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prüft werden, und jeder Einzelne halte die Zeugnisse seiner Vorfahren für die glaubwürdigsten. So rechtfertigt er, daß er Jude bleibt. Lessing hat im Gegentheil wiederholt ausgesprochen, daß jeder Denkende die überlieferten Begriffe von Gott an seiner eignen Vernunft zu prüfen habe.

Daß einer von den Ringen der echte sei, stellt Nathan vorerst nicht in Zweifel. Bei der gespannten Aufmerksamkeit des Sultans aber geräth er in Feuer; er führt die drei Religionen vor den Richter, und dieser verlangt, daß sie ihre Wahrheit an ihren Früchten erweisen sollen: wenn keine von ihnen im Stande ist, alle Menschen in Liebe zu vereinigen, so ist keine die echte. Vielleicht wollte Gott die Tyrannei einer absoluten Religion nicht dulden: er betrog die Gläubigen um ihres wahren Heils willen. Alle sind betrogen: da fie aber alle in gutem Glauben handeln, so möge jeder versuchen, innerhalb der ihm angewiesenen Sphäre sich möglichst bis zum Ideal des rein Menschlichen durchzubilden, bis einmal ein höherer Richter kommt, die Sache endgültig zu entscheiden.

Es war Lessing's wirkliche Ueberzeugung, daß es in jeder Religion möglich sei, sich dem Ideal des Reinmenschlichen zu nähern; aber aus der Erziehung des Menschengeschlechts ergiebt sich, daß es die eine Religion schwieriger macht als die andre und daß in dieser Beziehung das Judenthum keineswegs gleichwerthig mit dem Christenthum ist.

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„Wißt Jhr, Nathan, welches Volk zuerst das auserwählte Volk fich nannte? Wie? wenn ich dieses Volk nun zwar nicht hafse, doch wegen seines Stolzes zu verachten mich nicht entbrechen könnte?" Das sagt zwar nur der Tempelherr, aber historisch muß Lessing ihm beitreten. Auch den modernen aufgeklärten Juden steckt noch immer etwas von dieser Ueberhebung im Blut. Der Aberglaub', in dem wir aufgewachsen, verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum doch seine Macht nicht über uns. Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten! Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen für den erträglichern zu halten." Dieser Aberglaube war der Mendelssohn's, der doch die besten seiner Ueberzeugungen aus der allgemeinen europäischen, in ihrem letzten Grund christlichen Bildung geschöpft hatte. Dennoch betrachtete er das Christenthum im Stillen mit Ueberhebung, und es war ein Laut, der ihm wider Willen entschlüpfte, wenn er nach der Lectüre des „Nathan" an Lessing schrieb: „im Grunde gereicht er der Christenheit zur wahren Ehre! Auf welcher hohen Stufe muß ein Volk stehn, in welchem sich ein Mann zu dieser Höhe der Gesinnung aufschwingen konnte! Wenigstens wird die Nachwelt so denken müssen.“

Nathan hat, als er von den Christen das schändlichste Unrecht er= duldete, an einem Christenkind eine edle That gethan. Der Klosterbruder ruft aus: „bei Gott, Ihr seid ein Christ! Ein besserer Christ war nie!" Darauf antwortet Nathan: „Heil uns! Denn was mich euch zum Christen macht, das macht euch mir zum Juden!" Das ist fein gedacht, aber es stimmt nicht: der Klosterbruder wollte nicht sagen: so handeln die meisten Christen! Sondern: so handelnd erfüllst du die höchsten Gebote des Christenthums! Und in der That lehrt das Christenthum: Segnet die euch fluchen! thut wohl denen die euch hassen! Von einem solchen Gebot sagt das Judenthum Nichts.

Und

Die correcte Durchführung des Problems wird im „Nathan" einigermaßen durch das historische Costüm verwirrt, das doch nicht gleich)gültig ist: die Scheiterhaufen, von denen geredet wird, gehören wesentlich zum Verständniß und zur Beurtheilung der wirkenden Motive. hier stimmt vieles nicht. Zur Zeit der Kreuzzüge konnte es einem Juden nicht einfallen, seine Adoptivtochter confessionslos, d. h. außerhalb des Gesezes, welches doch den größten Theil des Lebens ausfüllte, zu erziehn, sonst wären die Juden von Jerusalem schneller über ihn gekommen als der Patriarch. Im Reich Saladin's konnte der letztere sich keine Jurisdiction über die Juden anmaßen, er konnte den Tempelherrn nicht auf ein Theater verweisen, wo man moralische Probleme pro et contra behandelt. Daja soll eine bigotte Christin sein, gleichwol findet sie es unbedenklich, daß ein Tempelherr Recha heirathet und mit ihr ins Abendland zurückkehrt. Eigentlich hat Lessing moderne Menschen im Auge: im Tempelherrn steckt etwas von ihm selbst, Nathan ist Mendelssohn, der Derwisch einer seiner wunderlichen berliner Schachfreunde, der Patriarch ist Goeze; Saladin hat, was die Aufklärung betrifft, etwas vom alten Frizz.

Was aber wollen diese Ausstellungen sagen gegen den unaussprechlich reinen und heitern Eindruck des ganzen Stücks! Es bezeichnet eine Epoche in Deutschlands geistigem Leben. Leffing vollendete es im Frühling 1779. Gleichzeitig hatte Goethe seine „Iphigenie" gedichtet. Beide Stücke sind einander verwandt, beide könnte man durch das Motto bezeichnen: „Alle menschlichen Gebrechen sühnet reine Menschlichkeit." Auf den Unmuth, den Sturm und Drang der frühern Jahre folgte eine Periode der Selbstbesinnung: die Dichtung will nicht mehr Krieg führen gegen die Mächte, die das Leben regieren, sie strebt nach Versöhnung, nach Erkenntniß, nach Weisheit.

Lessing hatte sich geirrt, wenn er meinte, an die Aufführung könne

erst nach längerer Zeit gedacht werden: sie erfolgte schon nach drei Jahren. Die Berliner und Hamburger Freunde erklärten den „Nathan“ für Lessing's Meisterstück; Herder, Schröder, Voß, alles war begeistert, und wenn das Stück 27. Nov. 1779 in Leipzig auf Betrieb der theologischen Facultät confiscirt wurde, sprachen alle Gebildeten ihren Unwillen aus.

Lessing's lezte Tage bieten wenig erfreuliche Züge. Die kurze Ehe hatte einen bittern Nachgeschmack hinterlassen: Lessing kamen arge Verleumdungen zu Ohren, wegen seiner Stieftochter, die er bei sich be= hielt: bald sollte er ihr zu nahe stehn, bald sich an ihrem Vermögen vergreifen. Ich habe hier“, schreibt er 9. Aug. 1778 an Elise Reimarus, „keinen einzigen Freund, dem ich mich ganz anvertrauen könnte. Ich muß das einzige Jahr, das ich mit einer vernünftigen Frau gelebt, theuer bezahlen; ich muß alles aufopfern, um mich nicht einem unerträglichen Verdacht auszuseßen. So ist meine wahre Lage. Doch ich bin zu stolz, mich unglücklich zu denken, knirsche eins mit den Zähnen, und lasse den Kahn gehen, wie Wind und Wellen wollen."

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26. Nov. 1780 erhielt der Herzog von Braunschweig aus Regensburg die Anzeige, man werde gegen den schändlichen Verbreiter der "Fragmente" ein Excitatorium erlassen; er versicherte Lessing seines Schußes, aber dieser erwiderte troßig, daß er auf ihn gar keine Rücksicht nehmen, sondern verfahren möge, wie er glaube, daß ein Deutscher Reichsstand verfahren müsse. Immer finstrer wurde die Farbe seiner Briefe. „Ich glaubte, recht lustig geschrieben zu haben“, schreibt er einmal an seine Freundin Elise Reimarus, „und Sie erschrecken! Mein gutes Kind! das war meine Absicht nicht. Ebensowenig will ich mit Ihnen zanken, wenn Sie mir mehr Paradorie zutrauen als natürlich zu sein pflegt: ich könnte ja ebensogut Paradorie als Andre Orthodorie affectiren. Ich verstehe darüber so gut Spaß, daß es fast keine Lust ist, mit mir zu spaßen."

An Mendelssohn, 19. Dec. 1780: „die Kälte, mit der die Welt gewissen Leuten zu begegnen pflegt, ist, wenn nicht tödtend, doch erstarrend. Ich war in bessern Tagen ein gesundes schlankes Bäumchen, und bin jeßt ein so fauler knorriger Stamm. Ach lieber Freund, diese Scene ist aus!"

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15. Febr. 1781 starb er, 52 J. alt; die Section ergab Brustwassersucht. - Die Theater, Berlin und Hamburg voran, wetteiferten in der Feier des Verewigten. „Es muß auffallen", schreibt Elise Rei

marus, daß man dem Mann, den man im Leben hätte verbrennen mögen, nach dem Tode einstimmig nachrühmt, rein die Wahrheit verkündet zu haben!“

„Mir hätte nicht leicht etwas Fataleres begegnen können als Lessing's Tod!" schreibt Goethe 20. Febr. „Keine Viertelstunde vorher, ehe die Nachricht kam, macht' ich einen Plan, ihn zu besuchen. Wir verlieren viel, viel an ihm; mehr als wir glauben.“

Herder 21. Febr. an Mendelssohn: „Mir ist's, so entfernt wir von einander arbeiteten und dachten, so leer zu Muth, als ob Wüste, weite Wüste um mich wäre!" "Er war ein Mann! sagt alles mit einem Wort! Ihr werdet nimmer seines Gleichen sehn." So schloß der Nachruf, den Herder unmittelbar nach Lessing's Tod an den Mercur schickte. „Wahrheit forschen, nicht erforscht haben, nach Gutem streben, nicht alle Güte bereits erfaßt haben, war hier dein strenges Geschäft, dein Leben. Augen und Herz suchtest du dir immer wach und wacker zu erhalten und warst keinem Laster so Feind als der kriechenden Heuchelei, der gleißenden Menschenliebe, die nie wohlthätig sein will, am meisten der schläfrigen Halbwahrheit, die wie Rost in allem Wissen von früh an menschlichen Seelen nagt. Die Ungeheuer griffst du an wie ein Held, und hast deinen Kampf tapfer gekämpft! Viele Stellen in deinen Büchern werden, so lange Wahrheit Wahrheit ist, Männer wecken, aufmuntern und befestigen, die wie du der Wahrheit durchaus dienen; jeder Wahrheit, selbst wo sie uns im Anfang häßlich vorkäme, überzeugt, daß sie am Ende doch gute, erquickende, schöne Wahrheit werde.“

In der Religionsphilosophie fühlte sich Herder als Lessings Erben, und er hat die Aufgabe, das Christenthum in seiner Reinheit darzustellen, in den Schriften der nächsten Jahre auf das edelste erfüllt. Weniger in die Augen springend, aber bei genauerem Zusehn sehr merklich, ist der Einfluß, den Lessings theologische Schriften auf Kant ausübten.

Lessing und Kant waren neben Friedrich dem Großen für Deutschland die vorzüglichsten Vertreter des Geistes, der das 18. Jahrhundert charakterisirt, wie es Voltaire für Frankreich war. Die beiden ersten find sich nie begegnet, zwischen Lessing und Friedrich bestand eine geheime Antipathie. Noch kurz vor seinem Tod, als eine abfällige Schrift des Königs über die deutsche Litteratur peinliches Aufsehn erregte, tadelte Lessing die Gewohnheit der Geschichtschreiber, das Zeitalter der Minnefänger mit dem Namen der schwäbischen Kaiser zu bezeichnen, die sich doch um die damalige Litteratur nicht mehr Verdienst erworben, als der König von Preußen um die jeßige; „gleichwohl will ich nicht darauf

schwören, daß nicht einmal ein Schmeichler kommen sollte, welcher die gegenwärtige Epoche der deutschen Litteratur die Epoche Friedrich des Großen zu nennen für gut finden wird!"

Wir sind mit Lessing vertrauter als mit irgend einem unsrer großen Schriftsteller. Ueber hundert Jahre ist er todt, und doch kommt es uns vor, als hätten wir ihn persönlich gekannt, mit ihm verkehrt; wir gedenken seiner wie eines jüngst Dahingegangenen, mit herzlichem Andenken und mit Bedauern, daß es uns nicht mehr verstattet sein soll, von ihm über alles, was uns durch den Kopf geht, Belehrung zu em= pfangen oder auch harmlos und lustig mit ihm zu plaudern: so nahe stehn uns seine Schriften, so find wir gewohnt, mit ihm zu denken und zu empfinden.

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