Ueber Philosophische Tradition. Eine akademische Antrittsrede gehalten in der Aula der Universität Jena am 9. Pecember 1882. Von Otto Liebmann. Straßburg. Verlag von K. J. Trübner. Hochansehnliche Versammlung! Indem ich an dieser klassischen Wohnstätte deutscher Philosophie das mir anvertraute philosophische Lehramt übernehme, wird mein. Blick innerhalb engerer und weiterer Grenzen auf die Vergangenheit zurück und auf die Zukunft voraus gelenkt. Zuvörderst haftet er an Erinnerungen und Aussichten individueller Natur; an solchen, welche mich persönlich mit dieser Hochschule auf's engste verknüpfen. Der hiesigen Universität habe ich einst als Studirender angehört, habe hier die lebhaftesten und ersprießlichsten Anregungen empfangen; und nun komme ich hierher zurück, um Empfangenes und Selbsterworbenes an eine jüngere Generation zu überliefern. So vereinigt sich dankbare Erinnerung mit dem Bewußtsein der Verpflichtung für die Zukunft. Wie hoch diese Verpflichtung ist, macht sich noch eindringlicher fühlbar, wenn ich in weiterer Sphäre den Blick hinschweifen lasse über die lange Reihe berühmter und namhafter Denker, die seit hundert Jahren hier in Jena gewirkt, von Jena aus mit der Fackel ihres Geistes Deutschland und die ganze gebildete Welt erleuchtet haben, und wenn sich dann die Frage regt, inwieweit es mir gelingen kann, eine so glänzende Tradition auf würdige Weise fortzusetzen. Endlich aber eilen die Gedanken in die welthistorische Gesammtentwicklung der Philosophie alter und neuerer Zeit zurück, wie sie der menschlichen Culturentwicklung als unabtrennbare Begleiterin zur Seite gelaufen ist, und indem ich |