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behandeln: den folgenden Ausführungen bleibt es vorbehalten, das Wogen und Wallen des farbigen Lebens zu erfassen.

Gerüstet ist nun der Leser, ist er diesen philosophischen Betrachtungen teilnehmend gefolgt, zu verstehen, wenn wir sagen, daß wir, welche Gebiete auch zum Vorwurf dienen, das Leben immer als ein Gegensätzliches, Zwiespältiges betrachten, so daß wir davor behütet sind, uns sowohl in nächtigen Abgründen zu verlieren, als auch, das Dasein fälschend, uns beständig auf sonnverklärten Höhen zu ergehen. Nein, die Polarität, wie sie sich im Naturgeschehen erweist, sie bestimmt auch das geschichtliche Leben: auch hier gibt die von Goethe als Systole und Diastole bezeichnete Formel den Rhythmus an, der alles beherrscht. Und da ein Leben im Sinne der Gestaltung undenkbar ist, ohne daß das Chaos immer wieder den Menschen in seine Wirbel hineinzieht, so müssen, soll das Urphänomen in seinen Wandlungen ergründet werden, die düsteren Tiefen aufgedeckt werden, aus denen die Zauberkraft des menschlichen Geistes die verklärenden Strahlen hervorlockt. Welcher Art dieses Chaos ist, wird die Betrachtung der einzelnen Kulturen ergeben. Auf die mannigfaltigste Weise kann es den Menschen bedrängen: sei es, daß es auftritt als unheimlicher Naturschrecken, indem das Gespenst des Todes Angstgefühle erweckt, oder Seuchen, Aufruhr in der Natur, Grauen um sich breiten; sei es, daß es die Seele aufwirbelt, indem soziale Gebrechen wüten: Krieg, Mord, dämonische Leidenschaften rasen, die Machtgier überhaupt in unzähligen Weisen ihr grausiges Werk vollbringt. Die Gewalt des Chaos durchschauert den Menschen weiterhin, indem er im Gefühl seiner Mängel, der Begrenztheit seiner Kräfte niedersinkt, und das Genie sowohl, wie der einfache Mann des Volkes, kann so in den Bann unheimlicher Stimmungen geraten: sei es, daß jenes bei seiner außerordentlichen Reizbarkeit aufs tiefste verwundet wird durch die Erkenntnis der Unfertigkeit des Lebens überhaupt, sei es, daß es zurückbebt vor den rätselhaften Leidenschaften, die in seinem Innern walten, oder ächzt unter der Last der großen Aufgabe, die ihm auferlegt ist; wie überhaupt jeden Menschen, kommt er zur Besinnung, immer wieder die düstere Melodie von der Unvollkommenheit und Gebrechlichkeit des Lebens umsummt.

Aber begnügen wir uns hier mit diesen Andeutungen und fragen wir uns, auf welche Weise der Mensch diese nächtigen Gewölbe der Not zu durchbrechen sucht. Da begegnen uns zwei Grundformen, in welchen sich entweder ein Aktives, Männliches oder ein mehr Passives, Weib

liches darbietet der Machtwille und die Erlösungssehnsucht. Es gibt keine Kultur, in der nicht irgendwie diese beiden Grundregungen, die als Systole und Diastole innigst zusammengehören, wirksam sind, nur daß der Stärkegrad, ihre Abtönung eine unendliche Mannigfaltigkeit aufzeigt, die eben der Historiker festzuhalten hat.

In düsterer, unheimlicher Form kann der Machtwille sich äußern: als roher Kampf ums Dasein, als Wüten sinnlicher Leidenschaft, als wirtschaftliches und politisches Herrschaftsstreben, als Ringen des Einzelnen mit dem Einzelnen, als Kampf der Stände und Klassen, als Krieg, in dem die Machtgier barbarisch sich austobt. Aber auch feinere Formen des Machtwillens treten uns entgegen. Die Wissenschaft sucht, namentlich als Philosophie, die verworrene Welt der Erscheinungen zu beherrschen, auf daß der von ihrer Wirrung bedrückte Mensch sich in diesem Chaos zu behaupten weiß, als ein Freier, Gebietender, dem die Erscheinungen Rede und Antwort stehen, um sich zu blicken vermag. Auch der Künstler bändigt die Erscheinungen oder die in seiner Seele sich drängenden Regungen, sie so beherrschend, daß sie sich gleichsam zu einem tönenden Kosmos gestalten, während die Religion, bei welcher ja immer irgendwie die philosophische Besinnung, wenn auch verschleiert, sich bemerkbar macht, zudem ja auch künstlerische Kräfte sich äußern, ebenfalls das von Schreckensmächten durchzogene Dasein zu bändigen sucht, auf daß der Mensch von dem Wirbel nicht verschlungen und als ein Freier auf festem Grunde stehe.

Ungeheure Herrschaftsansprüche können sich in diesen Gebieten des geistigen Lebens melden, gewaltige, Tod und Teufel sich triumphierend entgegenstellende Kräfte rauschen hier auf; bis zur verwegenen Behauptung, daß der Mensch selbst der Schöpfer der Welt, daß er als ein Künstlergott, von übermenschlicher Erhabenheit umflossen, dem Reich des Ewigen angehört, wo Anfang und Ende aller Dinge ist: bis zu solcher Verwegenheit kann der Machtwille aufglühen. Und grausige Taten der Eroberergier werden vollbracht im Namen der Religion: von Haß- und Rachgier durchloht, stürmen die frommen Streiter auf ihre Feinde, wie auch die religiösen Machthaber, oft tiefen Ernstes voll, nicht zurückschrecken, im Namen der Religion erbarmungslos ihre Feinde auszurotten oder doch niederzuhalten.

Aber die Bahn, die der Machtwille vorzeichnet, ist nicht die einzige Richtung, in der das Leben verläuft; ein immer nach der gleichen Seite hin sich entfaltendes Leben ist ein Unding. Es sind die männlichen

Energien, die mit dem Chaos ringen, um es zu gestalten, aber nie, weder in der Kultur eines Volkes, noch beim einzelnen Menschen, hält diese vom Machtwillen beflügelte Bewegung an: die Systole fordert die Diastole: das Weibliche, das in der menschlichen Seele beschlossen ist, macht sich geltend, und so folgt gleichsam eine Umkehr: ein Drang, sich hinzugeben, aufzugeben, unterzutauchen in einer Sphäre der Harmonie, der Ruhe, des Vergessens, der Reinheit: die Erlösungssehnsucht stellt sich ein. Wo immer der Machtwille gebietet, der in die Wirrnis einbricht, um sie ringend zu überwältigen, da ist die Bewegung der Seele von Unruhe durchschauert, die in unzähligen Stärkegraden auftritt, und so stellt sich das Verlangen ein, dieser Unruhe zu entfliehen, um langgezogenen Klängen zu lauschen, die alle Spannung lösen und die Seele balsamisch berühren. Es kann der Machtwille etwa in Form sinnlicher Leidenschaft, wirtschaftlicher, sozialer, politischer Kämpfe, weiterhin in Form gewaltiger sittlicher Energie, die einer ganzen Welt trotzt: ein solcher Machtwille kann selbst wieder furchtbare Wirrnis hervorrufen, er kann das Chaos, das beherrscht werden soll, von Neuem aufreißen, daß die Finsternis mit ihren Schrecken hereinbricht. So wird es weiterhin verständlich, daß sich dem Machtstreben der Erlösungsdrang entgegenstellt.

Wie bezeichnend ist es doch, daß die sozialen Gemeinschaften und Organisationen aller Art, die im Dienste des Machtwillens stehen, etwa das Geschlecht in mittelalterlichen Zeiten, dann die Stände, weiterhin der Staat, um nur wenige zu nennen, zugleich Schutzwälle bilden, hinter denen sich der Mensch geborgen weiß! Heimatlüfte wehen im Bereiche des Geschlechtes, so daß der, der seinem Boden entrissen, sich nach ihm sehnt als der Stätte der Freiheit, der Erlösung von aller Pein. Die Genossenschaften einer ständisch geordneten Zeit stellen wohl Herrschaftsbezirke der Menschen dar, und revolutionäre Kräfte lohen immer wieder empor: aber schützende Hallen sind sie auch dem Menschen, der als Einzelner sich schwach fühlt, so daß er, wenn er etwa aus einer solchen Gemeinschaft ausgeschlossen, von Gefühlen durchschauert wird, als sei er aus dem Paradiese, wo ein gütiges Auge über ihm wachte, verstoßen worden. Gewiß ist der Staat eine großartige Erscheinungsform des Urphänomens im Sinne des Machtwillens, und wild flammt dieser oft in Kriegen auf. Aber ist er nicht zugleich eine Organisation, hinter deren Mauern sich der Einzelne geborgen weiß, indem dem Kampfe aller gegen alle, in seiner schlimmsten Form wenig

stens, ein Ende bereitet ist, und jedem, auch dem Ärmsten schließlich, einmal ein Plätzchen bereitet wird, wo der Streit verstummt und die Ruhe einkehrt? In Zeiten nationaler Knechtschaft, wie gewaltig wird da der Staat als eine solche Ruhe und Frieden verbürgende Segensmacht empfunden, und wenn es zum Kampfe kommt, da lodert das nationale Gefühl empor auch als Sehnsucht nach Freiheit, nach Erlösung: messianische Bilder von Glück und Eintracht tauchen inmitten des Kampfgewühles in lieblichen Farben auf.

Wenn es keine Religion gibt, in der nicht irgendwie das Machtstreben des Einzelnen oder einer Gemeinschaft zur Offenbarung gelangt, es wird in der Form einer nie ausbleibenden mächtigen Diastole ergänzt durch das Erlösungsstreben. Im Zauberglauben sucht der urzeitlich geprägte Mensch Macht zu gewinnen über die bösen Geister, und hochaufwallende Herrschaftsgefühle, als könnten die Naturgewalten, Stürme und Wetter gebändigt werden, stellen sich ein. Aber der Sieg über die dämonischen Mächte wird genossen auch in der Form eines erlösenden Gefühles, und in der beschaulichen Ekstase geht der Zauberer ein in das Reich des Friedens und der Stille, das ihm ein Glück schenkt, das alle Erdenschwere überwindet. In Zeiten, wo die Religion die Völker als eine imperialistische Macht durchwallt, in den Heldenzeitaltern vor allem, da sind die Götter nicht allein die grollenden Unholde, die mit barbarischer Machtgier den Feinden entgegenstürmen, sondern auch Fürsten des Friedens: die Retter in der Not, die, wenn mit ihrer Hilfe die Feinde bezwungen sind, ein Friedensreich gründen, dem eine Harmonie entquillt, die alle erlittene Pein vergessen läßt: immer wieder werden diese Götter gefeiert als Erlöserkönige. Auf den Jenseitsgedanken, der in den verschiedensten Kulturen seine bannende Macht entfaltet, indem er eröffnet Gefilde der Seligkeit, wo alle Erdennot verbannt; auf das Glück des Frommen, das ihm zuteil wird, wenn er sich im Gebet, in der Beschauung versenkt in den Glanz des göttlichen Wesens, wo allem Ringen, aller Pein ein Ende bereitet, sei hier nur hingewiesen.

In den Gebieten der Kunst und Philosophie enthüllt sich das gleiche Lebensprinzip, wie es denn überhaupt keine seelische Erscheinung gibt, in der es nicht wirksam ist. Der Künstler beherrscht wohl den Stoff, den Stoff einer chaotischen Außenwelt oder das Material gleichsam seiner Erlebnisse. Und wenn ihm so die Gefühle zuwachsen des Siegers - und es gibt keine Kunst, in welcher nicht irgendwie der Wille gestaltend eingreift der Künstler schafft, indem er das Chaos formt,

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eine Welt, in der er atmet wie in einem Reich der Freiheit, der Harmonie. Alle Kunst, auch die, welche in Gefilde eines jenseitigen Lebens hineinweist oder die schrecklichsten Vorgänge darstellt, verklärt irgendwie das Leben, sie ist nicht allein ein Sieg der Geisteskraft über die chaotischen Gewalten des Lebens, sondern auch ein Hochgesang der Freiheit, der Erlösung. Bald tritt der Herrschaftswille roh, massig, barbarisch auf, und nur schwach klingt das Erlösungsstreben an. Bald ist der rauhe, wirr wogende Stoff so vergeistigt, daß man wähnen könnte, der Herrschaftswille sei ganz ausgeschaltet und die Erlösungssehnsucht hauche sich in zarten, verwehenden Klängen, verschwebenden Farben aus. Bald befindet sich das männliche und weibliche Prinzip vollkommen im Einklang, und die Hoheit und Anmut des klassischen Kunstwerkes wird erreicht. Bald überwiegt das männliche Prinzip, und das Erhabene gewaltiger Kraft leuchtet vor uns auf; bald ist ersteres so zurückgedrängt, daß idyllische Stimmungen entbunden werden. Bald umwallt uns, indem der Machtwille mit grausigen Mächten kämpft, ein nächtiges Dunkel, daß der Eindruck entsteht, das Chaos breche herein: aber der Held der Tragödie, an den wir denken, er erhellt die Finsternis, indem er in den Abgrund sinkt, umloht vom Gefühl der Freiheit, der Erlösung aus schauriger Not. Doch wollten wir fortfahren, wir müßten eine Ästhetik gemäß den Grundsätzen entwerfen, die uns bei unseren Betrachtungen leiten.

Leicht wird nun der Leser, ist er unseren Ausführungen gefolgt, begreifen, wie auch für die Philosophie, und zwar die Philosophie aller Zeiten und Völker, der im Urphänomen beschlossene Rhythmus seelischer Entfaltung seine Geltung besitzt. Immer führt ein allmählicher Übergang von der Religion zur Philosophie, und schließlich sucht diese das gleiche Problem wie die Religion, nur auf verschiedene Weise, zu lösen: die ungeheuren, auf- und abwogenden Massen der Erscheinungen sollen sich unter ein Gesetz beugen, das eben der menschliche Geist, der nach Macht dürstende, ihnen auferlegt. Und wenn so die Philosophie ein Ringen mit dem Chaos darstellt, auf daß der Strahl der Vernunft es erleuchte, der belebende Odem der Seele es gestalte zum Kosmos oder doch zu einem überschaubaren Ganzen: erhabene Gefühle der Freiheit, der Erlösung ziehen in die Seele des Philosophen ein, ist es ihm gelungen, sich auf den Gipfel zu schwingen, wo der Herrscherthron bereitet ist. Ein Gefühl der Sicherheit, des Geborgenseins, der Ruhe, des Erlöstseins auch von den Qualen des Zweifels, den beklemmenden Dünsten

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