Siehet das Auge? Höret das Ohr? Dein innerer Sinn
Er nur höret und weiß, was er von außen vernahm. Und du zweifeltest, Freund, am hohen inneren Weltsinn? Hörst du die Harfe nicht? Willst du auch sehen den
4. Das Gesetz der Welten im Menschen.
Schönes Sternengefild, ihr weiten unendlichen Auen,
Aus mir selber entzückt, hang ich mit Blicken an euch, 25 Schaue die goldene Herde der himmlischen Schafe da
Suche den Hirten in ihr, der mit dem Stabe sie führt. „Suchst du den Hirten der Herde, die droben sich badet im Äther?
30 Suchst das hohe Gesetz, welches die Welten bewegt? Sterblicher, blick in dich selbst, da hast du die höhere
Die nicht die Welten allein, die auch sich selber regiert.“
Willst du zur Ruhe kommen, flieh, o Freund, Die ärgste Feindin, die Persönlichkeit.
Sie täuschet dich mit Nebelträumen, engt Dir Geist und Herz, und quält mit Sorgen dich, Vergiftet dir das Blut, und raubet dir Den freien Atem, daß du, in dir selbst Verdorrend, dumpf erstickst von eigner Luft. Sag' an: was ist in dir Persönlichkeit? Als in der Mutter Schoß von zweien du Das Leben nahmst, und, unbewußt dir selbst An fremdem Herzen, eine Pflanze, hingst, Zum Tier gediehest, und ein Menschenkind (So saget man) die Welt erblicktest; du Erblicktest sie noch nicht, sie sahe dich, Von deiner Mutter lange noch ein Teil, Der ihren Atem, ihre Küsse trank, Und an dem Lebensquell, an ihrer Brust Empfindung lernete. Sie trennte dich Allmählich von der Mutter, eignete In tausend der Gestalten dir sich zu, In tausend der Gefühle dich ihr zu,
Den immer Neuen, immer Wechselnden.
Wie wuchs das Kind? Es strebte Fuß und Hand,
Und Ohr und Auge spähend immer neu
Zu formen sich. Und so gediehest du
Zum Knaben, Jünglinge, zum Mann und Greis.
Im Jünglinge, was war vom Kinde noch?
Was war im Knaben schon vom Greis und Mann?
Mit jedem Alter tauschtest du dich um;
Kein Teil des Körpers war derselbe mehr.
Du täuschtest dich mit dir; dein Spiegel selbst Enthüllte dir ein andres, neues Bild.
Verlangtest du, ein Jüngling, nach der Brust Der Mutter? Als die Liebe dich ergriff, Sahst du die Braut wie deine Schwester an? Und die innre Welt Der Regungen, der lichten Phantasei, Des Anblicks aller Dinge, ist sie noch Dieselbe dir, wie sie dem Knaben war?
Ermanne dich! Das Leben ist ein Strom Von wechselnden Gestalten. Welle treibt Die Welle, die sie hebet und begräbt Derselbe Strom, und keinen Augenblick,
An keinem Ort, in keinem Tropfen mehr Derselbe, von der Quelle bis zum Meer!
Und solch ein Trugbild soll dir Grundgebäu Von deiner Pflicht und Hoffnung, deinem Glück Und Unglück sein? Auf einen Schatten willst Du stützen dich? und einer Wahngestalt Gedanken, Wirkung, Zweck des Lebens weihn? Ermanne dich! Nein, du gehörst nicht dir: Dem großen, guten All gehörest du.
10 Du hast von ihm empfangen und empfängst; Du mußt ihm geben, nicht das Deine nur,
Dich selbst, dich selbst: denn sieh du liegst, ein Kind, Ein ewig Kind, an dieser Mutter Brust, Und hangst an ihrem Herzen. Abgetrennt Von allem Lebenden, was dich umgab, Und noch umgibt, dich nähret und erquickt, Was wärest du? Kein Ich. Ein jeder Tropf' In deinem Lebenssaft, in deinem Blut Ein jedes Kügelchen, in deinem Geist Und Herzen jeder regende Gedank',
Und Fertigkeit, Gewöhnung, Schluß und Tat (Ein Triebwerk, das du übend selbst nicht kennst), Jedwedes Wort der Lippe, jeder Zug
Des Angesichtes ist ein fremdes Gut, Dir angeeignet, doch nur zum Gebrauch.
So, immer wechselnd, stets verändert schleicht
Der Eigner fremden Gutes durch die Welt. . . . Was ist von deinen zehen tausenden
Gedanken dein? Das Reich der Genien,
Ein großer unteilbarer Ozean,
Als Strom und Tropfe floß er auch in dich Und bildete dein Eigenstes. Was ist
Von deinen zehen-zehen tausenden
Empfindungen das Deine? Lieb und Not,
Nachahmung und Gewohnheit, Zeit und Raum, Verdruß und Langeweile haben dir Es angeformt und angegossen, daß
In deinem Leim du neu es formen sollst Fürs große, gute, ja fürs beẞre All. Dahin strebt jegliche Begier; dahin Jedweder Trieb der lebenden Natur,
Verlangen, Wunsch und Sehnen, Tätigkeit, Und Neugier, und Bewunderung, und Braut- Und Mutterliebe, daß vom innern Keim Die Knospe sich zur Blum' entfalt' und einst Die Blum' in tausend Früchten wiederblüh. Den großen Wandelgang des ewgen Alls Befördert Luft und Sonne, Nacht und Tag. Das Ich erstirbt, damit das Ganze sei.
Was ist's, das du mit deinem armen Ich Der Nachwelt hinterlässest? Deinen Namen? Und hieß er Rafael an Rafaels Gemälden selbst vergeß' ich gern den Mann, Und ruf' entzückt: ein Engel hat's gemalt..
Nur wenn uneingedenk des engen Ichs Dein Geist in allen Seelen lebt, dein Herz In tausend Herzen schläget, dann bist du Ein Ewiger, Allwirkender, ein Gott,
Und auch, wie Gott, unsichtbar-namenlos. Persönlichkeit, die man den Werken eindrückt,
Die kleinliche, vertilgt im besten Werk Den allgemeinen ewgen Genius,
Das große Leben der Unsterblichkeit.
So lasset dann im Wirken und Gemüt Das Ich uns mildern, daß das beẞre Du, Und Er und Wir und Ihr und Sie es sanft Auslöschen, und uns von der bösen Unart Des harten Ich unmerklich-sanft befrein. In allen Pflichten sei uns erste Pflicht Vergessenheit sein selber! So gerät Uns unser Werk, und süß ist jede Tat, Die uns dem trägen Stolz entnimmt, uns frei Und groß und ewig und allwirkend macht. Verschlungen in ein weites Labyrinth Der Strebenden, sei unser Geist ein Ton Im Chorgesang der Schöpfung, unser Herz Ein lebend Rad im Werke der Natur.
Wenn einst mein Genius die Fackel senkt, So bitt' ich ihn vielleicht um manches, nur Nicht um mein Ich. Was schenkt er mir damit? Das Kind? den Jüngling? oder gar den Greis? Verblühet sind sie, und ich trinke froh
Die Schale Lethens. Mein Elysium Soll kein vergangner Traum von Mißgeschick Und kleinem, krüpplichten Verdienst entweihn. Den Göttern weih' ich mich wie Decius Mit tiefem Dank und unermeßlichem Vertrauen auf die reich belohnende, Vielkeimige, verjüngende Natur.
Ich hab' ihr wahrlich etwas Kleineres Zu geben nicht, als was sie selbst mir gab, Und ich von ihr erwarb, mein armes Ich.
Vergiẞ dein Ich; dich selbst verliere nie. Nichts Größres konnt' aus ihrem Herzen dir Die reiche Gottheit geben, als dich selbst.
Was an der Mutter Brust, was an der Brust Der großen Mutter, der belebenden
Natur, von Elementen in dich floß,
Luft, Äther, Speis' und Trank, und Regung, Bild, Gedank' und Phantasei, bist du nicht selbst. Du selbst bist, was aus allem du dir schufst Und bildetest und wardst und jetzo bist, Dir bist, dein Schöpfer selbst und dein Geschöpf. Nicht was du siehest (auch das Tier bemerkt), Nicht was du hörest (auch das Tier vernimmt), Nicht was du lernest (auch der Rabe lernt) Was du verstehest und begreifst; die Macht, Die in dir wirkt; die innre Seherin,
Die aus der Vorwelt sich die Nachwelt schafft; Die Ordnerin, die aus Verwirrungen Entwirrend webt den Knäuel der Natur Zum schönen Teppich in und außer dir:
Das bist du selbst; die Gottheit ist's, wie du.... . . In deinem innersten
Bewußtsein lebt ein sprechender Beweis
Vom höchsten Allbewußtsein. Sei ein Tier, Verliere dich, und wunderst dich, o Tor,
Daß du die Gottheit mit dir selbst verlorst?
„Der Wesen Harmonie!"
Ohn' einen Hörer. Höre du sie tief
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