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Rousseau's Theorieen schwärmenden Sulzer ernüchtern sollte, 1 mochte allenfalls als ein Ausfluss misanthroper Laune gelten und konnte deshalb wirkungslos verhallen. Kant's leidenschaftsloser, psychologisch fein durchgeführter Nachweis, dass im Innersten des Menschen, nicht etwa bei vereinzelten Individuen nur, ein,,radicales" rätselhaftes Böse wohne, das als unheilvoller Egoismus die Freiheit und das Gesetz der Sittlichkeit allmächtig niederhalte, lieferte mit grösstem Ernste, mit scharfem Blicke für die sittlichen Schäden wie für die Hoheit der moralischen Aufgabe den Gegenbeweis zu Rousseau's Sätzen zum Erstaunen der Zeit. Selbst Theologen wie Reinhard und Storr 2 haben mit geringerer Entschiedenheit als Kant das seit (Origenes und) Augustin von der Kirche bekannte, durch die Reformation auf evangelischem Boden insbesondere zur Herrschaft gekommene und nur auf kurze Zeit im 17. und 18. Jahrhundert verdrängte Dogma von der Erbsünde verfochten. Ohne das Gebiet metaphysischer Speculation zu betreten, wie Origenes; ohne die Gewaltsamkeit der Exegese zu billigen, mit der Augustin und die Dogmatik des 17. Jahrhunderts die Solidarität zwischen Adam und den Adamiten, dem universalen Menschen und den Individuen der Menschheit (Röm. 5, 12) erwiesen hatten; ohne von einer abstracten, fast manichäisch - pessimistischen Anschauung über des Menschen Natur auszugehen: sondern einzig gestüzt auf die Erfahrung und die Stimme des Gewissens, wie sie jeder Einzelne vernimmt, wies Kant das Problem des radicalen Bösen als ein vorhandenes nach, - freilich, um es nach seinem Ursprunge ungelöst stehen zu lassen. Es ist ein ächt germanischer Zug, der in Kant's practischer Philosophie oft uns entgegentritt und der von ferne sie anklingen lässt an die Contemplation der Mystiker, wenn er ähnlich den Reformatoren vor und während der Reformation 3 in die dunkelsten Tiefen des Ich sich versenkt, um aus dessen erkannter und anerkannter Unwürdigkeit in scheinbar paradoxer Weise

1) Vous connaissez mal la maudite race, à laquelle nous appartenons. Menzel, Gesch. d. Deutschen VI, 168; vgl. Kahnis, Kirchenglaube 646.

2) Reinhard (Vorlesungen üb. d. Dogmatik; 2. Aufl. S. 288 ff.) will die Lehre von der Erbsünde weder in der Schrift, noch in der Vernunft, noch in den symbolischen Büchern direct vorfinden; vgl. Storr, Bemerkungen zu Kant's Philosophie 1794, S. 8.

3) Dorner, Lehre v. d. Person Christi II, 454 ff. 510-531; Gesch. des Protest. 140 ff. 190 ff. 200 ff. 223 ff.

die unendliche Hoheit und Würde jeder einzelnen Persönlichkeit abzuleiten, wie sie ihr an sich und auch vor Gott zukomme.

3) Die Macht der sittlichen Persönlichkeit soll sich erweisen im energischen Kampfe für die Erfüllung des obersten Gesetzes und im Streben nach Realisierung des homo νοούμενος. Freiwillige Aufnahme des allgemeinen Sitten gesetzes in die Maxime des Einzelnen: so lautet die Forderung der Kant'schen Moral. Sie zerstört zwei Zufluchtsstätten der unlauteren Sittlichkeit: indem sie die Legalität als „,blinde, knechtische Gesinnung", kaum als Vorstufe der Moralität bezeichnet, und indem sie den vieldeutigen Begriff des ,,sittlich Indifferenten" einfach aus der Moral streicht.2 Einen um so heroischeren Kampf aber fordert Kant, je weniger er zu demselben mitgiebt. Denn sein Gesetz giebt nichts weiter, als eine Formel. Hier nun ist es, wo Kant's practischer Glaube" seine ideelle Kraft äussert,3 indem er alle,,unlauteren“, „materiellen“ Bestimmungsgründe stolz und seiner selbst gewiss verschmäht, wie sie Montaigne (Erziehung), Mandeville (bürgerliche Verfassung), Epikur (physisches Gefühl), Hutcheson (moralisches Gefühl), Wolf und einst die Stoiker (Vollkommenheit), Crusius und theologische Moralisten (Wille Gottes) aufgestellt hatten als Principien der Sittlichkeit. Nicht blos Schelling 4 hat gerade deshalb Kant das ungeteilteste Lob gespendet; auch Rothe erklärt, 5 indem er Kant gegen Crusius beistimmt:,,die hohe Bedeutung der Kant'schen Philosophie liegt wesentlich darin auch, dass durch sie zu klarem, wissenschaftlichem Bewusstsein gebracht worden ist, dass die Geltung des moralischen Gesetzes auch unabhängig vom Glauben an Gott feststeht“. Und ist es nicht eine zunächst allerdings nur formelle Nachwirkung der Kant'schen Lehre, wenn namhafte Theologen, obschon incorrect, den

1) Krit. d. pract. Vernunft 67 ff. 213; Relig. innerhalb d. Grenzen d. Vernunft 61 f.

2) Relig. innerhalb d. Grenzen d. Vernunft 12 f. Besonders Schleiermacher hat den Begriff des,,Erlaubten" in seiner sittlichen Unhaltbarkeit für den Einzelnen nachgewiesen.

3) Relig. innerhalb d. Grenzen d. Vernunft 24. 76; Krit. d. pract. Vernunft 227.

4) Schelling, Einleitung in d. Philos. d. Mythologie (W. II, 1) 532. 5) Theologische Ethik (2. A.), II, 391; vgl. Hagenbach, Encyclopädie (2. A.) S. 23.

Willen des Ich vollkommen identisch setzen mit dem Ich und der Persönlichkeit überhaupt?1

Bekanntlich ist der entschiedenste Widerspruch laut geworden gegen die von Kant behauptete und gefeierte ,,Autonomie" und ,,Autarkie" der practischen Vernunft. Und dieser Widerspruch ist ein zweifellos berechtigter. Historisch und dialectisch ist jedoch auch anzuerkennen, dass Kant's Behauptungen die berechtigte, ja notwendige Reaction bilden zu der auf Kosten der Anthropologie durch Augustin, Gottschalk, Bradwardina, Luther, Zwingli, Calvin einseitig ausgebildeten Theologie. Die Lehre von der Prädestination, die in letzter Instanz doch trotz aller vermittelnden Motive ethischer Art auf einen physischen Gottesbegriff zurückkommt, 2 hatte den Freiheitsbegriff in Schatten gestellt. In diesen setzt Kant ein; freilich so, dass er das subjective anthropologische Gegenstück zur früheren einseitigen, ausschliesslich objectiven Theologie gab. Nicht eine ausschliessliche Theologie, nicht eine eben so einseitige Anthropologie, sondern nur eine Theanthropologie kann des Rätsels Lösung sein; gerade so wie die Gegensätze von Gott und Mensch sich nur in der Idee und in der Person des Gottmenschen versöhnen. Diese Erkenntnis blieb indes erst der nachkantischen Philosophie und Theologie vorbehalten.

4) Die Behandlung der Christologie, überhaupt der biblischen Geschichte durch Kant3 hat sich von jeher einen von Kant selbst nicht in Abrede gestellten Vorwurf gefallen lassen müssen: den der Verflüchtigung der heiligen Geschichte in moralische Ideen. Was aber trieb Kant bei seinem ausgeprägten Pelagianismus überhaupt zu einem Christus? einem Christus? Die tiefe Erkenntnis von dem Hange zum Bösen in der menschlichen Natur, deren Gebrechlichkeit, Bösartigkeit, selbsttrügerische Tücke" er in beredter Weise schildert. 4 Jener Hang ist vorhanden, er ist eine Thatsache der allgemeinen Erfahrung: aber von

1) J. Müller, Lehre v. d. Sünde (3. A.), I, 522. 552; II, 42 f. 67 f. Luthardt, Lehre v. freien Willen 3 ff. 442 ff.

2) Schleiermacher, Werke z. Theologie II, 395-484.

3) Relig. innerhalb d. Grenzen d. Vernunft 108-114. 190-193. 239; vgl. Lehre v. d. Person Christi II, 972 ff.; Baur, Trinität (Bd. III) u. Lehre v. d. Versöhnung (vielfach); vgl. Kalich (1870): Cantii, Schellingii, Fichtii de filio dei sententia.

4) Relig. innerh. d. Grenzen d. Vernunft 20-39.

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wannen stammt er? dies,,bleibt uns unerforschlich". Es erhellt, wie gegenüber dem rätselhaften und doch innerhalb des Erscheinungsmenschen allmächtigen Bösen eine andere, sittliche, höhere Macht stehen muss, die entrückt allem gemeinen Empirismus den Geisteskampf aufnimmt, frei und ewig unverletzt. Das apriorische Bewusstsein der Freiheit, mit der das sittliche Gesetz in Reciprocität steht, 2 fordert den Kampf, indem sie die ideelle Macht eines guten Princips ahnt und verbürgt. Verzichtend auf einen theoretischen Nachweis des Ursprungs des Bösen, verzichtend auf eine speculative Theodicee: appelliert Kant im practischen Glauben, der uns derselben gewiss macht, an das Vorhandensein und die überwältigende Majestät der sittlichen Idee. Ihr Symbol ist ihm der Name ,,Christus", den er (gemäss dem Worte Joh. 14, 6) umsetzt aus der vereinzelten Objectivität Jesu Christi in die allgemeine Subjectivität. Ueber dem Christus in uns kommt bei Kant der Christus vor uns und für uns nicht zur Geltung. Dies Uebergehen des historischen Christus als unseres Erlösers ist ein Fehler; indes die starke Betonung des in uns vorhanden sein sollenden Christus ist doch auch ein ächt christlicher, ein mystischer Zug, den man vielfach,,dem alternden Kant" übelnahm. Im teilweisen Rechte war Kant mit dieser Subjectivierung der Christologie und der biblischen Geschichte nicht nur, sofern bis zu einem gewissen Grade alle Geschichte die Hülle und die Entfaltung einer Idee ist, sondern in besonderer Weise gegenüber der theoretischen, das Objective starr betonenden, das Ethische vielfach durch juridische, äusserliche Abrechnung unterdrückenden Orthodoxie". Der Tadel, dass Kant in das entgegengesetzte Extrem verfiel, dass er die Geschichte in die Idee verwandelnd überhaupt nur eine innere Geschichte des sittlichen Werdens gelten liess, sollte nur die Art treffen, wie Kant dies innere, ethische Christentum nachwies und forderte: dass er es forderte, ist ihm zu danken. Dabei hat sich Kant, der mit der Strenge eines Moses und Elias das eherne Gesetz verkündigte, der sanfteren Stimme des Evangeliums nicht ganz verschlossen, das auch ihm im Innersten der Seele

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1) Relig. innerh. d. Grenzen d. Vernunft 46. 39 ff.

2) Krit. d. pract. Vernunft, Vorrede 5. 6.

3) Christi Leben als ein typisches für jeden Christen: vgl. Anselm, de trinit. 2; Dorner, Person Christi II, 453 ff. 510 ff.; mehrfach anch Martensen, in M ister Eckhart.

das Wort von der Gnade predigte. ,,Hier ist nun derjenige Ueberschuss über das Verdienst der Werke und ein Verdienst, das uns aus Gnaden zugerechnet wird"; „es ist also immer nur ein Urteilsspruch aus Gnade, obgleich (als auf Genugthuung gegründet, die für uns nur in der Idee der gebesserten Gesinnung liegt, die aber Gott allein kennt) der ewigen Gerechtigkeit völlig gemäss, wenn wir, um jenes Guten im Glauben willen, aller Verantwortung entschlagen werden": so äussert sich Kant bei Besprechung der Satisfaction, die nach ihm der Mensch als vooúuevov für den Menschen als parvóμevov zu leisten hat. 1 Dies innere Evangelium hat ihn auch das äussere achten lassen: nicht bloss wegen der Fülle und Wahrheit seiner Ideen, sondern auch, weil er in Uebereinstimmung mit den Resultaten seiner drei Kritiken und in Folge der eben berührten sittlichen Zweiteilung des (ideellen und empirischen) Menschen das Ideal des Guten nicht nach Art eines deus ex machina auf die empirische Menschheit einwirken lassen durfte. Er sieht daher die Kirche, die Bibel, alles Statutarische in der Religion wenigstens als Schattenbilder an, als Vehikel zur Vollkommenheit (vgl. 1 Cor. 15, 28; 13, 12).2 Das,,Reich Gottes" ist nicht,,von dieser Welt".3

5) Mit der Verwerfung aller äusseren Autorität zieht sich Kant auf die ihm einzig gültige, die innere zurück. Ihr Ursprung und ihre Kraft bleibt ihm ein Mysterium für die theoretische Erkenntnis; sie ist ihm aber das Regulativ für das practische Thun. Der rätselhaften Freiheit und dem ihr correspondierenden moralischen Gesetze im Menschen entspricht in der gesamten äusseren Natur der Organismus" 4 Kant behandelt diesen Begriff, der dem Naturmechanismus ebenso gegenübersteht, wie die Vernunftideen den Verstandeskategorien, in der ,,Kritik der [teleologischen] Urteilskraft" (1790)5 und definiert ihn als ,,die einge

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1) Relig. innerh. d. Grenzen d. Vernunft 100 f.

2) Martensen, Dogmatik 308 (4. A).; Relig. innerh. d. Grenzen d. Vernunft 109 ff.

3) Vgl. Rothe, Theol. Ethik II, 240 ff. 394 ff. 411 f.

4) Rothe, Theol. Ethik I, 330 ff.; Dorner, Person Christi I, 713. 910. 921; II, 186. 262. 410 f.; Luthardt, Freier Wille 4 ff.; Kant, Krit. d. pract. Vernunft 15 f.; 289.

5) Krit. d. pract. Vernunft 8 f. 17. 72-75. 94. 115 ff. 185 ff. 245. 254 f.; vgl. Erdmann, Gesch. d. Philos. (1. A) II, 327 f. 331. 338.

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