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Verbreitung der Dämonenbeschwörung.

AO. VII, 4

Altertum hat über Babylonien und Assyrien keine Überlieferung so zäh festgehalten wie die von den dort im Schwange gehenden Be= schwörungs- und Wahrsagekünsten. Der höhnende Zuruf des zweiten Jesaias an die „Tochter Babel": "Tritt doch hin mit deinen Bannsprüchen und mit der Menge deiner Zaubersprüche, mit denen du dich abgemüht hast von Jugend auf: vielleicht vermagst du etwas auszurichten, vielleicht flößest du Schrecken ein! Du hast dich abgearbeitet durch die Vielheit deiner „Anweisungen" 1. So mögen doch hintreten und dich erretten die Himmelseinteiler 2, die Stern= seher, die an den Neumonden kundgeben, was über dich kommen wird", spricht es deutlich aus, welche Bedeutung den Zaubereien und astrologischen Orakelkünsten die Babylonier selbst und die Völker des Altertums zugeschrieben haben.

Daß Dämonenbeschwörung und Wahrsagerei das öffentliche und private Leben in allen seinen Schichtungen und Verzweigungen beherrscht hat, wird schon bewiesen durch die ungeheure Menge der ihren Zwecken dienenden Literatur. Was wir heute davon haben, ist nur ein Bruchteil, entstammt zum größten Teil nur einer bibliothekarischen Sammlung, aber es ist nicht nur an sich außerordentlich viel, sondern erscheint im Zusammenhalt mit der übrigen wiederaufgefundenen Literatur direkt als der numerisch überwiegende Be-standteil der babylonischen Religionsurkunden. Bei den Zufälligkeiten, die die Erfolge der Ausgrabungen naturnotwendig beeinflussen, darf man ohne weiteres keine allzuweit gehenden Schlüsse daraus ziehen, daß von dieser oder jener literarischen Gattung verhältnismäßig große oder kleine Mengen auf uns kommen. Aber man darf heute gleichwohl anerkennen, daß das numerische Verhältnis der uns wiedergeschenkten Literaturdenkmäler wenigstens einigermaßen auch dem der seinerzeitigen Produktion entspricht. Einen Beweis dafür liefern die Texte juristischen Inhalts, die im Handel und Wandel entstandenen Verträge und geschäftlichen Beurfundungen, die gerade für die Zeitabschnitte, für die auch anderweitiges Material in größerem Umfang zugänglich geworden ist, in fast beängstigender Fülle auftauchen.

Unanfechtbarer ist die Beweiskraft der Indizien, die die Texte selbst an die Hand geben und der Anspielungen in historischen, patierbaren Inschriften.

Da ergibt sich zunächst, daß Wahrsagerei und Dämonen2) in astrologische Orter.

1) im Sinn des Beschwörungsrituals.

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Verbreitung der Dämonenbeschwörung.

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beschwörung zu allen Zeiten in Babylonien und Assyrien geübt worden sind. Die Beschwörungsterte sind zum größten Teile zweisprachig abgefaßt, d. h. sumerisch, in der Sprache der vorsemitischen Bewohner des südlichen Babyloniens, und babylonisch-semitisch. Es darf heute wohl als ausgemacht gelten, daß der sumerische Text wenigstens in den meisten Fällen das Original, der semitische Text die Übersezung darstellt. Bemerkenswert ist, daß auch in Texten, die lediglich in semitischer Gestalt überliefert sind, die technischen Ausdrücke namentlich des Rituals fast durchweg ideographisch ge= schrieben sind. Damit ist schon ausgesprochen, daß die Mehrzahl der Texte bis in die vorsemitische, also für uns vorhistorische Zeit zurückreichen, wenn auch vielleicht nur dem Grundstocke nach. Dazu stimmt auch vielfach der Inhalt, der die vor der Hammurabizeit herrschende Lehre voraussetzt und nur aus ihr erklärt werden kann. Als literarische Probe auf das Exempel sei erwähnt, daß wir einige Beschwörungstexte in einer Niederschrift der Hammurabizeit besizen, und daß Ominateṛte, die sich auf den alten Sargon von Agade (ca. 2800) beziehen, in einer Abschrift aus Assurbanipals Bibliothek erhalten sind, deren Authentizität wir keine Ursache haben anzuzweifeln. Steht somit das hohe Alter der Beschwörungs- und Ominaterte außer Frage, so nicht minder die Tatsache, daß Dämonenbeschwörung und Wahrsagung bis in die allerspäteste Zeit in Babylonien und Assyrien in hoher Blüte gestanden haben. Das beweist nicht nur die Fortpflanzung der Texte in immer neuen Abschriften, namentlich seit Assurbanipals Tagen bis herunter in das lezte Jahrhundert v. Christi Geburt, sondern auch die gelegentlichen Anspie= lungen in historischen oder sonstigen datierbaren Inschriften. Aus den Inschriften Hammurabis geht hervor, daß die Wahrsagepriester damals schon in einer Zunft organisiert waren. Einer der Nachfolger Hammurabis, Ammizaduga (ca. 2100) verlangt in einem Briefe ausdrücklich die Beobachtung von Vorzeichen, ehe ein Getreidetransport ins Werk gesezt wird. Besonders häufig tritt die Inanspruchnahme der Dienste der Beschwörungs- und Wahrsage= priester in der Sargonidenzeit auf, über die wir allerdings besser als über irgend eine andere durch eine kaum übersehbare Fülle von gleichzeitigen Denkmälern unterrichtet sind. Aus dieser Zeit stammen die zahlreichen Berichte der in allen Teilen des Reiches an alten Kultstätten stationierten königlichen Astrologen, deren Aufgabe es war, über alle merkwürdigen Erscheinungen am Himmel und auf der Erde unverzüglich Bericht zu erstatten. Wenn solche Andeu

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Quellen.

AO. VII, 4 tungen für andere Epochen der babylonisch-assyrischen Geschichte heute noch vereinzelt sind oder ganz fehlen, so liegt das lediglich an den Launen des Schaßgräberglückes, oder an sonstigen Zufälligkeiten, die die Erfolge der Ausgrabungen bestimmen. Daraus kann man selbstverständlich nicht auf die Übung oder Unterlassung der Wahrsagekunst oder der Dämonenbeschwörung in den betreffenden Perioden schließen. Im Folgenden soll nun zunächst die Dämonenbeschwörung bei den Babyloniern und Assyrern in kurzer Skizze behandelt werden. Über die Wahrsagerei soll eines der nächsten Hefte sich verbreiten.

Die wichtigste Quelle für die Kenntnis der Dämonenbeschwörung sind die zahlreichen Beschwörungsformeln und Beschwörungsgebete, die uns in der Hauptsache in Abschriften aus Assurbanipals Bibliothek, nach älteren Vorlagen in den verschiedenen Tempelarchiven hergestellt, zum Teil aber auch_in_neubabylonischen Abschriften erhalten sind. Diese Beschwörungsformeln sind unter gewiffen Gesichtspunkten zu Serien von oft sehr beträchtlichem Umfang vereinigt worden. Die Namen dieser Serien, unsern Buchtiteln entsprechend, wurden entweder nach den Anfangsworten der 1. Tafel gewählt, wie dies ja auch mit alttestamentlichen Schriften durch die Rabbinerschulen geschah, oder nach dem Hauptinhalt, oder nach den wichtigsten symbolischen Zeremonien, zu deren Begleittexten sie bestimmt waren. Gelegentlich ist auch zu beobachten, daß für eine und dieselbe Serie verschiedene Bezeichnungen oder Titel üblich waren. Die wichtigsten dieser Sammlungen von Beschwörungsformeln sind die gegen die „bösen Utukki“, gegen die Pestdämonin Labartu, gegen den Aschakkudämon, gegen die Kopfkrankheit, zwei Serien, Schurpu und Maqlu, die beide den Namen von den Verbrennungszeremonien haben, die die Hauptrolle in ihnen spielen. Eine Sammlung von Gebeten wurde als „Handerhebung“ bezeichnet, da die in ihr gesammelten Gebete mit der übrigens allgemein üblichen Geste zu rezitieren

waren.

Während diese Texte fast ausschließlich die Begleitworte für die Handlung selbst enthalten, und nur in einzelnen von ihnen auch die Handlung selbst vorgeschrieben oder angedeutet wird, sind andere ausschließlich den Vorschriften für die eigentliche Beschwörungshandlung gewidmet, die sog. Ritualtafeln für den Beschwörungspriester, der von Amtswegen zur Vornahme der Handlung bestimmt war. Ergänzt werden diese Vorschriften durch die Ritualtafeln für den „Sänger“, dessen spezielle Funktionen nicht klar erkennbar sind, der aber wohl einen ähnlichen Wirkungskreis hatte wie der eigentliche Beschwörungspriester, dessen Hauptaufgabe aber die Rezitation von Gesängen unter Einhaltung gewiffer Zeremonien gewesen zu sein scheint. Neben diesen Hauptquellen unserer Kenntnis der babylonischen Dämonenbeschwörung, die sämtlich die Befämpfung einer schon eingetretenen Besessenheit zum Gegenstand haben, find auch diejenigen zu erwähnen, die den vorbeugenden Schuß gegen dämonische Einwirkung bezwecken, die mannigfachen Formen von Talisman und Amulett mit oder ohne beigeschriebener Zauberformel.

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Beschwörungspriester.

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Die Bezeichnungen für den Beschwörungspriester sind âschipu und maschmaschu, dieses offenbar ein sumerisches Lehnwort. Die Bezeichnung âschipu kommt viel seltener vor als die andere. Der fungierende Priester wird fast immer maschmaschu genannt. Dieser scheint die Handlung, jener die Rezitation der Formel vorgenommen zu haben. Beachtenswert ist, daß die beiden Hauptgottheiten des Beschwörungsrituals Ea und Marduk beide sowohl „maschmaschu der großen Götter", als auch - wenn auch seltener,âschipu der großen Götter" genannt werden. Daß sie eine festorganisierte Zunft gebildet haben, ist nach Analogie anderer Priesterklassen sehr wahrscheinlich; daß innerhalb der Zunft eine gewisse hierarchische Gliederung bestanden hat, beweist das Vorkommen des Titels eines rab-maschmaschu d. i. „Oberbeschwörer". Gleichfalls nach sonstigen Analogien darf man wohl annehmen, daß auch das Beschwörungspriestertum erblich war. Was sonst aus den Terten hervorgeht, ist, daß der Beschwörungspriester im unmittelbaren Dienst der Götter Ea und seines Sohnes Marduk stand. Seine Aufgabe war, die Dämonen zu vertreiben, die den Menschen besessen hielten, ihn krank machten, ihn in der Erfüllung seiner kultischen, religiösen oder sittlichen Pflichten hinderten. Krankheit und „Sünde" waren erkenn bare Anzeichen dafür, daß ein Dämon sich eines Menschen bemächtigt hatte, ihn in „Bann“ hielt. Die Verjagung des Dämon, die Lösung des Bannes erfolgte durch Wort und Zeremonien des Be= schwörungspriesters mit dem Erfolge, daß die zürnende Gottheit sich dem befreiten Menschen wieder gnädig zuwenden konnte. So war der âschipu Beschwörungs- und Sühnepriester, heilte die Krankheiten und stellte die aufgehobene Gemeinschaft des Menschen mit „seinem“ Gott wieder her.

Wir besizen leider noch keinen Text, der wie für den Wahrsager, so auch für den Beschwörer die persönlichen Vorausseßungen kennen lehrt, an die seine Befähigung zu seinem Beruf gebunden war. Vielleicht hat man es bei ihm, der doch nur mit untergeordneten Vertretern des Pantheons zu tun hatte, nicht so genau genommen wie bei dem „Wahrsager“, den sein Beruf in steter Fühlung mit den Schicksal bestimmenden hohen und höchsten Göttern hielt. Es scheint auch nicht, daß sie in dem offiziellen Beamtenstatus, dem sie ja wohl auch angehörten, einen so bevorzugten Rang einnahmen, wie jene. Dafür aber mag sie ihre Volkstümlichkeit entschädigt haben. Denn auf sie, die aller bösen Gewalten Herr werden konnten, die Krankheiten heilen, Sünde fühnen, die Götter

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Ursachen der Besessenheit

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versöhnen konnten, war ja doch jeder angewiesen, ob hoch oder nieder.

Der Möglichkeiten, den Zorn des Schußgottes auf sich zu ziehen, ihn dadurch zu vertreiben, so daß der Dämon offenen Zugang finden und mit Krankheit des Leibes und des Gemütes den „Besessenen“ schlagen konnte, waren ja so viele, daß es der Betroffene wohl oft selbst nicht sagen konnte, worin er gefehlt hatte. Die zweite Tafel der Schurpu-Serie beginnt mit der Aufzählung von allen möglichen Ursachen, die einen Menschen, der „krank, elend, bekümmert, betrübt“ ist, und bei dem Beschwörer Hilfe sucht, wohl in seine jammervolle Lage gebracht haben mögen. Der Beschwörer wendet sich im Beisein des Kranken an die „großen Götter“, die „Herren der Erlösung“, und fragt1:

Hat er seinen Gott beleidigt, seine Göttin beleidigt? Hat er statt Ja Nein, statt Nein Ja gesagt? Hat er auf ... ... mit dem Finger gedeutet? Unheil ausgesprochen? 2 seine Göttin verachtet?

Böses gesprochen ? ..... Unlauteres gesprochen? ... Ungerechtes ersinnen laffen?.... Bestechung (?) einen Richter annehmen lassen? Ist er ... die zerfallen, aufgetreten? Hat er beim Aussprechen dazusetzend?

"

......

eine Schwache zu unterdrücken? .... aus ihrer (fem.) Stadt ver= trieben? Hat er Vater und Sohn entzweit? Sohn und Vater entzweit? Mutter und Tochter entzweit? Tochter und Mutter entzweit? Schwieger und Schnur entzweit? Schnur und Schwieger entzweit? einen Bruder mit seinem Bruder entzweit? Hat er einen Freund mit seinem Freund entzweit? Einen Genossen mit seinem Genossen entzweit? einen Gefangenen nicht freigelassen, einen Gebundenen nicht gelöst? einen Eingekerkerten das Tageslicht nicht erblicken lassen? zu einem Häscher gesagt: ‚Nimm ihn gefangen“, zu einem Büttel3: „Binde ihn“? Ists Gewalttat gegen den Ahnherrn, Haß gegen den älteren Bruder? Hat er Vater und Mutter verachtet, die ältere Schwester beleidigt? Im kleinen gegeben, im großen verweigert? Falsche Wage ge= braucht. Falsches Geld genommen, rechtes Geld nicht genommen? Einen rechtmäßigen Sohn enterbt, einen unrechtmäßigen Sohn eingesezt? Falsche Grenze gezogen, rechte Grenze nicht ziehen lassen? Grenze, Mark und Gebiet verrückt? Seines Nächsten Haus betreten? Seines Nächsten Weib sich genaht? Seines Nächsten Blut vergossen? Seines Nächsten Kleid geraubt?

Gegen einen Vorgeseßten sich erhoben? War er mit dem Munde aufrichtig, im Herzen falsch? War in seinem Munde Ja, in seinem Herzen Nein? usw. usw. Nach weiteren Fragen ruft der Priester:

Gelöst werde, wodurch er auch immer gebannt ist!

und damit beginnt wieder eine lange Aufzählung von Möglichkeiten, durch die er sich den Bann zugezogen haben kann, so z. B.:

1) Nach Zimmern, Beiträge S. 3 ff.

3) Wörtlich,,Binder".

2) Zwei Zeilen fehlen.

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