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reiche Sachen, die nicht die Miene haben, als ob sie lehren wollen. Die Schauspieler haben alle mögliche Gelegenheit, ihren Verstand und ihre Talente zu zeigen, nicht darin, daß sie den Dichter verschönern, sondern darin, daß sie den Geist des Dichters erreichen."

„Die Ankündigung des Inhalts ist ungezwungen und schön in Handlung gebracht. Die geringsten Umstände haben Folge, und dienen entweder, den Charakter und die Leidenschaften der Personen in ein helleres Licht zu sehen, oder die Wahrscheinlichkeit der folgenden Begeben= heit zu vermehren. Die lezte Entwickelung ist mit ungemeiner Kraft vorbereitet, und wird unsern Augen bis an's Ende glücklich entzogen. Vom Hauptzweck der Tragödie sagen wir nichts; wir hätten aber Lust, an die Spitze die Worte zu schreiben: Et nunc, reges, intelligite! erudimini, qui judicatis terram!"

Emilia Galotti", schreibt ein scharfer Kritiker, der Lessing nicht besonders hold war, Hauptmann v. Mauvillon in Kassel, „hat ein großes Verdienst: alles natürlich dem Auge des Zuschauers vorzustellen. Keine einzige Person, die des Zuschauers wegen da wäre; ja kein einziges Wort, das wegen des Zuschauers gesagt zu werden schiene; die spielenden Personen kümmern sich blos um sich. Aber unter der Bemühung, das Natürliche zu suchen, ist das Interesse verloren gegangen; konnte man beides nicht erhalten, so mußte lieber das erstere geopfert werden. Ein Theaterstück muß eine Ordonnanz haben wie ein Gemälde: die Hauptfiguren oder wenigstens die Hauptgruppe muß gleich in die Augen fallen und sich vor allen andern heben; die übrigen müssen nach dem verschiednen Antheil, den sie an der Sache haben, in ihr natürliches Licht gesezt sein, und sämmtlich zur Hebung der Hauptgruppe concurriren. In der Emilia nimmt der Prinz einen zu breiten Platz ein, und in der entscheidenden Scene wird Emilia sogar noch durch Orfina und Claudia in den Hintergrund gedrängt; was man zu fürchten habe, ist nicht genau bestimmt."

Ehe man indeß über die Technik der „Emilia" urtheilt, muß man sich klar machen, daß sie eine bewußte und gewollte ist. Der leidenschaftliche Gegner der Franzosen wahrt nicht blos die Einheit der Handlung, sondern auch die Einheit von Ort und Zeit. Die Handlung beginnt am Morgen und reicht kaum bis zum Abend; sie bleibt in einer beständigen Succession. Wenn Shakespeare bei der coupirten Art seiner Scenen mitunter einen großen Zeitraum umspannt und doch die Täuschung hervorbringt, als folge alles unmittelbar hintereinander, so verzichtet Lessing auf diesen Kunstgriff, weil die coupirte Form nur auf dem

Shakespeare'schen Theater möglich war, das Lessing nicht vorfand und auch nicht wollte. Der Ort bleibt zwar nicht, wie auf der französischen Bühne, durch das ganze Stück ungeändert, aber er bleibt es in jedem Act. Die Aufmerksamkeit wird in keiner Weise zerstreut, fie bleibt auf das Wesentliche der Handlung gerichtet, da alles Unwesentliche vollkommen durchsichtig ist.

Die Handlung besteht aus drei Hauptvorgängen: dem Liebeswerben des Prinzen in der Kirche, Appiani's Ermordung und dem Tod der Emilia. Nur den dritten sehen wir mit Augen; der erste fällt in den Zwischenact; den zweiten nehmen wir aus dem Hintergrund wahr. Trotzdem empfangen wir vollkommen sinnlich den Eindruck der Begebenheiten, und diese ergreifen uns mächtiger, als wenn wir Augenzeugen gewesen wären. Das Entsetzen Emilia's bei ihrer Flucht aus der Kirche und was sich weiter daranknüpft, der Empfang der einzelnen Personen nach Verübung des Verbrechens: das alles prägt sich unauslöschlich ein; der Schatten dessen, was geschehen ist, berührt uns unheimlicher als das Geschehen selbst. Wie die Fäden der Intrigue von allen Seiten sich zusammenziehn, um endlich das Netz zu bilden, in dem die Katastrophe sich vollzieht, das ist meisterhaft gezeigt; wir ahnen alles voraus und werden doch überrascht und entscht.

Das Stück hat keine leeren Stellen; jede Scene ist dazu da, die Handlung vorzubereiten und klar zu machen; jede Scene gehört nothwendig dahin, wo sie steht; aber jede Scene ist auch interessant für sich, abgesehn von ihrer Beziehung auf das Ganze. Es ist ein im höchsten Sinn geistreiches Stück. Alles, wovon die Rede ist, tritt in seiner geistigen Physiognomie hervor; man bewegt sich in einer hochgebildeten Gesellschaft, an deren Unterhaltung man sich lebhaft betheiligt; selbst die kleinen Nebenfiguren füllen nicht blos eine Lücke aus, sie sind Eristenzen für sich, geistige Eristenzen.

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Die Emilia" enthält eine wesentlich neue Form der Tragödie, die gegen die Franzosen wie gegen Shakespeare absticht. In der französischen Tragödie hat die Handlung nur den Zweck, die Leidenschaft zu gewaltig rhetorischem Ausdruck zu treiben; durch diesen, nicht durch das, was vorgeht, soll die Seele des Zuhörers gestimmt, erregt und befriedigt werden; auf die Tonlage dieser Kraftstellen bereitet von Anfang an der Ton der ganzen Tragödie vor. Bei Shakespeare ist der Höhepunkt, wenn die Leidenschaft sich in voller Macht austobt. Die Zuhörer werden erschüttert, in das Mitleid mischt sich Furcht.

In der „Emilia" kann der Zuschauer dem, was vorgeht, mit Ge

lassenheit folgen, er kann sich das Einzelne überlegen und zurechtseßen. Und doch ist, was vorgeht, arg genug. Der höchste Richter des Landes begeht aus Leidenschaft ein Verbrechen; ein reizendes junges Mädchen wird durch den innern Conflict des Herzens getrieben, den Tod zu suchen; ein Vater tödtet aus Liebe seine Tochter und liefert sich dann dem Gericht des Verfolgers aus. Ein Inhalt, der sich dreist neben jedem Shakespeare'schen sehn lassen kann: warum wirkt er nicht ebenso gewaltig?

Lessing sucht nicht blos keine Gelegenheit, eine Leidenschaft zum volltönenden Ausdruck zu bringen, er vermeidet sie gefliffentlich; alle seine Personen halten in der Leidenschaft zurück, Orsina und Claudia ausgenommen, denen nur eine secundäre Stelle zukommt. Selbst der Ausdruck des Schmerzes, ja der Verzweiflung nimmt bei ihm gern die Form des Wizes an. Emilia in ihrem innern Conflict drängt zum Ende, sie möchte am liebsten garnichts sagen; Odoardo bezähmt seinen Grimm nach den vorgeschriebenen Begriffen des Anstands, und als nun die Katastrophe eintritt, ist alles rasch zu Ende.

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Lessing hat und darin liegt das Neue die Methode des Lustspiels auf die Tragödie übertragen; er hat den tragischen Fall dramatisch grade so behandelt, wie den heitern in der „Minna von Barnhelm". Es konnte ihm nicht einfallen, auf die Erregung des Mitleids zu verzichten, aber er wollte das Mitleid weder erschleichen noch ertrozen. Der Zuschauer sollte den Vorgang in seinem innersten Zusammenhang aufmersam verfolgen und prüfen, er sollte sich in seiner Beobachtung durch kein unzeitiges Gefühl verwirren lassen. Darum wird, was sonst in der Tragödie nicht zu geschehn pflegt, jeder scheinbar unwesentliche Umstand sorgfältig motivirt, und die Sprache des gewöhnlichen gebildeten Lebens naturgetreu nachgeahmt.

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Als in Wien das Stück mit viel Beifall gegeben war, erklärte Kaiser Joseph sehr zufrieden, er habe noch nie in einem Trauerspiel so gelacht! und das Publicum lachte mit. Allerdings war die Empfindung der Wiener sehr roh, und durch die Gewohnheit schlechter Stücke, in denen nur einfache Motive vorkamen, verbildet, aber sie gerirten sich als echte Naturalisten, wenn sie sich über Marinelli's Geschick und Wiz amüsirten, und darüber die furchtbar tragische Situation vergaßen.

Wenn aber der Eindruck auf rohe Naturalisten für den Werth des Stücks nicht maßgebend sein kann, so wird auch der ernster denkende Zuschauer durch den Ausgang verwirrt: das ganze Stück hindurch ist der Verstand so in Anspruch genommen, daß er sich auch am Ende, wo das Gefühl allein sprechen sollte, nicht zum Schweigen bringen läßt;

er fragt nach dem Warum? was sind die Motive der handelnden Perfonen? Sonst wird alles, was vorgeht, so sorgfältig motivirt, aber grade der Moment, auf den das ganze Gewebe der Handlung vorbereiten sollte, wirkt nicht überzeugend; man mußte schon nach der Sage der Virginia darauf gefaßt sein, und doch wird man betroffen. Odoardo selbst ruft erschrocken: „Gott was habe ich gethan!" und vollends vor Emilia steht man wie vor einem Räthsel. Die wilde Orsina durchschaut man ganz; aber was geht in jener Jungfrau vor?

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Was heißt Gewalt? Verführung ist die wahre Gewalt!" - Ist es Emilia mit diesem Ausruf Ernst? „Mich dünkt", schreibt Clau= dius, „ich hätte an ihrer Stelle nackt durch ein Heer der wollüstigsten Teufel gehen können, und keiner hätte wagen sollen, mich anzurühren!“ Aehnliche Urtheile konnte Leffing von allen Seiten hören, und sie waren begründet. Lessing hatte die eigenthümliche Gefühlsmischung in einer noch halbschlummernden Mädchenseele sich wohl richtig gedacht, aber er fand in seinen Erinnerungen und Träumen nicht die richtigen Farben vor.

Herder, der im Anfang das Stück nicht mochte, weil es ihm zu ausgeklügelt vorkam, der sich aber später mit der vollsten und aufrichtigsten Bewunderung darüber aussprach, erklärt Emilia's Verhalten nicht uneben: „Das flatternde Vögelchen fürchtet nicht etwa nur den anziehenden Hauch der großen, glänzenden Schlange; es fühlt denselben schon, sieht ihren auf sie gerichteten Blick; oder ohne Gleichniß: sie glaubt sich schon umschlungen von tausend feinen Neßen, weiß, wie der Prinz ihre Empfindungen der Religion selbst vor dem Altar störte, und wagt wie eine Heilige den Sprung in die Flut. Wie verstandvoll hat Lessing ihr Herz mit Religion verwebt, um die Stärke und Schwäche einer solchen Stüße zu zeigen."

Eigentlich treibt Emilia nicht die Furcht vor etwas, das geschehen könnte, sondern der Ekel vor dem, was geschehen ist, in den Tod. Der Prinz hat ihre Phantasie beschäftigt, sie aufgeregt, als sie mit Gott zu thun hatte; er fährt fort, ihre Phantasie zu beschäftigen, da sie ihn als Mörder kennt. Sie fühlt, daß noch in diesem Augenblick der lasterhafte Prinz ihr interessanter ist als ihr tugendhafter Bräutigam, und dieses Gefühl ekelt sie an, sie kann es nicht ertragen, sie muß ein Ende machen. - Männer wie der Prinz, mit diesen Gemüthssprüngen, mit diesem Wechsel von Kälte und Leidenschaft, mit diesem warmen Gefühl für das Schöne und dieser Bereitschaft für das Schändliche, Männer, die in jedem Augenblick ein Räthsel aufgeben: diese sind es, welche auf die Phantasie der Frauen einwirken, und durch dies Medium auf das Ge

müth. Orfina, kein gemeines Weib, ist ein Symptom dieser Wirfungen.

Lessing bekannte später, er habe sich beim Entwurf des ersten Acts noch nicht völlig klar gemacht, einen wie bedeutenden Antheil der Prinz am Schluß haben sollte. Wie es jezt steht, ist der Prinz die Hauptperson des Stücks; der Schuldige ist dramatisch die interessanteste Figur: es sind zum Theil seine besten Eigenschaften, die ihn verführen. Er ist gutmüthig auf seine Art, hat keine Lust an der Gewaltthat, hat nicht blos Sinn für die Kunst, sondern auch Achtung vor der Tugend und eine große Feinfühligkeit im Verhalten zu andern Ständen. Er hat lebhafte und fein gestimmte Sinne, einen künstlerisch gebildeten Geschmack, der leicht gereizt aber nicht leicht befriedigt wird, der stets zu neuen Versuchen drängt. Selber leicht gereizt, hat er die gefährliche Gabe, Andre zu reizen. Er faßt das ganze Leben künstlerisch auf: „qualis artifex pereo!" wie Nero sagte. Für einen solchen Künstler ist es gefährlich, eine Macht zu besißen, die ihn das Gesuchte schnell finden läßt. Er will gern abkürzen, das Poetische rein haben; um den prosaischen und verdrießlichen Beisaß loszuwerden, bedarf er eines geschickten, nie bedenklichen Dieners, der ihm mit guter Miene die heikeln Geschäfte abnimmt; den er zur Noth mit einem Fußtritt entfernen kann, wenn er ihm unbequem geworden ist. Dann kann er mit Bedauern seine Hände rein waschen.

Um den Fürsten dreht sich alles: der Höfling, der Künstler, der Geheimrath, die Maitresse, ja auch die Tugendhaften von altem Schlage: fie alle sind eigentlich nur dazu da, die verschiedenen Seiten seiner Eristenz ans Licht zu bringen, den Stand des Fürsten in allen denkbaren Situationen zu zeigen, oder, wie Herder sich treffend ausdrückt, „ihn am feinsten Spieß langsam am Feuer seiner Thorheiten, Neigungen und Leidenschaften umzudrehn, daß er in der Phantasie des Zuhörers gar werde." Diese Richtung des Stücks verkannte Mauvillon, wenn er die „Ordonnanz" vermißte. Der leidenschaftliche Republicaner, später Mirabeau's Freund, hätte sie wohl herausfinden können: sprach er sich doch gleichzeitig in den „Briefen über den Werth einiger Schrift= steller“ verächtlich über die schlaffe Stimmung der jungen Poeten aus, die den Despotismus begünstige. Ueberall Lob des guten Herzens, d. H. der Temperamentstugend; eine mitleidige Thräne zu weinen, wird als Gipfel der Tugend angesehn; in süßlicher Empfindsamkeit geht alle Manneskraft verloren. Diese verliebten Poeten machen den Menschen begierig nach Vergnügen, unfähig, nach Großem zu trachten. Solche

Julian Schmidt, Litteratur. II.

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