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ihre Eigenart. Man nehme nur das Gilgameschepos, in dem der zarte Sinn einer schon persönlich abgetönten Kultur seltsam vermischt ist mit der kriegerischen Kraft der Heldenzeit. Ein Wanderer und Suchender ist Gilgamesch, und der „Weh-Froh-Mensch" wird er genannt, indem ihm eben sein unruhiges Leben Leid und Glück zugleich einbringt. Sein Dasein ist erfüllt von Kämpfen, und ins Grenzenlose stürmt der Held hinein, um sein fernes Ziel zu erreichen. Das ewige Leben sucht er, wie es den Göttern beschieden ist, und er unternimmt so mühsame, gefahrdrohende Wanderungen, um auf die schwindelnde Höhe des Götterberges zu gelangen. Als der Park der Götter mit seinen Wundern vor ihm liegt, da verweilt er nicht etwa beglückt an dieser Stätte, sondern es überkommt ihn sofort das Verlangen, weiterzudrängen, um den Ort des ewigen Friedens zu erreichen. Über die Wasser des Todes muß er, um den Ort des Jenseits zu erreichen, und so bittet er denn den Sonnengott Schamasch: „Weise mir nun den Weg zu Utnapischtim, dem Fernen! Zeige mir nun den Schiffer, der mich sicher dahinfährt über das Weltmeer und durch die Wasser des Todes, damit ich das Leben erkunde!" Nun wird die Fahrt über das grauenvolle Weltmeer gewagt, und sie gelingt: Gilgamesch landet am Ufer des ewigen Lebens. Als er vor dem Gotte Utnapischtim steht, da öffnet er diesem sein Inneres mit Worten, in denen wie nirgends sonst der Rhythmus der babylonischen Seele schwingt. Der Tod habe seinen Freund hinweggerafft und so überkam ihn die Todesfurcht; da habe er sich aufgemacht, um das ewige Leben zu gewinnen. „Den Seliggepriesenen, der das Leben gefunden, will ich sehen. So zog ich aus und wanderte durch die Länder, so zog ich über Berge, die schwer sind zu überschreiten, so fuhr ich über Ströme und Meere. Nicht habe ich mich zufrieden am guten Glücke gesättigt, ich trank mich satt im Leid; Weh war meine Nahrung. Zu der Sabitu war ich noch nicht gelangt, da war meine Kleidung längst dahin. Wildvogel, Steinbock, Hirsch und Gazelle mußte ich jagen, ihr Fleisch zu essen; den Löwen, den Panther, den Wüstenhund mußte mein Speer erlegen, ihre Felle mußten mich kleiden. Mögen die Totengeister ihr Tor nur verriegeln, mit Erdpech und Steinen verrammeln! Ich will die Geister des Todes vernichten, nicht länger soll ihr Jubel währen! Utnapischtim, künde du mir das Leben! Du hast das Leben gewonnen."

Die Verwandtschaft der babylonischen Kultur mit der des Abendlandes ist offensichtlich: deren Drang in die Ferne, der in die Welt des

Werdens hineinführende Machtwille, ihre Weltliebe findet sich auch dort, und vielleicht offenbart sich diese Verwandtschaft nirgends deutlicher als in den gewaltigen Bauwerken Babylons. Steinerne Denkmale sind diese des imperialistischen Willens einer Seele, deren Wesen zum Unterschied von der abendlich und herbstlich gestimmten indischen Seele einmal Drängen, Streben, Kämpfen ist. Wenn in der Gotik unseres Mittelalters, wie von Zauberkräften entbunden, der Strom des Werdens gewissermaßen in die Höhe rauscht: ist so etwas wie gotischer Geist nicht auch in den Tempeln Babylons lebendig? Gewiß, die zarte Filigranarbeit, der Überschwang der Gotik fehlt: die Tempel sind mit ihrer Fülle von Gebäuden breit hingelagert, und auch der Tempelturm, dieses eigenartigste Gebilde der babylonischen Architektur, ist im Vergleich zu den Türmen der gotischen Kirchen massig, noch bar jenes triumphierenden Aufschwunges, der den Stein durchglüht, daß er auflodert wie eine verzückt in die Unendlichkeit hineinschwebende Flamme. Etwas von der granitnen, gigantischen Willensgewalt der babylonischen Imperatoren lebt in diesen an die Pyramiden erinnernden Stufentürmen, und die raumüberwindende Macht der babylonischen Seele, ihr Herrschaftsstreben kommt in ihnen überwältigend zum Ausdruck. Eine heilige Arbeit war der Bau des Tempels. Denkmale, die der zerstörenden Gewalt der Zeit trotzen, sollten sie sein, und den Königen war der Bau des Tempels eine erhabene Sache.

Wie der babylonische Geist, vom Machtwillen beschwingt, in die Fernen des Kosmos schweift, um sie zu ergründen, so ist auch der Tempelbau eingegeben von wuchtig überschäumenden, erobernd in das Weltall eindringenden Hochgefühlen. Auf mächtigen Terrassen sind die Tempelanlagen gelagert, und dieser Drang zur Höhe wird machtvoll gesteigert durch die Türme: ein Abbild ist der Tempel des Weltberges, wie dieser ,,gebaut gen Himmel", und wenn neubabylonische Urkunden sagen, daß die Spitze des Turmes,,bis an den Himmel reichen soll", so wird damit ausgesprochen, welch lodernde Lebensgefühle die Vision dieser Tempel eingaben. In religiöser Ergriffenheit wurden diese Bauwerke geschaffen, sollte doch der Tempel ein Abbild des Kosmos, namentlich auch des himmlischen Tempels, darstellen, und wie liegt wieder das Geheimnis der babylonischen Seele vor uns, wenn wir erfahren, daß man durch Besteigen des Turmes, frommer Schauer voll, wähnte, in die ferngelegene heilige Stätte der Gottheit gelangen zu können? Immer wieder begegnet uns im religiösen Erleben die in die

Weiten des Raumes hineinführende Bewegung, während in Indien, wo der Lebenswille ganz nach innen gewandt ist, das höchste Ziel jener Abgrund bildet, dessen heiliges Dunkel Raum und Zeit verschlingt.

Gerade auch die Zeit, die in Indien grauenvoll wirkt, indem in ihr der Strom des Werdens dahinwirbelt, sucht sich der Babylonier untertan zu machen. In der Zeit entfaltet sich ja das Weltgeschehen, das der Babylonier beherrschen will, und so sucht er denn auch die Zeit seinem Willen zu unterwerfen. Man mißt sie einmal, und diesem Zwecke dienen die Wasser- und Sonnenuhren. Die Idee der Weltenuhr, eine der großartigsten Spekulationen der Babylonier, drängt sich auf, und diese Weltenuhr gibt die Zeit an in Form von Tagen, Monaten, Jahren und Weltenjahren. Auch den Indern ist die Idee gewaltiger Weltperioden nicht fremd, aber der Anblick dieses Werdens macht sie schwindeln, und so sehnen sie den Zustand herbei, wo dieser Prozeß einmündet in den Abgrund des ewigen Friedens: während der Babylonier Triumphgefühle erlebt, indem er diese Zeiträume einteilt und ihren Ablauf als einen sinnvollen, die Ordnung des Kosmos offenbarenden Rhythmus auffaßt. Auf astronomischer Grundlage berechnet man die Dauer der Weltenjahre, und in der Kreislauflehre, wonach auf Zeiten der Harmonie und des Lichtes solche des Dunkels und Chaos folgen ein Prozeß, der sich ins Endlose fortsetzt glaubt man dem in der Zeit sich abspielenden Weltgeschehen den Sinn eines Gesetzes abgerungen zu haben. Dieser Sinn aber für das Majestätische der Zeit, für das die Inder wenig empfänglich waren, erklärt er nicht, daß die Juden, die ja das Werk der Babylonier fortsetzten, sich zu der Idee aufschwingen konnten, daß auch das geschichtliche Leben ein anderes als lediglich ein Chaos darstelle, daß also auch in ihm ein Plan walte? Schon in Babylon regt sich so etwas wie geschichtlicher Geist, dessen Keime dann auf jüdischem Boden sich zu erhabenen, bis zum heutigen Tage fortwirkenden Offenbarungen entfalteten.

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Die Sternwarten, die dem in den Himmel der eigenen Brust sich versenkenden indischen Heiligen als eine Narretei erschienen wären, bilden neben den Tempeltürmen das am meisten in die Augen fallende Sinnbild des Strebens nach geistiger Beherrschung des Raumes und der Zeit, und die Leistungen der babylonischen Astronomie sind so bekannt, daß es nicht nötig ist, sie hier im einzelnen zu würdigen. Schon im dritten Jahrtausend, ja schon in sumerischer Zeit gelangte die Astronomie zu entscheidenden Erkenntnissen, und diese gewannen

größte Bedeutung für das praktische Leben, indem es nun möglich war, einen Kalender auszuarbeiten, der Ordnung in das flutende Gewoge der Zeit brachte; dann, indem man versuchte, die Bedeutung der Himmelserscheinungen für das Schicksal der Menschen zu ergründen. Welch große Rolle die Astrologie bei den Babyloniern spielte, ist ja ebenfalls bekannt.

In seinen Göttern hat sich der Babylonier gewaltige, majestätische Verkörperungen seines Herrschaftswillens geschaffen. Diese Götter bilden in den Weiten des Raumes und der Zeit sich offenbarende Mächte, und während das indische Ureine das nicht zu enträtselnde, nur ahnend zu erfassende Etwas bildet, das jenseits von Raum und Zeit in heiligem Dunkel waltet, wirken sich die babylonischen Götter lediglich in der Welt des Sichtbaren aus. Das Ureine der indischen Frommen oder auch des Buddhismus hat nichts mehr gemein mit den Göttern der Heldenzeit, die als erhabene Abbilder menschlicher Tatkraft ihre Macht bekunden, während die babylonischen Götter noch viel von den strahlenden Farben der himmlischen Herren der Heldenzeit besitzen. Zwar sind sie nicht mehr die hoheitsvollen Führer einer kriegerischen Aristokratie, sie haben, wie wir schon einmal sagten, die Rüstung des Kriegshelden abgelegt; aber das kosmische Leben wogt in gewaltigen Strömen in ihrer Brust. Götter sind sie des Hauses und Hofes, der früchteprangenden Erde, des Staates, des gestirnten Himmels, des Regens, und wenn sie auch einmal auftauchen als Götter des Kampfes: in der Hauptsache bilden sie doch die Schutzherren einer Kultur, aus der der Geist der Heldenzeit gewichen. Sie leuchten auf als allmächtige, weisheitsgekrönte Gestalten, die ewig sind wie die Sterne, die ihren Thron umstrahlen, und in Raum und Zeit beherrschenden Gesetzen tun sie ihre Hoheit kund. Allein der Weise findet Zugang zu ihnen, und so ist zu verstehen, daß die babylonische Weltanschauung und die ihr entsprechende Frömmigkeit das Gut einer wenn auch gewiß bürgerlichen, so doch aristokratisch sich abschließenden Schicht bildet, die ihre Lehre als Geheimlehre sorgsam hütet.

Die Religion des Volkes ist von der der Gebildeten durch eine tiefe Kluft getrennt. Nicht allein, daß im Volke noch der Zauberglaube der Urzeit andauert; auch sein Götterglaube ist ein anderer als die Weltanschauung der mit gewaltigen Problemen ringenden frommen Denker. In den unteren Klassen war das Dasein einer Reihe scharf voneinander getrennter Götter eine Selbstverständlichkeit, während die babylonischen

Gelehrten, mochten sie auch den Namen verschiedener Götter im Munde führen, überzeugt waren, daß eine einzige göttliche Macht das All beherrsche. War ihnen dieses doch eine Einheit, und es entspricht ganz dem Machtwillen der babylonischen Seele, wenn die einzelne göttliche Gestalt — etwa Marduk, Istar, Sin oder Inlil mit der Majestät des Alleinherrschers umwoben wurde. So nehmen sich die babylonischen Götter als Ausstrahlungen einer welterobernden Kultur aus: sie wirken hinein in die Weiten und Fernen des Raumes und der Zeit. Götter sind sie einer Welt, deren Kräfte sich hoheitsvoll im Werden entfalten.

Die bisher betrachteten philosophischen Spekulationen der Babylonier sind nicht die einzigen Zeugnisse ihres der Gottheit zugewandten Seelenletens: mit ihnen verbunden regt sich ein religiöses Leben, das aus den Tiefen erschütterter Herzen quillt und von der Sehnsucht erfüllt ist nach Frieden, Ruhe und Erlösung. Aber biegt denn damit die Entwicklung der babylonischen Kultur nicht in die Bahn der indischen Seele ein, in der wir doch Kräfte walten sahen, die dem babylonischen Wesen förmlich entgegengesetzt sind? Konnten wir nicht zeigen, daß der Inder seinen Tempel in den heiligen, mystischen Räumen des Herzens errichtet, während der Babylonier in das Reich des Raumes und der Zeit hineindringt, um hier seiner Selbstherrlichkeit inne zu werden? Gewiß, die Welt des Werdens, deren Strom der Inder abzugraben sucht, bildet wohl die Wirkungsstätte des babylonischen Geistes, aber man übersehe nicht: diesem auf den Kampf eingestellten Leben ist der Stachel der Unruhe eingesenkt, es ist ein Leten voller Erschütterungen, ist ewig unfertig wie die Welt der Erscheinungen, die sich beständig in Fluß befindet. Und mag es auch gelingen, durch Ergründung von Gesetzen dem All den Sinn eines Kosmos abzuringen und die wechselnde Welt der Vorgänge abzuleiten aus dem Walten eines göttlichen Willens, der den festen Pol bildet in der Erscheinungen Flucht: mit solcher Erkenntnis, mag sie auch fromme Schauer erwecken, ist der Seele nicht gedient. Das Verlangen regt sich, in ein Verhältnis zu den himmlischen Mächten zu gelangen, das inniger gestaltet ist als das durch philosophische Spekulationen gewonnene; der einzelne, vom Getriebe der Welt umrauschte Mensch wird von der Weltangst erfaßt und lechzt nach einem Leben, das der sanfte Hauch des Friedens verklärt.

Das Gilgameschepos bildet ein großartiges Dokument einer solchen religiösen Stimmung, und in ihm lebt die babylonische Seele mit all

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