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INDIEN

Das Zeitalter der Upanishads

IE Entwicklung Judas, die wir nach allen Seiten hin gründlich durchforschen wollen, bildet einen Zweig der babylonischen Kultur. Wir glauben nun, zum Kerne der babylonischen und damit auch der jüdischen Entwicklung am besten vordringen zu können, wenn wir die ganz anders geartete indische Kultur zum Vergleiche heranziehen, um damit einen Standpunkt zu gewinnen, von dem aus ein ruhiges Beschauen möglich ist. Eine Welt eröffnet uns nämlich die indische Kultur, in der wohl das Urphänomen machtvoll nach Äußerung drängt, aber in einer solch eigentümlichen Form, daß, wenden wir uns von hier aus dem babylonisch-jüdischen Kulturverlauf zu, dessen Ursprünglichkeit in hellem Licht erscheint.

Man versteht die indische Kultur, die sich am großartigsten in der religiösen Philosophie der Upanishads entfaltet hat*), erst dann, wenn man sich darüber klar ist, daß es sich um eine in reichen seelischen Quellen aufsprudelnde Reaktion gegenüber dem Geist der Heldenzeit handelt: auf eine Zeit rasender, namentlich in kriegerischen Taten auflodernder Lebensgier folgt, nachdem die Volksseele gleichsam müde gehetzt war, die Besinnung und mit ihr die Abwendung vom tosenden Lärm des Tages. Aber man glaube nicht, daß nun das Urphänomen nicht mehr zu erkennen sei. Nein, dem liebevoll in diese Kultur sich versenkenden Auge erschließt es sich in deutlich zu erfassenden Erscheinungen: als Machtwille des Menschen, der sich in der Welt als ein Herrscher und König zu behaupten sucht, und als Erlösungsdrang, der einem Reiche sich zuwendet, wo das stürmische Wellenspiel des Lebens zur Ruhe gegangen und der Weiheglanz der Harmonie seine Wunder ausbreitet.

*) Wir beschränken uns mit Absicht auf eine Betrachtung wichtiger religiöser Erscheinungen der indischen Kultur. Deren Gesamtgebiet soll in einem späteren Werke durchleuchtet werden.

Wer einen Zugang gewinnen will zu der Welt der indischen Frommen, der wird gut tun, einmal alles zu vergessen, was die trockenen Gelehrten unserer Zeit, deren Verdienste wir gewiß nicht schmälern wollen, in ihren zahlreichen Abhandlungen über die indische Kultur zu berichten wissen: nichts verzerrter als die Bilder, die von den indischen Philosophen entworfen werden. Der Abendländer und Schopenhauer ist hier vorausgegangen - ist immer wieder versucht, das Ideal, dem jene nach Heiligkeit strebenden Weisen nacheifern, wie einen Glorienschein um deren Haupt zu legen, so daß sie uns nicht begegnen als ringende, von schweren Erschütterungen durchbebte Menschen, sondern als Sieger, die, umhaucht von Vollendungsweihe, wie himmlische Wesen, in denen eine reine Harmonie tönt, vor uns stehen. Nein, auch die indischen Philosophen durchwallt der aufgeregte Strom des Lebens, sie sind nicht kühle, von Erschütterungen freie Menschen, sondern leidenschaftlich und so von schwerer Pein erfüllt, mag auch ihre Leidenschaft ganz anders geartet sein als die des im kriegerischen Getümmel sich Ruhmeskränze erobernden Recken.

Und gerade als die erregten, ungestümen Gestalten, die ein Chaos in der Seele bergen und schwer leiden unter den Wirrungen des Daseins, strömen sie über im Lobpreis des Friedens, der Ruhe, und nicht als ein Geschenk fällt ihnen dieses Glück vom Himmel, sondern erstritten muß es werden, erstritten in einem schweren Kampf gegen die Verlockungen der Welt, die Gelüste der Seele.

In den Upanishads ist es eingezeichnet, welche wilden, bohrenden, schmerzenden Kräfte im indischen Menschen hausen können. Man wird zuweilen geradezu an das Drängen Fausts erinnert, läßt man einzelne stürmische Rhythmen der Upanishads auf sich wirken.

,,Auf eines Rosses Rücken jagen wir dahin...

Im Dämmergrauen schüttelt es die Mähnen,

Als Morgenrot umflattern sie sein Haupt.
Nun springt's empor, es glüht sein Sonnenauge,
Und bis zum Himmel reckt es sich hinauf.
Sein Huf scharrt Tage, tänzelnd geht der Monat hin,
Das Jahr ein Satz, und jetzt, in jähen Sprüngen
Sprühn Sterne um den rasend schnellen Lauf.

In Wolkenflocken tropft der Schaum von dem Gebiẞ,

Es schnaubt der Sturm, und wirft's in seinem Donnergang

Den Kopf empor, dann zucken Blitze um die Berge seiner Flanken.
Der Regen trieft durch dieses Waldes Strähnen,

Und keuchend kocht in jenem Meer der Gischt.
Doch ob sich knackend biegt der Bäume Stamm,
Ob über Felsen wirr die Woge schlägt
Alles dahin! Gerissen wird es ruhelos und ewig,
Durch Tag zur Nacht, aus Dunklem in das Helle...
So jagen wir durch dieses Äthers blaches Feld,
Du, ich, die Erde und die ganze Welt."

(Übersetzung von Eberhardt.)

Mit welcher Bildkraft ist hier das leidenschaftliche Drängen des Menschen, seine rastlose Lebensgier festgehalten, von der es an anderer Stelle heißt, daß ein Dämon den Menschen immer wieder aufpeitscht, bis er zusammenbricht! Mag es auch dem begnadeten Frommen gelingen, sich herauszulösen aus dem wirbelnden Meer der Gelüste und Leidenschaften: immer wieder brandet es in seiner Seele, und so sind denn die philosophischen Schriften der Inder voll von Schilderungen, in denen die zügellose Menschenseele auf- und abwogt.

,,Furchtbar ist die ungestüme Macht erregter Sinne“, heißt es einmal, selbst verständige, strebende Menschen reißen sie mit fort.,,Wer oft an sinnliche Genüsse denkt, der hängt sein Herz daran; aus solchem Hang entsteht Begierde; die Begierde wächst zur wilden Leidenschaft; die Leidenschaft verblendet ihn, löscht die Erinnerung an reines Glück, das er einst fühlte, aus.“ (Bhagavadgita.) Brennend und verzehrend, unersättlich wie Feuer wird die Gier der Sinnenlust genannt, diese „,unbändige Leidenschaft, deren Werk Unheil ist." Nicht die Ruhe, das Glück der Beschaulichkeit ist das Erbteil des Inders, nein, der „Geist hat keine Ruhe, ist stark und wirr und wild und schweifend schwer zu fassen wie der Wind." Es,,wogt der Kampf in der Menschen Brust", ein Kräfte verzehrender, schmerzbringender Kampf.

Und nicht nur leidet der Inder schwer unter dem Gewühl und Drängen der Kräfte, die seiner Brust eingesenkt sind, unter diesem Chaos, das ihn mit seinen schrillen Mißklängen immer wieder aufschreckt: auch die Welt als solche, in die er ja einbezogen, dringt auf ihn ein mit Schreckenszügen. In einer ergreifenden Weise kommt in den Upanishads zum Ausdruck das Entsetzen vor den dämonischen Gewalten des Lebens, die den Menschen in einen Wirbel hineinziehen und ihn, mag er auch wähnen, in königlicher Haltung dahinzuschreiten, jäh wie ein schwaches Rohr knicken. Dahin sind die Zeiten, wo der Mensch noch auf der Bühne des geschichtlichen Lebens frohlockend seine Taten vollbrachte und,

bauend an einem in die Zukunft hineinwachsenden Werke, sich sein Glück schuf. Grauen erfüllt das auf die Menschenwelt gerichtete Auge des Philosophen; keinen tieferen Sinn vermag er mehr dem von Leidenschaften bewegten Dasein abzugewinnen. Ein Wirrsal tut sich vor ihm auf, in dem das Beste des Menschen versinkt wie in einem Morast; ein Drängen und Treiben, Hasten und Ringen, dem kein Klang wahren Glückes entsteigt, so leidenschaftlich auch die Menschen solchem nachjagen. Während in der Heldenzeit, als noch gewaltige Gottpersönlichkeiten über den Menschen als deren verklärte Ebenbilder thronten, das Leben genossen wurde, indem man sich verwegen einmischte in seinen Strom, wird nun das geschichtliche Geschehen empfunden als ein wirbelndes Chaos; kein goldenes Leuchten einer großen Zukunft bannt mehr den Blick, das Mühen der dem Tag anheimgegebenen Menschen erscheint als das ewige Wälzen eines Steines, der, sobald die Hand sich von ihm loslöst, wieder zurückrollt. Tief empfänglich wie man für das Leid ist, spürt man die Schatten, die in den Glanz des Lebens hineinragen, begierig auf: alle Siegesbilder menschlicher Tatkraft werden abgewiesen. Das auch damals gewiß noch vorhandene Erdenglück versinkt neben den düsteren Gemälden der Not, die man in das Weltgetriebe hineinsieht, so daß das Streben der Menschen, einerlei, ob sie nach Kronen greifen oder Geld und Gut nachjagen, als ein sinnloses Wühlen in einem nächtigen Abgrund erscheint. Als ein wirbelnder, von rasenden Gewalten dahingetriebener Strom erscheint das Leben derer, die noch nicht die weihevolle Höhe philosophischer Betrachtung erklommen, als ein Strom, der millionenfältig seine Opfer in die Tiefe zieht und mit fortwälzt wie Geröll.

Nie hätten die Philosophen in solch düsteren Betrachtungen sich ergehen können, hätte die geschichtliche Entwicklung noch beschwingende Kräfte ausgelöst. Und in der Tat handelt es sich um eine Zeit der Auflösung der ständischen Ordnung, wo gierig die Selbstsucht um sich frißt, die Ideale, denen einst die Besten zudrängten, ihre Leuchtkraft eingebüßt haben und ein neues soziales Ideal die Geister nicht mehr beflügelt.

Etwas wie die Verzweiflung Fausts hat sich der indischen Denker und Frommen bemächtigt. Sie sehen und haben es an sich selbst erfahren, wie sich die Menschen vergeblich abmühen, um sich im Getriebe der Welt zu behaupten; sehen, wie man vergebens Bauwerke der Wissenschaften, der „,Theologie, Philologie, Juristerei, Medizin“ zu errichten

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