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heraus, daß man, sucht man sich dieses Gewirrs zu bemächtigen, zuerst wie betäubt dasteht, fragend, ob nicht ein boshafter Geist die Menschen

narre.

Und in der Tat zeigt dieses rastlose Suchen, daß in der abendländischen Seele gleichsam ein Gift eingemischt ist, das Fieberträume hervorruft, in denen längstvergangene Kulturen wie Blendwerke auftauchen, an denen sich der Kranke in schwüler, unheimlicher Stimmung weidet wie an einem glückverheißenden Zauberbild. Da wird dem einen zur Offenbarung tiefer Weisheit und Seelenfülle die Kultur primitiver Völker, während der andere sich mit Abscheu von dieser wegwendet und die entzückende Klarheit des griechischen Geistes preist; da versenkt sich der eine wollüstig in die Geheimnisse der chinesischen, indischen oder abendländischen Mystik, während dem anderen Juda zur Leuchte wird in der Nacht; da wird der deutsche Idealismus gefeiert mit der gewaltigen Fülle seines Lebens, auf daß er das Chaos der Zeit lichte, während auf der anderen Seite der rohe Machtwille, der Krieg, wirtschaftliche Anstrengungen, dann der soziale Kampf den Weg weisen sollen, der aus dem Labyrinth herausführe. Den einen beschwingt die Vergangenheit in seinem Glauben an eine Großes ankündigende Weltwende, während der andere, der die Zukunft in düsteren Farben hinmalt, für seine Überzeugung ebenfalls eine Stütze finden will in Lehren der Geschichte, die ihm untrügliche Beweiskraft haben. Ja, wie das großartige Beispiel Friedrich Nietzsches zeigt: es kann der Fall eintreten, daß in einer einzigen Persönlichkeit die Kräfte einer ganzen Reihe von Kulturen vereinigt sind und zur Wirksamkeit gelangen, stärker oder schwächer auftretende Regungen etwa christlichen, mystischen, romantischen, griechischen oder rationalistischen Geistes, so daß ein unheimliches Gewirr entsteht, das der Seele, will sie sich seiner entwinden, schwerste Not bereitet.

Ein Problem von größter Bedeutung drängt sich nun auf. Man hat neuerdings behauptet, daß die Kulturen der einzelnen Völkerkreise strenge von einander geschieden sind, gleichsam wie in sich selbst ruhende, in ihrer eigenen Atmosphäre schwebende Organismen, und daß es, wenn nicht unmöglich, so doch äußerst schwer sei, die Atemzüge ihres Wesens zu erlauschen. Man hat diese Kulturen voneinander abgesondert nach dem Vorbild der einzelnen Reiche der Natur, hat ihren unermeßlichen Abstand betont, als seien sie geschieden wie die Welten der Gestirne, der Pflanzen, der Tiere.

Wie aber, wenn es Tatsache ist, daß der Mensch des Abendlandes je nach seiner besonderen seelischen Beschaffenheit sich bald zur indischen, bald zur jüdisch-christlichen oder zur griechischen Kultur machtvoll hingezogen fühlt, in ihre Welt eintretend als in eine ihn wie mit Mutterarmen umfangende Heimat: müssen denn da nicht irgendwie verschiedene Stimmen harmonisch zusammenklingen, Stimmen der abendländischen Seele nämlich mit den Lauten jener fremden Kulturen, denen sich der einen festen Grund Suchende wie einer alle Rätsel lösenden Offenbarung hingibt? Und wäre denn einer Forschung, die die Eigenart zeitlich und örtlich ferngerückter Kulturen erfassen möchte, nicht das Tor versperrt, wenn nicht im Innersten der Seele des Forschers Kräfte beschlossen wären, die wesensgleich sind den Kräften jenes zu entschleiernden Geistesreiches anderer Völker? So sei denn unsere Überzeugung, die wir eingehend zu begründen suchen, ausgesprochen: die Überzeugung, daß alle Kulturen als Äußerung der menschlichen Seele in ihrem tiefsten Grunde miteinander verwandt sind, daß sie, bei all ihrer Besonderheit, auf ein Urprinzip zurückgeführt werden können. Gelingt es nun, das Walten eines solchen Urphänomens zu entschleiern, so sind wir auf dem Wege, die Erklärung dafür zu finden, daß eine ganze Reihe fremder Kulturen als mehr oder minder bestimmende und gestaltende Mächte in einem Volke oder auch bei einem Einzelnen wirksam werden können: und das auf den ersten Blick unheimlich wirkende Kulturchaos unserer Zeit fände eine einleuchtende, allerdings zu geheimnisvollen Tiefen der Seele führende Begründung.

2.

BEI solchem Versuch, die unermeßliche geschichtliche Wirklichkeit zu bemeistern, soll uns Goethe ein Führer sein: Goethe, der Beherrscher eines gewaltigen Geistesreiches, dem wir die tiefsten Bemerkungen verdanken über den Weg, der hin zu jenem geheimnisvollen Schoße führt, aus dem die Erscheinungen des Lebens in unendlich mannigfaltigem Spiel hervorquellen. Goethes hoher Rang unter den Naturforschern, die erhabene Kraft seines Geistes, die es ihm ermöglichte, eine gewaltige Fülle von Naturerscheinungen zur Einheit eines von atmendem Leben durchströmten Geschehens zusammenzuschauen, ist bekannt. Und gepriesen wird er auch als Historiker: wir verdanken ihm feine, tief

dringende geschichtsphilosophische Deutungen, wertvolle Beleuchtungen einzelner Zeiten, die wichtigen geschichtlichen Abhandlungen in „Dichtung und Wahrheit", das großartige Werk über Winckelmann. Doch möge es gleich gesagt sein: wir stellen den Naturphilosophen Goethe hoch über den Historiker. Goethe wurde im Anblick der geschichtlichen Erscheinungen, soweit sie nicht in sein Leben verschlungen waren, immer von einem solchen Grauen erfaßt, daß er ihnen einen, die verworrene Tatsachenfülle bändigenden Willen nicht entgegenzusetzen vermochte und sich so nie das Ziel steckte, die gewaltige Welt der Geschichte zu durchdringen gemäß den Weisungen eines ,,Urphänomens“, wiewohl er von dem Walten eines solchen auch im Menschenleben spricht. Auch im Anblick der Natur hat er das Grauen empfunden, das eine vom Chaos erfüllte Welt in einem nach Harmonie, Durchsichtigkeit und Klarheit strebenden Menschen hervorruft. Wir denken dabei jetzt weniger an das Entsetzen im Sinne Werthers, dem, von bitterem Seelenleid bedrückt, die Natur als ein gefräßiges Ungeheuer erscheint, das auch die erhabensten Bildungen zermalmt, als an das Grauen vor den zahllosen Erscheinungen, die eine gleichsam mit blinden Augen arbeitende Naturwissenschaft anhäuft, ohne daß sie der Atem eines Ordnung und Leben enthüllenden Rhythmus durchhaucht. Aber in eine Raserei des Forschens und Fragens konnte Goethe, wie er selbst gesteht, versetzt werden, um vorzudringen zu dem Grunde, aus dem die Erscheinungen der Natur hervorströmen, und wenn es ihm auch nicht gelang, das ganze Reich der Natur unter seine Herrschermacht zu beugen, auf daß er erlöst werde von der Qual der Wirrung und in der reinen Luft eines die Fülle bezwingenden Schauens sich bewege: große, dem Pflanzenund Tierreich angehörende Gebiete, dann die Welt der Farben hat er sich doch als ein wahrer König untertan gemacht. Gewiß, dem höchsten Ideal, dem er selbst gelegentlich Ausdruck verliehen, hat er nicht zugestrebt: er hat sich damit begnügt, die einzelnen Naturgebiete selbständig zu behandeln, ohne zu versuchen, ihre Grunderscheinungen wieder von einem höheren und letzten Prinzip abzuleiten. Aber in unvergleichlicher Weise hat uns Goethe gezeigt, wie es möglich ist, die grenzenlose, geistverwirrende ,,Empirie" durch eine höhere Betrachtungsart zu ersetzen und zu überwinden, und zwar nicht so zu überwinden, daß das Leben etwa durch das Machtgebot einer abstrakten Formel bewältigt, sondern daß Ordnung und Klarheit geschaffen wird, indem seine

ganze Fülle und Mannigfaltigkeit gedeutet wird als Auswirkung einer erhabenen Urtatsache.

Das Ideal einer Geschichtsauffassung, das uns vorschwebt, und das letzten Endes beschlossen ist in Goethes Ideal einer wissenschaftlichen Betrachtung der Wirklichkeit überhaupt, könnte vielleicht so hingezeichnet werden: es müßte gelingen, die gewaltige Masse aller Vorgänge begreiflich zu machen als solche, die einem nicht weiter ableitbaren Letzten sich entringen, wobei aber diese Deutung nicht zu einer Entseelung des Lebens führen darf, insofern, als es gewaltsam in ein starres Schema gepreßt werden könnte, das das farbige Spiel der Erscheinungen tötet. Gewiß soll gezeigt werden, wie allem geschichtlichen Leben ein Gleiches, ein Einfaches zugrunde liegt, aber von diesem Gleichen hebt sich ab, innigst zugleich mit ihm verbunden, die geschichtliche Wirklichkeit, in tausend und abertausend Formen sich ausstrahlend, die es eben in ihrer quellenden Lebendigkeit zu erfassen gilt. Eine solche Betrachtung müßte uns auf eine Höhe führen, von der aus wir gewaltige Weiten im Sinne eines mit den Augen des Geistes zu bewältigenden Bildes zu überschauen vermöchten, eines Bildes, in das nicht etwa die starren Linien der Abstraktion eingezeichnet sind, sondern das erfüllt ist vom ewig bewegten, flutenden Leben selbst.

Eine solche Bemeisterung der Wirklichkeit fordert die Goethesche Lehre vom Urphänomen, zu der freilich lediglich der Zugang gewinnt, dem die chaotisch sich drängende Masse der Erscheinungen wie ein betäubender Mißklang in die Seele greift, und der zugleich lechzt nach einer Deutung, die ihn dem Gewirr entrückt und dieses sich abklären läßt zur Harmonie eines strömenden, doch gebändigten Lebens.

Das Urphänomen des geschichtlichen Lebens, wie wir es im Sinne Goethes auffassen, bietet sich uns nicht dar als eine Erscheinung, die sich gleichsam mit den Händen fassen läßt wie eine Pflanze, es handelt sich vielmehr um ein Erzeugnis unseres Geistes, das dieser der chaotischen Wirklichkeit abringt, um es dann in sie hineinzuschauen, auf daß die sinnlose, die Seele beschwerende Fülle Gestalt empfange. Um ein Inbild, eine Gedankengestalt handelt es sich, die freilich machtvoll und majestätisch vor unserem Geiste weben kann als jenes Urprinzip, das in allen Erscheinungen wirksam wird.

Wenn das Urphänomen als Gedankengestalt ein feines Werkzeug, einen Zauberstab gleichsam bildet, der es ermöglicht, das Dunkel der Verworrenheit zu lichten und das vielfältige Leben als ein Ganzes zu

erschauen, so muß es ein Seelisches in sich schließen. Wie Goethe versucht, die Lebensgesetze der Natur zu ergründen, indem er diese, wie es prachtvoll namentlich seine Farbenlehre zeigt, als Auswirkung seeli scher Kräfte deutet, so muß das Urphänomen der Geschichte, soll es gelingen, diese uns gleichsam einzuverleiben und uns verständlich zu machen, die Bedeutung eines seelischen Prinzipes besitzen. Nichts Stoffliches,,,Materielles" kann es für den Historiker geben, alles muß sich ihm offenbaren als Ausdruck jenes Lebens, das eben auch in seinem Innern pulsiert. Leben, Bewegung ist alles geschichtliche Geschehen, ein Ausströmen seelischer Energien, die wie aus einem unerschöpflichen Grunde herausfluten.

,,Und umzuschaffen das Geschaffne,

Damit sich's nicht zum Starren waffne,

Wirkt ewiges, lebend'ges Tun.

Und was nicht war, nun will es werden
Zu reinen Sonnen, farb'gen Erden;

In keinem Falle darf es ruhn.

Es soll sich regen, schaffend handeln,
Erst sich gestalten, dann verwandeln;
Nur scheinbar steht's Momente still."

Keine geschichtliche Lebenserscheinung, mag sie sich auch vor uns aufrecken wie gewaltige, geballte Stoffmassen, kein noch so plumpes, wie von roher Titanenenergie aufgebautes Bauwerk darf dem Historiker als ein Äußerliches, für sich Bestehendes erscheinen. Eine Seele, sei es auch eine rauhe Seele, wohnt in ihm, die gleich dem Zartesten und Feinsten im Urphänomen wurzelt. Es gibt in der Welt der Geschichte keinen Vorgang, keine Erscheinung, die losgelöst ist von der geheimnisvollen Atmosphäre, die um das Urlebendige webt; alles, Hohes und Niedriges, barbarische Heldenkraft und die erhabene Tat des Künstlers und Religionsstifters, die derbe Leidenschaft des sinnlichen Menschen und der göttliche Hauch des Sängers, alles strömt aus dem Born des Urlebendigen, des Urwesens.

Unzählige Versuche sind schon unternommen worden, die Gesetze des geschichtlichen Lebens zu entschleiern, aber alle diese Versuche, von denen manche als erhabene Geistestaten fortleben werden, tragen ein dem Geiste Goethes widerstreitendes Gepräge, mag man sich auch oft mit Nachdruck auf den Namen des erlauchten Meisters berufen. Noch nicht ist es, soweit wir sehen, gelungen, das Leben der Kulturen in

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