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AD. VI, 3

Rückblick.

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dazu verstehen, Esagila, das Heiligtum Maduks, das er für alle Zeiten vom Erdboden zu tilgen gedacht, wieder erstehen zu lassen, und damit gerade das zu verneinen, was als das lezte Ziel allen seinen Bestrebungen die Richtung gewiesen hatte, die Verlegung des Schwerpunktes der alten Welt, von Babel nach Ninive die Heraufführung eines neuen Zeitalters, in dem nicht Marduk, sondern Assur die Weltherrschaft ausübte. Und in dem Augenblick, wo er, dem Druck der Verhältnisse nachgebend, seine ganze Vergangenheit verleugnete, und im Begriff, den Grundstein zu Esagila in feierlichem Gottesdienst von neuem zu legen, die schwer erkämpften Erfolge seiner Lebensarbeit feierlich und förmlich sich entäußerte, traf ihn der Dolchstoß des Mörders.

Die Persönlichkeit Senacheribs zeigt klar ausgeprägte Züge und bietet ein scharf umrissenes Bild, obwohl uns von ihm kein unmittelbares Zeugnis überliefert ist, das uns einen Einblick in sein Denken und Fühlen gönnte, uns mit seinen eigenen Worten oder wenigstens in seinem Sinn die Motive und Ziele seiner Politik, die Auffassung seiner Herrscherpflichten, oder gar intime persönliche Züge vermittelte. Wir besigen von ihm nur Staatsurkunden oder Bauinschriften, die alle wohl ausschließliches geistiges Eigentum des Hofhistoriographen sind, und uns in dem Helden mehr eine Verkörperung des assyrischen Königsideals vor Augen führen, als daß sie der Eigenart der Herrscherindividualität gerecht zu werden auch nur anstrebten. Wir bleiben so darauf angewiesen, das Wesen der Persönlichkeit aus ihren Taten zu erschließen, von ihren Zielen uns ihre politischen und persönlichen Grundanschauungen deuten zu lassen. Bei Senacherib fällt das wahrlich nicht schwer. Nicht häufig offenbaren Herrschertaten so zwingend und unmittelbar das Wesen ihres Urhebers wie die Zerstörung Babels. Um das zu würdigen, muß man ein Gefühl haben für die Macht, die religiöse Traditionen auf die Gemüter eines Volkes ausüben, bei dem die Religion alles ist, Weltanschauung und Herzensbedürfnis, das sich gebunden fühlt an die Gottheit in allen Fragen des persönlichen und öffentlichen Lebens und ihr Wohl und Wehe im Großen und Kleinen, für den Einzelnen wie für die Gesamtheit an die gnadenvolle Gegenwart der Gottheit gebunden weiß, das im Staatswesen nichts anderes sieht, als den irdischen Refler der göttlichen Weltregierung und im König den Statthalter des höchsten Gottes ver

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AO. VI, 3 ehrt. Es war ein Fundamentalsaß des religiösen Bewußtseins, der durch mehr als tausendjährige Geschichte tief eingewurzelt und immer und unter allen Umständen respektiert worden war, daß Babel die bevorzugte Offenbarungsstätte der Gottheit und als solche der ausschlaggebende Faktor der Weltgeschichte sei.

Dieses Babel hat Senacherib zerstört, vom Erdboden getilgt, daß niemand seine Stätte je wieder finden sollte. Wer das getan, der tritt mit Bewußtsein und ohne jeden Vorbehalt heraus aus der Enge der Gebundenheit an überlieferte Meinung, damit aber auch aus dem geistigen Zusammenhang mit allen Zeit- und Volksgenossen. Aber dieser religiöse Anarchismus hat einen tieferen Sinn, ist mehr als persönliche Freigeisterei, ihm liegt zu Grunde ein großer staatsmännischer Gedanke, ein praktisches politisches Ziel: Assyrien sollte der Mittelpunkt der Welt, die lezte Instanz der Völkergeschichte werden. Durch die Vernichtung seiner Stadt aber mußte vorher Marduk seiner überragenden Autorität entkleidet werden, nur durch sie konnte der Welt nachdrücklich zum Bewußtsein gebracht werden, daß Marduks Händen das Szepter der Weltregierung entrissen sei, daß eine neue Zeit anhebe, in der Assur seine Knechte zum Königtum beruft.

Das ist nach der Formel der orientalischen Anschauung Sinn und Bedeutung dieses politischen Gewaltaktes.

Senacherib hat sich für seine Person wie es scheint überhaupt um die Götter wenig gekümmert. Er war z. B. wie viele seiner Vor- und Nachfahren ein großer Bauherr, aber sein Ehrgeiz ging nicht wie bei ihnen dahin, den Göttern prunkvolle Tempel zu bauen, er baute für sich selbst Palast und Zeughaus und stattete seine Lieblingsstadt Ninive, die er gerne ins Erbe Babels eingeseht hätte, aufs reichste aus, und versah sie mit großartigen Bewässerungsanlagen. Nur von einem Tempel wissen wir, daß er ihn restauriert hat, das ist ein Tempel Nergals, des Gottes des Krieges und der Schlacht, in Tarbisi unweit Ninive. Darauf, daß in seinen Inschriften von der Hilfe der Götter verhältnismäßig wenig die Rede ist, kann nicht viel Gewicht gelegt werden, da wir zu wenig Klarheit darüber haben, welchen persönlichen Einfluß der König auf die Abfassung der Berichte genommen hat. Auffallend ist es aber doch im Gegensatz zu anderen Königen, die viel häufiger und ausgiebiger der Götter gedenken. Senacherib begnügt sich im allgemeinen damit, zu betonen, daß Assur ihm Mut eingeflößt oder Schrecken über die Feinde ausgegossen habe. Nur der Eingang zum

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Bericht der Schlacht von Chalule, die ihrer Bedeutung entsprechend überhaupt eine ungewöhnliche farbenreiche Schilderung erfährt, zitiert alle großen Götter als Helfer des Königs, ebenso wie die sog. Bavianinschrift, die die Zerstörung Babels und die Einweihung der Bewässerungsanlagen in Ninive anschaulich erzählt.

Von zweifelhafter Zuverlässigkeit sind auch die Berichte als Quellen für persönliche Charakterzüge des Königs, da sie zu sehr die Art des Schemas und des Panegyrikus an sich tragen. Wenn da Senacherib grausam erscheint in der Bestrafung der Feinde, gerecht gegen Unschuldige, persönlich tapfer in der Schlacht, kühn und ausdauernd in der Überwindung von Schwierigkeiten, so will das nicht viel besagen, weil es Chronistenpflicht ist, den Helden nur im besten Licht zu zeigen. Aber auch die kleinliche Unterschlagung offenbarer Mißerfolge, die naive Ruhmredigkeit und Großsprecherei, die über magere Erfolge hinwegtäuschen soll, fällt wohl nicht dem König, sondern vielmehr dem Hofhistoriographen zur Last.

Was wir klar erkennen an der Persönlichkeit Senacheribs, ist sein Wollen und sein Können und das Mißverhältnis, in dem beide zu einander stehen. Größere Ziele hat kaum je ein assyrischer König vor Augen gehabt, sein Wollen eilte in kühnem Flug über alle Schranken hinweg, die politische Überlieferung und religiöse Gebundenheit unüberschreitbar scheinen ließen, machte aber auch nicht Halt an den Grenzen des Möglichen und Erreichbaren. Senacherib hat immer seine Kräfte überschäßt und für den zu überwindenden Widerstand hat ihm stets das rechte Augenmaß gefehlt, deshalb war ihm so selten ein dauernder Erfolg beschieden, trog der gewaltigen Energie seines Anlaufs, deshalb sank noch zu seinen Lebzeiten sein stolzestes Werk in Trümmer, ja er selbst mußte die Hand dazu bieten, das wieder aufzubauen, was er selber zerstört hatte.

Magie und Zauberei im aften Ägypten

Con

Dr. Alfred Wiedemann

Professor an der Universität Bonn

Leipzig

J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung

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