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und von glänzenden Meubles, vornehmer Tracht und Haltung, Geburtstagsfesten, lebenden Bildern u. dgl. wird viel Wesens gemacht; seine schönen Seelen können den Lurus nicht entbehren.

Hatte Jacobi im „Allwill" Goethe zum Modell genommen, so saß er im „Woldemar" sich selbst, und er schonte sich ebenso wenig als Jenen. Es handelt sich wieder um die Frage über die Subjectivität der Moral. „Für Licenzen hoher Poesie", meint Woldemar, „hat die Grammatik der Tugend keine beständigen Regeln; keine Grammatik kann alles, was zu einer lebendigen Sprache gehört, in sich fassen. Die größte Weisheit, wozu ein Mensch gelangen kann, besteht darin, daß er alle seine Handlungen und Gedanken mit seinem moralischen Gefühl in Uebereinstimmung bringt, ohne sich um menschliche Einrichtungen und fremde Meinungen zu kümmern." Dazu bemerkt Henriette, die ideale Figur des Romans, ihr graue vor den Folgen solcher Lehre.

Noch mehr ist ihr Vater, der Kaufmann Hornich, gegen Woldemar eingenommen, so daß man mit Recht meint, er werde zu einer Heirath Henriettens mit Woldemar, die in der äußersten Intimität der Empfindungen und Gedanken leben, seine Einwilligung versagen. Als er im Sterben liegt, bedeutet man Woldemar, er könne ja seine Freundin heirathen: er stutt, lacht und erklärt, er habe nie daran gedacht, und es ginge auch nicht, da sie sich geistig zu nahe stünden, da fie gewissermaßen Geschwister wären. Henriette, der man diese Erklärung Hinterbringt, faßt sich philosophisch, und veranlaßt ihren Freund, eine andre, Alwine, zu heirathen: „haben Sie nicht versichert, daß Sie nie aus Leidenschaft heirathen, nie von einem Mädchen Leidenschaft verlangen würden?" - Nach einigem Sträuben geht Woldemar darauf ein. Da stirbt Henriettens Vater, und läßt sich vorher von seiner Tochter das Gelübde ablegen, daß sie Woldemar nie heirathen wolle. Woldemar wird davon unterrichtet, und nun folgt eine Reihe der unerhörtesten Scenen. Er hält ihr Gelübde und ihr Verschweigen desselben für einen Verrath an der Freundschaft, und spricht eine gelinde Verachtung gegen sie aus; dann findet er sie wieder engelhaft und betet sie an. Auf ihrer Seite gleichfalls ein großer Wechsel in den Stimmungen. Bald liegt er vor ihr auf den Knien und küßt ihre Hände, bald sie vor ihm; bald behandeln sie sich zärtlich, bald kalt; von beiden Seiten wird mit einer erstaunlichen Ausdauer geweint. Wehklagend steht der Chor der Freunde daneben überzeugt, daß die Beiden eine unglückliche Liebe zu einander hegen; der Leser hofft es auch, damit nur einmal diese Gemüthskrämpfe eine bestimmte Richtung nehmen. Aber

es erfolgt nichts dergleichen. Zwar wird einmal etwas zweifelhaft über den Mangel an sinnlicher Begier gesprochen, aber im Ganzen scheint es doch nur ein sophistisches Freundschaftsraffinement zu sein. Woldemar geräth in tiefere Zerrüttung, und sie findet mit Entseßen, daß sie einmal seinen Tod gewünscht habe. Er findet, daß sein inneres Selbst satanisch geworden sei, dazwischen wirft sie sich in unaussprechlichem Wonnegefühl vor ihm nieder; er will sich einmal umbringen, unterläßt es jedoch. Alle Geschichten müssen einmal ein Ende nehmen, und so bringt Alwine als rettender Genius die verkehrte Welt wieder in die Nichte; eigentlich bleibt aber alles beim Alten.

Es war nun keineswegs Jacobi's Meinung, diese Zustände als die normalen darzustellen. Er gab seinem Roman den Titel, „eine Seltenheit aus der Naturgeschichte“ und ließ einen, freilich nüchternen Mann sich über seinen Helden recht derb aussprechen.

„Du vertraust Woldemar's schöner Seele. Grade diese verführt ihn, schwächt ihn, treibt ihn herum auf einem grenzenlosen Meer, hat ihn zum unseligen, unheilbaren Phantasten gemacht. . . Woldemar ist ein geistiger Wollüstling; und ob er gleich nur höhern Lüsten nachhängt, so sind es doch Lüste . . . Er hat wahrscheinlich von Jugend auf wenig Anlaß gehabt, gegen seine Gemüthsbewegungen mißtrauisch zu werden. Deswegen hat er nicht genug sich selbst kennen gelernt, hat die jedem Menschen so nöthige strenge Zucht entbehrt, und verschmäht sie . . . Der Trieb zum Guten und Schönen ist bei ihm der herrschende . . . Leider ist mit Schönheit der Reiz zur Eitelkeit verknüpft . . . Jeder der nur seinem Hange folgen darf, dünkt sich frei und edel vor seinen Brüdern, über die ein andres Gesetz waltet als der eigne Trieb ihnen gab. Jezt drückt und unterdrückt der gute Woldemar sich selbst; sein eigner Wille verwirrt ihn, reibt ihn auf; sein eignes Recht bringt ihn um.“

Das Urtheil lautet ja kräftig genug, aber es wird in diesem Roman soviel geurtheilt und reflectirt, daß man nie ahnt, welches denn das richtige Urtheil sein soll? Jacobi weiß, daß er eine Krankheitsgeschichte erzählt, aber seine Diagnose ist schwach, er erkennt nicht den eigentlichen Grund des Uebelbefindens, das Uebergewicht der Reflexion über den Willen. Am ehesten versteht man noch den Roman, wenn man ihn als eine Reihe idealisirter Portraits betrachtet: Henriette ist wohl die „Tante“ Johanna Fahlmer, schön von Seele, aber häßlich von Gesicht, jezt Schlosser's Gattin; Alwine Jacobi's wirkliche Gattin, und so mögen die Gespräche des Romans in Jacobi's wirklichem Verkehr wohl vorgekommen sein. Uebrigens fuhr Jacobi fort, sich von Frauen verhätscheln

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zu lassen, und seine überreizten Empfindungen in Briefen niederzulegen, die er in Abschriften circuliren ließ. - Bei solcher Analyse der Empfindungen fällt es schwer, die Coquetterie zu vermeiden. In dem Bemühen, sich als schöne Seele zu genießen und von Andern als schöne Seele gewürdigt zu werden, reflectirte man beständig auf das, was jeden Augenblick innerlich vorzugehn schien, und nahm es ungebührlich wichtig; man legte das Gefühl noch casuistischer aus einander als die Moralisten die Pflicht. Diese schrieben doch nur vor, was man thun und lassen solle: bei den Gefühlsphilosophen spielte die Empfindung in's Gebiet der Pflicht, und eine schöne Seele mußte sich jeden Augenblick darüber beunruhigen, ob sie auch schön, edel und eigen empfinde. Ebenso aufmerksam beobachtete man die Andern: daraus gingen Mißverständnisse hervor, Verkennungen, Empfindlichkeiten, kurz die ganze Litanei von kleinlichen Regungen, die man nur einem Verliebten in der Unsicherheit seines Herzens verzeiht.

Sein ganzes Leben hindurch fühlte sich Jacobi am intensivsten von edlen Frauen verstanden: die erste Stelle darunter nahm die Fürstin Amalia Galizin ein, die sich zuletzt in Münster aufhielt, mit der Erziehung ihrer Kinder nach Rousseau’schen Grundsäßen beschäftigt. Nach dem frühen Tode ihres Vaters, des Feldmarschalls v. Schmettau, war fie in einer katholischen Anstalt in Breslau, dann in dem geräuschvollen Haus ihrer jungen und lebenslustigen Mutter erzogen; fie lernte franzöfisch parliren, las Französische Romane und Voltaire's Schriften. Im zwanzigsten Jahr verheirathet, folgte sie ihrem Gemahl, der russischer Gesandter war, nach Paris, wo sie mit den Encyclopädisten, namentlich Diderot, vertrauten Umgang pflegte. In der Schule des Sensualismus erwarb sie sich die Virtuosität, Empfindungen zu zergliedern. Der Platoniker Hemsterhuys, der sie zugleich mit stürmischen Zärtlichkeiten überschüttete, gab ihrem Geist eine idealere Richtung; er folgte ihr, nachdem sie sich von ihrem Gatten getrennt, nach Münster. Ein andrer vertrauter Freund daselbst war der Domherr v. Fürstenberg, der fie allmälig zu einer gläubigen Katholikin machte.

Die Fürstin Galizin spielte in Jacobi's geistigem Harem die Hauptrolle, aber die Zahl der schönen Seelen, die er anschwärmte und die ihn anschwärmten, ging weit über die der „Grazien“ hinaus, die fich früher um Wieland gesammelt, und wurde später nur noch durch das Gefolge Jean Paul's überboten. Da die neuen Poeten soviel Wesens von ihrem Titanismus machten, war es nur consequent, daß sie auch Titaniden, Heroinen und dämonische Weiber zu malen versuchten, wie

Klinger seine Donna Solina, Lenz seine Donna Diana. Nur selten brachten es diese gewaltigen Weiber zu einer wirklichen Gestalt.

Goethe las den „Woldemar", der ihn empfindlich an den „Allwill" erinnerte, mit äußerstem Verdruß. In einem Augenblick übermüthiger Laune 5. Sept. 1779 nagelte er ihn vor den lustigen Gesellen an einen Baum und hielt ihm eine höhnische Standrede. „Der leichtsinnig trunkne Grimm“, erläutert er später gegen Lavater, „die muthwillige Herbigkeit, die das Halbgute verfolgen und besonders gegen den Geruch von Prätension wüthen, sind dir wohlbekannt." Jacobi, dem die Sache sofort hinterbracht wurde, schrieb 15. Sept. dem alten Freunde einen so larmoyanten Scheidebrief, daß Goethe nicht wohl etwas darauf erwidern konnte. Jacobi kannte in seinem Groll kein Maaß, er schrieb über den Vorfall nach allen Seiten, und erklärte Goethe unverhohlen für einen „ausgemacht schlechten Kerl und Hasenfuß“. Er machte 1780 eine Rundreise durch Norddeutschland, um die Partei gegen Goethe aufzubringen: Klopstock, Lessing, Voß, Claudius, Gerstenberg u. A., und setzte das mit wahrer Tücke fort, bis ihn 1782 Goethe durch einen herzlichen Brief wieder versöhnte.

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Sämmtliche Romane jener Zeit haben nur soweit Interesse, als fie Bekenntnisse sind, ihr Werth bemißt sich danach, wieviel die Verfasser zu bekennen hatten, und wieweit ihr Thun und Leiden in die allgemeine Bewegung des geistigen Lebens verflochten war. Die meisten von ihnen bewegten sich nur in der Peripherie, sie wurden geschlagen von einem Mann, der recht im Mittelpunkt gestanden hatte. Rousseau, der seit dem Hubertsburger Frieden in seiner Hypochondrie mehr und mehr in Verfolgungswahnsinn verfallen war und sich eine Reihe der seltsamsten Schicksale zugezogen hatte, starb 5. Juli 1778, 66 J. alt, im äußersten Mangel, vielleicht an Gift, und hinterließ der Nachwelt die schon 1765 angefangenen Confessions, die mit ihrem psychologischen Raffinement fast ebenso stark wirkten als die „Neue Heloise" und der „Emile". Sie sind in vieler Beziehung abstoßend: sie enthüllen eine Seele, in welcher mit großen Zügen eine gewisse Gemeinheit sich paart; aber sie üben durch die Darstellung einen gewaltigen Zauber. Es ist das Streben eines Kranken nach Gesundheit und Lebensfreude. Seine Krankheit war eine individuelle, zugleich aber litt er an der Unwahrheit seiner Periode, und seine Sehnsucht nach der Natur ist nicht schattenhaft, sie zeigt Farbe, und quillt mit voller Macht aus dem Gemüth. Rousseau's Tod wirkte lebhafter auf Deutschland als auf Frankreich, das ganz von dem fast gleichzeitigen Ende Voltaire's hingenommen

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war. Für den deutschen Sturm und Drang war er der Prophet ge= wesen, er hatte ihnen Haß gegen den Druck eingeflößt, den man früher als unausweichlich ertragen, und gegen den sie nun anfingen, sich zu empören. Die Erfahrung lehrte bald", schreibt Zimmermann später, „daß diese aus dem Samen Rousseau's in sandigem Boden gezogenen Kraftknaben, die ganz Deutschland umwälzen wollten, nicht eine Fliege verjagen konnten." Gleichwohl hatte er aber auf die idealen politischen Empfindungen der Deutschen mächtig eingewirkt; das Ideal des aufge= klärten Despotismus verblaßte allmälig. „Der Fortschritt der Wissenschaften", schreibt Herder in der Abhandlung über den Einfluß der Regierungen auf die Wissenschaften 1779, „verlangt Freiheit und Gemeinthätigkeit. Die kühnsten göttlichsten Gedanken des menschlichen Geistes, die schönsten und größten Werke sind in Freistaaten vollendet worden. Die Republik wirkt nicht durch directe Einmischung, sondern mittelbar, durch ihr bloßes Dasein."

Die theoretische Vorliebe für die Republik entsprang in Deutschland wie in Frankreich aus den Plutarchischen Bildern Römischer Tugend. Die Nachbarschaft der Schweiz hatte Einiges beigetragen, die Begeiste= rung für den aufgeklärten Despotismus abzukühlen, aber doch nicht viel, da die neuen Schweizer in zahmer und steifer Bürgerlichkeit die Tage von Morgarten, Gransee und Murten in Vergessenheit brachten. Nun aber schien die republicanische Idee wiederum eine wirkliche Macht zu werden.

„Hinaus, hinaus in's Ehrenfeld mit blinkendem Gewehr! . . . Die Göttin Freiheit mit der Fahn' geht Brüder, seht! sie geht voran. Da seht Europa's Sklaven an! In Ketten rasseln sie. Sie braucht ein Treiber, ein Tyrann, für würgbares Vieh. Ihr reicht den feigen Nacken, ihr dem Tritt der Herrschsucht dar? Schwimmt her! hier wohnt die Freiheit, hier! hier flammt ihr Altar!" So lautet ein Lied von Schubart; die Begeisterung für die Englischen Lords aus der Zeit der „Neuen Heloise" hatte sich völlig verloren.

Ganz Europa sah mit gespannter Aufmerksamkeit über den Ocean hinüber; Amerika schien der rechte Ort, wo unbändige Leidenschaft sich austoben konnte. Ganz Deutschland war empört, als die Deutschen Kleinfürsten ihre Landeskinder in englischen Sold gegen die Sache der Freiheit verdingten. Juli 1776 trat der Congreß zusammen, der im Herbst die Vereinigten Staaten" für unabhängig erklärte; noch zu Ende des Jahrs erfolgten die ersten glücklichen Gefechte. Bald darauf eilten

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