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Oct. 1769 ließ Erbprinz Ferdinand von Braunschweig, der Held des siebenjährigen Krieges, dem bei der großen Schwäche seines Vaters, des Herzog Karl, bald die Regierung zufallen mußte jezt 34 J. alt, seit 5 Jahren mit der Princeß von Wales verheirathet in Berlin den berühmten Juden zu sich kommen. Er war selbst in seiner Jugend gut französisch gebildet er hatte noch 1768 eine Vorlesung bei Pütter gehört fand an Moses viel Geschmack, und forderte ihn zu einer philosophischen Correspondenz auf. Auch mit Lessing ließ er durch Ebert über die Bibliothek in Wolfenbüttel unterhandeln; Leffing erklärte sich bereit, und verstand sich endlich dazu, Dec. 1769 persönlich einen Besuch in Braunschweig abzustatten, wo die Sache in Richtigkeit gebracht wurde.

Der Prinz war Freimaurer, und glaubte sich daher berechtigt, von Moses über die Frage: welches ist die wahre Religion? einen bündigeren Bescheid zu erwarten, als er Lavater ertheilt. Moses entschloß sich wirklich dazu, 23. Jan. 1770, bat aber den Prinzen dringend, das Schreiben zu vernichten. Ich würde untröstlich sein, wenn ich das Unglück hätte, durch allzugroße Freimüthigkeit mir Ew. Durchlaucht Ungnade zuzuziehen. Dem allgütigen Herzenstündiger ist bekannt, daß ich die Wahrheit aufrichtig suche, und daß es mein unveränderlicher Vorsatz ist, niemals mit meinem Wissen einer vernünftigen Seele Aergerniß zu geben. Ich verachte die kleine Denkungsart der Freigeister, die sich ein schadenfrohes Vergnügen daraus machen, die Unschuld in ihrer Zufriedenheit zu stören; und mit dem Eiferer, der dies aus irrendem Gewissen thut, kann ich nicht anders als Mitleid haben.“

Doch etwas mehr geht er in einem Brief an einen Glaubensgenossen in Dessau mit der Sprache heraus. „Dr. Ernesti hat gesagt, daß das heutige Judenthum ein verfeinerter Naturalismns sei. Christen und besonders Theologen pflegen leicht Jemand des Teïsmus zu beschuldigen, weil ihre offenbarte Religion gar erschrecklich viel zu der natürlichen hinzuzuthun hat, das über und wider die Vernunft ist. Aber gelobt sei Gott, der uns die Lehre der Wahrheit gegeben! Wir haben keine Glaubenssäße, die gegen die Vernunft oder über derselben seien. Wir thun nichts zu der natürlichen Religion hinzu als Gebote, Sagungen und Vorschriften, aber die Glaubensfäße unsrer Religion beruhn auf dem Fundament des Verstandes, sie stimmen mit der For schung nach jeder Seite hin, ohne jeden Widerspruch überein. Und das ist der Vorzug unserer Religion, der wahren und göttlichen, vor allen übrigen Glaubensbekenntnissen.“

Troy Ebert's wiederholter dringender Aufforderungen zögerte Lef= fing immer noch, sein neues Amt anzutreten, und gewann dadurch das Vergnügen, noch in Hamburg Febr. 1770 Herder's Bekanntschaft zu machen.

Wir haben diesen (vgl. S. 355) verlassen, wie er Juni 1769 sein Amt aufgab; über seine Stellung in Liefland schrieb er ein Jahr darauf: „In Riga besaß ich die Liebe der Stadt, die Freundschaft der würdigsten Männer, die ich kenne; auf der andern Seite den Haß der Geistlichkeit, ohne daß sie gegen mich einen Finger weder regen wollte noch konnte, und den scheelen Neid einiger kriechenden Geschöpfe. Bei alledem habe ich in Liefland so frei, so ungebunden gelebt, gelehrt, gehandelt, als ich vielleicht nie mehr im Stande sein werde zu leben, zu lehren, zu handeln... Geliebt von Stadt und Gemeinde, angebetet von einer Anzahl von Jünglingen, die mich für ihren Christus hielten, der Günstling des Gouvernements und der Ritterschaft, die mich zu mancherlei Ab- und Aussichten bestimmten, ging ich demungeachtet vom Gipfel dieses Beifalls, taub zu allen Vorschlägen, unter Thränen Aller, die mich kannten, ging ich weg, da mir mein Genius unwiderstehlich zurief: nüße deine Jahre und blicke in die Welt!... Wenn Lebhaftigkeit Veränderlichkeit heißt, so bin ich's. Und wehe dem Stand, der Situation, die ein Grab des ewigen Einerlei sein müßte! In den wichtigsten Angelegenheiten des Herzens, und insonderheit recht auf den Scheidewegen meines Lebens gebe ich viel auf Weissagungen, und halte, wenn sie aus dem Innersten der Seele treu herausgehoben werden, mehr auf sie als auf alle langsamen Berathschlagungen der kalten, tauben, stumpfen, schulmeisterlichen Vernunft. Ich glaube, jeder Mensch hat einen Genius, d. h. im tiefsten Grund seiner Seele eine gewisse göttliche, prophetische Gabe, die ihn leitet; ein Licht, das, wenn wir darauf merkten und wenn wir es nicht durch Vernunftschlüsse und Gesellschaftsklugheit und wohlweisen bürgerlichen Verstand ganz betäubten und auslöschten, uns eben auf den dunkelsten Punkt der Scheidewege einen Strahl, einen plöglichen Blick wirft, wo wir eine Scene sehn, oft ohne Grund und Wahrscheinlichkeit, auf deren Ahnung ich aber unendlich viel halte. Das war der Dämon des Sokrates; er hat ihn nicht betrogen; er betrügt nie; nur ist er so schnell, seine Blicke so fein, so geistig; es gehört auch zu ihm soviel innerliche Treue und Aufmerksamkeit, daß ihn nur achtbare Seelen, die nicht aus gemeinem Koth geformt sind, und die eine gewisse innerliche Unschuld haben, benutzen können."

Den 5. Juni ging ich in See, um, ich weiß nicht wohin? zu gehn. Ein großer Theil unserer Lebensbegebenheiten hängt von Zufällen ab. So fam ich nach Riga, so in mein geistliches Amt, und so ward ich desselben los; so ging ich auf Reisen. Ich gefiel mir nicht, als Gesellschafter weder in dem Kreise, da ich war, noch in der Ausschließung, die ich mir gegeben hatte. Ich gefiel mir nicht als Schullehrer, die Sphäre war mir zu eng, zu fremd, zu unpassend, und ich für sie zu weit, zu fremd, zu beschäftigt. Ich gefiel mir

nicht als Bürger, da meine häusliche Lebensart Einschränkungen, und eine faule, oft efle Ruhe hatte. Am wenigsten endlich als Autor, wo ich ein Gericht erregt hatte, das meinem Stande ebenso nachtheilig als meiner Person empfindlich war. Alles also war mir zuwider. Muth und Kräfte genug hatte ich nicht, alle diese Mißsituationen zu zerstören, und mich ganz in eine andere Laufbahn hineinzuschwingen. Ich mußte also reisen, und so schleunig, übertäubend und fast abentheuerlich reisen als ich konnte."

So beginnt Herder das Tagebuch seiner Seereije, vielleicht die merk würdigste unter seinen Schriften, wenn man ihn in dem ganzen Umfang, in der ganzen Elasticität seines Geistes kennen lernen will. — Er überhäuft sich mit Selbstantlagen, daß er seine Zeit nicht so genugt, wie er hätte sollen. Es erregt Schwindel, wenn man erfährt, was er sich Alles zu lernen vornimmt es gehören dazu sämmtliche Wissenschaften bis in ihren tiefsten Grund und eine nicht geringe Zahl todter und lebender Sprachen. Er bedauert seine Schriftstellerei und sein Amt, nicht blos weil sie ihn am Studium gehindert, sondern auch weil sie seinen Lebensgenuß verkümmert haben. „Ich wäre nicht ein Tintenfaß von gelehrter Schriftstellerei, nicht ein Wörterbuch von Künsten und Wissenschaften geworden, die ich nicht verstehe; nicht ein Repositorium voll Papieren und Büchern, das nur in die Studirstube gehört; ich wäre Situationen entgangen, die meinen Geist einschlossen und auf eine falsche intensive Menschenkenntniß einschränkten, da er Welt, Menschen, Gesellschaften, Frauenzimmer, Vergnügen lieber extensiv, mit der edlen feurigen Neubegierde eines Jünglings, der in die Welt eintritt und rasch und unermüdet von einem Ende zum andern läuft, hätte kennen lernen sollen . . .

Gott! was verliert man in gewissen Jahren, die man nie wieder zurück haben kann, durch gewaltsame Leidenschaften, durch Leichtsiun, durch Hinreißung in die Laufbahn des Hazards! Gott! ist's zum Ganzen nöthig gewesen, daß es Seelen gäbe, die, durch eine schüchterne Betäubung gleichsam in diese Welt getreten, nie wissen, was sie thun und thun werden; nie dahin kommen, wohin sie wollen und zu kommen gedachten; nie da sind, wo sie sind und durch solche Schauder voll Lebhaftigkeit aus Zustand in Zustand hinüberrauschen und staunen, wo sie sich finden! O Gott! sind sie bestimmt durch eben solche Schauer frühzeitig ihr Leben zu eudigen, wo sie nichts recht gewesen, und nichts recht genossen und Alles wie in der Eile eines erschrockenen Wanderers erwischt haben, um alsdann gar durch einen diesem Leben ähnlichen. Tod eine neue ähnliche Wallfahrt anzutreten?"

Bezeichnend ist für den 25jährigen Jüngling, daß er diese Stimmung sofort zu analysiren sucht und sie aus dem Uebergang aus der dumpfen Schulstube in's offene, freie Meer erklärt. „Es sei Sceluft, Einwirkung von See

gerüchen, unstäter Schlaf, oder was es sei, ich hatte Stunden, wo ich keine Tugend begreifen konnte. Selbst bei Besserung der Menschen fand ich nur Schwächung der Charaktere o warum ist man durch die Sprache zu abstracten Schattenbildern wie zu Körpern, wie zu existirenden Realitäten verwöhnt! Wann werde ich so weit sein, alles was ich gelernt in mir zu zerstören und selbst zu erfinden was ich denke und glaube!"

Er fängt sofort, indem er in die Tiefe des Meeres hinunterblickt, auf das entschlossenste zu erfinden an. Zunächst beginnt er mit einer Naturphilosophie. Er durchschaut das geheime Leben der Elemente und erzählt ihre Geschichte. Aber damit nicht genug: die Bewegung des Meeres leitet ihn auf den Strom der Weltcultur und er sieht in seinem Geist die Völkerwellen durcheinandertreiben und einem goldnen Orient entgegeneilen. „Das Menschengeschlecht wird nicht vergehn, bis daß dies Alles geschehn; bis der Genius der Erleuchtung die Erde durchzogen."

Wieder etwas Naturphilosophie, über die Räthsel des Fischlebens, und dann mit plötzlichem Sprung, durch die Anschauung der Disciplin eines Schiffes geleitet, Hinblick auf Peter den Großen und seine schöpferischen Thaten. -Dann folgt eine jener Untersuchungen, die Herder recht eigen angehören.

„Die Schiffsleute sind immer ein Volk, das am Aberglauben und Wunderbaren hängt. Da sie genöthigt sind, auf Wind und Wetter, auf kleine Zeichen und Vorboten Acht zu geben, da ihr Schicksal von Phänomenen in der Höhe abhängt, so giebt das schon Anlaß genug zu einer Art von ehrerbietiger Anstaunung und Zeichenforschung. Wo menschliche Hülfe aufhört, setzt der Mensch immer sich selbst wenigstens zum Trost göttliche Hülfe, und der unwissende Mensch zumal, der von zehn Phänomenen der Natur nur das zehnte als natürlich einsicht... Die ganze Schiffssprache, das Aufwecken, Stundenabsagen ist daher feierlich und in frommen Ausdrücken. — In allen liegen Data, die erste mythologische Zeit zu erklären. Da man unkundig der Natur auf Zeichen horchte und horchen mußte, da war für Schiffer, die nach Griechenland kamen und die See nicht kannten, der Flug eines Vogels eine feierliche Sache. Auf mich selbst, der ich alle diese Sachen kannte und von Jugend auf unter ganz andern Anzeigungen gesehn hatte, machte der Flug eines Vogels und der Blizstrahl des Gewässers und der stille Mond des Abends andere Eindrücke als sie zu Lande gemacht hatten... Es giebt tausend neue Erklärungen der Mythologie, oder vielmehr tausend innigere Empfindungen ihrer ältesten Poeten, wenn man einen Orpheus, Homer, Pindar, insonderheit den ersten, zu Schiffe lieft. Seefahrer waren's, die den Griechen ihre erste Religion brachten. Ganz Griechenland war an der See; es konnte also nicht eine Mythologie haben wie die Aegypter, Araber hinter Schmidt, Julian, Geschichte des geistigen Lebens. II.

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ihren Sandwüsten, sondern eine Religion der Fremde, des Meers und der Haine; sie muß also auch zur See gelesen werden... Mit welcher Andacht lassen sich auf dem Meer Geschichten hören und erzählen, und ein Seemann, wie sehr wird der zu dem Abenteuerlichen derselben disponirt! Er selbst, der gleichsam ein halber Abenteurer andere fremde Welten sucht, was sieht er nicht für Abenteuerlichkeiten bei einem ersten stußigen Anblick!... Nun nehme man. diese Begierde Wunder zu sehen, diese Gewohnheit des Auges zuerst Wunder zu finden, zusammen, wo wären wahre Erzählungen? Wie wird Alles poetisch! Ohne daß er lügen kann und will, wird Herodot ein Dichter... Es wird von Schiffern und Kindern und Narren mit Begierde gehört, und endlich giebt das eine Denkart, die alle Erzählungen vom Ritter mit dem Schwan u. f. w. glaubt, erzählt, möglich findet, und selbst wenn man sie unmöglich findet, noch erzählt, noch glaubt, man hat sie in der Jugend gelesen, da passen sie sich mit allen abenteuerlichen Erwartungen, die man sich machte. Sie weckten also die Seele eines künftigen Seemanns auf, bildeten sie zu ihren Träumen und bleiben unverweslich. Eine spätere Vernunft, der Anblick eines Augenblicks kann nicht Träume der Kindheit, den Glauben eines ganzen Lebens zerstören... Hier bietet sich eine Menge Phänomene aus der menschlichen Seele: dem ersten Bilde der Einbildungskraft aus den Träumen, die wir aus der Kindheit lange still bei uns tragen, aus dem Eindruck jedes Schalls, der diesen sausenden Ton, der in dunkeln Ideen fortdämmert, begünstigt und verstärkt; aus der Neigung, gern Sänger des Wunderbaren sein zu wollen; aus der Verstärkung, die jeder fremde Glaube zu dem unsrigen hinzuthut; aus der Leichtigkeit, wie wir aus der Jugend unvergeßliche Dinge erzählen... Das wäre eine genetische Erklärung des Wunderbaren und Abenteuerlichen aus der menschlichen Natur, eine Logik für das Dichtungsvermögen und über alle Zeiten und Völker und Gattungen der Fabel von den Chinesen zu Juden, von den Juden zu den Aegyptern, Griechen, Normannen geführt wie groß, wie nüßlich!"

Wiederum erinnert er sich an seinen Beruf, und diesmal schwebt ihm ein praktisches Ideal vor. „Liefland, du Provinz der Barbarei und des Luxus, der Unwissenheit und eines angemaßten Geschmacks, der Freiheit und der Sklaverei, wie viel wäre in dir zu thun! zu thun, um die Barbarei zu zerstören, die Unwissenheit auszurotten, die Cultur und die Freiheit auszubreiten, ein zweiter Luther dieser Provinz zu werden! Kann ich's werden? habe ich dazu Anlagen, Gelegenheit, Talente? was muß ich thun, um's zu werden? was muß ich zerstören? Ich frage noch! Unnüge Kritiken und todte Untersuchungen aufgeben; mich über Streitigkeiten von Bücherverdiensten erheben, mich zum Nutzen und zur Bildung der lebenden Welt einweihen, das Zu

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