich nur der stille Lyriker Overbeck aus Lübeck, und Leisewiß aus Hannover, von dem man nur wußte, daß er an einer Geschichte des dreißigjährigen Krieges schrieb. In der alten Weise ging es nicht fort.

Der Bund geht auf Freiheit!" schreibt Hahn, „daher muß er sich ausbreiten." Es wurde mit Goethe noch ein Versuch gemacht.

Gustchen's Brüder, die beiden Grafen Stolberg, hatten ihren Besuch in Frankfurt angemeldet; eine gemeinsame Reise nach der Schweiz zu Lavater war geplant. Goethe schreibt 15. April an Gustchen: „Ich bin in wunderbarer Spannung, und es wird mir wohl thun."

Gemeinsam mit ihrem Freunde v. Haugwiß stellten sich die Stolberg im Goethe'schen Hause als die Haymonskinder dar und begrüßten Goethe's Mutter als Frau Aja; fie lechzten nach Tyrannenblut und ärgerten den sittlichen Spießbürger durch Baden im Freien. Fr. Stolberg erfreute sich eben einer unglücklichen Liebe, von der er viel Wesens machte. Bei Goethe", berichtet er 12. Mai, strömt die Fülle der heißen Empfindung aus jedem Wort, aus jeder Miene; er ist bis zum Ungestüm lebhaft."

„Dem Hafen häuslicher Glückseligkeit", schreibt Goethe 13. Mai an Herder, „und festem Fuß in wahrem Leid und Freud' der Erde

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wähnt' ich vor Kurzem näher zu kommen, bin aber auf eine leidige Weise wieder hinaus in's weite Meer geworfen" — „Endlich“, schreibt er denselben Tag an Sophie Laroche, „hab ich's über's Herz bracht, und ziehe aus Frankfurt!" - Von Lilli nahm er keinen Abschied.

"Daß du mit diesen Burschen ziehst, ist ein dummer Streich!" sagte Merck, den die vier in der Werther-Uniform besuchten. „Deine Richtung ist, dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben, die Andern suchen das sogenannte Poetische zu verwirklichen, und das giebt nichts als dummes Zeug."

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Wenn du unsre Wirthschaft auf der Reise sähest!“ schreibt Stolberg an seine Schwester. „Wir sind immer im Taumel. Goethe ist ein wilder, unbändiger, aber sehr, sehr guter Junge. Voll Geist, voll Flammen. Seit der ersten Stunde waren wir Herzensfreunde. Wir vier sind bei Gott eine Gesellschaft, wie man sie von Peru bis Indostan umsonst suchen könnte."

In Karlsruhe trafen sie 21. Mai die Weimarischen Prinzen, die mit Knebel aus Paris zurückkehrten. „Wir thaten“, schreibt Stolberg an Klopstock, „zusammen warme Wünsche, die Deutschen bald gegen die Franzosen fechten zu sehn. Das Herz im Leibe that mir weh beim Anblick des bezwungenen nun französischen Rheinufers. Aber sie werden das schöne Land nicht noch lange befizen! Es ist, weiß Gott, Schande für uns, daß wir so lange schlafen! . . Princeß Luise sprach von der Freiheit und von Lavater in einem Ton, der mich entzückte; Sie haben recht gehabt, sich in sie zu verlieben."

„Luise", schreibt Goethe, ist ein Engel! Der blinkende Stern konnte mich nicht abhalten, einige Blumen aufzuheben, die ihr vom Busen fielen, und die ich in der Brieftasche bewahre, wo das Herz ist.“ Noch hatte er keine Ahnung von der künftigen Nähe.

„Noch fühl ich“, schreibt Goethe aus Straßburg 23. Mai, „ist der Hauptzweck meiner Reise verfehlt, und komm' ich wieder, ist's dem durchgebrochenen Bären schlimmer als vorher. Ich weiß es wohl, ich bin ein Thor. Aber warum soll man das Lämpchen auslöschen, das einem so artig auf dem Lebensweg vorleuchtet und dämmert!"

In Emmendingen 4. Juni stellte ihn seine Schwester Cornelie ernsthaft zu Rede; sie befahl ihm, Lilli aufzugeben, um Lilli's willen; sie hatte an sich selbst erfahren, was eine unglückliche Ehe heißt. Endlich kam man in Zürich an.

Lavater war der Besuch vornehmer und verehrender Fremden hochwillkommen; man hatte ihn eben wegen seiner Leichtgläubigkeit gegen

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