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seine Abreise; nachdem die letztere gescheitert war, reiste er 13. April 1771 grollend aus Straßburg über Darmstadt nach Bückeburg ab.

"Herder", erzählt einer der wenigen, denen Jener in seine Klause Zutritt verstattete, hatte etwas Weiches in seinem Betragen, das sehr schicklich und anständig war. Ein rundes Gesicht, eine bedeutende Stirn, eine etwas stumpfe Nase, einen etwas aufgeworfenen aber höchst individuellen liebenswürdigen Mund; unter schwarzen Augenbrauen ein Paar kohlschwarze Augen, die ihre Wirkung nicht verfehlten, obgleich das eine roth und entzündet zu sein pflegte."

Dieser Eine war der junge Goethe; das Zusammentreffen der beiden Jünglinge in Straßburg, auf der Scheide zwischen französischer und deutscher Cultur, in einer Zeit, wo das Land noch ganz deutsch war, gehört zu den wichtigsten Ereignissen in der Geschichte unsers geistigen Lebens.

5.

Lessing in Wolfenbüttel.

1770-1772.

Da die Lage in Hamburg Lessing immer weniger befriedigte, und zu einer Reise nach Italien vorerst keine Aussicht war, nahm er die Stelle eines Bibliothekars in Wolfenbüttel an, die Erbprinz Ferdinand von Braunschweig (35 J.), der für seinen altersschwachen Vater Karl die Regierung führte, ihm hatte anbieten lassen. 21. April 1770 trat er seine Stelle an, in der er nun elf Jahre, bis ans Ende seines Lebens verharren sollte.

Der Erbprinz, Großmeister der Logen von der stricten Observanz, hatte viel geistige Neigungen; er hatte sich von Winckelmann in Rom herumführen lassen und sich mit Mendelssohn in Verbindung gesezt, um über die wahre Religion aufgeklärt zu werden. Aber er flößte kein Vertraun ein, und Lessing kam in keine Beziehung zu ihm.

Lessing's Gehalt betrug 600 Thl., freie Wohnung und Holz. „Für die Zukunft bin ich so ziemlich aus aller Verlegenheit; für den Augenblick stecke ich in Schulden bis über die Ohren!“

Lessing's eigentlicher Verkehr waren die Lehrer am Carolinum zu Braunschweig, meist ehemalige Mitarbeiter der „Bremer Beiträge". An der Spize Abt Jerusalem, Verfasser der erbaulichen „Betrach

tungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion." Unter ihm Conr. Arn. Schmid, Professor der Theologie, den Lessing wahrhaft achtete, und von dem er zu sagen pflegte, er wisse selbst nicht, wieviel er wisse; sein Schwiegersohn Eschenburg, der eben ein Buch über Shakespeare übersetzte, Ebert, Zachariä und Gärtner, die ein „Spanisches Theater" nach dem Französischen herausgaben.

„Die Stelle", schreibt Lessing an seinen Vater, „ist so als wenn fie für mich gemacht wäre. Amtsgeschäfte habe ich keine andern als die ich mir selbst machen will. Der Erbprinz hat mehr darauf gesehn, daß ich die Bibliothek als daß die Bibliothek mich nüßen soll; gewiß werde ich beides zu verbinden suchen, oder vielmehr eins folgt aus dem andern." Es geschah, indem er eine Reihe „Beiträge aus den Schäßen der Wolfenbüttler Bibliothek" veröffentlichte; durchweg selbständige gelehrte Forschungen über die entlegensten Gegenstände.

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„Glauben Sie nicht", schreibt er an Mendelssohn, „daß ich mich unter den Alterthümern vergraben will. Ich schäße das Studium derselben grade so viel als es werth ist: ein Steckenpferd mehr, sich die Reise des Lebens zu verkürzen." „Dabei ist der Geist in einer so faulen Thätigkeit, so geschäftig und zugleich so ruhig, daß ich mir für eine gemächliche Neugier keine wollüstigere Arbeit denken kann. Man schmeichelt sich mit dem Suchen, ohne an den Werth des Dings zu denken, das man sucht; man freut sich über das Finden, ohne sich darüber zu ärgern, wenn es ein Nichts ist, was man endlich gefunden hat."

Das Glück verschaffte dem neuen Bibliothekar gleich zu Anfang einen köstlichen Fund. C. A. Schmid hatte eben ein Manuscript herausgegeben, welches die Aufmerksamkeit auf Berengarius leitete, der unter Gregor 7. wegen kezerischer Ansichten über das Abendmahl verurtheilt war. Lessing fand nun in der Bibliothek eine ausführliche Denkschrift dieses Mannes, aus welcher sich ergab, daß seine religiösen Ansichten von seinen Verfolgern falsch dargestellt waren, und beschloß eine neue „Rettung". Schmid widerrieth ihm zuerst, sich zu tief einzulassen; bald aber wurde auch er warm, und endlich ganz heiß; es ist eine Freude, den Eifer der beiden Männer in ihren Briefen zu verfolgen. Oct. 1770 wurde die Schrift verschickt. Sie ist weitaus die beste unter Lessing's Ret= tungen", und spricht die volle Kraft seines Gemüths aus. Die theologische Parteinahme lehnt er ausdrücklich ab: „ich mag kein unheiliges Feuer auf den Altar bringen; und am wenigsten wird es mir einfallen, die Hand nach der schwankenden Lade des Bundes auszustrecken. Meine Fragen betreffen lediglich die Geschichte des Dogma; höchstens ein

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Ein Mann wie Begesuchte Wahrheit in mögliche Reife haben

und auf

Vorurtheil, welches aus dieser Geschichte sich für die eine oder die andre Meinung ergeben dürfte." Seine Vorliebe für Kezer verhehlt er keineswegs: „es find Menschen, die mit eignen Augen sehn wollten; die Frage ist nur, ob es gute Augen gewesen." Die Hauptsache ist ihm die Wahrheit, die ihm unbeabsichtigt in dramatischer Form sich aufdrängt. Mit Spannung hört man ihm zu, wie er seinen Fund schildert, seine Arbeit und seine Gemüthsbewegungen dabei; wie der Grimm über religiöse Verfolgung in ihm aufgährt, und wie er die Lügen des Verfolgers Lanfranc, eine nach der andern, mit wachsendem Zorn enthüllt, und endlich ausbricht: „o heiliger Lanfranc! wenn du dir das erlauben konntest bitte nicht für mich!" da jubelt der Leser mit auf. Mit nicht geringer Entrüstung weist er die Behauptung zurück, Berengarius habe sich vor seinem Ende bekehrt. rengarius hätte die Wahrheit gesucht; hätte die einem Alter, in welchem sein Verstand alle ihm mußte, zu finden geglaubt; hätte die gefundene Wahrheit muthig bekannt, wäre bei ihr trotz aller Gefahren vierzig Jahre beharrt; einmal, in eben dem Augenblick, da unter allen erworbenen Schäßen dem Menschen keine werther sein müssen als die Schäße der Wahrheit, da auf einmal hätte seine Seele so umgekehrt werden können, daß die Wahrheit für ihn Wahrheit zu sein aufhörte?! -Wer mich das bereden könnte, der hätte mich zugleich beredet, allen Untersuchungen der Wahrheit zu entsagen. Denn wozu diese Untersuchungen, wenn die Vorurtheile unsrer ersten Erziehung doch nie auszurotten sind? Die Begriffe, die uns in unsrer Kindheit beigebracht werden, find grade die flachsten; und diejenigen, bei welchen sie in einem spätern Alter wieder zum Vorschein kommen, zeigen dadurch nur, daß die Begriffe, unter welchen sie jene begraben wollten, noch weniger ihr Eigenthum waren. Ein Berengarius stirbt sicherlich wie er lehrte; und so sterben sie alle, die ebenso aufrichtig, ebenso ernstlich lehren als er. Freilich muß ein hißiges Fieber aus dem Spiel bleiben, und Einfalt und Heuchelei müssen das Bett des Sterbenden nicht belagern und ihm so lange zusetzen, bis sie ihm ein paar zweideutige Worte ausgenergelt, mit welchen der arme Kranke sich blos die Erlaubniß erkaufen wollte, ruhig zu sterben.“

Der Bibliothekar wurde durch zahlreiche Anfragen auch äußerlich veranlaßt, seine gelehrten Studien fortzusehen, und es kam ihm gelegen, mit den Beiträgen aus den Schäßen der Wolfenbüttler Bibliothek“ Stück für Stück sofort vor die Oeffentlichkeit zu treten. Diese Arbeiten unterbrachen seine dramatische Thätigkeit, die er doch nicht ganz wollte

fallen lassen. Er hatte noch mancherlei Entwürfe auf Lager, die ihn gleichsam zur Vollendung drängten, meist aus der Zeit, wo Vereinfachung der Fabel sein Hauptaugenmerk war. Vom „Faust" hatte er schon 1759 ein Fragment veröffentlicht, eine geistvolle Verbesserung des Prologs im Puppenspiel; das Schnellste auf der Welt ist nicht der Gedanke des Menschen, sondern der Uebergang vom Guten zum Bösen. Faust's schmerzlicher Ausruf: „ich habe es nur zu wohl erfahren!“ deutet auf einen tragischen Ausgang: vielleicht sollte der maßlose Wissensdurst als gefährliche Verlockung zum Bösen sich erweisen. Was die Freunde weiter von dem Entwurf berichten, widerspricht sich durchaus, und man darf wohl annehmen, daß Lessing in seiner fanguinischen Art denselben weiter ausgeführt glaubte, als er es in der That war. Er steckte damals tief in Plänen, aber keiner wollte zur Ausführung kommen. Am gründlichsten hatte er einen Vorwurf durchdacht, „Emilia Galotti", die er schon im Sommer 1758 angemeldet. Der Dichter hat die Geschichte der Römischen Virginia von alledem abgesondert, was sie für den Staat interessant macht; er hat geglaubt, daß das Schicksal einer Tochter, die von ihrem Vater umgebracht wird, weil ihm ihre Tugend werther ist als ihr Leben, für sich tragisch genug sei, wenn auch kein Umsturz der Staatsverfassung darauf folgt. Seine Anlage ist nur von drei Acten, und er braucht ohne Bedenken alle Freiheiten der Englischen Bühne. Er erweitert unaufhörlich seinen Plan, und streicht unaufhörlich von dem Ausgearbeiteten wieder aus."

Zwischen dem Abschluß der „Dramaturgie" und der „Emilia Galotti" lagen drei Jahre; der Plan des Stücks war 14 Jahre alt. Durch die neue Ausgabe seiner älteren Dramen wie durch manches andre, 3. B. das neue Berliner Theater, wo „Minna“ stets volle Häuser machte, wurde bei Lessing die alte Lust wieder rege, und er ging rasch an die Arbeit. Es ist fast komisch, mit welch trotziger Scheu er den Herzog von Braunschweig in seine dramatische Thätigkeit blicken läßt: er empfindet es gewissermaßen als ein Unrecht, daß er sich für gelehrte Arbeiten bezahlen läßt und solche Allotria treibt; er entschuldigt sich damit, das Stück sei ja eigentlich auf Hamburger Boden gewachsen, und er habe nur noch die leßte Hand angelegt. In der That liest sich die „Dramaturgie", wenn man sie durch die „Emilia" commentirt, wie das Programm einer neuen Kunstgattung, und die Ausführung, das Stück selbst, war für die Entwickelung unsrer Poesie bei weitem wichtiger als das Programm.

13. März 1772 wurde „Emilia Galotti" in Braunschweig aufge

führt; der Dichter hatte mit dem Abschluß gezögert, bis der Theaterdirector drohte, ihn selbst zu machen. Die Freunde begrüßten Lessing jubelnd als zweiten Shakespeare; er selbst verhielt sich sehr kühl, und wohnte der Aufführung nicht bei. Auch in Berlin, 6. April, schlug das Stück durch, wenn man auch mancherlei auszusehen hatte. Eberhard äußerte, es sei ein Rock auf den Zuwachs gemacht, in den das Publicum erst hineinwachsen müsse. In Hamburg gab Schröder das Stück 15. Mai; zum ersten Mal gab er eine ernste Rolle, den Marinelli, den er später mit dem Angelo vertauschte; Brockmann gab den Prinzen, Dorothea Ackermann Orfina, Charlotte Emilia. Ueber die Aufführung in Weimar und Gotha schreibt Ekhof: „wenn der Autor so tief ins Meer der menschlichen Gesinnungen und Leidenschaften taucht, so muß der Schauspieler wohl nachtauchen, bis er ihn findet. Nur wenig Autoren machen es dem Schauspieler so schwer; die meisten ihrer Figuren kann man leicht haschen, sie schwimmen oben wie eine Baumrinde."

Welch ein Stück!" schreibt Boie; „man kann tadeln, aber daß nur Niemand ein deutsches oder ausländisches Stück damit vergleiche! Selbst der Streit darüber ist mir sehr lieb, es ist ein Beweis, daß uns die schönen Wissenschaften nicht mehr so gleichgültig sind als vor zehn Jahren."

Der junge Goethe, der damals den Göß dichtete, tadelt das zu Kunstvolle des Stücks: „nicht einmal Zufall oder Caprice spinnen irgend darin; mit halbweg Menschenverstand kann man das Warum jeder Scene auffinden; darum bin ich ihm nicht gut, so ein Meisterstück es sonst ist!" Wie weit nun aber dieser Tadel begründet sein mochte, jedenfalls lag darin zugleich die höchste Anerkennung der Kunstform: hier war nun wirklich erreicht, was den Franzosen als Ideal vorschwebte, die Einheit der Handlung, die alle einzelnen Scenen mit der Idee des Ganzen in Verbindung setzte.

„Die Liebhaber des Stücks", schreibt Ramler in der Vossischen Zeitung 28. März, „finden darin wahre Charaktere, wie sie die Natur geschaffen hat und noch schaffen kann, die vortrefflich von einander abstechen, nicht wie schwarz und weiß, sondern wie Homer und Shakespeare zu schattiren wissen. Die Sprache ist die lebhafte und kurze, die nachdrückliche und dennoch leichte Sprache der Natur; nicht die einförmige Sprache der Studirstube oder so manches gefeierten Dichters, bei welchem die Princessin Tochter und der Vater, der alte Bediente und die junge Vertraute in demselben Ton declamiren. Nachdenkliche Leser finden bei jedem Schritt Sachen, nicht oft gesagte, sondern neue selbstgedachte und lehr

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