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Pastores unsre Päpste werden; daß diese uns vorschreiben können, wo wir aufhören sollen in der Schrift zu forschen; daß sie unserm Forschen, der Mittheilung unsers Erforschten Schranken sehen dürfen, so bin ich der erste, der die Päpstchen wieder mit dem Papst vertauscht. Hoffentlich werden mehrere so entschlossen denken, wenngleich nicht viele so entschlossen reden dürften.“ ,Wenn man der evangelischen Kirche verwehren will, noch weiter in sich selbst zu wirken und alle heterogenen Materien von sich auszustoßen, wird sie auf einmal so weit hinter dem Papstthum sein, als sie jemals vor ihm gewesen."

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Lessing hatte im Zorn wohl sonst alle Geisteskräfte beisammen, aber nicht die Gelassenheit, die zu einem abschließenden Urtheil gehört. Hätte er unter Katholiken gelebt, so würde er bald erfahren haben, daß dem Herausgeber der „Fragmente" von dieser Kirche schlimmere Dinge bevorstanden als von Seiten der kleinen lutherischen Päpste. Aber er glaubte recht schlau zu verfahren, wenn er die Feinde gegen einander hette. Wenn Goeze ihn mit der lutherischen Obrigkeit bedrohte, weil er die Göttlichkeit der Schrift leugnete, so gab ihm Lessing Lästerung der katholischen Dogmen schuld, weil er mit Luther die Tradition leugnete, auf der doch die Autorität aller Glaubenslehren und der Schrift selbst beruhe.

Das war der wesentliche Inhalt aller seiner spätern Streitschriften. Sie haben ungeheuer gewirkt, nicht sowohl durch ihren Inhalt als durch die glänzende Beredsamkeit und den sprühenden Wiß; auf ein Menschenalter ist durch sie die Glaubensform, welche Goeze vertrat, bei allen Gebildeten in Verruf gekommen. Lessing schreibt nie glänzender als im Zorn.

„Ich fühle wohl", sagt er am Schluß der „Duplik" gegen die Evangelienharmonie, „daß mein Blut anders umfließt, da ich diese Duplik ende, als da ich sie anfing. Ich fing so ruhig an, so fest entschlossen, alles was ich zu sagen habe, so kalt, so gleichgültig zu sagen, als wenn ich auf meinen Spaziergängen vor langer Weile Schritte zähle. Und ich ende so bewegt, kann es so wenig in Abrede sein, daß ich vieles so warm gesagt habe, als ich mich schämen würde in der Sache meines eignen Halses zu sprechen. Was soll ich thun? - Versprechen, daß

ich ein andermal besser auf meiner Hut sein wolle? Ja! ja! Ich verspreche, mir es nie wieder auch nur vorzunehmen, bei gewissen Dingen kalt und gleichgültig zu bleiben.“

Lessing pflegte, wenn ihn etwas verdroß, mit den Zähnen auf die Lippen zu beißen. „Indem ich das thue, sogleich steht er vor mir,

mein Vater seliger. Das war seine Gewohnheit, wenn ihn etwas zu wurmen anfing; und so oft ich ihn mir einmal recht lebhaft vorstellen will, darf ich mich nur in die Unterlippe beißen. Wenn ich ihn mir auf andre Veranlassung recht lebhaft denke, sogleich sißen die Zähne auf meiner Lippe. Gut, alter Knabe! gut. Ich verstehe dich. Du warst ein so guter Mann und zugleich ein so hißiger Mann. Wie oft hast du es selbst geklagt, mit einer männlichen Thräne im Auge geklagt, daß du so leicht dich erhißest, so leicht in der Hiße dich übereilst. Wie oft sagtest du mir: Gotthold, nimm ein Erempel an mir, sei auf der Hut! Denn ich fürchte, ich fürchte — und ich möchte mich doch gern, wenigstens in dir, gebessert haben! Jawohl Alter! jawohl, ich fühle es noch

oft genug."

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Die Insinuationen der Gegner thaten doch ihre Wirkung. 6. Juni 1778 erging an die Waisenhausbuchhandlung zu Braunschweig der Befehl, nichts von Lessing zum Druck anzunehmen, wenn nicht zuvor die Handschrift vom Ministerium gebilligt wäre. 13. Juli Rescript an Lessing, die Handschrift des Ungenannten, woraus die Fragmente entlehnt, integraliter einzuschicken, und sich aller fernern Bekanntmachung dieser und ähnlicher Schriften bei Vermeidung schwerer Ungnade zu enthalten." „Ich weiß längst", schreibt Lessing an Ebert, „daß ein halb Dußend vernünftiger Menschen oft nicht mehr als ein altes Weib find." Uebrigens erklärt er sich entschlossen, die Sache aufs Aeußerste ankommen zu lassen: „nur will ich keinen unüberlegten Schritt thun; wäre es auch nur, um mich nicht von einer Bibliothek zu entfernen, die mir zur Fortsetzung meines Streits unentbehrlich werden möchte.“

Auch von denen, die im wesentlichen auf seiner Seite standen tadelten viele seine Heftigkeit. Gegen alles das seßte er seinen Kopf auf. „Ich muß nur vor aller Welt bekennen, daß es mich noch keinen Augenblick gereuet hat, die Fragmente herausgegeben zu haben. Verdruß freilich hat mir jener Streit mehr zugezogen, als ein Mensch von meiner Denkart voraussehen konnte und mochte. Aber genug, daß mir mein Gewissen nichts vorzuwerfen hat, und daß die verächtlichsten Menschen die wohl nicht sind, welche nicht alles voraussehen mögen, was sie gar wohl voraussehen könnten." "Wer, ehe er zu schreiben beginnt, vorher untersuchen zu müssen glaubt, ob er nicht vielleicht hier einen Schwachgläubigen ärgern, da einen Ungläubigen verhärten könne, der entsage doch nur allem Schreiben! Ich mag keinen Wurm vorfäßlich zertreten: aber wenn es mir zur Sünde gerechnet werden soll, daß ich von ungefähr einen zertrete: so weiß ich mir nicht anders zu rathen, als daß ich mich gar

nicht rühre, keins meiner Glieder aus der Lage bringe, in der es sich einmal befindet, zu leben aufhöre. Jede Bewegung im Physischen ent= wickelt und zerstört, bringt Leben und Tod; bringt diesem Geschöpf Tod, indem sie jenem Leben bringt. Soll lieber fein Tod sein und keine Bewegung oder Tod und Bewegung?"

Das ungemeine Aufsehn, das diese theologischen Streitschriften durch ganz Deutschland machten, galt zunächst dem großen Schriftsteller. Lessing's Stil ist hier in seiner vollen Blüthe: von einer Kraft, Frische und Lebendigkeit, die alles, was er früher geschrieben, hinter sich läßt. Die edle Männlichkeit, die sich darin ausspricht, machte den stillen Anhängern der freisinnigen Religionsauffassung Muth und nöthigte selbst den Gegnern Achtung ab.

„Das alles", schreibt Lessing 25. Febr. 1778, „find Scharmüßel der leichten Truppe; die Hauptarmee rückt langsam vor, und das erste Treffen ist meine Neue Hypothese über die Evangelisten, als blos menschliche Geschichtschreiber betrachtet. Etwas Gründlicheres glaube ich in der Art noch nicht geschrieben zu haben, und ich darf hinzufügen, auch nichts Sinnreicheres. Ich wundre mich oft selbst, wie natürlich sich alles aus einer einzigen Bemerkung ergiebt, die ich bei mir gemacht habe, ohne daß ich recht weiß, wie ich dazu gekommen bin.“

Diese Hypothese ist folgende. Die synoptischen Evangelien beruhn auf einem Urevangelium, an dessen Abfassung sich sämmtliche Apostel be= theiligten, und welches hebräisch, für die Judenchristen, geschrieben war. Aus diesem machte später Matthäus, indem er seine individuellen Erleb= nisse zu Grunde legte, einen Auszug in Griechischer Sprache, und so verfuhren auch die beiden andern Synoptiker. Weder die Apostel, als fie das gemeinsame Evangelium zusammenstellten, noch Matthäus bei seinem griechischen Auszug bedurften der Inspiration des heiligen Geistes: sie zeichneten auf, was sie wußten, wie sie es wußten, und wie sie es für ihre Zwecke brauchten. Die ganze Inspirationslehre ist ebenso

unnütz als sinnwidrig.

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In Johannes spricht sich ein neuer Geist aus, er ließ das Stammbewußtsein fallen, und schlug eine weltbürgerliche Richtung ein; ohne ihn wäre das Christenthum eine blos jüdische Sekte geblieben. „Nur Johannes gab der christlichen Religion ihre wahre Consistenz, nur ihm haben wir es zu danken, wenn die christliche Religion noch fortdauert, und vermuthlich so lange fortdauern wird, als es Menschen giebt, die eines Mittlers zwischen sich und der Gottheit zu bedürfen glauben, d. h. ewig." Diese Hypothese hat Lessing mit großem Aufwand von Scharf

Julian Schmidt, Litteratur. II.

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finn und Gelehrsamkeit entwickelt, und man muß lebhaft bedauern, daß er sie nicht zu Ende geführt.

Aber sie hat nachgewirkt: sowohl den glänzenden religiösen Schriften Herder's aus der nächsten Zeit als der jüngsten Evangelienkritik liegt Lessing's Gegensatz der Juden- und Heidenchristen zu Grunde.

Tiefer ins Esoterische seiner Denkart scheint uns Lessing in der Schrift: „Die Erziehung des Menschengeschlechts", einzuführen, von welcher die ersten 53 Paragraphen 1778, das Ganze 1780 erschien. Hier scheint die große Frage nach der Entstehung und dem Werth der positiven Religion universal historisch erörtert zu werden.

Warum wollen wir in allen positiven Religionen nicht lieber weiter nichts als den Gang erblicken, nach welchem sich der menschliche Verstand jedes Ortes einzig und allein hat entwickeln können und noch ferner entwickeln soll, als über eine derselben entweder lächeln oder zürnen? Diesen unsern Hohn verdient in der besten Welt nichts und nur die Religionen sollten ihn verdienen? Gott hätte seine Hand bei allem im Spiel, nur bei unsern Irrthümern nicht?“

Gott hat sich nicht einmal, sondern wiederholt offenbart, in jeder seiner Offenbarungen lagen wichtige Momente für die Erkenntniß der absoluten Wahrheit, die nur der Erfüllung harrten. „Die Offenbarung giebt dem Menschengeschlecht nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sie giebt ihm die wichtigsten dieser Dinge nur früher." Mit andern Worten: die religiöse Wahrheit geht dem sinnlichen Menschen erst in der Form der Vorstellung auf, ehe er den Begriff findet.

Als Geschichtsphilosoph würde Lessing diese Ansicht auf sämmtliche Religionen ausdehnen; um aber bei dem Bild der Erziehung zu bleiben, beschränkt er sich auf zwei offenbarte Religionen, die im Zusammenhang stehn, auf das Judenthum und das Christenthum.

Als Moses erschien, waren die Juden ein elend verachtetes Volk; die Aegypter versagten ihnen das Recht, Götter zu haben. Jetzt wurde es mit der Idee eines auch ihm zustehenden Gottes bekannt gemacht. Wie sich dieser zu den andern Göttern verhalte, war oft zweifelhaft, oft schien ein andrer Gott mächtiger zu sein; aber nach der vermeintlichen Erfahrung des Volks erwies sich der jüdische Nationalgott als der mächtigste, er erschien endlich als der Einzige. Das Lehrbuch des alten Bundes war für ein sinnliches Volk berechnet, irdische Belohnungen und Strafen: die Unsterblichkeit der Seele würde ein sinnliches Volk gar nicht verstanden haben. Dies Elementarbuch wurde in einem höhern Sinne erst ver

standen im Eril, wo der Nationalgott an dem Wesen aller Wesen ge= messen werden mußte, wie es die weiseren Perser verehrten: nun erhellte die Vernunft die Offenbarung.

Das Menschengeschlecht war in der Ausübung seiner Vernunft so weit gekommen, daß es zu seinen moralischen Handlungen würdigerer Beweggründe bedurfte als zeitliche Belohnung und Strafe. Christus lehrte die Unsterblichkeit der Seele und verlangte Reinheit des Herzens. Bei der Eigennüßigkeit des Herzens will der Verstand schlechterdings an geistigen Gegenständen geübt sein, wenn er zu seiner völligen Ausbildung gelangen und diejenige Reinheit des Herzens erwecken soll, die uns fähig macht, die Tugend um ihrer selbst willen zu lieben. Wir sollen uns hüten, die Wahrheiten des Neuen Testaments geringschäßig zu betrachten, die mehr als ein anderes Buch den menschlichen Geist beschäftigt haben, die wir als Offenbarungen so lange anstaunen sollten, bis sie die Vernunft mit ihren andern ausgemachten Wahrheiten verbinden lernte. Als geistige Religion ist das Christenthum die vorläufige Erfüllung der im Alten Testament enthaltenen Verheißung.

Sobald das Neue Testament erschien, hörte die allgemein mensch= liche Berechtigung des Alten auf. „Jedes Elementarbuch ist nur für ein gewisses Alter; das ihm entwachsene Kind länger dabei zu verweilen ist schädlich, denn dann muß man mehr hineinlegen, als darin liegt, mehr hineintragen, als es faffen kann; man muß der Anspielungen und Fingerzeige zuviel suchen und machen, die Allegorien zu genau ausschütten, die Beispiele zu verständlich deuten, die Worte zu stark pressen. Das giebt dem Kinde einen kleinlichen, schiefen, spißfindigen Verstand, das macht es geheimnißreich, abergläubisch, voll von Verachtung gegen alles Faßliche und Leichte: die nämliche Weise, wie die Rabbiner die heiligen Bücher behandelten; der nämliche Charakter, den sie dem Geist ihres Volks dadurch ertheilten."

Das Christenthum ist die Erfüllung, und damit zugleich die Aufhebung des Alten Testaments. Aber es ist noch nicht die höchste Stufe in der Erkenntniß der Wahrheit. „Soll das menschliche Geschlecht auf diese Stufe nie kommen? Laß mich diese Lästerung nicht denken, Allgütiger! Nein, sie wird kommen! Sie wird gewiß kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, die uns selbst in den Elementarbüchern des neuen Bundes verheißen wird! Vielleicht hatten selbst gewisse Schwärmer des 13. und 14. Jahrhunderts einen Strahl dieses neuen Evangeliums aufgefangen und irrten nur darin, daß sie den Ausbruch desselben so nahe verkündeten. Der Schwärmer thut oft sehr richtige

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