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dorie ausgestattet wie der Königsberger Grübler, aus der Fülle realistischer Vorstellungen heraus das dürre Glaubensbekenntniß des reinen Begriffs zu ergänzen unternahm. Eine solche Ergänzung fanden die Literaturbriefe in einem westphälischen Advocaten.

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Justus Möser war 14. Dec. 1720 zu Osnabrück geboren 9 Jahr älter als Lessing. Die Familie gehörte zu den angesehensten der Stadt, der Vater war Kanzleidirector, der Großvater Prediger; die Mutter, eine gute westphälische Hausfrau, las doch gern die Franzosen, und der Knabe wuchs in der Lectüre von Marivaux und St. Evrémont auf. Die Schule, die er besuchte, war gerade so pedantisch wie die meisten der damaligen Zeit. Möser's Jugend ließ sich nicht sehr zur Aussicht einer soliden staatsbürgerlichen Stellung an: im 15. 3. entwendete er seinem Vater Geld, und resolvirte sich kurz, nach Ostindien auszuwandern; nur mit einiger Mühe ließ er sich zurückbringen. Verhältnißmäßig spät, im 20. 3., weil sein Vater sich scheute, den stattlichen Jüngling, der fast 6 Fuß maß, solange die Werber Friedrich Wilhelm's 1. ihr Wesen trieben, außer Landes zu schicken — bezog er die Universität Jena, wo er die Rechte studirte, dann Göttingen: nach Ablauf seines Trienniums erhielt er eine Secretärstelle bei der Ritterschaft. Die Verfassung des Bisthums Osnabrück war eigenthümlich: die Landstände bestanden aus drei Körperschaften, dem Domkapitel, welches den Bischof wählte, und in dem nach den Bestimmungen des westphälischen Friedens nur drei Evangelische siten durften; der Ritterschaft, überwiegend protestantisch, und der Deputation der Städte. Der Regent mußte abwechselnd katholisch und protestantisch sein Auf dem Lande herrschte die Leibeigenschaft, doch in milder Form. So lagen die Gegensätze hart nebeneinander, und der Advocat lernte sich früh in Menschen aller Art, von entgegengesetzten Gesinnungen und entgegengesetztem Interesse schicken. Daher, bemerkt Nicolai, seine Toleranz gegen menschliche Meinungen und Gesinnungen; daher seine Neigung, alle Gegenstände von mehreren Seiten zu betrachten, zuweilen absichtlich von der ungewöhnlichsten; daher seine Vorliebe für Paradoxien und skeptische Sätze, welche zum Theil durch die Rücksicht auf die verschiedenen Personen und Parteien, welche er zu schonen nöthig hatte, hervorgebracht, allemal aber sowohl durch seinen hellen gefunden Verstand als durch sein hohes Wohlwollen nicht nur gemildert, sondern müßlich gemacht ward. Wenn Leffing von Leibniz sagte, er liebe es, jede Meinung so lange hin und her zu wenden, bis er sie annehmbar befunden, so gilt das auch von Möser; er ging mitunter darin sehr weit, aber seine massive Gesundheit bewahrte ihn vor jeder eigentlichen Sophistit.

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Schon 1747 wurde ihm die einflußreiche Stelle eines Advocatus Patriae aufgetragen: als solcher hatte er die Rechtshändel des Fiscus gegen EinheiSchmidt, Julian, Geschichte des geistigen Lebens. II.

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mische und Auswärtige zu führen; bald darauf wurde er auch Syndicus der Ritterschaft, und mußte so nicht selten in einem Proceß beide Parteien vertreten, was stets zur beiderseitigen Zufriedenheit geschah. Er war mit Leis denschaft Sachwalter, und schlug jede Richterstelle aus.

1746 hatte er geheirathet: eine prächtige Frau, vier Jahr älter als er (geb. 1. Oct. 1716), mit der er 41 Jahre in glücklicher Ehe lebte. Er erfreute sich einer robusten Gesundheit und eines Temperaments, das mit jeder Art von Leuten leicht fertig wurde. Seine Bekanntschaft war von einer seltanen Ausbreitung, und er sah scharf, weil er Niemand in seiner freien Lebensäußerung störte. Von den wirklichen Zuständen hatte er eine concrete Anschauung, die den eigentlichen Literaten jener Zeit vollständig abging: nicht blos als praktischer Geschäftsmann, sondern weil er sich überall bemühte, jeden Zustand historisch zu erklären. Absichtlich schränkte er sich auf den engen Kreis ein, dem er durch praktische Thätigkeit angehörte, und der mehr Individualität besaß als irgend ein anderer Fleck des römischen Reichs: er durchdrang ihn aber vielleicht gerade darum so tief, weil ihm die Analogien aus allen Ländern und Zeiten gegenwärtig waren. Selten findet sich ein so klarer Blick mit einer so gründlichen Gelehrsamkeit zusammen. In seinem historischen Wissen duldete er keine bloßen Namen: jeder Name mußte sich ihm in eine bestimmte, detaillirte Anschauung übersehen, wobei es ihm denn freilich begeg nete, daß er zuweilen das Recht der Analogie übertrieb. Die Gegenwart gab ihm deutliche Bilder von der Vergangenheit, und umgekehrt: das westphälische Bauernhaus versinnlichte ihm die Cherusker des Tacitus, das nordamerikanische Colonialsystem die Gefeße der Völkerwanderung. Geschichte, Rechtswissenschaft und Linguistik griffen bei ihm in einander, und man kann ohne Uebertreibung sagen, daß alle spätern historischen Entdeckungen ihren Keimen nach sich in seinen genialen Anschauungen verzweigen. Ein Deutscher im vollsten Sinn des Worts, wie irgend einer, schulte er seine Sprache an der Bildung der Fremden: er sprach fertig französisch, italienisch, englisch und war ein gründlicher Kenner der Alten. Rechtschaffen und bieder, verabscheute er alles Moralisiren, und liebte bei der historischen Darstellung die nacktesten, man möchte sagen die ruchlosesten Ausdrücke, um deutlich zu sein; gewissenhaft in Allem was er that, war er in seiner Bildung frei, und bei dem Reichthum seiner Anschauung und der Güte seines Herzens ergab sich der Humor als die natürliche Form seines Denkens und Empfindens. Schriftsteller konnte er nur in den Mußestunden sein, aber was er schrieb, war auch in Bezug auf den Stil sehr sorgfältig gearbeitet. Als Beispiel mag eine Jugendarbeit über die Bekehrung im Alter" dienen, 1746.

„Wo der Widerstand schwach ist, da ist der Sieg geringe; und da

ein alter Mann oftmals nicht soviel Kraft hat, daß er dem Reiz einer Klapperbüchse widerstehen kann, wie will er dem beständig anziehenden Reiz der Tugend widerstehen können? Glaubt mir, die beste Bekehrerin in der Welt ist die Faulheit; diese ist die wahre Zerstörerin aller Laster; und wenn der Mensch nur erst soweit ist, daß seine Leidenschaften träge werden, so ist er gar bald fromm. Ich habe noch keinen gesehn, der sich in der Stärke seiner Leidenschaften ernsthaft gebessert hätte. Das Herz hat allemal den Verstand betrogen und, wo es hoch gekommen, die Frömmigkeit zum Vorwurf seiner Leidenschaften gemacht. Ich besinne mich, daß ich in meiner ersten Kindheit einen großen Theil an Kleinigkeiten nahm: mein Herz war ein leerer Raum, der von dem ersten Vorwurf ganz erfüllt wurde. Meine Mutter erfüllte mich anfangs ganz; nachher wurde ihr Bild bei mir kleiner, weil mein silbernes Pfeifchen auch einen Platz haben wollte. Ich ging in die Schule, und nahm soviel Wörterchen in diesen Raum, daß mein silbernes Pfeifchen nur den tausendsten Theil seines vorigen Plates behauptete. Ich erblickte eine Schöne, welche meinen ganzen Seelenraum durchaus erfüllte; meine Wörterchen waren so schwach, daß sie diesen eindringenden Reizungen nicht den geringsten Widerstand thaten. Es währte beinahe ein Jahr, daß meine vernunftlose Einöde sich dergestalt von dieser Schönen erfüllen ließ. Endlich aber kam das Spiel....... Jest merkte ich, daß der Schwamm meiner Leidenschaften seine ganze Aus-. dehnung verliere: ich sah, daß ich täglich frömmer wurde, sowie diese abnahmen. Eine solche Frömmigkeit ist nur die Abwesenheit der vorigen Bilder, welche sich von selbst verloren haben; die geistlose Leere schnappt aus Noth, und damit das Kinderbüchschen, welches sich bei dem Menschen im Alter, wenn er von seiner Einbildungskraft verlassen wird, jedesmal hervorthut, sich nicht wieder ausdehnen möge, nach frommen Bildern. Daher kommt. es, daß alte Leute gar oft leichtgläubig und abergläubisch werden, und in fromme Ausschweifungen verfallen. Denn ein jedes fürchterliche Bild erfüllt sie, weil in ihrem Seelenraum nichts ist, was noch einigen Widerstand thun könnte. Bei einem Menschen, der die große Kraft seiner Leidenschaften in der Wollust abgenutzt, hat endlich die Frömmigkeit, außer dem Mangel des Widerstandes, noch den Werth der Neuigkeit. Eine jede Vergnügungsart, sie sei gut oder schlimm, hat allemal ihre Reizungen, und das allermatteste Herz empfindet dabei noch etliche angenehme Aufwallungen oder zärtliche Blähungen, die ein Zeichen der Frömmigkeit sind; und diese frommen Aufwallungen werden oft noch von dem Vergnügen der Neue unterhalten. Auch werden viele Sünden durch Verdruß und Langeweile geschwächt und durch die Veränderungsbegierde erzeugt; daher ist ihr Andenken noch immer und wenigstens wider Willen angenehm, weil unser Herz mehr seine Fehler bereuen will als wirk

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lich berent. Solche Personen opfern Gott nur denjenigen Ekel auf, welchen sie verbannen wollen, es koste was es wolle. Die angenehme Verfluchung ihrer vorigen Ausschweifungen schmeichelt noch immer der sterbenden Neigung, und die Thränen über die Sünden sind fast immer mit solchen Tropfen vermischt, welche aus einer zweideutigen Zärtlichkeit entspringen. Aus diesem Grunde kann ein alter Mann allemal bei seiner Frömmigkeit des Vergnügens der Neue genießen; aus eben diesem Grunde fließt die gemeine klösterliche Andacht, wie St. Pierre schon angemerkt hat, indem er Keinem rathen will in's Kloster zu gehen, der nicht einen solchen Vorrath von Sünden gemacht, daß es ihm niemals an dem Vergnügen der Reue fehlen könne."

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Möser war 26 Jahr, als er das schrieb. Wenige Jahre vorher waren Liscow's Satiren erschienen, dem er in allen Punkten ebenbürtig ist. Der Censor strich das Ganze, mit der Warnung, sich künftig dergleichen gefährlicher Schilderungen zu enthalten. Die ausführlichste Charakteristik würde ihn nicht so deutlich zeichnen, als dieser kleine Aufsatz; doch verdient die folgende Stelle aus dem Fragment einer Selbstbiographie damit verglichen zu werden: „Die Eigenliebe triumphirt unter allen guten und bösen Eigenschaften, die ich von mir anzugeben weiß; und ihr Triumph ist dann am vollkommensten, wenn ich mich in den höchsten Grad der Aufrichtigkeit versett habe. Ich habe auch die Schwachheit der menschlichen Tugenden zu genau kennen gelernt; und wenn ich mich nicht unterweilen mit dem Gedanken beruhigte, daß die reine Tugend überall in keiner menschlichen Seele anzutreffen ist, so würde ich manchen verdrießlichen Augenblick haben, anstatt daß ich jetzt sehr oft über die schlauen und künstlichen Wendungen lache, wodurch mich meine Eigenliebe zu ihrem Zweck führt. Mein Glück dabei ist, daß mich die Natur mit einem sehr ehrbaren Gesicht und gerade mit soviel Phlegma beschenkt hat, als nöthig ist, um meine lebhafte Empfindung aller Gegenstände zurück zu halten. Nur in meinem Lehnstuhl oder an meinem Schreibtisch lache ich oft ungesehn und ungehört; aber in Gesellschaften und selbst unter meinen besten Freunden schützt mich mein Phlegma wider alle bittern Ausbrüche meines Herzens."

1748 versuchte sich Möser in einem Trauerspiel, „Arminius“, in Alexandrinern und nach französischen Mustern: poetisch unbedeutend, aber es spricht sich ein großer politischer Verstand darin aus. Arminius will Deutschland monarchisch einigen, er geht aber an seiner Großmuth zu Grunde, da er unzeitig die deutschen Fürsten schont, und es verschmäht, im rechten Augenblick das aufgeregte Volk gegen sie zu benutzen. Das Volk erkaltet leicht," sagt ihm sein Rathgeber: „im Anfang ist es gut; drum brauche ja geschwind die nüglich blinde Wuth!" So wird die Tugend des Helden sein Untergang.

Ungleich wichtiger ist die Vorrede: es ist das erstemal, daß ein Deutscher darauf aufmerksam macht, man brauche das Alterthum des Volkes nicht erst im Tacitus zu suchen, man habe es in den Sitten der Bauern noch in unmittelbarer Gegenwart. Der lateinische Gelehrte hatte es bisher verschmäht, auf diese untergeordnete Race zu achten: der Jurist, der täglich und eindringend mit dem Volk verkehrte, zeigte der Geschichte den richtigen Pfad, wobei er allerdings von der Natur Westphalens ungemein begünstigt wurde. Es war ein Wendepunkt in der gesammten deutschen Bildung nach einem Gebiet, das auch Lessing fast fremd war. Das Interesse lag nicht blos im Gegenstand, sondern daß die Deutschen überhaupt lernten die Augen aufzumachen, und aus den dumpfen Bücherstuben in's freie Feld zu treten.

1750, 6. Sept., schrieb er ein französisches Sendschreiben an Voltaire, contenant un essai sur le caractère du Dr. Martin Luther et sa réformation. Voltaire hatte die Reformation von der Höhe seiner deistischen Bildung aus verspottet; Möser machte ihn darauf aufmerksam, daß zehn Millionen vernünftiger Wesen Luther's Andenken segnen müßten, weil sie der Aufhebung der Klöster verdankten, daß sie überhaupt auf der Welt seien. Der kleine Aufsaß ist vortrefflich; es spricht der Weltmann, nicht ein Theolog. Il est vrai, que Luther attaqua la maladie dans un temps critique, lorsqu'elle était parvenue à son comble, lorsqu'elle ne pouvait plus empirer et qu'il fallait selon le cours de la nature qu'elle cessât ou qu'elle diminuât: mais il ne faut pas moins d'un habile homme pour connaître et saisir ces grandes occasions. Le cardinal de Retz, qui fit les meilleurs plans du monde, qui entama les intrigues avec toute la finesse possible, a toujours manqué dans l'exécution, et ne peut aller avec le Dr. Martin, dont les entreprises marquèrent d'un génie capable à saisir tous les avantages sans en perdre un seul. Certains esprits qui préfèrent un homme rampant devotement dans les pas de ses ancêtres à des hommes extraordinaires, accusent le bon Luther d'avoir été trop ambitieux mais ceux qui savent distinguer le vice de la passion, dont les mouvemens contraires sur ce vaste océan sont des vents nécessaires, sont bien persuadés, que l'homme sans passion ne sera jamais ni un excellent fourbe, ni un grand homme. Luther avait le coeur grand, ouvert, libéral et compatissant au malheur de son prochain; avec ces qualités on n'est jamais se qu'on appelle ordinairement ambitieux. Quoique Luther fut réformateur, il n'était ni fanatique ni enthousiaste, et sans être pédant singulier et farouche, sa conversation était enjouée, son humeur vive, ses repliques heureuses et fortes, et ses propos de table fort divertissans; il mangea bien et presque tou

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