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Völker- und individualpsychologische Untersuchungen

über die ältere griechische Philosophie.

Von

Dr. Hans Hielscher, Privatdozent an der Universität Zürich.

Mit drei Kartenskizzen und vier Abbildungen im Text.

Erweiterung der Aufgaben bei der Darstellung der älteren griechischen Philosophie. Kapitel I.

Auf dem letzten Anthropologenkongreß ist die Frage der Beurteilung und Bewertung ethnographischer Analogien auf Grund der verschiedenen Ansichten Bastians wie Ratzels wieder einmal zur Sprache gebracht worden. Ehrenreich stellt die seit längerer Zeit darüber bestehenden Anschauungen, wie wir uns die oft ins einzelne gehenden Übereinstimmungen weit entlegener Völker in Ideen, Sitten, Kulturbesitz ... zu erklären haben«, zusammen 1).

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Es seien hier einige Abschnitte dieser Mitteilungen angeführt! Nach der von Bastian begründeten Lehre vom »Völkergedanken << beruht diese Gleichartigkeit ethnographischer Erscheinungen auf den gleichen, dem ganzen Menschengeschlecht gemeinsamen Grundvorvorstellungen, den Elementargedanken, die mit der Notwendigkeit eines Naturgesetzes überall zu gleichen Gestaltungen führen, wo gleiche Bedingungen gegeben sind.

Einige Sätze aus den weiteren Ausführungen vermögen diese Folgerung noch mehr zu rechtfertigen; wenn es da etwa unter anderem heißt: Schwieriger zu verstehen, aber noch evidenter ins Auge fallend sind die fast den gesamten Kulturbesitz betreffenden

1) Archiv für Anthropologie, Neue Folge, Bd. I, Heft 4. Braunschweig 1904. S. 176 ff.

Archiv für Psychologie. V.

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Analogien zwischen Völkern, bei denen auch nur mittelbar jede Berührung ausgeschlossen erscheint.

Als eines der interessantesten Beispiele dieser Art führe ich die bis ins einzelne gehende Übereinstimmung an, die sich zwischen den Papuas von Neuguinea und der Nachbarinseln mit gewissen Stämmen des tropischen Südamerika, besonders des Amazonas und des zentralbrasilischen Gebiets, erkennen läßt. Sie ist um so merkwürdiger, als es sich hier um zwei wesentlich verschiedene, ganz außer Konnex befindliche Rassen handelt. «

>Es liegt auf der Hand, daß zur Erklärung solcher Komplexe ähnlicher Erscheinungen die Herleitung aus der Einwirkung der physischen Umwelt allein nicht ausreicht, daß wir vielmehr auch das Kulturmilieu berücksichtigen müssen, diejenigen Lebensformen, die den Kulturzustand eines Volkes ausmachen und von eigenen Gesetzen beherrscht werden.

Wo gleiche Geistesanlage sich vereint mit Gleichheit der Wirtschaftsform und der gesellschaftlichen Stufe, wird die Kultur im allgemeinen überall einen | (S. 178) gleichen Charakter, einen gleichen Typus tragen, und wir dürfen uns nicht wundern, wenn solche gleiche Typen auch in Einzelheiten große Übereinstimmung zeigen und Konvergenzen hervorbringen. Die hieraus sich ergebende Ausgleichung entspricht durchaus jenen obengenannten Konvergenzen im leiblichen Typus nicht verwandter Rassen.<<

>Im Reiche der höheren Kulturwelt bilden die alten Zivilisa

tionen Babyloniens, Ägyptens und Chinas ähnliche Typen mit oft frappanten Konvergenzen.<

» Was wir Kultur nennen, baut sich aus Elementen auf, die, wie es scheint, überall nach gleichen Gesetzen sich entwickeln, aber nicht gleichmäßig zur Entfaltung gelangen.

Für einige dieser Faktoren, wie Sprache, Schrift, Sozialorganisation liegen diese Gesetze schon ziemlich klar vor uns. Alle Kulturelemente sind auf entsprechender Entwicklungsstufe einander ähnlich oder erzeugen wenigstens ähnliche Erscheinungen, und zwar so, daß eine Erscheinung immer einen bestimmten Komplex anderer bedingt. Dieser Vorgang ist einigermaßen dem zu vergleichen, was die Biologie als Korrelation der Organe bezeichnet. <<

>> Von besonderem Interesse sind die überaus häufigen Konvergenzen auf religiösem Gebiet, die bei weit entlegenen Völkern zu den auffallendsten Übereinstimmungen der sakralen Gebräuche

führen können. Schon auf anderer Stufe finden sich in den schamanistischen Geheimbünden über die ganze Erde hin analoge Riten, denen freilich meist auch analoge Ideen zugrunde liegen. Fast überall wird z. B. der Novize, der sich beim Eintritt in den Bund unter die Obhut des betreffenden Schutzgeistes begibt, scheinbar getötet, um gleich darauf zu neuem Leben erweckt zu werden.<<

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Übrigens hat schon Zeller1) als Vermutung ausgesprochen, was hier ethnographische Beispiele bestätigen: Es können nicht bloß einzelne Vorstellungen und Gebräuche, sondern ganze Reihen derselben in getrennten Bildungsgebieten sich ähnlich sehen, es können Grundanschauungen sich scheinbar wiederholen, ohne daß man deshalb wirklich auf einen geschichtlichen Zusammenhang schließen dürfte. Denn unter analogen Entwicklungsbedingungen werden sich immer, und zumal zwischen Völkern, die von Hause aus verwandt sind, viele Berührungspunkte ergeben, auch wenn diese Völker in gar keinen wirklichen Verkehr miteinander getreten sind.<<

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So wird also eine Untersuchung der altgriechischen Philosophien fürs erste gar nicht an direkte Beziehungen zwischen jenen Kulturvölkern denken und sie als methodische Hilfsmittel auch nur dann anwenden, wenn sie sich auf rein historische Tatsachen gründen lassen.

Ebenfalls auf historischem Wege suchen wir der Entwicklung rein psychologischer Vorgänge nachzugehen, den Anfängen der zuerst entstehenden Vorstellungen; zuerst entstehend, weil sie sogar physiologisch ihre Begründung finden. Physiologisch da, wo die Erhaltung des Menschen es gebieterisch fordert, den störenden Einfluß einer unübersehbaren Vielheit von Eindrücken zu entfernen. Den Anfang dazu macht er damit, daß er sie als eine Einheit erfassen lernt.

Suchen wir einmal Gründe auf, die ihn dazu treiben können; sie müssen aufzufinden sein und sie helfen zum mindesten dazu, jene alten Gedankengänge zu ergänzen. Wir stehen hier an den mühsam erschlossenen Quellen des Denklebens, und was der Denkprozeß damals schon zutage fördert, sind Programme, die sich nachmals auf entsprechend höheren Kulturstufen zerlegt und verfeinert stets wiederholen.

1) Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung. 5. Aufl. Leipzig 1892. I, 1. S. 34.

Je nach der Stärke, mit der die Außenwelt auf einen Denker einwirkt, sucht er sich mit ihr wieder ins Gleichgewicht zu setzen; er muß das. Er erleichtert sich den vorerwähnten Kampf gegen die unzähligen Vielheiten der Außenwelt, indem er sich selber als eine Einheit zu behaupten trachtet und jenes ganze Gewoge von Eindrücken ebenfalls als einen einzigen Gegner anpackt, als eine Einheit. Cum grano salis allerdings (vgl. S. 200). Ihn fesselt noch keine besondere Vorliebe, und wert gewordene Eindrücke veranlassen ihn ebenfalls nicht, Sonderfragen zu stellen. Es geht uns ja allen noch heute nicht anders, wenn wir die erste Bekanntschaft mit einem Gegenstande machen! Uns interessiert solch ein Gegenstand als Ganzes. Daher stellen wir an ihn zunächst nur so allgemeine Fragen, wie sie das Kind stellt, das ein ihm fremdes Ding gern in den Mund steckt: Woraus ist der ganze Gegenstand?

Sonderfragen zu stellen setzt voraus, daß der Gesamteindruck so weit verarbeitet ist, um die Aufmerksamkeit für die Beobachtung von Einzelheiten frei zu machen. Aber zu geordneter Einzelforschung ist von hier aus noch ein weiter Schritt. Fällt uns Ungeübten an dem neuen Gegenstande wirklich etwas Besonderes ins Auge, so kommen wir wiederum von dieser einen Entdeckung nur sehr schwer los. Anstatt nach weiteren Eigentümlichkeiten des Gesamtobjektes zu fragen, lassen wir uns von der einen gefundenen leicht festhalten. Wir werden geradezu unerschöpflich darin, mehr Eigenschaften von derselben Art zu entdecken. Wir sehen sie überall wieder. Wir verallgemeinern. Das liegt tief in unserer Natur begründet. Sie zwingt uns, die erste Frage nach dem > Woraus < dahin zu erweitern: Kann ich mir diesen Gegenstand assimilieren? Freilich suchen wir nicht mehr, wie das Kind, diese Frage praktisch mit dem Munde zu lösen; wir stellen sie theoretisch aus dem Bedürfnis heraus, mit Hilfe einer von uns inzwischen unbewußt geübten Tätigkeit einer fremden Erscheinung Herr zu werden, sie wirke nun gewaltig oder gering auf uns.

Unsere Natur übt diese Tätigkeit. Sie erhält uns damit unsere Art. So hat sie denn auch schon damals nicht versagt, als wir Menschen uns noch nicht der Denktätigkeit, als einer von lenkbaren Kraft, bewußt geworden waren. Damals wie jetzt wollen wir uns aber das Umuns untertan machen. Da es uns nicht auf Schritt und Tritt so dienstbar werden kann wie unser Leib, so suchen wir es doch für unsern Zweck mit unsern Gedanken zu

ordnen, gleichsam zu einer weiteren als der leiblichen Hülle zu gestalten, und der Philosoph, auf gleicher Gedankenbahn unaufhaltsam forschend und sinnend, sucht auch die fernere und fernste Umgebung von sich aus in Gedanken zu beherrschen, etwa so folgernd: Unsere Seele ist Luft, uns hält sie zusammen. Unendlich ist die Luft und reich und hält die ganze Weltordnung zusammen; das ist erste Philosophie.

So Anaximenes, so Buddho. Einatmung und Ausatmung sind körperliche Eigenschaften:

> Den ganzen Körper empfindend will ich einatmen. Selig empfindend will ich einatmen.

Die Gedanken empfindend will ich einatmen.

Die Gedankenverbindungen empfindend will ich einatmen< 1). Hier ist, um mit Wundt 2) zu reden, ein Mechanismus von Assoziationen vorhanden, hier ist er auch die vorbereitende Werkstätte des Denkens. Jedoch die verwertbaren Beziehungen sind in diesem Mechanismus noch außerordentlich gering.

So ist das schon bei Thales bemerkte Orientierungsbestreben psychologisch zu erklären.

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Sehen wir nun zu, um ein Mittel zur Vergleichung zu gewinnen, ob dieser Vorgang sich auch bei andern Völkern nachweisen läßt. Ganz und gar. Auch bei andern Völkern werden Möglichkeiten durchprobiert, wird dieser und jener Gedankengang« versucht. Beobachten wir den alten Inder bei seinen sogenannten ›geistigen Übungen <! Verfolgen wir, auf Beispiele derselben bedacht, den von ihm eingeschlagenen Weg, um zu den Begriffen >unbeschränkt<, >großartig zu gelangen. Vom konkreten » Ding‹ aus sucht er zu diesen Begriffen vorzudringen. Von konkreten Dingen, von einem »einzelnen mächtigen Baum«, von zwei oder drei mächtigen Bäumen, und wenn sich bei dieser geistigen Übung noch keine Gemütserlösung einstellte, dann mußten die > Begriffe in jeder Richtung von dem sinnenden Denker erweitert werden. Nach einer zweiten, dann nach einer dritten, dann nach einer vierten; - ebenso nach oben und unten: überall in allem sich wiedererkennen <. Da wird der Weise in seiner Betrachtung weder bei einem mächtigen Baume, noch bei zwei oder drei

1) Gotamo Buddhos Reden (K. E. Neumann), Aus Rede 44 und 118. 2) Wilhelm Wundt, System der Philosophie. Leipzig 1889. S. 45.

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