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zu philosophieren. Wie sehr dazu noch seine bereits erwähnte Eigentümlichkeit beiträgt, das philosophische Material der vorsokratischen Fragmente derart dem Philosophieren unterzuordnen, daß sich Systeme neuer Art daraus aufbauen, dafür folgen noch Beispiele. Er hat nur aushilfsweise in ihnen Erhaltenes und Beglaubigtes benutzt.

Weiter wäre nun zu prüfen, ob dieses Aufzwängen eigener Gedanken, das so krankhaft bei Nietzsche auftritt, nicht einer normalen menschlichen Anlage entsprungen sein kann. Zu prüfen auch, ob unser Interesse an den ersten großen Denkern gerade deshalb so lebhaft geblieben, weil wir in uns tatsächlich viel Verwandtes finden. Auch wir noch haben die gleichen Denkentwicklungen durchgemacht. Wir und andere. Wahrscheinlich war es so bei allen Völkern. Nicht allein das eigene Denken ergänzt wiederum unwillkürlich das, was es bei einem alten Denker vorfindet, auch die anfänglichen Denkweisen eines Volkes zeigen, daß sie die eines andern zu ergänzen imstande sind. Erstes Denken zeigt überhaupt eine durchgängige Verwandtschaft. Dies festzustellen und außerdem, bis zu welcher kulturellen Entwicklungsstufe erhaltene Reste von alten Philosophen untereinander verglichen werden können, bedeutet eine sehr wesentliche Erleichterung für das Verständnis der ehemaligen Weisen. Forschen, ob ein Gedanke, wenn er erst einmal ausgesprochen, sich gleicherweise bei Indern oder Griechen unter besagten Verhältnissen der sonstigen Kulturentwicklung fortgebildet hat, prüfen dessen, was verwandte Entwicklungshöhe in ihrem Gefolge hat, prüfen, wo dann die einzelnen Volkscharakteren entsprechenden und vom allgemeinen menschlichen Denken abweichenden Differenzierungen beginnen: das ist unerläßlich.

Zu dieser beabsichtigten Prüfung der Anwendbarkeit des Vergleichsverfahrens muß das vorhandene Material so unverfälscht als möglich nebeneinander gestellt werden. Eine andere Vorsicht besteht darin, daß man nicht allgemein, sondern bei all den verschiedenen neu auftauchenden philosophischen Begriffen immer wieder von vorne die Frage der Vergleichsmöglichkeit und Wahrscheinlichkeit durchzuprüfen hat. Unterzieht man sich diesen Mühen, so verbürgt dieses Verfahren die Unverfänglichkeit unseres wichtigen Hilfsmittels.

Eine Gefahr, deren man sich kaum erwehren kann, wenn die

Quellen in das graue Altertum zurückreichen, wird ja aus Nietzsches Verhalten ganz klar, sobald sich die gleichen, dort einer genauen Forschung sich noch entziehenden Vorgänge im hellen Lichte der Geschichte abspielen. Sie besteht darin, daß Nietzsche mit seiner phantasievollen Gestaltungsgabe selbst hinzugeschaffen hat. So kommt es auf ein richtiges Schauenlernen dessen an, was bei den Quellenvermittlern individuell, was echt griechisch, und endlich dessen, was allgemeinmenschlicher Geistesentwicklung entsprechend ist. Für den ersten Fall können wir unsern eigenen Entwicklungsgang zu Hilfe nehmen, um zu sehen, in welche Versuchungen unsere Gewährsmänner, Aristoteles nicht ausgenommen, am leichtesten geraten konnten. Zu dem letzten können wir Studien machen bei Völkern verwandter Kulturhöhe, die uns eine den Griechen in bestimmten Punkten gleichstehende Philosophie überliefert haben. Gerade dieser Weg der Vergleichung ist für die Kulturgeschichte bereits gangbar gemacht worden. Auch die Psychologie hat ihn seit längerer Zeit betreten; denn sie erhielt für ihn, beiläufig bemerkt, von der gleichen Hochschule Basel aus Weisungen, von der aus Nietzsche mit seinem obenerwähnten Vorschlage durchzudringen gehofft hatte. Diese Weisungen und Anregungen gingen nämlich (nur ein Jahrzehnt nach Nietzsche) von Siebeck aus. Er erteilte sie damals für künftige Arbeiten. Er leitete sie selbst am besten und erfolgreichsten schon dadurch ein, daß er die neu aufblühende psychologische Wissenschaft in seinem Werke: Die Geschichte der Psychologie die ersten Jahrhunderte ihrer Entwicklung im Spiegel schauen ließ. Er hatte erkannt, daß sie damals im Begriffe stand, in einen neuen Abschnitt ihrer weiteren Ausgestaltung einzutreten 1).

Siebecks November 1879 — im Vorwort zu der Geschichte der Psychologie 1) geäußerten Wünsche, die ebenso auch die Geschichte der Philosophie angehen, sind heute nach fünfundzwanzig Jahren zum Teil erfüllt worden. So, was er damals betreffs der Inder vermiẞte: Es seien gerade nach dieser Seite hin die erforderlichen Vorarbeiten von fachwissenschaftlicher Seite zum guten Teil erst noch zu erwarten < 2). Heute liegen diese Vorarbeiten bereit, philosophisch wie psychologisch ausgebeutet zu werden.

1) Siebeck, Geschichte der Psychologie. I, 1. S. VII.

2) Ebenda. S. X.

Archiv für Psychologie. V.

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Heute kann und muß deshalb die Geschichte der Vorsokratiker in einer ganz andern Weise kommentiert werden als vor zwei oder drei Jahrzehnten. Ein richtigeres Schauenlernen dessen, was griechischer, was allgemeiner menschlicher Geistes- usw. Entwicklung entspricht. Wir werden also daraufhin das Wesen der griechischen Philosophie neu zu untersuchen haben. Wir werden dann oftmals die griechischen Denker noch mehr bewundern lernen. Vor allem, weil sie das, womit ihre geistigen Nachbarn nichts anzufangen wußten, zur herrlichsten Blüte gebracht haben. Auch dann, wenn jene zum mindesten auf der gleichen Kulturhöhe standen wie die Griechen, als sie mit Thales zu philosophieren begannen. Sie besaßen eine Befähigung für die Weiterentwicklung der zum Allgemeingut der antiken Kulturmenschen gewordenen philosophischen Ansätze. Ihnen genügten oft wenige Anregungen, um dort, wo sich fremde Völker in formeller unverstandener Weisheit bewegten, neues wissenschaftliches Leben aufsprossen zu lassen. Denn schwerfällige ungriechische Urformen offenbaren sich bei näherem Zusehen oftmals als ein pietätvoll von allen alten Völkern gehütetes und darum auch bei den Griechen anzutreffendes Gut. Mit wunderbarem Eifer werden von ihnen solche ehrwürdigen Reliquien noch verschönt und ausgestaltet, bis sie in vollendeter griechischer Form vor uns stehen: ein Umwandlungsprozeß wie der aus dem hölzernen Athenebild zu dem Wunderwerke des Phidias auf der Akropolis.

Auch gerade über die Lehren der Inder, auf welche Siebeck nach dem Vorgange zeitgenössischer Darsteller der Kulturgeschichte viel Gewicht gelegt hat, sind wir jetzt derart unterrichtet, daß eine Nichtverwertung solcher Arbeiten wie etwa Neumanns: Die Reden Gotamo Buddhos) eine Unterlassung für die gesamte Darstellung der Geschichte der Philosophie bedeuten würde. Selbst wenn man der Annahme einer unmittelbaren Beeinflussung der Griechen durch Inder und Perser u. a. nicht huldigt, entgeht man nicht der Aufgabe, die Lehren der älteren griechischen Weisen vom ethnologischen Gesichtspunkte aus mit ihnen zu vergleichen. Die letzten Jahrzehnte haben bereits durch viele fleißige Arbeiten verschiedene neue, bis dahin der Philosophie noch fernstehende Gebiete ihr erschlossen: Ethnologie und Ethnographie, die freilich

1) Leipzig 1896 ff. in 3 Bänden.

schon von Herder1) mit großem Nutzen philosophisch gewürdigt wurden. War doch Herder mit seinem vorahnenden Geiste schon am Werke, die ganze Bedeutung dieser Wissenschaften aufzudecken, als andere noch gar zu ängstlich Philosophie und Naturwissenschaft voneinander getrennt hielten. Beide Gebiete haben nun aber, wie jetzt denn auch allgemein anerkannt, in Verbindung mit der eigentlichen Fachphilosophie die Grundbedingungen festgestellt, unter denen sich das Völkerleben überhaupt, namentlich erstes geistiges Leben zu entwickeln vermochte. Sogar gleichartig ging in selbst geographisch voneinander getrennten Gebieten diese Entwicklung vor sich; wie Virchow2) einmal sagt: »Der menschliche Geist erfindet an verschiedenen Orten dasselbe und an demselben Orte verschiedenes<<.

Gerade dann, wenn wir von einer solchen Voraussetzung ausgehen wie die, daß die eigentliche Philosophie bei Griechen wie bei Orientalen in keinem Zusammenhange gestanden habe, dürfen wir, wenn auch mit aller Vorsicht, die uns von jenen naturwissenschaftlichen Hilfsdisziplinen gebotenen Mittel gebrauchen. Z. B., wenn die Aussprüche, die recht fragmentarisch bei den Griechen vorliegen, sich inmitten geschlossener Systeme bei andern Völkern finden. Ebenso dann, wenn von solchen Völkern geistige Erzeugnisse uns erhalten geblieben und wir denselben entnehmen. können, wie jene Fremden von ihrer damals den Griechen gleichen Wissensstufe aus zu solchen Behauptungen gelangt sind. Auch dann ist jenes Mittel der Vergleichung angebracht, und es erleichtert uns eine richtige Schätzung der Fragestellungen, die sich bei einer Behandlung erster Philosophie immer besonders schwierig gestaltet.

Wir lernen an ihr die eigenartigen ältesten Denkentwicklungen kennen.

Wie das aufgeschlagene körperliche Auge immer erst das ganze Bild faßt, indem sich Einzeldinge besonders bemerkbar machen müssen, um Beachtung zu finden, so umspannt der geistige Blick zuerst ebenfalls den ganzen großen Verlauf des Weltgeschehens.

1) Hauptsächlich in den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Riga 1784-91; aber auch schon ein Jahrzehnt früher in Vorarbeiten zu diesem Hauptwerke.

2) Vorrede S. XI zu Schliemann, Ilios, Stadt und Land der Trojaner, Leipzig 1881.

Er zeigt sich unbekümmert um die Station, bei der die Erde augenblicklich angelangt ist. Er läßt sie nochmals wandeln, nochmals hervorgehen von Anfang an. So wird die Stelle, an der sie eben steht, das Bild, das sie zufällig gerade bietet, dem wahren Werte nach als vergänglich, als eine Augenblickserscheinung, als ein Sein für jetzt, als nichts Bleibendes betrachtet. Die systematische, anfänglich jedoch nicht mit klarem wissenschaftlichen Bewußtsein geübte Fähigkeit besteht darin, das von vielen Einzelerscheinungen erfüllte Bild doch noch als ein zusammengehöriges geschlossenes Ganze darzustellen. Diese muß um so vollkommener entwickelt sein, je umfassender der Gesichtskreis gewählt worden ist.

Nun sieht ein Menschenauge allein stets nur einen Bruchteil Welt. In diesem Bruchteile sind wiederum nur allmählich etliche Einzeldinge und etliche Veränderungen wahrzunehmen. So muß denn fortgeschritten werden von einem Standpunkte, der zu einer bestimmten Zeit eingenommen wurde und der das so gewonnene Bild analysiert, zu mehreren Standpunkten, zum Zusammenlegen der Beobachtungen vieler Menschen. Und weiter: Beobachtungen müssen es sein, die zu verschiedenen Zeiten gemacht worden sind und die zum Analysieren der wechselreich an uns Menschen vorüberziehenden Panoramen dienen können, so lange, bis dies dann alles nicht mehr befriedigt. Denn unzufrieden macht den Menschen allein schon die Erkenntnis, daß mit der Zahl seiner Beobachtungen und mit dem Wechsel der Beobachtungszeiten auch die Zahl der Irrtümer wächst. Von ihm wird der körperlich und zeitlich bedingte Zeitpunkt dieser Erde dann überhaupt verlassen. Der Geist ersehnt einen von den störend empfundenen Mängeln freien Standpunkt. Dieser erschließt nach dem Willen der Götter sich allmählich 1) mit reicheren Aussichten dem Menschen. Nicht allein Xenophanes hat sich in diesem Gedankenkreise bewegt.

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Von solchen ersehnten Standpunkten aus erscheint dann die Erde von neuem als ein geschlossenes Bild, als ein ferner, dem Meere oder dem Unendlichen entstiegener Stern. Dann vermag sie auch wieder ein menschliches Auge mit einem Blicke leicht zu umspannen. Leicht erscheint es dann auch wieder, ihre

1) οὗτοι ἀπ' ἀρχῆς πάντα θεοὶ θνητοῖ; ὑπέδειξαν, ἀλλὰ χρόνωι ζητοῦντες ¿pevoioxovoir austrov. Bei Diels, Fragm. 18.

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