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Religiöse Geschichtschreibung.

unfruchtbaren Jahren, der Eintritt einer Hungersnoth, Pest oder der rasche Tod eines Einzelnen wird, abgesehen von allem natürlichen Zusammenhang, als das unmittelbare Eingreifen Gottes dargestellt; alles Glück ist Lohn für bewiesene Frömmigkeit, das Unglück Strafe für begangene Sünde.

Durch diese Art ausschließlich religiöser Geschichtsbetrachtung ist nun freilich der menschlich-psychologische Zusammenhang der Ereignisse zerstört und einzelne wichtige Particen der Geschichte sind in ein Licht gestellt, das mehr blendet als erhellt. Wie oben ausgeführt wurde, hatte schon die mündliche Ueberlieferung am Geschichtsstoffe ihre verschiedenen Umbildungen vorgenommen und nun kommt noch die Kunst und Absicht des Schriftstellers hinzu, um den wirklichen Hergang der Dinge vollends zu verschleiern; so ist uns das geschichtliche Verständniß namentlich des ersten Theils der israelitischen Volks- und Religionsgeschichte (von Abraham bis zum Aufkommen des Königthums) ungemein erschwert und nicht selten befindet sich hier der besonnene Forscher bei seinem Bemühen, den geschichtlichen Thatbestand herzustellen, in Verlegenheit und Rathlosigkeit.

Doch so unbequem dieß Alles für uns ist, so müssen wir dennoch gestehen, daß die Geschichtschreibung des Alten Testaments gethan hat, was sie sollte. Ein rein sachlich historisches Interesse für die Vergangenheit dürfen wir dem israelitischen Volksgeiste überhaupt nicht zumuthen; da und dort (namentlich in den Büchern Samuel) taucht wohl das rein menschliche Behagen an unverkünftelter Geschichte auf, aber im Allgemeinen war das Gemüthsleben zu bewegt, die Phantasie zu selbstherrlich, als daß eine objektive Geschichtsbetrachtung hätte Raum gewinnen können. Besonders kommen aber auch die Persönlichkeiten, die sich an der Geschichtschreibung betheiligten, in Betracht. Wer waren die Verfasser der Geschichtsbücher? Sie gehörten fast ausschließlich jener kleinen Partei treuer Jehovadiener und eifriger Theokraten an, die sich bis zur Rückkehr aus dem babylonischen Eril immer in der Minorität befanden. Bei

Religiöse Geschichtschreibung.

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der anstrengenden und aufzehrenden Lebensaufgabe, die diese Männer Jahrhunderte hindurch sich stellten, König und Volk auf ihre Seite zu ziehen, wäre es ihnen als eine kindische Liebhaberei erschienen, die Vergangenheit in rein historischem oder archäologischem Sinne zu durchforschen; nicht ein Gegenstand des Wissens, ein Bundesgenosse in ihren Kämpfen war für sie die Geschichte. Einem Volke gegenüber, das oft allen Göttern Vorderasiens zugleich diente, follte die beschämende Wahrheit aufgestellt werden, daß sein ganzes nationales Dasein, alle frühere Heldengröße und alle jezige Wohlfahrt ein Geschenk des Einen Gottes Jehova sei; ein Spiegel sollte dem Volke vorgehalten werden, in welchem es gegenüber der immerwährenden Güte und Fürforge Gottes seinen Undank und Wankelmuth erkennen mußte, in welchem es aber auch aus den bisweilen sich vollziehenden schrecklichen Gerichten Gottes lernen konnte, was auch ihm bei fortdauerndem Abfall bevorstünde. Als Motto hätte der ganzen Geschichtschreibung jene Klage Gottes bei Jejaja (1, 2. f.) vorgesezt werden können: „Kinder habe ich auferzogen und genährt, doch sie sind von mir abgefallen; ein Rind kennt seinen Besißer und ein Esel die Krippe seines Herrn, aber Israel kennt ihn nicht, mein Volk merkt nicht auf ihn.“ Kurz, die Geschichte sollte eine Predigt sein, eine Buß-, Mahn- und Trostpredigt an König und Volk, an Alt und Jung. Diesen praktisch-pädagogischen Zweck haben die Geschichtschreiber denn auch in vollem Maße erreicht. Was im 6. Jahrhundert die Erulanten in Babylon und später das ganze nacherilische Judenthum in den trübsten Zeiten hoffnungsvoll aufrecht hielt und zum zähesten Widerstand gegen fremde Sitten stählte, war hauptsächlich die Geschichte. Was über die göttlichen Führungen, Segnungen und Strafgerichte früherer Jahrhunderte in den Geschichtsbüchern geschrieben stand, war das strahlende Licht, in welchem Gegenwart und Zukunft gläubig und vertrauensvoll aufgefaßt wurde. Daß Gott nicht umsonst sein Volk aus der Knechtschaft Aegyptens gerettet, ihm nicht umsonst

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Mose und die Propheten, Josua und David gegeben, daß dieß Alles auf noch viel größere, künftige Herrlichkeit weise und daß auch durch die Trübsal der Gegenwart hindurch derselbe Gott seine verschlungenen Wege kenne, kurz: daß Israel eine weltgeschichtliche Aufgabe habe und dieselbe nicht verfehlen werde, weil Gott stärker sei als alle Reiche der Welt, dieses Bewußtsein war dem spätern Judenthum durch seine Geschichte unaustilgbar cingepfählt und führte es durch alle Stürme bis dahin, wo es in Christus seine Vollendung und damit wirklich den Sieg über die Heidenvölker fand.

III. Die einzelnen Geschichtsbücher.

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Die erste Gruppe alttestamentlicher Geschichtsbücher bilden die Bücher Mose, auch Pentateuch Fünfbuch genannt, und Josua, die nach ihrer Entstehungsweise und literarischen Beschaffenheit auf's engste mit einander verknüpft sind. Ihr Inhalt ist folgender:

Das 1. Buch Mose, Genesis, enthält die Urgeschichte von der Schöpfung an bis zum Wohnen der Söhne Jakob's in Aegypten. Das 2. Buch, Exodus, erzählt den Auszug aus Aegypten und die Wanderung bis zum Sinai; es enthält ferner den Anfang der Gesetzgebung und der gottesdienstlichen Einrichtungen. Das 3. Buch, Leviticus, führt die Geschgebung weiter fort; namentlich bezieht es sich auf den Opferdienst und auf Rang und Amt der Priester und Leviten. Das 4. Buch, Numeri, berichtet von der Zählung des Volks und der langjährigen Wanderung durch die Wüste bis zur Ankunft im Ostjordanland. Jm 5. Buch, Deute ronomium, hält Mose vor seinem Tode lange Abschiedsreden an das Volk, in welchen er ihm das Gesez einschärft, und stirbt dann, nachdem er Josua zu seinem Nachfolger eingesezt hat. Das Buch Josua berichtet über die Eroberung des Landes Kanaan, sodann über die Vertheilung desselben an die einzelnen Stämme und über Volksversamm

Ob Moje der Verfasser?

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lungen, die Josua zur Feststellung des Jehovadienstes anordnete.

1. Bei Juden und Christen galt es bis in die neuere Zeit als unbestritten, daß Mose der Verfasser des nach ihm benannten Werkes sci. Indessen gibt das Werk selbst zu dieser Vermuthung keine Veranlassung; nur bei einzelnen Gesezen und Reden heißt es: Mose schrieb, Mose sprach diese Worte; immer ist von ihm in der dritten Person die Rede und zwar bisweilen in rühmlichster Anerkennung. Von vornherein ist es übrigens durchaus undenkbar, daß Mose während der Gefahren und Mühen der Wüstenwanderung, während der aufreibenden Thätigkeit, welche die Leitung seines Volkes mit sich brachte, auch noch den Antrieb zur Abfassung eines Schriftwerkes sollte verspürt haben. Und was für eines Werkes? Im Pentateuch ist jede literarische Gattung vertreten, die überhaupt im Alten Testament vorkommt, Sage, Geschichte, Gesezgebung, Poesie, Lehrrede, Predigt, Prophetie, Alles findet sich im buntesten Wechsel vor, kurze, dürftige Berichte neben ausführlichen Darstellungen voll malerischer Anschaulichkeit, eine künstlich zurechtgelegte Chronologie und Genealogie neben frischer, ursprünglicher Poesie, die knappe Form des Gesezes neben eindringlichen, herzlichen Ermahnungen, peinlich detaillirte und verwickelte Vorschriften über gottesdienstliche Aemter und Gebräuche neben den klaren Grundzügen einer großartig einfachen Religion. Offenbar ist dieses Werk sehr allmälig entstanden und viele Jahrhunderte haben ihre religiösen Sitten und Ideen, ihre verschiedene Welt- und Geschichtsauffassung darin ausgesprochen. Der Titel „Bücher Mose“ darf keinen andern Sinn haben als den, daß er die hervorragendste Person bezeichnet, von der in diesem Werk die Rede ist.

2. Was oben (Seite 23) über die literarische Beschaffenheit der alttestamentlichen Geschichtsbücher gesagt ist, gilt in vollstem Maße vom Pentateuch; seine gegenwärtige Gestalt verdankt er einer mosaikartigen Zusammenstellung der ver

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fiebenten Monats der Mondsabbat, am zehnten der Versöhnungstag, vom fünfzehnten an sieben Tage lang das Laubhüttenfest und endlich am zweiundzwanzigsten desselben Monats eine Schlußfeier des ganzen Festcyklus.

3. Fernere Aufgabe ist nun, das verworrene Geflecht auf seine ursprünglichen Bestandtheile zurückzuführen, so daß jede einzelne Schrift, die in den Pentateuch verarbeitet worden, nach ihrer Eigenart und ihrem ursprünglichen Umfang abgesondert sich anschauen und nach Veranlassung und Zeit der Entstehung sich bestimmen ließe. Bei dieser Untersuchung kann es nur eine Regel geben: was sich nicht ausschließt, sich nicht müßig wiederholt, was vielmehr einen fortlaufenden Faden der Erzählung bildet, gegenseitige Beziehungen enthält und sich in Gedanken und Ausdruck entspricht, darf zusammengestellt und als ein selbständiges Buch betrachtet werden; was dieser Bedingung nicht entspricht, ist auszufondern und nach einem neu zu suchenden literarischen oder geschichtlichen Maßstab zu gruppiren.

A. Am leichtesten als besondrer Bestandtheil auszutscheiden ist das Deuteronomium; dieses stellt Mose dar, wie er am Ende seines Lebens, mit seinem Volk in Moab angekommen, lange Reden ermahnenden und geseßlichen Inhalts an dasselbe hält. Sprachlich unterscheiden sich diese Reden von allen übrigen Stücken des Pentateuchs durch ihren herzlichen, eindringlichen Ton, durch ihren rhetorischen Charakter, durch die breite Ausführlichkeit, in welcher die herrlichsten Verheißungen mit den furchtbarsten Drohungen wechseln (Kap. 28). In Rücksicht auf den Inhalt charakterisiren sich diese Reden durch eine gewisse geistige Höhe in der Auffassung religiöser und sittlicher Dinge; auf die Reinheit der Gesinnung, auf die Liebe zu Gott und den Menschen wird aller Werth gelegt; charakteristisch ist ferner, daß für den Cultus nachdrücklich die Einheit des Orts verlangt wird und daß bei genauster Darstellung der Rechte und Pflichten der Leviten dennoch Levit“ und „Priester" durchaus synonyme Ausdrücke sind.

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