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Nun, auch die geschichtlichen Vorgänge gehören dem Leben an, das die Philosophie und Religion zu entwirren suchen, und schon der Hinweis auf die Bedeutung der Musik im Völkerleben hat gezeigt, wie wichtig eine auf metaphysische Prinzipien zurückgehende Betrachtung für unsere Zwecke ist. Aber ein Anderes kommt noch in Betracht. Gewiß könnte man sich beruhigen, wenn es zur Not gelänge, die Entfaltung des Urwesens in den Erscheinungen des geschichtlichen Werdens zu erweisen, ohne sich weiter um den metaphysischen Lebensgrund zu bekümmern. Aber mag es auch noch so sehr gelingen, die Einheit in der Mannig faltigkeit des Geschehens aufzuspüren: die selbst von klarem Lichte durchflutete Mannigfaltigkeit kann wieder verwirrend auf uns einwirken, in Stunden nämlich, wo wir, frommer Schauer voll, von der Sehnsucht ergriffen werden, ins Tiefste des Weltgeistes einzudringen, um hier in einer alles bergenden Einheit beseligend unterzutauchen. Schwer läßt es sich in Worte fassen, was hier in der Seele vor sich geht. Aber wer es vermag, gewaltige Zeiträume zu überspannen; wer die geistige Kraft aufbringt, in den unzähligen Erscheinungen etwa der jüdischen, griechischen und abendländischen Kultur das Walten der gleichen göttlichen Grundkraft zu enthüllen; wem es gelingt, etwa den heutigen Proletarier und Äschylos, Beethoven und einen beliebigen Revolutionär der urchristlichen Zeit, die Gotik und die indische Philosophie, eine dröhnende Maschine und ein vom Mondschein überhauchtes lyrisches Gedicht auf eine aus dem Urphänomen herausstrahlende Linie zu rücken: der kann so von dessen Urgewalt erfaßt werden, daß er und mit ihm die ganze Wirklichkeit beseligt in den Abgrund stürzt, wo alles Drängen, alles Ringen ewige Ruhe ist. Was namentlich den indischen und mittelalterlichen Mystikern in weihevollen Stunden zur Gewißheit ward, indem sie eintraten in die alles bergende göttliche Einheit: den Historiker können die gleichen religiösen Hochgefühle durchschauern, indem ihn der Atem des jenseits von Zeit und Raum in glühender Stille webenden Weltgeistes auch im Leben der Geschichte anweht und erlösend umfängt. In Visionen bemächtigt er sich der Einheit von geschichtlichen Vorgängen, die selbst durch gewaltige Räume und Zeiten getrennt sind, und vom Hochgefühl solcher Visionen erfüllt, schwebt er hinein in das Reich der Mütter, in dessen erhabener Einsamkeit im dunklen Grunde die ewige Quelle murmelt, die den Mutterschoß bildet alles Lebens.

6.

DAS Auszeichnende der Goetheschen Betrachtung der Welt, der wir nachzueifern bestrebt sind, macht aus, daß das geistige Auge sich sowohl auf die Einheit als auch auf die Mannigfaltigkeit des Geschehens richtet. Die Mannigfaltigkeit nun kann eine Wertung, eine Gliederung erfahren, die dazu beiträgt, daß sie leichter zu überschauen ist, als wenn eine solche fehlt. Goethe greift zu diesem Zwecke die Leibnitz'sche Idee der Monade auf, und in der Tat, gerade auch für die Geschichtsphilosophie ist dieses metaphysische Prinzip von hoher, erleuchtender Bedeutung. Darnach könnte das Urphänomen als Zentralmonade betrachtet werden, in der alles in gewaltiger, majestätischer Fülle beschlossen ist, was im geschichtlichen Leben tausendfältig zur Offenbarung gelangt. Und ausgehend von der Zentralmonade könnte ein Stufenbau von Monaden errichtet werden, dessen einzelne Glieder sich immer mehr von der leuchtenden Zentralsonne entfernen, bis sie zu verlöschen scheinen in der Dumpfheit und Dunkelheit: dergestalt, daß die einzelnen Kulturen, die Genies aller Art als dem Urphänomen nahegerückte, die Massen etwa des Volkes als ferner gerückte Monaden begriffen werden könnten. Gelänge es, einen solchen Stufenbau zu schaffen, so wäre in neuer, verfeinerter Weise zum Ausdruck gebracht, daß alle Erscheinungen des geschichtlichen Lebens Offenbarungen des Urphänomens bilden, daß irgendwie dessen Wesensbestimmtheit in ihnen zur Sichtbarkeit gelangte, nur daß die Urkraft bald stärker, bald schwächer leuchtete. Und von Neuem würde eine solche Gliederung der geschichtlichen Kräfte davor bewahren, daß die Darstellung sich, wie es so oft geschehen, entweder den Genies oder den Bewegungen der Massen einseitig zuwendet. Alles, was das Leben der Geschichte darbietet, sowohl was auf den Höhen als auch in den Tiefen der Gesellschaft sich abspielt, müßte in charakteristischen Erscheinungen herausgehoben werden aus der wirren Flut der Lebensäußerungen, um eingereiht zu werden in den Kosmos der Kultur gemäß dem Rang, den der intuitiv wertende Blick ergründet. Die Religion, die Kunst, die Philosophie, die Einzelwissenschaften, die Gemeinschaften aller Art, das Wirtschaftsleben, empfangen so ihre metaphysische Weihe, und auch die gröbsten Erscheinungen des Tages wären nicht zu gering, als daß sie nicht in den Umkreis einer liebevollen Betrachtung einbezogen werden könnten, über den eben der Hauch des Urlebendigen bald stärker, bald schwächer streift.

Freilich kann der Historiker nicht jede einzelne Erscheinung seinem Bauwerk einfügen: es wäre überladen und würde durch die Überfülle immer wiederkehrender gleichartiger Erscheinungen beklemmend wirken. Er wird sich so lediglich jener Manifestationen des Urphänomens bemächtigen, die als ein Besonderes machtvoll das Allgemeine zur Anschauung bringen. Symbole hat er aufzubauen, und als solche gelten ihm einmal die großen Geister, dann das im Bereich der Gemeinschaft flutende Leben des Volkes, wie es etwa quillt im Wirtschaftsleben, in den sozialen, politischen, religiösen Vorgängen. Hier muß das Charakteristische erfaßt, das Nebensächliche beiseitegeschoben werden, ja viele Einzelheiten dürfen unberücksichtigt bleiben, indem eben in den Vorgängen von symbolischer Bedeutung die ganze Fülle des Lebens irgendwie sichtbar wird.

Muß es noch betont werden, daß eine solche Geschichtsbetrachtung dem heute herrschenden wissenschaftlichen Betrieb völlig entrückt ist, daß sie einer Atmosphäre des Geistes entstammt, die in unserer, jede Besinnung raubenden Zeit nur schwer und selten sich durchringt? Die heutige Wissenschaft mit ihrer sinnlos ins Unendliche hineintreibenden Spezialisierung zerreißt das Leben in Millionen Fetzen, sie erstickt es, indem sie es in starre Formeln preßt, oder indem sie ein Geröll von Einzeltatsachen ausbreitet, daß uns eine Öde anstarrt, über die der Hauch des Todes streift. Wir aber bemühen uns, das Leben als ein Ganzes, als quellende Fülle zu begreifen, und wenn es auch uns mächtig zu den Einzelerscheinungen hinlockt, so suchen wir uns von der Gefahr wirrer Überfülle zu retten, indem wir sie in Beziehung zur Urseele bringen. Solche Betrachtung der Wirklichkeit hat nichts mit der nur die Oberfläche der Dinge streifenden Methode der heutigen Naturund Geisteswissenschaften zu tun. Goethe spricht einmal von einer zarten Empirie, die sich mit dem Gegenstand innigst identisch macht und dadurch zur eigentlichen Theorie wird". Nun, solcher Empirie muß sich der Historiker befleißigen, will er den aus dem Kerne der Dinge dringenden Hauch verspüren; mit allen Kräften seiner Seele, unter denen die Liebe an erster Stelle steht, muß er sich in die sich ihm darbietenden Erscheinungen versenken, auf daß gleichsam sein Herz mit ihnen schlägt, ihre Seele in seinem Inneren pulsiert. Der Geschichtsphilosoph, der das Einzelne verachtet, um, angetrieben von einer Formel, sogleich zum Allgemeinen vorzudringen, gerät ins Leere: er wischt dem Leben den Farbenzauber ab, reißt die Blüten vom Baume, preßt

die flutende Wirklichkeit in ein Schema, daß ihr Herz zerdrückt wird. Soll die Fülle gebändigt werden, so darf sie nicht mit rohem Sinn vergewaltigt werden. Schauend vielmehr, mit liebevollem Sinn muß das Getrennte vereinigt, und in nie rastender Systole und Diastole muß der Historiker versuchen, die Wirrnis zu durchdringen: sei es, daß er bald ausgeht vom Urphänomen, um von ihm aus die Erscheinungen als dessen Ausstrahlungen zu begreifen, sei es, daß er vom Einzelnen ausgeht, um in ihm das Walten des Urgeistes zu ergründen.

Nur wo die Seele des Forschers noch von strömendem Blut erfüllt ist, kann eine solche Deutung zu fruchtbaren Ergebnissen gelangen. Alle Kräfte der Seele müssen aufgeboten werden, damit die verworrene Welt sich lichte: der trennende Verstand, ein vor dem Chaos nicht zurückschreckender Wille, eine das Verhüllte entschleiernde Phantasie, frische Sinne, dann die Kraft der Liebe, die das Zerstreute eint; die Fähigkeit, sich in die verschiedensten, gegensätzlichsten Vorgänge einzuleben und sie gleichsam in die Atmosphäre der eigenen Seele zu ziehen: alles dies ist vonnöten, soll das zu entwerfende Bild von quellenden Kräften belebt sein.

Eine solche Geschichtsbetrachtung steht wahrer Kunst viel näher als manche der Künste von heute, und sie ist ein anderes als die vielgepriesene Wissenschaft unserer Zeit, die nicht reife Früchte darbietet, die den Duft und das Glück des Herbstes ausströmen, sondern gleichsam ausgepreẞte, denen man ihr Bestes geraubt. Goethe hat sich schon seine Gedanken über das Verhältnis des Historikers zum Künstler gemacht, und er hat die hohe Würde des Historikers im Reiche des Geistes deutlich betont.,,Die Frage, wer höher steht, der Historiker oder der Dichter, darf gar nicht aufgeworfen werden; sie konkurrieren nicht miteinander, so wenig als der Wettläufer und der Faustkämpfer. Jedem gebührt seine eigene Krone." Doch wenn der Historiker in Form von Visionen sich des chaotischen Stoffes zu bemächtigen sucht, wenn er überall, auch im Derben und Rohen, in äußeren Einrichtungen ein Seelisches in lebendigem Bilde festzuhalten sucht, so rückt er eben in die Nähe des Dichters. Eine seelische Welt baut er wie dieser auf, und die Hauptkraft des Dichters, die Phantasie und das Gefühl, gewinnt auch bei ihm überragende schöpferische Bedeutung. Nicht immer wird er in der Lage sein, die bildende Macht des im geschichtlichen Werden sich entfaltenden Urphänomens rein zu erschauen: oft wird er stammeln, Mißgriffe werden ihm nicht erspart bleiben. Und wo sich ihm das Gefühl

aufdrängt, daß seine Geisteskraft nicht ausreicht, durch die verworrene Fülle zur Urseele vorzudringen, da wird er sich bescheiden: verehrend das Unerforschliche, sich beugend vor der Macht des göttlichen Schöpfergeistes und seinem geheimnisvollen Walten.

7.

WENN es wahr ist, daß alle Schöpfungen des Menschengeistes irgendwie im Urphänomen verankert sind, so muß auch unsere Methode als Ausdruck desselben begriffen werden können. Auch sie ist ja ein Gebilde des Geistes, und der Machtwille und das Erlösungsstreben müssen auch ihr zugrundeliegen, so gut wie dem Wirtschaftsleben, der Politik, der Kunst und den übrigen Gebieten der Kultur. Wir zeigten soeben, daß der Historiker, so wie wir ihn verstehen, in der Nähe des Künstlers sich befindet, und wir sahen, daß auch religiöse Stimmungen sich seiner bemächtigen können im Anschauen der ewig quellenden, ins Unendliche hineinweisenden Wirklichkeit. Und zudem soll ja eine Aufgabe gelöst werden durchaus philosophischer Prägung: das Leben, hier das Leben der Geschichte, soll mit der Kraft des das Chaos der „Empirie“ überwindenden wissenschaftlichen Geistes durchdrungen werden, daß es sich zum Kosmos gestaltet und also der Seele einverleibt werden kann. In der Tat, in der Methode, der wir das Wort reden, waltet die Urseele in der sichtbarsten Weise: vom Machtwillen ist sie eingegeben, und Erlösungsgefühle werden uns zuteil, bemächtigen wir uns ihrer mit Geschick. Wir wollen uns nicht von der Unsumme der Erfahrungstatsachen, die von den Einzelwissenschaften in blindem Eifer aufgestapelt werden, erdrücken lassen, wir wollen diese beherrschen und setzen so dem beklemmende Gefühle auslösenden Chaos unseren Willen entgegen, auf daß es sich lichte, von den Strahlen des Geistes durchdrungen werde. Und mögen uns auch, indem wir es wagen, in das Dickicht zu dringen, manche Nöte bereitet werden, mögen wir, wenn kein lichtverheißender Weg sich zeigen will, immer wieder gezwungen sein, den Kampf mit dem Ungetüm der „Empirie" aufzunehmen: haben wir einen Sieg errungen, indem es gelungen, die auseinanderfallenden Erscheinungen einer Kultur zusammenzuschauen, so spannt sich ein beglückender Himmel über uns: wir fühlen uns erhoben, beruhigt, atmen in der Luft der Freiheit: von einem schweren Druck sind wir erlöst. Und religiöse Hochgefühle können uns überkommen, indem wir uns beständig in einer

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