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der chaotischen Niederungen überkommt ihn, und wie oft ist sie von den großen Philosophen beschrieben worden die Seligkeit, die das Schauen der Wirklichkeit gewährt, das Schauen mit Augen, denen das Getrennte sich eint, die wirre Fülle zur erhabenen Form wird!

Noch wäre einer Reihe von Erscheinungen zu gedenken, in denen das Urgesetz des Lebens sich enthüllt: der Geschlechtsliebe etwa, die bald als rasende Besitzgier, bald als himmlische Seligkeit sich äußert; der Freundschaft, der Bünde, der Stände und Klassen; dann der Volksfeste aller Zeiten, bei denen oft in prachtvoller Weise der Herrschaftswille sich offenbart, indem alle Mächte der Kultur aufgeboten werden, auf daß sie ihren Glanz über die Feiernden gießen, wo diese aber auch zugleich ein Glück umfängt, daß sie sich, für Stunden wenigstens, erhoben wissen in ein Reich jenseits aller Erdenschwere. Doch wir müssen uns beschränken: nur als Notbehelf sollen uns diese Betrachtungen allgemeiner Art dienen, das geschichtliche Leben soll vielmehr in sprühender Lebendigkeit im Spiegel der Forschung aufgefangen werden.

Bei dem Bestreben, die geschichtlichen Vorgänge nach den Weisungen unseres Prinzips zu durchdringen, müssen wir uns immer bewußt bleiben, daß, da die Seele sich als eine Einheit darbietet, die Grundkräfte nie oder doch nur selten ganz rein durchleuchten. Entfaltet sich der Machtwille, so kann das Erlösungsgefühl zugleich leiser oder stärker anklingen, in das Erlösungsstreben aber kann das Machtstreben deutlich sich einmischen. Der Machtwille kann von schauerlichen tragischen Erschütterungen durchdrungen sein, etwa beim Helden des Schwertes oder des Geistes, der todverachtend sich den Feinden entgegenstellt; aber er kann auch aufglühen in ekstatischen Wonnen, die alle Schmerzen und Schrecken vergolden und den, welcher von ihnen ergriffen wird, hineintragen in ein Lichtreich, dessen Herrlichkeit ihn als Glanz der Erlösung umfängt: er versinkt gleichsam, überwältigt vom Rausch der Ekstase, in einen Abgrund von Göttlichkeit, und es ist bezeichnend, daß bei der dionysischen Ekstase leicht Visionen sich einstellen von der Art der beschaulichen Verzückung, wo der Wille zur Ruhe eingeht. Oder auf der anderen Seite: der Mystiker, der mit geschlossenen Augen in den Wesensgrund der alles umfassenden Gottheit eintaucht und hier die Unruhe des Werdens, die Unruhe des Reiches des Machtwillens überwindet: er kann zugleich als solch Erlöster, indem er eins mit der Gottheit geworden, sich als Weltenkönig fühlen: als

herrschgewaltige Urmacht, die aller Dinge Ursprung. Oder im Reiche des Jenseits, wie es sich etwa die Christen ausmalen, sind die Seelen. nicht allein befreit von der Erdennot, indem sie als Vollendete schweben in der Lichtherrlichkeit der Gottheit, auch als Könige werden sie gepriesen, indem die Herrschermacht der Gottheit auch auf sie übergeht.

Bei solchen und ähnlichen Fällen muß der Historiker herauswittern, was das Vorwiegende, das Herrschende ist, und in der Tat, im Leben sowohl des Einzelnen als auch der Gemeinschaften drängen sich immer die beiden Grunderscheinungen auf. Bald überwiegt der Machtwille, bald der Erlösungsdrang, bald wird der Erlösungsdrang abgelöst vom Machtwillen oder umgekehrt. Und in der Form gewaltiger Reaktionen kann solcher Wechsel eintreten: so, beispielsweise, wenn auf das indische Mittelalter mit seiner rasenden Lebensgier eine Zeit der Besinnung, der Einkehr, der Sehnsucht nach Frieden sich einstellt, oder im abendländischen Mittelalter stets auf eine Zeit der Verweltlichung eine asketische Gegenströmung einsetzt, oder Gestalten wie Shakespeare, Michelangelo, Rembrandt, Richard Wagner und viele andere nach schweren Kämpfen mit den unholden Mächten des Lebens nach Frieden und Harmonie lechzen.

5.

DAS Urphänomen kann erfaßt werden als ein Grundprinzip, das die Weihe der platonischen Idee besitzt: also einer Urgestalt, die jenseits von Zeit und Raum thront, und in der in geheimnisvoller Weise alle einzelnen Gestalten der Welt der Erscheinungen beschlossen sind. Hier betreten wir demütigen Sinnes ein Gebiet, wo die Sprache kaum ausreicht, um zum Ausdruck zu bringen, was die Seele im Innersten bewegt. Das Streben, vorzudringen zum Kerne alles Geschehens, kann uns so machtvoll ergreifen, daß wir das Urlebendige in der Weise erfassen möchten, daß hier das Gegensätzliche, das in seinen Äußerungen hervortritt, in einer vollkommenen Einheit ausgelöscht ist. Die Sehnsucht, sich einem Letzten, vollkommen in sich selbst Beschlossenen, einem in Ruhe Thronenden und zugleich das wechselnde Leben Bestimmenden hinzugeben, solche Sehnsucht erweckt die Anschauung eines raum- und zeitlosen Urlebendigen, und wiederum hat Goethe machtvoll, wie vielleicht nur noch Plato und einzelne Mystiker, tiefe Geheimnisse der menschlichen Seele entschleiert. „Das unschaubare, das ewig tätige Leben,"

sagt er einmal,,,soll in Ruhe gedacht werden," ewig und einzig sei die Idee,,,unabhängig von Raum und Zeit", und in ihr sei,,Simultanes und Sukzessives innigst verbunden". Alles dieses widerstreitet der Erfahrung, und in der Tat, will man mit den Mitteln des kalten Verstandes sich der Idee bemächtigen, so kann sie, wie Goethe einmal bemerkt, in uns eine Art Wahnsinn hervorrufen. Nur dem Gefühl, dem gleichsam schauenden, bauenden Gefühl erschließt sich die Urseele in ihrer. Reinheit, das Urphänomen, das erst die Erfahrung, das Begreifen der Welt der Erscheinungen möglich macht und im Grunde ihres Wesens verankert ist. Dichterisch hat Goethe versucht, das Unsagbare zu sagen: im Faust spricht er sich erhaben aus über das Reich der Mütter:

,,In eurem Namen, Mütter, die ihr thront
Im Grenzenlosen, ewig einsam wohnt,
Und doch gesellig! Euer Haupt umschweben
Des Lebens Bilder, regsam, ohne Leben.
Was einmal war, in allem Glanz und Schein,
Es regt sich dort; denn es will ewig sein:
Und ihr verteilt es, allgewaltige Mächte,

Im Zelt des Tages, zum Gewölb' der Nächte."

Noch vollkommener ist es Goethe gelungen, das Unnennbare zu deuten in dem folgenden herrlichen Gedicht:

,,Wenn im Unendlichen dasselbe
Sich wiederholend ewig fließt,
Das tausendfältige Gewölbe

Sich kräftig ineinander schließt;

Strömt Lebenslust aus allen Dingen,

Dem kleinsten wie dem größten Stern,
Und alles Drängen, alles Ringen

Ist ewige Ruh' in Gott dem Herrn."

In der Atmosphäre solchen Erlebens, das die höchsten Höhen und tiefsten Tiefen des Daseins zugleich umfaßt, webt also das Geheimnis der Wirklichkeit, und nicht erst Goethe hat versucht, das kaum zu Nennende mit der Kraft des Wortes zu entzaubern. Wir möchten sagen, daß in allen Kulturen, in denen der philosophische Trieb irgendwie waltet, dieses innerste Geheimnis des dem Ewigen zugewandten Herzens seine Sprache gefunden hat: bei den Chinesen, den Indern, den Persern, Juden und Griechen. Mögen wenigstens einzelne Klänge aus dem Abgrund des Ewigen laut werden.

Jahrtausende vor Goethe hat Laotse schon in der Weise unseres Meisters mit dem Geheimnis des Lebens gerungen:

,,Endlos drängt sich's und ist wie beharrend.
In seinem Wirken bleibt es mühelos.“

,,Der Wesen zahllose Menge entwickelt sich,
Doch jedes wendet sich zurück zu seiner Wurzel.
Zurückgewandt sein zur Wurzel: das ist Stille.
Stille: das ist Rückkehr zur Bestimmung.
Rückkehr zur Bestimmung: das ist Ewigkeit."
,,Sein und Nichtsein ist ungetrennt durcheinander
Ehe Himmel und Erde entstehen.

So still! so leer!

Allein steht es und kennt keinen Wechsel.

Es wandelt im Kreise und kennt keine Unsicherheit.

Man kann es fassen als Mutter der Welt.

Ich weiß seinen Namen nicht.

Ich bezeichne es als ,TAOʻ.

Mich mühend seine Art zu künden,

Nenne ich es: groß'.

Groß: damit meine ich immer im Flusse.

Immer im Flusse, damit meine ich: in allen Fernen.

In allen Fernen, damit meine ich: in sich zurückkehrend."

Immer wieder bemühen sich die indischen Philosophen, das Rätsel des Lebens in der Sprache zu enthüllen:

,,Der jedem Mutterschoß als der Eine vorsteht,

In dem die Welt zergeht und sich entfaltet,

Wer den als Herrn, als Gott, reichspendend, preiswert
Erkennt, geht ein in jene Ruh' für immer."

,,Wer ihn fein, überfein in dem Gemenge,
Als Weltenschöpfer vielfach sich gestaltend,
Den Einen, der das Weltall hält umschlossen,

Als Seligen weiß, geht ein zur Ruh' für immer."

Zarathushtra, der Iranier, stimmt ebenfalls ein in den Chor der hei

ligen Sänger:

,,Was war, und was ist, und was sein wird,

Alles ist zeitlos in ihm beschlossen.

Schon jetzt wartet Ewigkeit,

Beglückend den Guten,

Vernichtend den Bösen.
Denn Gott ist die Stille
Im tobenden Sturm."

3 Muckle, Jüdische Kultur

In der jüdischen Kultur gewinnt das Allebendige ähnlichen Ausdruck, indem Jahwe, der gewaltige Herr der Welt, die Schattenkühle bereitet, in der sich die gepeinigte, von den Mächten der Welt bedrängte Seele friedvoll lagern kann. Und für die griechische Kultur möge der Hinweis auf Plato genügen, für den die Urseele, die Gottheit, als die jenseits von Raum und Zeit beharrende Idee des Guten gilt, die er zugleich als Weltenschöpfer feiert.

Von allen Erscheinungen steht dem Urphänomen am nächsten die Musik. Man hat uns neuerdings beweisen wollen, daß die Musik als eine raumbeherrschende Macht sich offenbare und deshalb namentlich in der von imperialistischen Gelüsten beherrschten abendländischen Kultur die eifrigste Pflege gefunden. Wer die Kraft hat, sich in die geheimnisvolle Atmosphäre der Musik zu versenken, wer imstande ist, sich in die Schöpfertätigkeit des großen Musikers einzufühlen, der weiß, daß diese Kunst jenseits von Raum und Zeit ihre Macht entfaltet. In ihr wird die tiefste Stille in der Form der Bewegung offenbar, sie ist die Seligkeit, die vom Glanz der Ewigkeit umstrahlte Seligkeit des Werdens selbst. Mögen gewaltige, unheimliche Kräfte aufrauschen: ein Lichtglanz geht durch den Aufruhr und verzaubert ihn zur Harmonie.

So läßt es sich erklären, daß wir bei allen großen Kulturen eine leidenschaftliche Sehnsucht nach Musik antreffen. Immer wieder wird die Gottheit, das Urphänomen, gefeiert als die Harmonie, die mit Mutterarmen das Chaos umschließt und besänftigt. Herrlich wissen die großen Chinesen das göttliche Weltwesen, den Urgeist, als Macht der Harmonie im Sinne des Genius der Musik zu schildern; die Inder sind voll Staunens, daß eine wunderbare Melodie durch all das Gebrause der Welt als Stimme des Alliebenden geht; als Sänger seines Gottes fühlt sich Zarathushtra, und welche Rolle die Musik bei den Griechen, den antiken Juden, im Abendland spielt, das wird noch zu zeigen sein.

Auch Goethe hat empfunden, was wir andeuteten: ihm ist „,die Kunst eine Vermittlerin des Unaussprechlichen", und unter den Künsten gilt ihm die Musik als die erhabenste,,,weil sie keinen Stoff hat, der abgerechnet werden müßte". ,,Die Musik ist heilig oder profan. Das Heilige ist ihrer Würde ganz gemäß, und hier hat sie die größte Wirkung aufs Leben, welche sich durch alle Zeiten und Epochen gleichbleibt."

Man könnte vielleicht fragen, ob es denn wirklich geboten war, in die Abgründe der Metaphysik hinabzusteigen, wo es sich doch um die Durchleuchtung lediglich geschichtlicher Erscheinungen handelt.

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