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fühlenden Barbaren, den sie schwer gekränkt, durch die Zaubermacht der Wahrheit.

Iphigenie kann keine Unwahrheit sprechen, auch wo sie geboten scheint. „ weh der Lüge! die Brust wird nicht wie von einem andern wahrgesprochenen Wort getrost und frei. Wer sie heimlich schmiedet, den ängstet sie, und wie ein versagender Pfeil kehrt sie, losgedrückt, verwundend auf den Schüßen zurück." Ein reiner Sinn durchbricht das anscheinend unentwirrbare Neß des Verhängnisses, und läßt das ganze Gewebe irdischer Klugheit fallen. Eine reine Seele bedarf nicht der List, sie schöpft aus ihren Tiefen die Kraft, das Unerhörte zu wagen. „Was nennt man groß? was hebt die Seele schaudernd dem Erzähler? als was mit unwahrscheinlichem Ausgang muthig begonnen ward." Und ihr, der reinen Seele, gelingt die Sühne des alten Fluchs: „Gewalt und List, der Männer höchster Ruhm, sind durch die schöne Wahrheit, durch das kindliche Vertrauen beschämt.“

Nicht mit Hilfe eines Gottes aus der Maschine wie im Philoctet der Conflict gelöst wird, sondern unmittelbar versöhnt Iphigenie Menschen und Götter: fie verwandeln sich unter dem Einfluß ihrer frommen Denkungsart. „Unreif bricht nie eine Gottheit der Erfüllung goldne Früchte. Dem Menschen verdeckt jedes Abends gestirnte Hülle die Zukunft. Aber sie haben ihr Menschengeschlecht lieb, sie wollen ihm gern sein kurzes Leben fristen, und gönnen ihm den Mitgenuß des ewig leuchtenden Himmels, die hohen Unsterblichen." Das find andre Götter, als die den Tantalus stürzten!

Iphigenie, war ohne irgend eine Rücksicht auf die deutschen Schaubühnen ausschließlich für den Kreis der Freunde gedichtet, 6. April 1779. An demselben Tage verschickte Lessing seinen „Nathan"; die beiden Stücke bezeichnen den Eintritt einer neuen Zeit; Sturm und Drang ist durch die Idee des Reinen überwunden.

Wäre die „Iphigenie" damals erschienen, sie hätte vielleicht auf dem deutschen Theater Epoche gemacht. Aber Goethe hielt zurück, um das Stück noch weiter abzurunden. In welcher Art? das verräth vielleicht das Fragment des „Elpenor", den er zwei Jahre später dichtet. Ein Stoff, der mit seinem innern Leben garnichts zu thun hatte; er ballt sich düster fast wie in einem Stück Seneca's zusammen. Eine geheime Unthat ist begangen; wie das Geheimniß zu enthüllen, scheint sich der Dichter selbst nicht recht klar gemacht zu haben.

Die Sprache des Elpenor ist in den Hauptstellen von einem wunderbaren Adel; sie entfernt sich noch weiter als die der „Iphigenie" von

der Prosa des gemeinen Lebens; sie ist getragen, feierlich, vornehm wie die der Griechischen Chöre, fie scheint eine musikalische Begleitung herauszufordern. Der Rhythmus schließt, wie in der Iphigenie, jede metrische Strenge aus, doch gliedert er sich in drei dominirende Formen, die einander der Stimmung nach ablösen. In den referirenden Stellen dominirt der Jambus; sobald die Stimmung in's Getragene übergeht, wiegt das trochäische Metrum vor („Rastlos schleicht die Rache hin und wieder“ u. s. w.); in leidenschaftlichen Ausbrüchen, oder wo die Reflerion sich gleichsam von der dramatischen Bewegung löst, die Pindarische Form: Freude verwandelt in Knirschen, und vor den ausgestreckten Armen scheitre die Hoffnung!" „Die stille hohe Betrachtung deines künftigen Geschicks schwebt wie eine Gottheit zwischen Freud' und Schmerz."

In der Verarbeitung dieser wechselnden rhythmischen Motive wird man gewahr, daß nicht die dramatische Bewegung ausschließlich die Composition bestimmt, sondern bald ein malerischer, bald ein musikalischer Zweck: das Schöne sollte sich nicht blos in der Handlung, sondern in der Stimmung, in der Gruppirung, selbst in der Gewandung zeigen. Die grandiose Scene, in welcher Antiope die Rache auf ihren Pflege= sohn abwälzt, würde in einer Oper eine ergreifende Wirkung ausüben, z. B. die dreifache Wiederholung der Schwurformel ist musikalisch gedacht. In der Iphigenie ist die Handlung selbst vollkommen durchfichtig, klar und einfach; alles was darin vorkommt, geht aus der dramatischen Entwickelung mit Nothwendigkeit hervor; im Elpenor dagegen lösen verschiedene retardirende Motive einander ab; solche ruhende Scenen, wie die Aufzählung der Geschenke, welche Elpenor zu erwarten hat, finden sich in der Iphigenie garnicht, wohl aber später in der Natürlichen Tochter, der Helena, der Pandora. Durch alle diese Mittel breitet sich über die Handlung etwas Geheimnißvolles, das wohl beabsichtigt ist.

Dachte nun Goethe daran, die Bearbeitung der Iphigenie im Stil des Elpenor zu versuchen? Etwas der Art muß ihm vorgeschwebt haben, in Wirklichkeit hat er den entgegengesetzten Weg eingeschlagen, und man kann ihm nicht Unrecht geben: troß der hohen lyrischen Schönheiten des „Elpenor" muß man Schiller beipflichten, wenn er später in dem dramatischen Gang des Stücks etwas Dilettantisches fand.

Die Idee des Reinen, welche die „Iphigenie" eingegeben, spricht fich mehr und mehr auch in des Dichters Leben aus.

"Zu Hause aufgeräumt", schreibt Goethe in sein Tagebuch

7. Aug. 1779, „meine Papiere durchgesehn und alle alten Schreiben verbrannt. Andre Zeiten, andre Sorgen! Stiller Rückblick auf's Leben. Wißbegierde der Jugend, wie sie überall herumschweift, um etwas Befriedigendes zu finden. Wie ich besonders in Geheimnissen und dunkeln Imaginationen eine Wollust gefunden habe, wie ich alles Wissenschaftliche nur halb angegriffen und bald wieder habe fahren lassen, wie eine Art von demüthiger Selbstgefälligkeit durch alles geht, was ich damals schrieb. Wie kurzsinnig in menschlichen und göttlichen Dingen ich mich umgedreht habe. Wie des Thuns auch des zweckmäßigsten Denkens und Dichtens so wenig, wie in zeitverderbender Empfindung und Schattenleidenschaft gar viel Tage verthan, wie wenig mir davon zu Nutz kommen, und da die Hälfte des Lebens nun vorüber ist, wie nun kein Weg zurückgelegt, sondern vielmehr wie ich nur dastehe wie einer, der sich aus dem Wasser rettet und den die Sonne anfängt wohlthätig abzutrocknen. Die Zeit, daß ich im Treiben der Welt bin, getrau' ich noch nicht zu übersehn. Gott helfe weiter, und gebe Lichter, daß wir uns nicht selbst im Wege stehn, lasse uns vom Morgen bis Abend das Gehörige thun und gebe uns klare Begriffe von den Folgen der Dinge, daß man nicht sei wie Menschen, die den ganzen Tag über Kopfweh klagen und alle Abende zuviel Wein zu sich nehmen. Möge die Idee des Reinen, die sich bis auf den Bissen erstreckt, den ich zu mir nehme, immer lichter in mir werden"!

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,Wandrer“ im Sinn seiner ehmaligen wilden Sturm- und Drangzeit durfte sich Goethe nicht mehr nennen, wohl aber in einem andern Sinn: unermüdlich durchstreifte er von allen Seiten den Thüringer Wald, zu Fuß, zu Pferde, im Kahn, um der Natur, die er liebte wie eine Braut, recht nahe zu rücken. Er bezeichnete sich auf diesen Fahrten gern als Landschaftsmaler, um der geliebten Natur gegenüber einigermaßen productiv zu sein.

„, daß die innre Schöpfungskraft durch meinen Sinn erschölle! daß eine Bildung voller Saft aus meinen Fingern quölle! Ich zittre nur, ich stottre nur, ich kann es doch nicht lassen; ich fühl', ich kenne dich Natur! und so muß ich dich fassen."

Wie wohl er die Natur kannte, wie innig er mit ihr vertraut war, verrathen am glänzendsten die Lieder jener Zeit: „der Fischer“ ist in der Sprache wie in der Empfindung wohl das Herrlichste, was die Deutsche Dichtung zu allen Zeiten geschaffen; jeder Ton Musik! Das ‚Mondlied“ kommt ihm am nächsten. In diesen Liedern erkennen wir

den echten Goethe; in der lärmenden Gesellschaft der Hoffeste zeigt sich nur sein Schatten, in der Waldeinsamkeit fühlt er sich wahrhaft zu Hause. Einige von diesen Einsiedlerzellen drängen sich am innigsten hervor; vor allen die Wartburg, sein Aufenthalt vom 13. Sept. bis 9. Oct. 1777.

"Hier oben! In dem linden Dämmer des Monds die tiefen Gründe, Wälder und Waldblößen, die Felsabhänge davor und hinten die Wände, und wie der Schatten des Schloßbergs unten alles finster hält und drüben an den sachten Wänden sich noch anfaßt! wie die nackten Felsspißen im Monde röthen, und die lieblichen Auen und Thäler ferner hinunter, und das weite Thüringen hinterwärts im Dämmer sich dem Himmel mischt! Wie der lang Gebundene reck' ich erst die Glieder, aber mit dem echten Gefühl von Dank, wie der Durstige ein Glas Waffer nimmt, und die Heiligkeit des Brunnens und die Liebheit der Welt nur nebenweg schaut. Diese Wohnung ist das Herrlichste, was ich erlebt habe!"

Er schwelgte in dem tiefen Gefühl des Alleinseins, und wurde wild, wenn Knebel und Andre mit ihren hypochondrischen Grillen ihn belästigten: „die Kluft zwischen mir und alle den Menschen fiel mir in die Augen." Gern kehr' ich aus der Gesellschaft zurück in mein enges Nest, nun bald in Sturm gewickelt, in Schnee verweht, in Ruhe vor den Menschen, mit denen ich doch nichts zu thun habe."

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Nach der Rückkehr, 14. Nov. „Heiliges Schicksal! du hast mir mein Haus gebaut und ausstaffirt über mein Bitten! Laß mich nun auch froh der Reinheit genießen. Ja und Amen winkt der erste Sonnenblick." Bald darauf machte er einen zweiten Ausflug.

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Der Herzog war in den Harz auf die Jagd gezogen; 29. Nov. folgte ihm Goethe; incognito wie er es liebte. „Gar hübsch ist's, auf seinem Pferd wie auf einem Schiff herumzukreuzen. Wie doch nichts abenteuerlich ist, als das Natürliche, und nichts groß als das Natürliche!" Es wurde ihm wohl unter den schlichten Leuten, bei denen er unterwegs einkehrte. Die Menschenclaffe, die man die niedere nennt, ist gewiß vor Gott die höchste! Da sind doch alle Tugenden beisammen: Beschränktheit, Genügsamkeit, grader Sinn, Treue, Freude über das leidlichste Gute, Harmlosigkeit, Dulden, Ausharren. Wie wenig doch der Mensch bedarf, und wie lieb es ihm ist, wenn er fühlt, wie sehr er das Wenige bedarf! Mir ist's eine sonderbare Empfindung, unbekannt in der Welt herumzuziehn: es ist mir, als wenn ich mein Verhältniß zu Menschen und Sachen weit wahrer fühlte."

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Goethe hatte vor, einen jungen Selbstquäler aufzusuchen, der sich in leidenschaftlichen Briefen an den Dichter des „Werther" gewandt, und von ihm Mitgefühl für sein Grollen mit Gott geheischt hatte, Plessing, Sohn des Pastors in Wernigerode. 3. Dec. war er bei ihm, als Landschaftsmaler unerkannt; er schilderte ihm auf seine Klagen in warmen Bildern die Freude am Leben der Natur, in das sich zu versenken das Herz allein beglücken könne; als aber Plessing ungeduldig solchem Trost widerstrebte, verschloß sich ihm das Mitgefühl des Dichters. 10. Dec., auf schwierigem Weg, bestieg er den Brocken.

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Alle diese Motive klingen in der schönen Ode durch, die „Harzreise im Winter." Ein Geier, der über ihm schwebte, als er ins Gebirge ritt, gab ihm die Stimmung. Er denkt an den Selbstquäler. „Abseits, wer ist's? Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen, das Gras steht wieder auf, die Oede verschlingt ihn. . . Ift auf deinem Psalter, Vater der Liebe! ein Ton, seinem Ohre vernehmlich, so erquicke sein Herz! öffne den umwölkten Blick über die tausend Quellen neben dem Durstenden in der Wüste!" Der Gipfel der Schilderung ist der Brocken. Bei dem schlimmen Wetter hatte der Dichter kaum gehofft, ihn zu ersteigen, aber unerwartet ging die Sonne auf, und bald stand er oben, „grenzenlosen Schnee überschauend, zwischen jenen ahnungsvollen Granitklippen, unter sich ein unbewegliches Wolfenmeer." Endlich war von der Sonne das ganze Bild in Purpur gekleidet, er glaubte sich in einer Feenwelt. — „Den Einsamen hüll' in deine Goldwolken! Umgieb mit Wintergrün, bis die Rose wieder heranreift, die feuchten Haare, o Liebe! deines Dichters!"

Den Höhepunkt dieser Naturanschauungen sollte ein kühnes Unternehmen bilden, zu dem er bald nach Vollendung der Iphigenie, Sept. 1779, mit dem Herzog auszog: eine Winterfahrt in die Alpen. Die Reise sollte zugleich Gelegenheit geben, alte Schulden im Sinn seiner neuen Richtung zu fühnen.

In Frankfurt 20. Sept. logirte der Herzog in Goethe's elterlichem Haus. In Straßburg, 26. Sept., sah er Lilli wieder: sie hatte vor einem Jahr einen jungen Banquier v. Türkheim geheirathet, der sie schon als Kind geliebt. Ich sah den schönen Grasaffen mit einer Puppe von sieben Wochen spielen, wurde mit Verwunderung und Freude empfangen, sah in alle Ecken, und fand sie in recht glücklichen Verhält= nissen.“ „So prosaisch als ich nun mit diesen Menschen bin, so ist doch in dem Gefühl von durchgehendem reinen Wohlwollen, und wie ich diesen Weg her gleichsam einen Rosenkranz der treusten, bewährtesten,

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