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Welt voll Mysterien bewegen, zumal wir immer auf ein Letztes hingewiesen werden, auf ein Nichtabzuleitendes, auf das Urphänomen, das, ungeheure Kräfte bergend, in immer neuer Weise sich offenbart: in gewaltiger Majestät sich entfaltend, die wir, frommer Schauer voll, anstaunen. Ihm, diesem Göttlichen, dessen Atmosphäre jede Erscheinung umhüllt, geben wir uns hin als dem Nichtzuenträtselnden, beglückt, wenn wir ein wenig den Schleier heben dürfen, so daß uns ein Blick in sein Wunderreich vergönnt ist. Freilich gibt es da keine andauernde Beruhigung und Beseligung: immer wieder haben wir uns, indem in unendlichen Bildungen die geschichtliche Wirklichkeit aufquillt, zu wappnen für den Kampf, um sie zu erobern, und immer nur kurz wird die Rast sein auf dem Gipfel, der uns die Schau hinein in die Weiten des besonnten Landes ermöglicht. Wir müssen immer wieder in die Niederungen hinabsteigen, müssen uns immer wieder in die wogenden Nebel und Dünste des Lebens hineinwagen, denn auch für uns gilt das im Rhythmus der Systole und Diastole sich aussprechende Gesetz: daß die Stunden der Freiheit Feierstunden sind nach hartem Kampfe, und daß das Leben schal wird, wenn nicht immer wieder die Bewegung in uns pulsiert.

8.

WIR haben nicht die Absicht, in dieser Einleitung alle die Probleme, die sich uns aufdrängten, zu behandeln: späteren Studien soll es vorbehalten bleiben, nach allen Richtungen hin die Fruchtbarkeit unserer Methode zu erweisen. Doch soll wenigstens auf einige Fragen, die für jeden Historiker von Bedeutung sind, hier kurz eingegangen werden.

Mit dem Siegeszug der mechanischen Naturbetrachtung im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert brach der Glaube durch, daß es möglich sei, auch die geschichtlichen Erscheinungen nach streng ,,wissenschaftlichen" Grundsätzen zu bearbeiten: zum Range einer Naturwissenschaft sollte die Geschichtswissenschaft erhoben werden. Turgot, Condorcet, besonders Saint-Simon und Comte waren bemüht, den Geist der Naturwissenschaft in die Geschichtsschreibung einzuführen, und da suchte man denn in kausaler Weise die Entwicklung der Vorgänge zu deuten. Es läßt sich nicht leugnen, daß diesen Historikern, im besonderen Saint-Simon, manche feine Beleuchtung geschichtlicher Zusammenhänge gelungen ist. Aber nicht ihrer Methode hatten dies die

Historiker zu verdanken, sondern ihrem Tiefblick, der sie, der Methode zum Trotz, auf noch wenig betretene Bahnen führte.

Allen diesen Geschichtsphilosophen, denen wir auch Karl Marx beigesellen dürfen, schwebt gewiß ein Großes vor. Sie wollen alle geschichtlichen Erscheinungen auf ein Grundprinzip zurückführen, um so die Fülle einheitlich zu durchdringen. Nach Übersicht streben sie, aber sie gelangen zu solcher Klarheit auf Kosten einer Verfälschung des Lebens. Sie wollen die Erscheinungen wiederum aus Erscheinungen erklären, sprechen von einem kulturellen „Überbau", der sich auf dem Grunde einer geschichtlichen Tatsache erhebt, etwa auf dem wissenschaftlichen Geist oder dem Wirtschaftsleben, und sind so völlig im unklaren darüber, daß es einfach eine Willkür ist, eine solche Grunderscheinung einem „Überbau“ gegenüberzustellen.

Wie, die Wirtschaft soll, um uns an Karl Marx' zu weltgeschichtlicher Bedeutung gelangte Behauptungen zu halten, die Ursache, das bestimmende Prinzip aller übrigen Erscheinungen der Kultur, des Rechtes, der Philosophie, der Kunst und Religion sein? Ist denn die Wirtschaft wie ein metaphysisches Urphänomen in sich selbst beschlossen? Aber da Karl Marx alle Metaphysik ablehnt, oder sie doch aus dem Wirtschaftlichen selbst wieder ableitet, so hat diese Frage für ihn gar keinen Sinn. Also bildet das Wirtschaftsleben eine „Ursache", und so fragen wir, auf welche Ursache denn die Wirtschaft selbst wieder zurückzuführen.

Wir sehen: Marx greift einfach eine sich mit besonderer Gewalt aufdrängende Erscheinung auf, erhebt sie ohne jede philosophische Besinnung zum Rang einer Grunderscheinung und sucht nun von ihr aus kausal die ganze Fülle der kulturellen Lebensäußerungen abzuleiten. Ein solches Verfahren ist Ausgeburt einer seelischen Haltung, derzufolge es nicht mehr gelingt, das Leben als ein Ganzes zu erfassen. Gewiß, das Wirtschaftsleben und eine nach ,,Ursachen" spürende Wissenschaft spielt in unserer neueren Zeit eine ungeheure Rolle. Wenn nun dieser Kraft der Rang einer geschichtlichen Grundmacht zuerteilt wird, so ist dadurch bewiesen, daß Karl Marx selbst vom Geiste unserer Zeit beherrscht ist. Er fühlt nicht mehr, daß jede Erscheinung, auch das Wirtschaftsleben - man denke etwa an den Feudalismus und das mittelalterliche Handwerk - von einer Atmosphäre umhüllt ist, in der alle Kräfte der Kultur schweben und schwingen können, er reißt willkürlich eine

Erscheinung aus dem Kosmos des Lebens heraus, vermag nicht mehr, dieses in seiner Totalität“ zu beschauen.

Wir werden es noch zu zeigen haben, wie auch das Wirtschaftsleben in den Kosmos der Seele eingebettet ist, und wie eine Fülle der wichtigsten geschichtsphilosophischen Probleme Karl Marx, da ihm jede metaphysische Besinnung fehlt, einfach verschlossen bleibt. Die Seele einer Kultur stellt ein tausendfältiges Wechselspiel der Kräfte dar, und in den Kreis dieser Kräfte ist eben einbezogen auch das Wirtschaftsleben. Aber ihm schlechthin eine besondere Stellung etwa gegenüber der Kunst oder Religion zuzuweisen, gleichsam als ob hier die alles Übrige „verursachenden“ Kräfte sprudelten, läßt sich nur erklären aus einer seelischen Verfassung heraus, die es unmöglich macht, das Leben zu betrachten als eine in allen Gebieten der Kultur sich entfaltende Urgewalt, die jeder Erklärung spottet und vom Geheimnis umwallt ist. In einem treffenden Bilde hat Goethe einmal das Oberflächliche der ursächlichen Deutung, gegen die er immer wieder ankämpft, gekennzeichnet:,,So hat auch jeder Weg, durch den wir zu einer neuen Entdeckung gelangen, Einfluß auf Ansicht und Theorie. Wir erwehren uns kaum, zu denken: was uns zu einer Erfahrung geleite, sei auch der Beginn, die Ursache derselben; dabei beharren wir, anstatt von der umgekehrten Seite heranzugehen und die Probe auf unsere erste Ansicht zu machen, um das Ganze zu gewinnen. Was würden wir von dem Architekten sagen, der durch eine Seitentüre in einen Palast gekommen wäre und nun, bei Beschreibung und Darstellung eines solchen Gebäudes, alles auf diese erste untergeordnete Seite beziehen wollte? Und doch geschieht dies in den Wissenschaften jeden Tag." Goethe meint zwar, daß wir in der Geschichte ein solches Verfahren zugeben müssen, womit freilich für uns nur bewiesen ist, daß der Meister es nicht voll vermochte, seine Methode auch für die Geisteswissenschaften fruchtbar zu machen.

Im übrigen wird es gut sein, hier nicht in Form allgemeiner Betrachtungen gegen die kausale Geschichtsbetrachtung Sturm zu laufen. Wir müssen zeigen, was wir mit unserer Methode zu leisten imstande sind, und wir gehören gewiß nicht zu denen, die Marxens Geschichtsphilosophie jeden Wert absprechen. Gerade unsere Methode gibt uns die Möglichkeit, Marx gerecht zu werden: auch seine Geschichtsauffassung muß als Ausfluß des Urphänomens begriffen werden können, und in

der Tat, in solcher Weise beleuchtet, bietet sich uns Karl Marx, der große Sozialist, als eine höchst charakteristische Erscheinung dar.

Marx erblickt im Wirtschaftsleben, in den Klassenkämpfen die Hauptmacht des geschichtlichen Daseins: die Triebkraft gleichsam, die alles übrige Geschehen bedingt. Was aber macht den seelischen Gehalt dieser von ihm zur Hauptursache erhobenen Erscheinungen aus? Nun doch der Machtwille, das Herrschaftsstreben der Menschen, die sich ringend im Chaos der Welt durchzusetzen suchen. Es sieht also Marx eine jener Grundkräfte, die wir in das Urphänomen hineinschauen, in Lebensäußerungen walten, die wir als ein Abgeleitetes betrachten, aber immerhin: er hat eine der Hauptrichtungen des geschichtlichen Lebens erfaßt. Doch abgesehen davon, daß es ihm nicht gelingt, das Walten des Machtprinzipes im Bereiche der einzelnen Kulturen aufzudecken: wenn er gelegentlich den Versuch einer Deutung wagt, indem er etwa die Philosophie der Aufklärung oder das Christentum der neueren Zeit auf den Machtwillen herrschender oder nach Herrschaft strebender Schichten zurückführt: diese Deutungen nehmen sich roh, starr, mechanisch aus. Immer handelt es sich für ihn um ein soziales Machtstreben, von dem metaphysischen Problem des Machtwillens, indem es sich in jeder Kultur darum handelt, durch die Geistesmächte der Philosophie, Religion und Kunst der chaotischen Welt einen Sinn abzuringen, hat er keine Ahnung. Die ganze, in unsäglich feinen Abtönungen sich entfaltende Skala des Machtstrebens im Bereiche der einzelnen Kulturgebiete ist ihm verborgen. Eine derbe Kraftäußerung, in der wir lediglich ein Abgeleitetes, dem Urphänomen Entströmendes erblicken, das soziale und politische Herrschaftsstreben, erhebt er zum Range einer Grundmacht, das geheimnisvolle Leben der Seele der Kulturen wie der einzelnen Menschen, die versuchen, in den verschiedensten Formen sich ringend im Leben zu behaupten, ist ihm verschlossen.

Wie, sollte Karl Marx selbst nicht mehr als eine im Sinne der Kultur aus üppig quellenden Seelenkräften schöpfende Persönlichkeit gelten können, so daß seine Methode gleichsam zum Verräter würde? In der Tat, Marx ist der Vertreter, vielleicht der größte Vertreter einer Zeit, in welcher sich das Seelenleben werten wir es gemäß dem Maßstab der Kultur in einer unerhörten Weise vergröbert hat. Auch diese Zeit können wir als Offenbarung des Urphänomens begreifen, und da zeigt es sich denn, daß mit einer ungeheuren Gewalt der Herrschaftswille sich

offenbart, und zwar vor allem als rasendes politisches und wirtschaftliches Machtstreben. In Kriegen, in sozialen Kämpfen messen die Völker und Klassen ihre Kräfte, und alles, Kunst, Philosophie, Religion, tritt zurück gegenüber dieser dämonischen Machtgier. Mag auch Marx als Sprecher des Proletariates, einer zu seiner Zeit schmählich unterdrückten Klasse, auftreten: er lebt ganz in dieser Atmosphäre des Machtrausches, und seine Geschichtsphilosophie ist ein getreuer Ausdruck dieser Stimmung. Die Philosophie, die Kunst, die Religion: sie sind als erhabene Lebensmächte entthront: das ganze geschichtliche Leben wird zurückgeführt auf das wirtschaftliche und soziale Herrschaftsstreben: die fortreißenden Lebensmächte seiner Zeit gelten Marx als Grundmächte der Geschichte schlechthin, das ganze Leben, das geheimnisvolle, aus ewigen Bezirken flutende, erstarrt zu einer Art Mechanik, die eine derbe Formel zu umschreiben sucht.

Wie aber, gewinnt es nicht den Anschein, daß unsere Methode versagt, wenn wir in einer solchen Weise Karl Marx zu begreifen suchen? Wenn der Machtwille das Grundprinzip seiner Geschichtsphilosophie und so auch seiner eigenen Seele und der Klasse bildet, als deren Herold er auftritt, kann denn da von einer Wirksamkeit des Urphänomens noch die Rede sein? Nun, auch bei Marx spielt das Erlösungsstreben noch eine Rolle, aber wiederum kommt es in grober Weise zum Vorschein. Er kennt es vor allem als Streben nach Befreiung von politischer und sozialer Knechtschaft: die gewaltige Sehnsucht des Menschen der Kultur, der sich herausringen möchte aus dem labyrinthischen Gewoge der Welt, um auf den Schwingen des Genius der Religion, der Kunst, der Philosophie auf eine Höhe zu gelangen, wo er in einem Reiche göttlicher Freiheit atmet, diese Sehnsucht, die aus Anfechtungen, erschütternden Zweifeln, düsteren Seelenkämpfen herausgeboren wird, klingt so gut wie nicht an. Mag zuweilen so etwas wie ein Ideal der Kultur bei Marx aufdämmern: er ist außerstande, ihm die Kraft des beschwingenden, aus der Tiefe einer großen Seele kommenden Wortes zu verleihen. Ein gigantischer sozialer Machtwille verschlingt bei ihm — und zwar auch in seiner Geschichtsdeutung die übrigen Kräfte der Seele, somit auch die Kraft, die zu wahrer philosophischer Besinnung gegenüber den Erscheinungen der Geschichte führt, und so ist seine Geschichtsauffassung ein Ausdruck der Vergröberung der

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