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Das steigende Interesse an der Wissenschaft, welches alle Berufsklassen des deutschen Volkes durchdringt, und von welchem auch diese Versammlung einen Beweis ablegt, ist ohne Zweifel zum grossen Theil hervorgerufen durch die ausserordentlichen Fortschritte der Naturwissenschaften. Die Weltmacht der Naturwissenschaften steht in grossartigen Erfindungen und Entdeckungen vor den Augen Aller. Aber sie reicht weiter als die materiellen Erfolge dieser Wissenschaften; denn dieselben haben zugleich eine Revolution in dem gesammten Denken der Völker hervorgebracht, eine Revolution, welche leider allmählich zu einem offenen Widerspruch mit der Grund veste des Volksbewusstseins, der Religion, geführt hat. Die religiösen Fragen der Gegenwart können nur gelöst werden, wenn es gelingt, diesen Widerstreit zu schlichten. Erlauben sie mir daher, dass ich Ihnen denselben zunächst kurz vergegenwärtige. Er bezieht sich wesentlich auf 4 Punkte.

Der erste betrifft die Ansicht über die Natur im Allgemeinen. Jene grosse astronomische Entdeckung, mit welcher die Zeit der naturwissenschaftlichen Revolution beginnt, das Kopernikanische System, ist im Laufe der Jahrhunderte zu allgemeiner Anerkennung im Volksbewusstsein gelangt, obgleich die wissenschaftlichen Beweise nur wenigen völlig zugänglich sind. Die Resultate lassen sich allen anschaulich machen; im Uebrigen vertraut man auf die durch jeden Kalender bezeugte Zuverlässigkeit der Wissenschaft, welche die Erscheinungen des Himmels bis auf die Sekunde voraussagt. Die neue astronomische Anschauung ist bekanntlich von Anfang an von der Kirche auch der protestantischen - als Ketzerei angesehen worden und wird von der Orthodoxie noch heute als Irrthum betrachtet. Unvereinbar ist. jedenfalls damit die biblische Vorstellung. Die Welt dreht sich nicht wie man früher annahm um den Menschen und seinen Wohnsitz; die Erde ist ein verschwindend kleiner Theil des Universums. Das Kopernikanische System ist nun von der Naturwissenschaft zu einer Mechanik des Weltalls ausgebildet. Die Welt ist unendlich1), aber dennoch in sich eins eins durch das Gesetz der Schwere, welches alle ihre Punkte mit einander verbindet. Jeder Punkt im Weltraum ist in beständiger Bewegung; die

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Ruhe selbst wird nur durch entgegenstrebende Bewegungen hervorgebracht. Die Bewegung geht in einem Stoffe vor sich und verändert diesen stets zu neuen Gestalten; aber in dem Wechsel der entstehenden und untergehenden Form bleibt die Masse des Stoffes immer dieselbe, und die in der Bewegung wirkende Kraft, mag sie nun als Stoss, Wärme, Licht, Magnetismus oder Electricität erscheinen, ist ihrem Quantum nach ebenfalls unveränderlich. Es ist auch nicht möglich anzunehmen, dass je das Quantum des Stoffes und der Kraft anders gewesen als jetzt beides ist seit Ewigkeit dasselbe. Diese Annahmen beruhen auf mathematischen Beweisen, welche wie z. B. der des Newton'schen Fallgesetzes für die grosse Mehrzahl des Volkes unverständlich sind, aber sie sind durch das unbedingte Vertrauen zur Wissenschaft unter Gebildeten und Ungebildeten überall verbreitet. In Deutschland hat zur Popularisirung derselben besonders Büchners jetzt in 12. Auflage erschienenes Buch „Kraft und Stoff" beigetragen, dem eine Unzahl ähnlicher Erscheinungen gefolgt ist. Offenbar ist mit jenen Annahmen nicht nur die Vorstellung ausgeschlossen, dass in der Natur unmittelbar göttliche und dämonische Kräfte wirken, die letzteren etwa im Widerspruch mit den erstern, sondern es fällt dabei auch der Glaube, dass Gott die Welt zu irgend einer Zeit aus Nichts geschaffen. Die Entstehung der Erde wird in unabsehbar ferne Zeit zurückgeschoben.

Eine tief einschneidende Veränderung hat im Besondern die Ansicht über die organische Natur erfahren. Hier liegt der zweite Streitpunkt. Dass sich auf der Erde die Pflanzen- und Thierwelt von den einfachsten Formen bis zum Menschen entwickelt hat, wird zu immer grösserer Wahrscheinlichkeit erhoben. Epochemachend war in dieser Beziehung die Theorie Darwin's, welche die Gesetze festzustellen sucht, nach denen die Entwickelung vor sich gegangen. Zwei Kräfte wirken in der organischen Welt die Vererbung der Eigenschaften durch Fortpflanzung, das conservative Princip, wodurch die organischen Formen erhalten bleiben, und daneben die Abänderung durch die äusseren Verhältnisse, in denen die Pflanzen und Thiere existiren; das Princip des Fortschritts. Dadurch, dass mehr Individuen derselben Art auf einem und demselben Raum entstehen, als neben einander bestehen können, entbrennt ein Kampf um's Dasein, eine Concurrenz, die mit dem Siege des Stärkeren, d. h. derjenigen Formen, welche den äusseren Verhältnissen am besten angepasst sind, endet. Diese Formen überwinden die andern, und pflanzen sich dann fort, während die schwächeren zum Theil untergehen. Und so führt der Kampf um's Dasein zu einer natürlichen Zuchtwahl und zu einer fortschreitenden Vervollkommnung, d. h. zu einer immer grösseren Anpassung an die Verhältnisse. Die Organismen passen sich so zugleich an einan

der an, so dass die ganze Erde zu einem Organismus wird, worin die Pflanzenwelt der Thierwelt und diese jener dient, alles scheinbar zweckmässig in einander greift, obgleich dieser sogenannte Haushalt der Natur nicht nach vorherbestimmten Zwecken geordnet ist, sondern sich durch den Kampf um's Dasein von selbst so geordnet hat. Die Vollkommenheit besteht in einer immer grösseren Theilung der Arbeit, so dass die besonderen Functionen des Lebens immer mehr an besondere Organe vertheilt werden, die für das Bestehen des Ganzen und damit alles Einzelnen arbeiten. Nach dieser Theorie ist der Mensch bis jetzt das letzte Glied in der Entwickelung der Thierwelt, die vielleicht noch zu vollkommneren Gestalten führt. Gerade die Lehre, dass der Mensch vom Affen abstamme, hat dem Darwinismus eine unglaubliche Popularität verschafft, obgleich hier der schwächste Punkt desselben liegt). Beredte Wanderapostel, wie Karl Vogt haben die Theorie Darwin's, welche von der strengen Wissenschaft als eine in vielen Punkten noch sehr unbestimmte Hypothese angesehen wird, überall hin in die Massen getragen, so dass bei vielen die · Abstammung vom Affen ein Glaubensartikel geworden ist, welcher dem früheren Glauben an die Mosaische Schöpfungsgeschichte an Ueberzeugungskraft nicht nachsteht. Man hat nun in der Entwickelung des Menschengeschlechtes selbst die gleichen Gesetze verfolgt, die in der organischen Natur herrschen. Die Staaten und alle gesellschaftlichen Einrichtungen haben sich ja aus jenen beiden Principien der Conservation und des Fortschritts entwickelt. Die vorhandenen Verhältnisse erben fort und werden dabei von der andern Seite den veränderten Bedingungen angepasst. Dabei entsteht Concurrenz, der Kampf um's Dasein zwischen den Einzelnen, zwischen Klassen der sich bildenden Gesellschaft, zwischen Staaten. Der Stärkere siegt, das den Verhältnissen Angemessene pflanzt sich fort und so geht auch hier die Entwickelung vor sich. Auch hier besteht die steigende Vollkommenheit in der steigenden Arbeitstheilung. Die für die Erhaltung des Ganzen wie des Einzelnen nöthigen Thätigkeiten werden immer mehr an die Einzelnen vertheilt, so dass keiner den andern stört, jeder den andern fördert. Wenn dies zwischen den einzelnen Völkern sich im Kampf um's Dasein durchgesetzt hat, so wird die Menschheit zu einem Organismus und der Mensch zum Herrn der Erde. Dies kosmopolitische Ideal gründet sich auf volkswirthschaftliche Principien, und es ist bekannt, wie die moderne Volkswirthschaft überall mit der naturwissenschaftlichen Weltansicht zusammenhängt. Die Möglichkeit, dass der Mensch sich die Erde mit allen ihren Kräften unterwerfe, wird auch den Ungebildeten immer klarer, seitdem man einen grossartigen Ueberblick über den Erdball gewonnen hat, seitdem man das Haus der Menschheit überschaut. Durch die immer mehr vervoll

kommneten Verkehrsmittel und durch die Kolonisation aller Welttheile kommt dieser Ueberblick allmählich jedem zum lebendigen Bewusstsein. Ferner überwindet die Technik durch Hülfe der Naturwissenschaft allmählich alle Naturschwierigkeiten und so ist es begreiflich, wie man auf einen endlichen völligen Sieg über die Kräfte der Erde rechnen kann. Die Uebel, die jetzt noch die Menschheit bedrängen, Krankheit und Elend aller Art, rühren zum Theil von der unvollkommenen Herrschaft über die Natur, zum Theil von der verkehrten Einrichtung der menschlichen Gesellschaft her. Sie werden also durch die Fortschritte der Naturwissenschaften und der Gesellschaft getilgt, wenn auch in langen Kämpfen. Sie sehen, wie tief diese Weltanschauung in die frühere Vorstellungsweise einschneidet. Die teleologische Naturerklärung, wonach alle Wesen der Erde von Gott für menschliche Zwecke geschaffen, ist hiermit zerstört. Der Mensch selbst wird nicht in seinem Handeln von Dämonen verführt, von Engeln geleitet, sondern er folgt dem eigenen Erhaltungstriebe. Nicht ist durch göttliche Gnadenwahl der eine zum Heil, der andere zur Verdammniss, der eine zum Herrscher, der andere zum Knecht bestimmt. Es giebt überhaupt keine Prädestination, keine willkürliche göttliche Bestimmung. Der Mensch allein ist seines

Glückes Schmied.

In der organischen Natur wirken hiernach offenbar dieselben Gesetze wie in der anorganischen. Es ist kein Grund, eine besondere Lebenskraft anzunehmen. Die physikalischen Kräfte, die die Erde geballt haben, bauen in ihrem unendlichen Spiel auch das ganze Reich des Organischen auf. Der Mensch steht nun der Welt als erkennendes Wesen gegenüber. Und in Bezug auf die Art der Naturerkenntniss, d. h. über die Quellen und Mittel dieser Erkenntniss hat sich die Ansicht ganz besonders gegen früher verändert. Dies ist der dritte entscheidende Punkt in dem Streit zwischen Religion und Naturwissenschaft. Es ist ein allgemeiner Drang entstanden, sich durch lebendige Anschauungen und sichere Experimente zu überzeugen, dass die Naturgesetze überall und ausnahmslos herrschen. Damit ist der frühere Glaube an unbekannte geistige Mächte, welche in das Wirken dieser Gesetze eingreifen und sich übernatürlich offenbaren könnten, der Glaube an Zeichen und Wunder, unrettbar verloren. Es hilft hier kein künstlicher Widerstand. Die klare inductive d. h. von den Thatsachen zu den zu Grunde liegenden Gesetzen führende Methode der Naturwissenschaft siegt durch die augenscheinlichen Erfolge, die grösser sind als alle fabelhaften Wunder der Vorzeit.

Und daraus ergiebt sich dann das Vierte, indem dieser allgemeine Erkenntnissweg auf die organische Natur im Speziellen angewandt wird. Auch die geistigen Fähigkeiten seben

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