24 Die zweite und dritte Stufe der Weltentwickelung. AD. VIII, 1 die Urformen alles weltlichen Seins und aller menschlichen Vorstellung bilden: die erste räumliche und zeitliche Eristenz. Das ist kein Zufall und solche Worte sind nicht aus dem naiven Volksbewußtsein heraus geboren, sondern sie sind aus der einheitlichen Lehre des Orients heraus, bewußt und „wissenschaftlich" geschaffen worden, wie die neueren wissenschaftlichen Ausdrücke. Wenn man sich dazu erinnert, daß das Evangelium Johannes an den Anfang alles Seins den Logos sezt (man erinnere sich an Göthes Faust!), so hat man die nötigen Ideenverbindungen, an denen man sich das Wesen der tiefgründigen Spekulation veranschaulichen kann, die hier der Wissende in eine Form gebracht hat, die etwa einen Katechismus babylonischer Weltlehre vorstellen soll. Wie es am Schlusse des Epos heißt: Sie sollen begriffen werden, der Oberpontifex soll sie auslegen, der weise Gelehrte es soll sie überliefern der Vater, sie den Sohn lehren, das Ohr öffnen1. Generationen“ Aus den drei ersten entstehen zwei weitere Lache und Lachos, Kissar und Assar. Diese sind Parallelerscheinungen zu denen der beiden folgenden „Welten“ oder Entwicklungsstufen. Mit Tiamat-Apsu (oder Mummu, der an deren Stelle getreten) zusammen stellen sie eine Dreiheit und drei Reiche jener Urwelt dar, die natürlich in jener das sind, was die drei Reiche in der unsern: Wasser-, Erd- (Kishor und Anshor) und Luftreich (Luchmu und Lachamu). Die nächste Dreiheit: Anu, Illil (En-lil) und Aos (Ea) führen auf bekanntes Gebiet, es sind Gestalten, die im Pantheon und Kulte Babyloniens Leben haben und aus dem Bereiche der philosophischen Spekulation in das Gebiet der allgemeinen Vorstellung überleiten. Sie stellen zunächst eine neue Welt dar, die sich aus jener Urwelt entwickelt hat, und zwar diejenige, welche die Vorstufe unserer eigenen bildet. Man denkt sie sich mit moderner Anschauung am besten als die Welt des Fixsternhimmels, welche wieder genau so eingeteilt ist wie unsere eigene Welt: das Wasserreich (Ea Südhimmel), das Erdreich (Enlil-Illil = Tierkreis) und das Luftreich (Anu Nordhimmel). 1) Ein oberster Lehrer, eine Art Papst, ist der berufene Wahrer und Ausleger alles Wissens. Die Lehrer („Professoren") erklären und überliefern diese Lehre. Der „Vater“ als Vorsteher der Familie bringt das für Jedermann nötige d. H. den „Katechismus“ — seinen Angehörigen, den Kindern und dem „Gesinde" bei. AO. VIII, 1 Der Weltbildner Marduk und die vierte Stufe. 25 Jede der neuen Entwicklungen geht von unten aus, von dem Wasserreiche. Wie Mummu als Sohn von Apsu und Tiamat, so wird auch der „Schöpfer“ der lezten, unserer Welt, d. h. eben unsere Welt aus dem Wasserreiche der Anu-Enlil-Ea-Welt geboren. Diese besteht zunächst nur aus den drei Reichen, noch herrschen in ihr keine anderen Kräfte, kein Leben, kein Zusammenleben“, die Götter haben noch keinen festen Wohnsiz und keine „Behaglichkeit“, niemand ist da, der ihnen dient und nichts,,regelt" das, was ist, d. h. bestimmt Ort und Zeit. Alles das wird erst durch den Demiurg, den Weltbildner Marduk, den Sohn Eas, eingerichtet. Die Welt, die dieser damit schafft, stellt die vierte Entwicklungsstufe dar; Apsu-Tiamat bilden die erste, Mummu mit den beiden andern die zweite, die Anu-Welt die dritte. Die Parallele der Weltzeitalter ist also genau gegeben. Jede dieser Welten hat die nächste Entwicklungsstufe erreicht, indem sie einen Kreislauf zurücklegte, der sie in der Spirale höher führt. Jede neue Welt ist ein Universum (ein Kreislauf)! Damit vollzieht sie also im Großen, was die Wandelgestirne im Kleinen. Wie diese, besonders die Sonne, in ihrem Laufe durch den Tierkreis durch das Wasserreich hindurch müssen, um von dort zu neuem Leben, neu zu erstehen, so entsteht auch jede neue Welt als eine Neugeburt der alten aus dem betreffenden Wasserreiche. Das Eintauchen in diese ist ein Kampf mit ihr, der ihr feindlichen Macht, aus deren Besiegung und Tod sie neue Kraft gewinnt. Das den Mond und die sonstigen Gestirne bedrohende Ungeheuer ist ein „Drache". Darum erscheinen die Gottheiten der Wassertiefe, welche von der Gottheit der neuen Welt oder des neuen Kreislaufes der Wandelgestirne besiegt werden, als Drachen oder Schlangen, und zwar wenn wie Apsu und Tiamat bereits geschlechtlich getrennt, als männlich (Drache, der obere Teil der betreffenden Entwicklungsstufe) und weibliche (Schlange). Sie drohen der höheren Entwicklungsstufe, die auf ihrem Kreislaufe wieder in ihren Bereich kommt, ein Ende zu bereiten, sie empören sich gegen die neuen Götter, ihre Kinder, die jezt herrschen“ und werden von deren jungen Sohne besiegt, der aus ihren Leichen eine neue Welt schafft. So besiegt die Wintersonne die Wassertiefe, um aus ihr zu neuem Siegeslaufe emporzusteigen, so besiegt der neue Mond die schwarze Macht, welche den alten getötet" hatte, indem er mit seiner Sichel deren Leib spaltet und ebenfalls zu seinem Laufe emporsteigt, um 26 Der Kampf des Urchaos gegen die neue Weltordnung. dasselbe Schicksal zu haben wie sein Vorgänger: stets erwächst ein neues Leben aus dem Tode des alten. Nach dem Entstehen der dritten Welt schilderte das Epos, das hier verstümmelt ist, wie die Gottheiten des Urchaos die Verdrängung aus der Herrschaft bitter empfinden und diese wieder zu beseitigen planen. bei Tage habe ich keine Ruhe, bei Nacht kann ich nicht schlafen. Ich will sie vernichten, will sie zersprengen, Wehklagen soll entstehen, damit wir Ruhe haben. Tiamat geht auf seine Pläne ein und Mummu gibt klugen Rat, wie man es anzufangen habe, um Zwietracht zwischen den Göttern der höheren Welt zu säen. Gerührt küßt Apsu seinen talentvollen Sprößling. Wie der Rat ausgeführt wird, ist wegen des lückenhaften Tertes nicht klar?. Ea, der Herr der Tiefe und Weisheit, der ja den rebellischen Mächten am nächsten steht und wesensverwandt ist, bemerkt das Geschehene und scheint zunächst mit Anu zu beraten und diesem zu erzählen, was geschehen ist: Götter [unsere?] Erzeuger haben sich gewaffnet, an der Seite von Tiamat ziehen sie zum Kampfe, wüten, schmieden Pläne, ruhen nicht bei Tag und Nacht, erheben Kampf, toben in Kampfbegier, scharen sich zusammen, rüsten sich zum Kampf. geboren Riesenschlangen. Die Mutter Chubur 3, die alles schuf, hat ihnen gegeben unwiderstehliche Waffen, Spig sind sie an Zähnen, scharf an Klauen, mit Gift wie mit Blut hat sie ihren Leib gefüllt. fallend sich hinwerfen (?), 1) Sein sukallu wird Mummu hier genannt, das ist die dem Vater gleichartige Emanation, in der dieser in der neuen Welt weiterwirkt, und der zugleich als sein Bote gilt, der vom Vater gesandt wird, um seinen Willen zu vollziehen. So Marduk von Ea, vom Monde die neue Mondsichel Nusku usw. 2) Apsu und Mummu sind im Folgenden „gefangen“ von Tiamat. Vielleicht gehörte das zu dem Plane, der die Götter irre führen sollte. 3) d. i. Tiamat, ummu chubur Omorka bei Berossus. = AD. VIII, 1 Das Heer der Wassertiefe. 27 ihr Leib soll aufrecht schreiten (?), nicht soll sich senken ihre Brust1. die schonungslose Waffen trugen, den Kampf nicht fürchten, 2 Unter den Göttern, ihrem Erstgeborenen, welche sie gemacht [zu ihrem Heere?], hat sie erhöht Kingu, unter ihnen ihn zum Herrn gemacht, als Führer der Truppe, als Leiter der Schar, sezte ihn hin im auszuziehen zum Kampfe. vertraute sie ihm an, Herrscherkleide (?). „Ausgerufen habe ich dich, in der Schar der Götter dich zum Herrn die Herrschaft über alle Götter gemacht, dir übertragen. du mein einziger Gatte. Sie gab ihm die Schicksalstafeln 3, heftete sie an seine Brust: Tiamat hat neue, ihrem Wesen als Drache oder Schlange verwandte Ungeheuer geboren“ und will mit diesen die Welt erobern und beherrschen. Den Erstgeborenen" davon, Kingu — ist er ein Zwölfter oder der an erster Stelle genannte baschmu? " " zum „obersten Gott" und Gemahl erkoren. Er soll also das sein, was Anu in der von ihr bekämpften Welt ist. In den Einzelheiten tritt wieder die Beobachtung des Parallelismus der Göttererscheinungen, d. h. der Weltteile hervor. Tiamat hatte die übrigen Götter Welten mit ihrem Erstgeborenen" Mummu gezeugt, jezt erwählt sie wieder den „Erstgeborenen“ zum Gatten. Es ist ein häufig im Mythus wiederkehrendes Motiv, das des Incestes der Mutter mit dem Erstgeborenen (meist von Zwölf). Die elf Ungeheuer sollen natürlich vor allem Gestalten darstellen, wie sie die „Wassertiefe“ des Himmels zeigt, also der Südhimmel, aber dabei ist die Parallele zu den Tierkreisbildern deutlich feststellbar. Denn von diesen 1) Auf allen Vieren gehen. 2) Ein Text hat das Femininum, ein anderer den Plural; das erste ist wohl das richtige: Kingu ist der Erstgeborene der Elf. 3) Des Hohenpriesters, durch welchen die „Geschicke“ der Welt bestimmt werden, das Abzeichen der Herrschaft; Urim und Tummim. 4) Die übrigen erhalten jeder seinen Wirkungskreis. 28 Die Ungeheuer der Wassertiefe und der Tierkreis. AD. VIII, 1 werden auch meist elf aufgeführt, da eins ja stets von der Sonne Die Einzelheiten der Symbolik und Entsprechung sind noch nicht überall klar, das Zusammentreffen in einzelnen Punkten ist dagegen auffällig. In der Hauptsache wird der gleichzeitige Aufund Untergang der Bilder des Südhimmels den Grund für die „Entsprechung" abgeben. Die Darstellungsweise der babylonischen Epen läßt nicht immer die Zusammenhänge klar erkennen. Sie seht die allgemeine Kenntnis des Stoffes voraus und behandelt wichtige Übergänge kurz, Einzelheiten dafür umso breiter. Das bisherige bildet den Inhalt der ersten Tafel. Zu Beginn der zweiten scheint Tiamat wirklich Apsu mit Hilfe ihrer neuen Helfer beseitigt zu haben, denn dieser verrät jezt Ea den wahren Zusammenhang der Dinge: [Es vernahm] Ea diese Dinge, er war [schwer betrübt], saß in Trübsal. [hin zu] Anschar, seinem Vater, ging er [des Weges]. Er erzählt nun diesem in epischer Breite mit genau denselben Worten, wie es in der ersten Tafel berichtet worden ist, den Hergang und das Treiben der Tiamat. Anschar fordert ihn auf, die Empörer zu bekämpfen und niederzuwerfen und Ea macht sich auf den Weg. Beim Anblick der furchtbaren Gestalten aber macht er kehrt. Darauf ergeht die gleiche Aufforderung an Anu: „Anschar zu seinem Sohne sprach das Wort: dessen Kräfte groß, dessen Angriff unwiderstehlich. 1) Nach Zwillingsrechnung würde dieses der „Erstgeborene", also Kingu, sein. Kingu als „Gatte“ der Tiamat, ist der „Drache“ am Nordhimmel, also die Schlange. Die Zwillinge sind das Zeichen des Mondes, über das Verhältnis des Drachen zum Monde s. oben S. 14! Kingu ist das sumerische Wort für „Land"; Sin, der Mondgott, ist der Begründer“ der Länder und Städte. 2) Offenbar der „Riese“ Orion. " 3) Zwei Bilder: der große und kleine Hund (Sirius). 4) Ebenfalls zwei! |